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III
Der Pfarrer von Brèves

Anfang April

Alsobald die Wege von jenen Besuchern gesäubert waren, da beschloß ich ohn fürderes Zögern, meinen Freund Chamaille in seinem Dorf aufzusuchen. Zwar war ich nicht sonderlich besorgt, was aus ihm geworden sein möge. Mein Pfarrer Pfiffikus weiß sich zu verteidigen. Aber desohngeachtet ist man geruhiger, so man den fernen Freund mit eigenen Augen hat gesehen ... und überdies, ich mußt mir die Beine ein weniges vertreten.

Ich machte mich also, ohn jemand etwas davon zu sagen, auf den Weg und ging pfeifend längs des Flußufers dahin, so sich am Fuß der bewaldeten Hügel hinzieht. Auf den jungen Blättlein perlten die Tropfen eines segensreichen leichten Regens – Frühlingstränen, die für ein paar Augenblicke aufhörten und dann geruhig begannen, von neuem zu fließen. Im Hochwald miaute ein verliebtes Eichkätzlein. Auf den Wiesen schnatterten die Enten. Die Meisen sangen aus voller Kehle, und der kleine Specht vollführte sein »Ticktak«.

Unterwegs entschloß ich mich, Rast zu machen, um meinen andern Freund, Meister Paillard, den Notar von Domercy, abzuholen: gleichwie die Grazien, so sind auch wir nur zu dritt wahrhaft vollkömmlich. Ich fand ihn in seinem Studierzimmer, auf seinen Konzeptbogen kritzelnd, was Wetters just sei, was er geträumt hätt, und befragte derhalben den Delegibus, das Buch der Prophezeiungen des Nostradamos, so ihm zur Seite lag. So man sein Leben lang im Haus, im warmen Zimmer mußt hocken, rächt sich die Seel und wandert desto lieber davon, durchs Tal des Traumes und das schattige Dickicht der Erinnerung. Und maßen sie die runde Weltmaschine nicht selbsten kann drehen, liest sie in der Zukunft, was mit der Welt noch mag geschehen. Alles ist vorherbestimmt, heißt es; ich glaube es wohl, doch ich gestehe, mir ist niemalen gelungen, die Zukunft in Prophezeiungen zu lesen, bevor sie erfüllet waren.

Alsobald der gute Paillard meiner ansichtig ward, erglänzete sein Antlitz vor heller Lust, und das Haus erdröhnete von unten bis oben ob des Getöses unseres Wiedersehens. Mir ist es allweil ein Ergötzen, den kleinen, rundlichen Mann zu betrachten, mit seinem pockennarbigen Gesicht, den breiten Backenknochen, der geröteten Nase, den faltigen Augen, so gar lebhaft und listig blicken, wann er mit verdrießlicher Miene über die Zeitläufte und Menschen brummt und im Grund der Seel doch gar gutlaunig ist, an allem seinen Spott hat und überdies ein größerer Possenreißer ist denn ich selbsten. Sein liebste Verlustierung ist, euch mit gestrenger Mien etwelche ungeheurlichen Flausen an den Kopf zu werfen, indes er Komus und Momus anruft und ihr Loblied anstimmt. In seiner Freud, mich zu sehen, hielt er meine Hände zwischen seinen dicken, steifen Pfoten; die sind aber, gleichwie er selbst, pfiffig und verteufelt geschickt beim Handhaben der Instrumente, beim Feilen, Beschneiden, Binden und Tischlern. Alles in seinem Hause hat er selbsten gemacht; insgesamt ist es wohl nicht schön, doch es stammt von ihm; und ob schön, ob häßlich, es ist sein Ebenbild.

Um nicht die Gewohnheit zu verlieren, klagete er wiederum dieserhalb und jenerhalb; ich hingegen, aus Widerspruch, lobte dies und jenes als gar trefflich. Er ist nämlich der Doktor »Um so schlimmer« und ich der »Um so besser«: das ist unser Spiel. Er schalt wiederum auf seine Klienten, und man muß wahrlich sagen, daß sie nicht sonderlich Eifer bezeigen, ihn zu bezahlen: denn etliche ihrer Schulden stehen nunmehr fünfunddreißig Jahre an, und wenngleich es ihm anliegt, so ist er nicht eilends, sie einzutreiben. Die übrigen, so sie überhaupt bezahlen, tun es zur Gelegenheit, wenn sie just daran denken, in Naturalien: in einem Korb mit Eiern, ein paar Hühnern. So ist der Brauch, und sie wollten es kränkend schelten, dafern er sein Geld forderte. Er murrt derhalben, aber läßt sie gewähren, und ich meine, an ihrer Stelle tät er's gleicherweis machen.

Zu seinem Glück ist sein eigen Hab und Gut ihm genug. Ein schönes, rundes Vermögen, was ihm Zins eintraget! Als ein alter Hagestolz, der den Weibern nicht nachstellet, ist es ein geringes, des er bedarf, und für die Annehmlichkeiten der Tafel hat die Natur bei uns gesorgt. Auf unsern Feldern ist der Tisch gedeckt; unsere Weinberge, unsere Obstgärten, unsere Fischweiher, unsere Kaninchenställe sind übervolle Speisekammern. Seine größte Verausgabung schlingen seine Schmöker, die er mit Fleiß zeigt, jedoch nur von fernem, dieweil der Kerl nicht gern leihet; gleicherweis gibt er viel für die, Schrulle, den Mond mit Ferngläsern, so erst kürzlich aus Holland gekommen sind, zu betrachten. Er hat sich auf seinem Boden im Dach zwischen den Schornsteinen eine wacklige Plattform errichtet, von der beobachtet er mit ernstlicher Miene das sich drehende Himmelsgewölbe. Und er müht sich, ohn allzuviel davon zu verstehen, die Urgründe unseres Schicksals draus zu enträtseln. Eigentlich glaubt er Selbsten nicht daran, indes er möchte gern daran glauben, und solches verstehe ich wohl. Es ergötzt ihn, von seinem Fenster die Spiele des Himmels vorbeistreichen zu sehen. So etwan, wie man auf der Straße die Jungfern, so vorbeiwandeln, betrachtet; man dichtet ihnen gar abenteuerliche Gefühle an, schier einen Roman, und ob wahr oder nicht wahr, jedenfalls ist es pläsierlich.

Wir diskurierten des lang und breiten über das Wunder, das blutige Feuerschwert, so vier Nächte zuvor in den Wolken geschwungen ward. Jeder erklärte das Zeichen seiner Art gemäß. Und jeder stand dafür, das verstand sich, daß alleinig seine Ausdeutung die rechte sei. Jedoch am Ende entdeckten wir einander, daß keiner von uns das mindeste gesehen hätt. Denn an jenem Abend hatte mein Astrolog vor seinem Instrument, gleichwie ich selbst, ein Schläflein gehalten. Im Augenblick, da man nicht mehr alleinig als Dummer dasteht, findet man sich damit ab. Wir taten es fröhlichen Herzens.

Und wir verließen das Haus mit der festen Vorsetzung, dem Pfarrer keine Beichte deshalben abzulegen. Wir durchquerten die Felder, betrachteten eingehend die frischen Knospen, die rosigen Schößlinge der Sträucher, die Vögel, so ihr Nest bauten, und über der Ebene einen Sperber, der am Himmel gleichwie ein Rad seine Kreise rollte. Voll Lachens redeten wir von dem Possen, den wir vor Zeiten einmalen Chamaille gespielt hatten. Mondelang hatten wir, Paillard und ich, Blut und Wasser geschwitzt, dieweil wir einer dicken Amsel im Käfig ein Hugenottenlied eindrilleten. Darnach hatten wir sie in den Garten unseres Herrn Pfarrers losgelassen. Darinnen gefiel es ihr so wohl, daß sie sich tat zum Lehrer der andern Dorfamseln aufschwingen. Und Chamaille, der durch solchen Choral gestört ward, wenn er sein Breviarium las, bekreuzigte sich, fluchte, vermeinte, der Teufel sei in seinem Garten losgelassen, vollführte eine Beschwörung wider ihn und schoß letztlich voller Wut, hinter dem Fensterladen verborgen, den bösen Geist ab. Vollkömmlich ließ er sich indes nicht von ihm nasführen; denn als er den Teufel getötet hätt, verspeisete er ihn.

 

Also im Plaudern langten wir an. Breves schien zu schlafen. Die Häuser an der Landstraße gähneten mit ihren offenen Türen der Frühlingssonne und denen, die vorübergingen, ins Gesicht. Kein menschlich Antlitz war sichtbar, ausgenommen auf dem Ranft eines Grabens ein Säugling, so seinen Podex in die Luft streckte und das Gras wässerte. Aber je näher Paillard und ich auf dem Weg, der da mit Stroh und Kuhmist bestreut ist, der Dorfmitte kamen, einander untergefaßt und fröhlich schwatzend, um so lauter vernahmen wir ein Summen, gleichwie von einem aufgeschreckten Bienenschwarm. Und wann wir auf den Kirchplatz heraustraten, fanden wir ihn voll von Menschen, die gebärdeten sich wild, schwatzten und schrien aufgeregt. Mitten drin, auf der Schwelle der halbgeöffneten Gartentür des Pfarrhauses, stund Chamaille, brüllte krebsrot vor Zorn und zeigte seinen Pfarrkindern männiglich die geballten Fäuste. Wir versuchten zu verstehen, indes wir unterschieden nichts denn ein Durcheinander von Stimmen: ... Raupen und Räupchen ... Maikäfer und Feldmäuse ... Cum spiritu tuo ...

Und dann Chamaille, der schrie:

»Nein, nein, ich werde nicht gehen.«

Und die Menge:

»Potz Herrgott, bist du unser Pfarrer? Antworte! Ja oder nein? Wenn du es bist (und du bist es), dann mußt du uns gewißlich zu Dienste sein.«

Und Chamaille:

»Ihr Halunken! Ich diene Gott, doch nicht euch.« O je, das war ein schöner Radau! Um ein Ende zu machen, warf Chamaille seinen Beichtkindern die Tür für der Nase zu. Hindurch die Stäbe des Gitters sah man ihn noch mit beiden Händen heftige Gebärden vollführen; die eine streute dabei, gemäß der Gewohnheit, voll Salbung den Segensregen auf sein Volk hernieder. Noch ein letztes Mal erschien sein rundes Bäuchlein und sein breites Gesicht am Fenster seines Hauses, und dieweil er sich inmitten des Geschreis kein Gehör verschaffen konnte, gab er's ihnen wütig mit einer langen Nase zurück. Darnach hatten sie nur noch geschlossene Fensterladen und das Holzgesicht für sich. Die Schreier wurden müde, der Platz leerte sich, und wir vermochten endlich, hinter den nunmehr dünn gesäten Gaffern vorbeischlüpfend, an Chamailles Tür zu pochen. Wir pochten gar lange. Der Dickkopf wollte nicht aufmachen.

»Heda, Herr Pfarrer! ...«

Wir hatten gut rufen (wir verstellten unsere Stimmen, um einen Spaß zu haben): »Meister Chamaille, seid Ihr da?«

»Zum Teufel, ich bin nicht zu Hause.«

Und da wir darauf bestunden:

»Wollt ihr euch wohl von hinnen machen! So ihr meine Tür nicht freigebt, ihr verdammten Hundsfott, werde ich euch eine gar schöne Taufe verabreichen.«

Schier hätte er den Inhalt seines Nachttopfes über uns geleert. Wir schrien:

»Chamaille, nimm zum mindesten Wein.«

Bei diesen Worten, gleichwie durch ein Wunder, legte sich der Sturm.

Rot, gleichwie eine Sonne, beugte sich das gute Gesicht von Chamaille, vor Freude strahlend, herunter.

»Potz Kerlchen! Breugnon, Paillard, ihr seid es! Da hätte ich ja was Gutes angerichtet. Ei, ihr verfluchten Possenreißer! Was habt ihr denn nichts nicht gesagt?« Hals über Kopf stolpert unser Mann nun seine Stiege herunter. »Herein, nur herein! Seid gesegnet! Ach, laßt euch umarmen, liebe Leute. Was ist mir wohl, wiederumb menschliche Gesichter zu sehen nach all diesen Fratzen! Habt ihr den Tanz, den sie da aufgeführt haben, miterlebt? Lasset sie tanzen, soviel sie mögen, ich rühre mich nimmer. Kommt herauf und laßt uns eins trinken. Ihr seid gewißlich sehr erhitzt. Da verlangen sie, ich solle samt den heiligen Sakramenten mich ins Freie begeben. In Bälde wird es regnen. Der liebe Gott und ich, wir werden ja genässet bis auf die Knochen. Stehen wir etwan in ihren Diensten? Bin ich ein Gutsknecht? Wollen den Mann Gottes gleichwie einen Bauernlümmel behandeln! Die Gauner! Ich bin bestellt, ihrer Seelen zu warten, indes nicht ihrer Felder.«

»Nu aber«, fragten wir, »was erzählst du uns gar? Mit wem, zum Teufel, schmälst du also?«

»Kommt herauf, kommt, kommt«, sagte er. »Hie oben haben wir's annehmlicher, aber vorerst müssen wir eins trinken. Ich kann nimmer, ich ersticke schier. Was sagt ihr zu diesem Wein? Gewißlich nicht der schlechteste, was? Wollt ihr glauben, Freunde, daß diese Kerle die Anmaßlichkeit hatten und verlangten, ich solle von Ostern tagtäglich den Feldsegen erteilen? Warumb nicht gar vom Dreikönigstag bis zur Beschneidung? ... Und das alles um etlicher Maikäfer willen!«

»Maikäfer!« sagten wir. »Sind etwan welche blieben, auf daß du besser über deinen Predigten maikäfern kannst? Oder redest du irr, Chamaille?«

»Ich rede mitnichten irr«, rief er aufgebracht. »Ei, solches ist wahrlich zu arg! Ich bin das Schießziel all ihrer Narrheiten, und nun soll ich es sein, der da närrisch ist.«

»Wohlan, so erkläre dich deutlich, wie ein gesetzter Mann.«

»Ihr bringet mich noch in die Höll«, sagte er, sich voller Zorn den Schweiß wischend. »Soll ich gar ruhig bleiben, wann man uns, mir und Gott, Gott und mir, den lieben langen Tag zusetzet, wir möchten uns ihrer Grillen annehmen ... Also hört. (Uff, ich werde noch ersticken, das ist gewiß!) Diese Heiden, die sich den Kuckuck um das ewige Leben bekümmern und ihre Seelen nicht mehrer waschen denn ihre Füß, verlangen von ihrem Pfarrer sowohl Regen als schönes Wetter. Ich soll der Sonne wie dem Mond befehlen: ein wenig Wärme – ein kleiner Regen – genug. Allzuviel ist ungesund, nur ein sanfter, milder, verschleiernder Sonnenschein, ein leichtes Windlein, fürnehmlich keinen Frost – noch einen kleinen Regenschauer, Herr, für meinen Weinberg; halt, halt, ist genugsam gepinkelt; jetzo das Feuer zum andern Malen ein weniges anblasen ... wann man diese Erzschelme hört, sollt man meinen, der liebe Gott hätt nichts bessers zu tun, als unter der Peitsche ihrer Gebete des Gärtners Esel spielen, so, an seinen Mühlstein gebunden, das Wasser emporschafft. Überdies, das ist das beste, sie vermögen sich selbander nicht zu einigen: der eine will Regen, wann der andere Sonnenschein verlangt, und da holen sie dann die Heiligen zu Hilfe. Es sind ihrer siebenunddreißig da droben, die Regen bringen. Allen zuvor marschiert, die Lanze in der Faust, der große Wasserbrunzler St. Medardus. Auf der anderen Seite sind es nur zween, St. Remo und St. Dea, so das Gewölk zerwehen. Kommen aber zur Verstärkung noch St. Blasius, der Windverjager, Christophorus, der Hagelschützer, Valerius, der Gewitterschlucker, Aurelius, der Donnerzerteiler, und der heilige Clarus, so das klare Wetter macht. Bereits im Himmel herrscht Uneinigkeit. Die hohen Persönlichkeiten männiglich verprügeln sich untereinand. Die heilige Susanna, Helene und Scholastika kriegen sich gar bei den Schöpfen. Der liebe Gott weiß nimmer, welchem Heiligen er soll Vertrauen schenken. Und wenn Gott es nicht weiß, was soll sein Pfarrer davon denken? Der arme Pfarrer? ... Aber schließlich, das schert mich nichts nicht. Ich bin nur bestellt, die Gebete zu übermitteln. Was er damit tue, ist Sache des Meisters. Auch wollt ich nichts sagen (wiewohl, unter uns, dieser Götzendienst mir zuwider ist ... liebster Herr Jesus, bist Du gar vergebens gestorben?), sofern diese Schalksnarren mich nicht immer in die himmlischen Streitigkeiten verwickeln wollten. Indes (die Tollköpfe!) möchten sie gar meiner und des Kreuzes sich als eines Talismans bedienen wider jedwedes Ungeziefer, so ihre Felder zerfrißt. Da ist's einmalen der Ratten halber, die das Korn in den Scheunen benagen: Prozessionen werden veranstaltet, Beschwörungen, Gebete zu Sankt Nicas; 's ist ein eisiger Dezembertag; der Schnee lieget hoch bis an den Rücken; mir trägt's einen Hexenschuß ein; zu anderen Malen wegen der Raupen: Gebete zur heiligen Gertrud; Prozessionen; dieses war im Märzen. Hagel, geschmolzener Schnee, eisiger Regen; ich kriegte eine Verkühlung, seit der ich alleweil huste. Heute die Maikäfer: etwan noch eine Prozession? Da müßte ich alle ihre Weinberge nach der Reihe visitieren bei bleierner Sonnenhitze, da die dicken Wolken blauschwarz wie Fliegen hängen. Ein Gewitter drohet, ich käme mit einem gar hitzigen Schnupfen zurück. Und dabei die Bibelsprüche absingen: ›Ibi ceciderunt die Anstifter aller Freveltaten atque expulsi sunt.‹ Wohl, wohl, just ich Selbsten war herausgetrieben! ... ›Ibi cecidit Baptiste Chamaille, sag dulcis, Pfarrer‹ ... mir ist's wahrlich nicht so eilig. Am Ende wird man auch der besten Späße überdrüssig. Ist es mein Sach, wenn's beliebt, ihre Felder abzuraupen? Wann die Maikäfer sie stören, mögen sie sich selbsten entmaikäfern, die Faulpelze. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Das wäre wohl gar bequem, die Arme zu schränken und zum Pfarrer zu sagen: Tue dies, tue jenes! Ich tue, was Gott und mir wohlgefällig ist: ich trinke, ei ja, ich trinke, tuet ihr desgleichen ... Was sie betrifft, mögen sie mich belagern, soviel sie wollen. Ich kümmere mich dessen nicht, Brüder, und ich schwöre, sie heben ehester die Belagerung meines Hauses auf als ich meine Belagerung dieses selbigen Stuhles. Lasset uns trinken!«

 

Er trank, schier erschöpft von seiner großen Verausgabung an Atem und Beredsamkeit. Gleich ihm erhoben wir unser Glas ober unsere Kehle und betrachteten da hindurch den Himmel und unser Schicksal, so uns gar rosig erschien. Etliche Minuten herrschte Schweigen. Paillard schnalzte mit der Zunge, und in Chamailles dickem Halse machte der Wein gluck, gluck. Er trank in einem Zuge, Paillard in kleinen Schlücklein. Chamaille machte: »Han!« und hob die Augen gen Himmel, wann der Strom zum Boden der Höhle gelangte. Paillard betrachtete sein Glas von oberhalb, von unterhalb, im Schatten und in der Sonne, schlürfte, zog den Duft durch die Nase, kurz, trank mit Augen und Nase gleich viel als mit dem Gaumen. Was mich belanget, so genoß ich zur selbigen Zeit Getränk und Trinker. Meine Fröhlichkeit wuchs mit der ihren und dieweil ich sie beobachtete: Trinken und Sehen gehören zusammen. Das ist ein königlicher Leckerbissen. Desohngeachtet leerte ich mein Glas gleich und gut. Wir hielten zu dritt trefflich miteinander Schritt; da gab's keine Nachzügler! ... Aber soll man's glauben, wann wir nachrechneten, war doch der, so mit einer guten Humpenlänge Vorsprung am Ziel war, der Herr Notarius. Nachdem solcher Kellertau unsere Kehlen sanft genetzet und unserem irdischen Geist neuen Schwung verliehen hätt, verlangten unsere Seelen samt unseren Leibern mehrer Raum. An das geöffnete Fenster gelehnt, betrachteten wir gerührt und voller Begeisterung den jungen Frühling auf den Feldern, die helle Sonne auf den Spindeln der neu belaubten Pappeln. Tief im Tal die versteckte Yonne, so in den Feldern ihre Bogen zieht gleich einem jungen Hund, der da spielet. Von dorten stieg das Echo der Schlegel und der Wäscherinnen zu uns hinauf und der schwatzenden, schnatternden Tauchenten. Der wieder aufgeheiterte Chamaille kniff uns in den Arm und sagte: »Wie schön lebt es sich in diesem Lande! Der Herr des Himmels sei gelobt, dieweil er uns allesamt hier hat geboren sein lassen. Gibt es ein liebreizender, lachender, herzbewegender Land, irgendeins, das also lockend, saftig, strotzend und anmutig wäre? Es treibt einem die Tränen ins Aug. Man möcht es schier fressen und küssen, das schlichte, liebe Ländlein.« Wir stimmten ihm nickend bei, als er unerwartet fortfuhr: »Aber warumb, zum Teufel, hat er sich's da oben einfallen lassen, diese Viecher just in diesem Lande zu verbreiten? Er tat recht daran, das versteht sich. Er weiß, was er tut; solches geziemet zu glauben. Aber ich gestehe, mir wäre lieber, er tät unrecht haben und meine Pfarrkinder wären männiglich beim Teufel oder wohin ihnen sonst das Herz stehet, bei den Indras oder beim Großmogul. Mir sollt es eins sein, dafern sie nur anderenorts wären als eben hier.«

Wir sagten ihm:

»Lieber Chamaille, sie sind allerorts die gleichen. Die einen wie die anderen! Was sollt das Wechseln frommen!« – »Nun wohlan«, begann Chamaille von neuem, »dann sind sie geschaffen, nicht auf daß ich sie rette, hingegen auf daß ich durch sie gerettet sei, maßen sie mich zwingen, hier auf Erden schon alle meine Sünden abzubüßen. Ihr müßt mir beistimmen, Gevattern, da ist kein elendigerer Beruf denn der eines Landpfarrers, so sich im Schweiße seines Angesichts mühet, diesen stumpfsinnigen Einfaltspinseln die heiligen Wahrheiten in ihre harten Schädel zu trichtern. Man hat gut, sie mit dem Lebenssaft der heiligen Evangelien nähren und ihren Kindern den Katechismus einflößen. Kaum ist die süße Milch in der Kehle, kommt sie zur Nase wieder heraus. Für diese groben Kehlen braucht's gröberen Brei. Haben sie ein klein Weil an einem Ave gekaut, die Litaneien im Munde umhergewälzt oder, auf daß sie sich selbsten brüllen hören, Vesper und Kompletorium gesungen, so gelangt gleichwohl nicht ein einziges der heiligen Worte weiter denn bis in den Vorhof ihrer ausgedursteten Mäuler. Herz und Magen bekommen schier nichts nicht ab. Zuvor wie nachmalen verbleiben sie Heiden reinsten Wassers. Vergebens liegt uns an, seit Jahrhunderten Genien und Feen aus Feldern, Bächen, Wäldern zu rotten; vergebens blasen wir, also daß unsere Wangen und Lungen schier platzen, blasen selbige Fackeln der Hölle wieder und wiederumb aus, auf daß in der gar dunklen Nacht des Weltalls das Licht des wahrhaftigen Gottes möge allein sichtbar sein – niemalen hat man vermocht, diese Erdgeister, diesen scheußlichen Aberglaub, die Seel der irdischen Materie, abzutöten. Die alten Eichenstümpfe, die schwarzen Steine herbergen fürder diese Höllenbrut. Wie überaus viele haben wir schon zerbrochen, beschnitten, zermalmt, verbrannt, entwurzelt! Man müßte jede Erdscholle, jeden Stein, ja die ganze Erde Galliens, unserer Mutter, um und um drehen, um letztlich die Teufel insgesamt, so ihr im Leibe stecken, zu entreißen. Und gleichwohl würde es einem mitnichten gelingen. Diese verflixte Natur schlüpft einem durch die Finger; beschneidet man ihr die Klauen, wachsen ihr Flügel. Für jeden Götzen, so man tötet, erstehen zehn andere. Für diese unvernünftigen Rindviecher ist alles Gott, alles Teufel. Sie glauben an Werwölfe, an das weiße Pferd ohn Kopf und an die schwarze Henne, an die große Menschenschlange, an den Poltergeist und an die schwarzen Zauberenten ... Aber sagt mir um alles in der Welt, was soll unter diesen vorsintflutlichen Ungeheuern, gleichsam der Arche Noah entsprungen, der sanfte Sohn der Maria und des frommen Zimmermanns?«

Meister Paillard antwortete:

»Gevatter, man sieht den Splitter im Auge des Nächsten, indes nicht in seinem eigenen. Deine Beichtkinder sind närrisch, solches ist gewiß, aber bist du etwan mehr gesund? Du solltest kein Wörtlein verlauten lassen, denn du machst es akkurat gleichwie sie. Sind deine Heiligen wohl mehrer wert denn ihre Kobolde und Feen? Nicht genug, daß da ein dreifacher Gott ist oder ein dreigeteilter und überdies noch eine Gottesmutter; da mußtet ihr im Göttersaal einen Haufen kleiner Götter mehr, die einen in Hosen, die andern in Unterröcken, einquartieren, auf daß ihr jene ersetzet, die ihr zerbrochen, und die Nischen füllet, so ihr geleert hattet. Aber diese Götter, nein, beim ewigen Gott! Sie sind den alten nicht ebenbürtig. Man weiß nicht, von woher sie stammen, allerortens kriechen sie herfür, gleich den Schnecken, insgemein schlecht gewachsen, von kleiner Herkunft, unflätig, verkrüppelt, schmutzig, mit Wunden und Beulen bedeckt und von Würmern zerfressen: Der eine zeigt seinen blutenden Stumpf vor oder weist auf seinem Schenkel ein eiterglänzend Geschwür. Ein anderer trägt in seinem Haarschopf, zuoberst auf dem Kopf wohlgefällig eingedrückt, ein Hackmesser; dieser wandelt einher mit dem Kopf unterm Arm, jener schwenket gar stolz in den Fingern seine Haut, als wär's ein Hemd. Ja, man braucht gar nicht in solche Ferne zu gehen, Pfarrer, was soll man aber von deinem Heiligen sagen, von dem, der hier in deiner Kirchen thront, dem Styliten Simon, der vierzig Jahre lang hoch oben auf einer Säule, einem Reiher gleich, auf einem Beine stund?«

Chamaille fuhr empor und rief:

»Halt, halt, nun ist's genug! Die anderen Heiligen, das laß ich noch gelten, ich bin nicht bestellt, ihrer zu hüten. Aber dieser hier, du Heide, ist der meine. Ich bin in seinem Hause, sei höflich, lieber Freund.«

»Wohl, lassen wir (denn ich bin dein Gast) deinen Stelzenlaufer auf seinen Stelzen. Aber sage mir an, was bedünket dich um den Abbé von Corbigny, der behauptet, er besitze Milch von der allerheiligsten Jungfrau selbsten in einer Flaschen, und sage mir gleichweis, was denkst du von Herrn von Sermizelles, so eines Tages, wann er den Durchfall hätt, sich ein Klistier aus Weihwasser und den Staub der Reliquien verabfolgen tät?«

»Ich denke«, sagte Chamaille, »daß du selbsten, der du jetzo deinen Spott damit treibst, wärest du solcherart in den Grundfesten erschüttert, wohl desgleichen tätest, wenn du's vermöchtest. Was den Abbé von Corbigny anbelangt, so bin ich gewiß, daß diese Mönche insgemein, um uns den Umgang der Andächtigen zu nehmen, Erzengelsmilch, Engelssahne und Seraphsbutter in ihrem Laden feilbieten wollten, so sie nur könnten. Sprich mir nicht von diesen Leuten. Mönch und Pfarrer sind wie Hund und Katze.«

»Wohlan, so glaubst du nicht an diese Reliquien, Pfarrer?«

»Nein, an die ihren nicht, ich glaube nur an die meinen. An den Knochen der heiligen Furunkula, der den Harn und die Haut der Schwärigen wieder klar macht. Und ich habe auch das Fontanellenviereck der heiligen Laxiria, so den Teufel aus dem Bauch der Hammel austreibt. Willst du wohl nicht lachen, gottloser Ketzer! Du machst dich lustig? Du glaubst wohl schier gar nichts? Ich habe hier die Dokumente auf verbrieftem und versiegeltem Pergament, wer derer zweifelt, ist blind! Ich werde sie alsbald holen gehen. Du wirst dich wahrlich von ihrer Echtheit überführen lassen.«

»Bleib sitzen, bleib sitzen und lasse deine Papiere. Du glaubst ja auch nicht dran. Chamaille, deine Nase wackelt ja. Was immer es sei, von wannen immer er kommen mag, ein Knochen bleibet ein Knochen, und wer ihn anbetet, ist ein Götzendiener. Jedes Ding an seinem Platz: die Toten auf den Friedhof. Ich glaube an die Lebenden, ich glaube, daß heller Tag ist, daß ich trinke, meinen Verstand gebrauche und richtig gebrauche, daß zweimal zwei vier ist, daß die Erde ein Stern ist, der steht fest und verliert sich im drehenden Weltenraum. Ich glaube an Guy Coquille und kann dir, so dich's ergötzet, nach der Reihe die gesamten Sitten und Gebräuche unserer Niverne herzählen; ich glaube auch an die Bücher, darein die Gelehrsamkeit des Menschen und seiner Erfahrung sind Tropfen für Tropfen filtriert, und mehr denn an alles andere glaube ich an meinen Verstand, und ich glaube (das versteht sich) gleicherweis an die Heilige Schrift. Da ist kein fürsichtiger und weiser Mann, so daran zweifeln könnte. – Bist du es zufrieden, Pfarrer?«

»Nein, ich bin nicht zufrieden«, schrie mein Freund Chamaille, nunmehr in Wahrheit aufgebracht. »Bist du ein Kalvinist, ein Ketzer, ein Hugenott, der die Bibel herunterbrummelt, seiner Mutter, der Kirche, derhalben Vorhaltungen macht und vermeinet (o falsche Schlangenbrut!), des Pfarrers entraten zu können!«

Nunmehr war's an Freund Paillard, zornmütig zu werden. Protestierte, dieweil man sich unterstünd, ihn einen Protestanten zu nennen. Er sei ein guter Franzose, ein vollgültiger Katholik, wiewohl ein Mann mit gesundem Menschenverstand, einer, des Kopf und Fäuste tauglich wären, der am hellichten Tag ohne Brille klar zu sehen verstünde, der einen Esel einen Esel und Chamaille einen dreifachen Esel oder auch einen dreigeteilten Esel (wie es ihm beliebe) nenne und der, zu Gottes Ehre, seiner Vernunft, diesem schönsten Strahl des großen Himmelslichtes, Ehre erweise.

 

Darauf schwiegen sie und tranken; brummend und maulend, beide die Arme auf den Tisch gestützt und einander den Rücken kehrend. Ich stimmte ein hell Gelächter an. Alsdann merkten sie erst, daß ich nichts nicht gesagt hatt, und auch mir ward es nur in diesem Augenblick bewußt. Bis dahin hatte mir angelegen, sie zu sehen und zu hören, dieweil ich mich ihrer Beweisführung freute. Ich machte ihnen, Augen und Stirn verziehend, nach und regte unterdes lautlos, gleichwie ein Hase, so an einem Kohl knabbert, den Mund. Aber die beiden wütigen Redner setzeten mir zu, ich solle mich erklären, wem von beiden ich recht gäbe. Ich antwortete:

»Euch beiden und noch etlichen anderen dazu. Gehören zum Diskutieren denn nicht noch mehrer? Je mehrer Narren beieinand sind, so mehr lacht man, und je mehr man lacht, um so einsichtsvoller man wird ... Gevattern, wann ihr wissen wollt, was ihr besitzt, so beginnt ihr damit, alles der Ziffern gemäß reihweis zu Papier zu bringen; dann addiert ihr das Ganze. Warumb also nicht auch eure Einfälle insgesamt aneinander reihen? Mitsammen ergeben sie, mag sein, die Wahrheit. Die Wahrheit spielt euch einen Possen, so ihr sie fassen wollt. Die Welt, ihr Kinder, verstattet mehr denn eine Deutung, denn jede deutet nur einen Teil des Rätsels. Ich bin für alle eure Götter, die heidnischen gleichwie die christlichen, und über allen für den Gott Vernunft.«

Bei diesen Worten vereinigten sich beide gegen mich und nannten mich überaus ergrimmt einen Zweifler und Gottleugner.

»Gottleugner, was ficht euch an, was wollt ihr von mir? Euer Gott oder eure Götter, euer Gebot oder eure Gebote mögen nur kommen zu mir! Mögen sie kommen, ich empfange sie hier. Ich empfange jeden, ich bin gar gastfrei. Der liebe Gott gefällt mir trefflich und seine Heiligen noch besser. Ich liebe sie, ich ehre sie, und ich mache ihnen mein freundlichstes Sonntagsgesicht. Und sie (es sind gute Leute) haben nichts darwider, auf einen kleinen Schwatz mich zu besuchen. Aber, um es frei heraus zu sagen, an einem einzigen Gott habe ich nicht genug. Was soll ich damit anfangen, ich bin ein Leckermaul, man setzt mich auf schmale Kost; ich habe meine Heiligen, Männlein und Weiblein, meine Feen und Geister: Luft- und Erdgeister, Baum- und Wassergeister. Ich glaube an die Vernunft; ich glaube gleichwohl an die Narren, so die Wahrheit erkennen, und ich glaube an Zauberer. Es beliebt mir die Vorstellung, daß die Erde zwischen den Wolken aufgehängt ist und dorten schaukelt, und ich tät wohl gern das wohlgefügte Räderwerk der Weltenuhr betasten, es auseinandernehmen und wiederum zusammensetzen. Aber das hindert mitnichten, daß es mir eine Lust ist, gleichwohl die Grillen des Himmels, die rundäugigen Sterne, singen zu hören und den Mann im Monde mit seinem Reisigbündel zu beobachten ... Ihr zuckt die Achseln, wohl, wohl, ihr seid für Ordnung? Ei freilich, die Ordnung ist gar viel wert, aber sie ist nicht umsonst zu haben, sie läßt sich bezahlen. Ordnung heißt mitnichten, tun, was man möchte, sondern tun, das einem nicht lieb ist. Es heißt, sich ein Auge herausreißen, auf daß man mit dem andern besser zu sehen vermag; es heißt, die Wälder abschlagen, auf daß man große breite Straßen hindurchführen kann. Das ist bequem, überaus bequem. Aber, du lieber Gott, wie häßlich ist es! Ich bin ein alter Gallier: ich lobe mir viele Herren, viele Gesetze, alle in trefflichem Einvernehmen und jeder für sich. Glaube, so du willst, und laß mich glauben oder nicht glauben, wie und was ich will. Und zuvörderst, lieber Freund, rühre nicht an die Götter. Es gibt gar viele, es regnet förmlich Götter; von oben, von unten kommen sie, auf unsere Nase herab, unter unseren Füßen herfür, die Welt ist voll davon gleich einer trächtigen Sau. Ich ehre sie insgesamt, und ich ermächtige euch, mir ihrer noch mehr zu bringen. Indes, ich rate euch, mir nicht einen einzigen fortzunehmen, noch mich drängen zu wollen, ihn abzuschaffen; es sei denn, der Schelm hätt meine Leichtgläubigkeit zu arg auf die Probe gestellt.«

Paillard und den Pfarrer erfaßte nunmehr das Mitleid, und sie fragten, welcherweis ich nur in diesem Durcheinander meinen Weg zu finden vermöchte.

»Ich finde ihn darin gar trefflich«, sagte ich; »alle Pfade sind mir wohlvertraut; ich ergehe mich darein ganz nach meinem Gefallen. Vermeint ihr, wann ich allein durch den Wald von Chamoux nach Vezelay gehe, ich benötigte alsdann der großen Straße? Ich komme und gehe geschlossenen Auges, die Wildererwege, und komme ich etwan als letzter, so bringe ich dafür in die Herberge eine wohlgefüllte Jagdtasche mit. Da ist alles wohlgeordnet und mit einer Aufschrift versehen an seinem Platz: der liebe Gott in der Kirche, die Heiligen in ihren Kapellen, die Feen auf den Feldern und die Vernunft hinter meiner Stirn. Sie kommen sehr gut miteinander aus: jedweder hat, des er bedarf, seine Arbeit, sein Haus. Sie sind keinerlei despotischem König untertan, sondern gleichwie die Herren von Bern und ihre Eidgenossen bilden sie selbander Kantone, so unter sich vereinigt sind; da gibt's schwächere und stärkere. Indes verlaß dich nicht auf ihre Art. Zu etlichen Malen braucht man die Schwachen wider die Starken; wohl ist gewißlich der liebe Gott stärker als die Feen, desohngeachtet muß er ihnen mit Rücksicht begegnen. Und der liebe Gott vor sich allein ist mitnichten stärker denn alle anderen zusammen. Ein Starker findet allemal einen noch Stärkeren, der ihn verschlingt. Heute König, morgen Bettelmann. Ja freilich, so geht's. Seht ihr, man wird mir nicht den Gedanken verreden können, daß den allergrößten, allgegenwärtigen Gott noch nie keiner gesehen hat. Der ist gar weit, gar hoch, ganz da hinten, ganz da oben, just wie unsere Majestät der König. Man kennt (und nur zu gut) seine Leute, seine Verwalter, seine Stellvertreter, aber er selbsten bleibt in seinem Schloß verborgen. Der liebe Gott zu heutiger Zeit, der, zu dem jeder betet, der ist etwan so wie besagter Herr von Concini ... Gut, gut, brumme nur nicht, Chamaille; auf daß du nicht zürnest, will ich sagen, gleichwie unser guter Herzog, Herr von Nivernois, der Himmel segne ihn! Ich ehre und liebe ihn! Aber vor dem Herrn aus dem Louvre verhält er sich gar still, und er tut recht daran; so soll es sein.«

»So soll es sein«, sagte Paillard, »aber so ist es mitnichten; ach nein, da fehlt noch viel daran! ›In Abwesenheit des Herrn erkennt man den Knecht.‹ Seit unser Heinrich tot und das Reich an die Weiber kommen ist, machen die Fürsten mit ihm und ihnen, was sie wollen. ›Fürstenspäße sind nur denen ein Ergötzen, die sie machen.‹ Diese Räuber, sie wollen in dem großen Teich fischen und den Schatz des Landes seines Goldes und seiner künftigen Siege berauben, so in den Truhen der Rüstkammern schlummern, die Herr von Sully bewachet. Ach, daß der Rächer kommen möge, der ihnen den Schädel einschlägt, auf daß er seinen Inhalt samt dem Gold, so sie gefressen haben, herausspritzet.«

Betreffs dieses redeten wir nun mehr, denn es niederzuschreiben klug wäre. Hiebei sangen wir allesamt nach derselben Melodei. Auch fügten wir noch etliche Varianten ein über die Fürsten im Unterrock, über die Schwarzröcke in Pantoffeln, über die Großwürdenträger der Kirche und über die nichtstuenden Mönche. Ich muß sagen, daß Chamaille es war, so über dieses Motiv die besten und glänzendsten Sänge improvisierte. Auch fürderhin ging das Trio trefflich im Takt und wie aus einem Munde, maßen wir zum Thema nach den Honigsüßen die Gallebitteren nahmen, nach den Frömmlern die allzu Frommen, die Fanatiker jeglicher Art, die Hugenotten, die Mucker, die Ducker, die Einfaltspinsel insgesamt, so den Leuten die Liebe Gottes mit der Knute oder dem Dolch eintreiben möchten. Ist der liebe Gott etwan ein Eseltreiber, der uns mit dem Stock leitet? Wer da verdammt sein will, mag sich um die ewige Seligkeit bringen. Warumb ihn derhalben überdies bei lebendigem Leibe martern und verbrennen? Nehmt Gottes Dank, lasset uns in Frieden! Mag doch jeglicher in unserem Frankreich leben und seinen Nächsten leben lassen. Ein Christ ist wahrlich das Gottloseste, so es gibt; denn Gott ist um aller Menschen willen gestorben, und letztlich sind doch alle gleich, gute und böse. Sie gleichen sich als zwei Tropfen Wassers.

Darnach, des Redens müde, begannen wir zu singen und stimmten eine dreistimmige Hymne auf Bacchus an, den alleinigen Gott, dessenthalb ich, Paillard und der Pfarrer uns nicht streiten.

Chamaille erklärte ganz laut, daß er diesen Gott allen anderen vorziehe, die arge Mönche gleich Luther, Kalvin und dergleichen Salbaderer in ihren Predigten an den Mann bringen wollten.

»Bacchus, wohl, der ist ein Gott, den man anerkennen kann, der Ehrung verdienet, ein Gott von guter, von echt französischer – ei, was sage ich, von christlicher Herkunft: denn, meine viellieben Brüder, ist Jesus auf etlichen alten Bildern nicht hin und wieder als Bacchus dargestellet, so mit den Füßen Trauben keltert! Also laßt uns trinken, Freunde, auf das Wohl unseres Erlösers, unseres guten, christlichen Bacchus, unseres lachenden Jesus, des schönes purpurnes Blut auf unsere Hügel fleußt, unsere Weinberge, unsere Zungen und unsere Seelen mit Wohlgeruch erfüllet und seinen sanften, seinen menschlichen, großzügigen und spottlustigen Geist freudwillig über unser Frankreich ergießet, unser Frankreich mit seinem klaren Verstand, seinem gesunden Blut!«

 

Da wir bei diesem Punkt des Gespräches angelangt waren und just unsere Gläser aneinanderklingen ließen zu Ehren unseres frischfröhlichen, gesunden französischen Sinns, so jeder Maßlosigkeit lächelt (denn die Tugend liegt in der Mitte), da verkündete uns groß Lärmens von zuschlagenden Türen, von schweren Schritten auf der Treppe, von Ausrufen wie: »Jesus, Joseph«, gemurmelten Aves und tiefen unterdrückten Seufzern den Überfall der Dame »Heloïse Pfarrer«, oder auch der »Pfarrin«, wie man die Wirtschafterin Chamailles nennt. Sie schnaufte, wischte sich das dicke Gesicht mit dem Schürzenzipfel und rief: »Holla, holla, zu Hilfe, Herr Pfarrer, zu Hilfe!«

»Ei, dämische Trine, was gibt's?« fragte der gar ungeduldig.

»Sie kommen, sie kommen, sie sind da.«

»Wer denn? Die Raupen, die dorten in Prozession über die Felder gehen? Ich habe dir gesagt, sprich mir nimmer von meinen Pfarrkindern, von diesen Heiden!«

»Sie bedräuen Euch.«

»Das schert mich des Teufels. Und womit denn? Mit einem Prozeß vor dem Offizial? Gehn wir also gleich dahin, ich bin bereit.«

»Ach, Herr, wär's nichts weiter denn ein ordentlicher Prozeß!«

»Was denn sonsten, so rede!«

»Sie stehen drüben beim großen Picq, machen kabbalistische Zeichen und Beschwörungen, als man sagt, und singen: ›Entschwindet, ihr Feldmäuse, ihr Maikäfer, verlasset die Felder und gehet in den Obstgarten und in den Keller des Pfarrers, euch satt essen.‹«

Bei diesen Worten sprang Chamaille auf.

»Ha, diese verfluchten Kerle! In meinen Obstgarten ihre Maikäfer! Und gar in meinen Keller! Sie bringen mich um! Sie wissen nimmer, was sie erfinden sollen! O Herr, mein Gott, o heiliger Simon, kommet herbei, helfet eurem Pfarrer!«

Wir versuchten ihn zu beruhigen und lachten gar sehr. »Lacht nur, lacht«, rief er uns zu. »Wann ihr an meiner Stelle wärt, ihr großen Geister, würdet ihr nicht also lachen. Ei freilich, wahrhaftig, ich würde gleicherweis lachen, so ich in eurer Haut steckte. Ihr habt's bequem! Indes, ich wollte euch beim Empfang solcher Zeitung sehen, da ihr Tisch, Keller und Wohnung bereiten solltet, diese schlimmen Gäste zu empfangen! ... Ihre Maikäfer! Das ist ja abscheulich ... und ihre Feldmäuse! ... Ich will sie nicht! Das ist wahrlich, um die Wände hinaufzuklettern.« – »Nun aber, was weiter«, meinte ich. »Bist du nicht der Pfarrer? Was fürchtest du? Übe deine Gegenbeschwörungen. Bist du nicht zwanzigmalen weiser denn deine Pfarrkinder? Bist du nicht stärker als sie?«

»Wohl, wohl, doch wer kann's wissen? Der große Picq ist gar böswillig, ach, Freunde, Freunde! Welch schlimme Nachricht! O diese Banditen! Mir ging's so wohl! Ich war so vertrauensvoll! Ach, nichts ist gewißlich hienieden, Gott allein ist groß ... Was soll ich tun, ich bitte euch, ich bin in ihrer Macht. Gute Heloïse, lauf und sag ihnen, sie sollten innehalten, ich komme, ich komme schon, es muß sein! Ha, diese Elenden! Ei, wartet nur, wann ich sie auf ihrem Sterbebette werde vor mir haben, alsdann ist die Reihe an mir ... Mittlerweil (Fiat voluntas) da muß ich ihnen zu Willen sein! Gehen wir, es gilt, den Kelch zu leeren. Ich werde ihn leeren. Noch andere hab ich schon geleert ...«

Er erhob sich, wir fragten:

»Wohin gehst du denn?«

Er antwortete: »In den Kreuzzug wider die Maikäfer.«


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