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I
Die Lerche von Mariä Lichtmeß

2. Februar, am Tage Mariä Lichtmeß

Gelobet sei der heilige Martinus! Mit den Geschäften ist es aus und vorbei. Ein eitles Tun wär's, sich noch weiter abzurackern. Ich habe in meinem Leben genugsam gearbeitet. Jetzo will ich mir's ein wenig wohl sein lassen. Da sitze ich an meinem Tische nieder, rechts einen Humpen Wein, links das Tintenfaß. Vor mir liegt ein gar schönes neues Heft, das mir zum Schreiben winket. Zum Wohl, alter Junge, nun laß uns schwatzen! Unten belfert meine Frau. Draußen bläst der Nord, und von fern dräuet der Krieg. Nur zu, laß sie! ... Wie prächtig, daß wir endlich einander wiederhaben, mein vielgeliebter alter Dickwanst, und selbander uns gegenübersitzen. (Zu dir rede ich, altes Weingesicht, du farbenstrotzende, frohgemute Fratze, darinnen ganz schief, gleich einem Hute, den man aufs Ohr gestülpt hat, die lange Nase sitzt, dran man die Leute aus Burgund erkennt.) Doch kannst du mir erklären, welch absonderliche Lust es für mich ist, dich wiederzusehen, mich ungestört in dein altes Angesicht zu vertiefen, fröhlich in seinen Runzeln zu lustwandeln und mich an den alten Erinnerungen zu laben, die aus meinem Herzen sprudeln gleichwie aus einem Brunnen (pfui, welch ein Vergleich!), gleichwie aus einem vollen Fasse meines Kellers! Träumen, solches geht ja noch an, aber niederschreiben, was man träumt! Träumen, was rede ich nur? Meine Augen mit etlichen Falten an den Schläfen stehen weit offen, sind voller Ruhe und Spottlust. Mögen andere an krausen Träumen sich ergötzen. Ich erzähle nur, was ich gesehen, was ich gesagt und getan habe. Ist solches aber nicht Narrheit? Für wen schreibe ich denn? Gewißlich nicht des Ruhmes wegen. Ich bin kein Esel, ich weiß, Gott sei gelobt, was an mir ist. Für meine Kindeskinder? Was wird von all meinem Geschreibsel denn in zehn Jahren noch geblieben sein? Meine Alte ist ohnedies eifersüchtig darauf und verbrennet, was sie findet. Für wen also? Ei, für mich selbsten und weil es mir also beliebet. Schreibe ich nicht, so platze ich. Nicht umsunst bin ich der Enkel meines Großvaters, jenes alten Breugnon, der nicht einzuschlafen vermochte, so er nicht, bevor er sich aufs Ohr legte, angeschrieben hätte, wie viele Maß er getrunken und – wieder von sich gegeben. Mir tut es not, zu reden, und in meinem Clamecy ist mitnichten Überfluß an Leuten, die solches gleichermaßen verstehen. Schweigen drückt mir das Herz ab, wie einst dem Bartkratzer des Königs Midas. Meine Zunge ist gar lose, und wenn man mich hörete, könnte ich leicht in den Geruch eines Ketzers kommen. Sei's drum! Wollte man nicht hie und da dem Ungemach Trotz bieten, erstickete man im Trübsinn. Mir ist es eine Kurzweil, am Abend, gleichwie unsere großen weißen Ochsen ihr Futter, meine tägliche Atzung wiederzukäuen.

Wie gut tut es, alles nachschmecken, nachkauen, durchschmatzen, durchdenken, so man tagsüber gedacht, beobachtet, aufgeschnappt hat; es wieder und wieder zu kosten, auf der Zunge es zerschmelzen zu lassen, indes man es sich erzählt; bedachtsam zu genießen, was man in Ruhe nicht genießen konnte, dieweil man sich hasten mußte, es im Fluge zu erhaschen. Es tut gar wohl, solchermaßen einen Rundgang durch die eigene kleine Welt zu machen und sich zu sagen: Dieses ist mein eigen, hier bin ich unumschränkter Herr und Gebieter. Nicht Kälte noch Frost haben Gewalt darob. Nicht Könige noch Päpste noch der Krieg! Nicht einmal meine belfernde Alte.

Doch jetzo will ich einmal Umschau halten in dieser selbigen Welt.

 

Zuvörderst ist da, und solches ist wohl die Hauptsach bei der Angelegenheit: ich selbsten. Ich, Colas Breugnon, ein braver Bursche aus Burgund, gesund und kugelrund, vorn und hinten gut imstande, mitnichten im ersten Jugendglanz, dieweil die Fünfzig bereits geraume Weile überschritten sind, aber lendenstramm, mit festen Zähnen, klaren Augen, frisch wie ein Fisch im Wasser und mit Haaren, die, obwohl ein weniges grau, noch festiglich am Kopfe sitzen. Hiemit will ich nicht sagen, es wäre mir nicht lieber, so sie blond wären; desgleichen wollte ich nicht den Spröden spielen, so man mir böte, zwanzig oder dreißig Jahre noch einmalen zu leben. Jedoch zehn Lustren sind ein gut Ding. Spottet nur, ihr Grünschnäbel, jeder bringt es mitnichten soweit. Vermeint ihr, es sei ein kleines, wenn man seine Knochen fünfzig Jahre hindurch zu heutiger Zeit auf allen Wegen Frankreichs hat spazieren geführt? Heiliger Gott! was hat unser Buckel alles zu kosten bekommen an Sonne und Regen; hin und her geschleudert sind wir, Freundlein, wieder und wieder ausgekocht und dann von neuem ausgewaschen sind wir, etliches ist in diesen gegerbten Ranzen hineingestopft worden an Freuden und Trübsalen, an lustigen Bosheiten, an Erfahrungen und Narreteien, an Weizen und Spreu, an sauren Trauben und süßem Wein, an Rosen und Dornen, an unterschiedlichen Dingen, die man erlebt, erlitten, erfahren, erdacht, erstritten hat. Alles dies ist kunterbunt über und drüber in unseren Ranzen gepackt. Welch eine Lust, darin zu wühlen! Doch Geduld, Colas! Morgen ist auch noch ein Tag, wir wollen morgen darin herumstöbern. So ich heute damit anfange, werde ich nicht endigen. Jetzund wollen wir das Inventarium aller Habseligkeiten, deren Herr und Eigentümer ich bin, weiter aufnehmen.

Also, mein ist ein Haus, ein Weib, vier Buben, ein Weinberg, eine (Gott sei gelobt) verheiratete Tochter, ein Eidam (solcher läßt sich nicht umgehen), achtzehn Enkel, ein grauer Esel, ein Hund, sechs Hühner und ein Schwein. Potz Wetter, bin ich reich! Setzen wir nunmehro die Brille fein ordentlich fest, auf daß wir unsere Schätze besser betrachten. Deren letzte nenne ich, um die Wahrheit zu ehren, nur noch in zärtlichem Gedenken. Der Krieg hat sich darüber hergemacht, die Soldaten, der Feind und ... die Freunde gleichermaßen. Der Esel lahmt, das Schwein ist gepökelt, die Hühner gerupft, der Wein getrunken.

Aber das Weib, das habe ich noch, bei Gott, ich habe es wahrlich. Hört es nur unten zetern! Unmöglich, dies mein Glücke zu vergessen. Selbig holdes Wesen ist mein, gänzlich mein, gehöret mir zu Erb und Eigen. Du bist ein Glückspilz, Breugnon, alle Welt beneidet dich darumb. So euch darnach gelüstet, werte Herren, greifet zu, dafern einer von euch sie haben möge! Ein Weib, sparsam, emsig, rechtschaffen, ehrbar, kurz, mit allen Tugenden gemästet. (Dicker ist sie davon bislang nicht worden, und ich gesteh, ich arger Sünder, eine dralle, dicke Sünde wäre mir annehmlicher denn sieben magere Tugenden ... Aber was hilft's, seien wir ein tugendhafter Mann, dieweil man's nicht besser haben kann, also ist Gottes Wille, du halt stille.) Hui, wie sie sonder Ruh umherhastet, unsre Marie Anmutlos! wie die das Haus mit ihrem dürren Körper schier erfüllet; murrend, brummend, knurrend, grunzend stöbert und klettert sie vom Keller bis zum Boden und verjaget den Staub samt der Friedsamkeit. Nunmehr sind wir bald dreißig Jahre verheiratet. Weiß der Teufel, warum! Ich liebete eine andere, so sich über mich lustig machte; diese aber wollte mich, mich, der ich doch von ihr mitnichten was wissen wollte. Dazumal war sie ein kleines, blasses, braunes Dirnlein mit harten Augen, die wollten mich bei lebendigem Leibe schier auffressen und brannten gleichwie zwei Tropfen des Wassers, das selbst den Stahl zerfrißt. Sie liebte mich, liebte mich zum Sterben toll und heiß. Schließlich, dieweil sie mich schier nicht mehr losließ (wie dumm die Männer doch sind), ein weniges aus Mitleiden, ein weniges aus Eitelkeit, ein gut Teil aus Nachgiebigkeit und letztlich, um solcher Belagerung (ein gar treffliches Mittel!) ledig zu werden, machte ich's wie Jean de Vrie, der ins Wasser ging, auf daß der Regen ihn nicht nässe, und wurde ihr Mann. Seither habe ich sie gänzlich zu eigen, habe die Tugend in persona im Haus, und sie, sie läßt mich's büßen, die wonnesame Kreatur. Was nur? Daß sie mich geliebt hat. Sie bringet mich zur Raserei, oder sie mühet sich doch darum, aber es ist ihr zu nichts nütze. Ich liebe meine Ruhe, und ich bin nicht also dumm, daß ich leerer Worte willen mir tät einen Deut Kümmernis machen. Regnet's, laß ich's ruhig regnen, pfeift der Sturm, pfeif ich ein Lied, schmälet sie, gibt keine Ruh, nun, so lache ich dazu. Warum sollt ich mich vermessen, sie, dieses Weib, davon abzuhalten. Ich will sie gewißlich nicht umbringen. Allwo ein Weib, da ist Streit. Möge sie nach ihrer Weise selig werden, ich werd's auf die meine. Es sei denn, daß es ihr beifiele, mir das Maul zu verbieten, doch dessen hütet sie sich weislich, sintemalen sie die Erfahrung hat, daß es sie teuer zu stehen kommt; möge sie ruhig weiterzwitschern: es hat jeder sein eigene Weis.

Übrigens, sind die Instrumente auch nicht sonderlich aufeinander gestimmt, so haben wir dennoch gar hübsche Stücklein darauf selbander exekutieret: eine Tochter und vier Buben. Allesamt fest und derb gebaut. Nicht an Stoff und nicht an Mühe habe ich gespart und gute Arbeit geliefert. Desohngeachtet finde ich in der ganzen Hecke einzig und allein in der Schelmin Martine, meiner Tochter, die Saat, die ich säte, gänzlich wieder. Der Racker! Welche Mühsal hat es gekostet, bis ich sie sonder Schiffbruch glücklich in den Hafen der Ehe gebracht habe. Uff! Nun hat sie Ruhe! Wohl darf man nicht allzu fest darob bauen, doch dieses ist nimmer meine Sache. Ich habe lange genug müssen aufpassen und ihr nachlaufen. Jetzo ist die Reihe an meinem Eidam Florimond, dem Zuckerbäcker. Nunmehr soll er auf seinen Ofen passen. Wir zanken uns, allwo wir uns sehen, doch ist niemand, mit dem ich mich besser verstünde. Ist ein braves Mägdelein und ohngeachtet etlicher toller Streiche auf sich bedacht und wohlanständig, dafern es bei der Anständigkeit zu lachen gibt, denn ihrem Sinn zufolge ist das größeste der Laster die Langeweile. Arbeit scheut sie mitnichten. Arbeit ist Kampf, und Kampf ist Leben, und sie liebet das Leben. Sie weiß das Gute zu finden gleichwie ich. Sie hat mein Blut, nur hab ich sie, als sie entstund, allzu freigebig damit bedacht.

Die Buben sind mir nicht also gut geraten, da hat die Mutter zuviel mitgeholfen, und der Teig ist geronnen. Von den vieren sind zwei Frömmler gleichwie sie, und überdies frömmelt jeder woanders. Der eine steckt allzeit mit den Schwarzröcken, den scheinheiligen Pfaffen, zusammen, und der andere hält's mit den Hugenotten. Ich frage mich oftmals, wie diese Enten auf meinen Hühnerhof geraten sind. Der dritte ist Soldat, betreibt das Kriegshandwerk, strolcht umher, ich weiß niemalen recht wo, und der vierte endlich ist nichts, schier gar nichts, ein kläglicher kleiner Krämer, und Schafskopf. So ich nur seiner denke, fange ich an zu gähnen. Nur derweil wir mit Messer und Gabel hantieren, derweil wir allesamt, sechs Mann hoch, um meinen Tisch herumsitzen, erkenne ich mein Geschlecht wieder. Bei Tische schläft mir keiner, da sind wir ein Herz und eine Seel, und es ist ein prächtiger Anblick, wann wir sechs mit den Kinnladen arbeiten, das Brot mit kräftigen Fäusten brechen und den Wein sonder Seil und Schrotleiter in die Tiefe befördern.

Nach den Insassen lasset uns nunmehro vom Hause sprechen. Es ist auch mein Kind. Ich habe es Stück für Stück eigens, und zwar dreimalen und nicht einmalen, gebaut, am schönen, fetten, grünen, mit Erde und Mist wohlgedüngten Ufer des Beuvron. Es steht zuvorderst am Anfang der Vorstadt, jenseits der Brücke, die einem kurzbeinigen Dackel gleichsieht, so über dem Wasser lieget und sich den Bauch netzet. Ihm genüber erhebt sich stolz und leicht der Turm von Sankt Martin mit seinem bestickten Gewand und seinem überblühten Portal, zu dem steil und altersgrau die Stufen von Alt-Rom emporsteigen, als ginge es stracks ins Paradies. Mein Schneckenhaus, mein ärmliches Hüttlein, lieget außerhalb der Mauer, und also geschiehet es, daß allemal, so man vom Turm einen Feind erspähet und die Tore schließet, der Feind nur bis zu mir kommt. Schwatze ich auch gerne, solches sind Besuche, deren ich entraten könnte. Mehrstens mache ich mich davon und lege den Schlüssel auf die Schwelle der Tür. Doch komme ich heim, so geschieht es, daß ich weder Schlüssel noch Tür wiederfinde und nur die vier Wände geblieben sind. Dann fang ich von neuem zu bauen an. Man sagt mir:

»Du Dummkopf, du arbeitest für den Feind. Laß deine Kate allwo sie ist, komm in die Stadt. Dorten bist du wohl geborgen.«

Ich antworte:

»Heidideldi! Mir behagt's, allwo ich nun einmal bin. Ich weiß wohl, hinter einer dicken Mauer war ich sorgsamer geschützet, doch was sehe ich hinter einer dicken Mauer? Die Mauer. Ich würde allda vor Langeweile vergehen. Ich brauche Freiheit. Ich muß mich am Ufer meines Beuvron ins Gras strecken können, ich muß, dafern ich nicht arbeite, von meinem Gärtlein aus das Glitzern seines Gewässers sehen können, betrachten, wie die Fische an seiner Oberfläche nach Luft schnappen und die langen Gräsersträhnen auf seinem Grunde schwanken, ich muß darein fischen, meine Lumpen darein waschen und meinen Unrat darein leeren können. Und überdies, ich hab in guten und bösen Tagen dort gehaust, nun ist's zu spät, umzuziehen. Ärgeres denn bisher kann mir nimmer geschehen. Das Haus wird zu anderen Malen zerstört werden, sagt ihr? Schon möglich, liebe Leute, ich will ja nicht für die Ewigkeit bauen. Doch allwo ich einmal eingewurzelt bin, da ist's, bei meinem Leben, nicht leicht, mich wieder loszureißen. Zu zween Malen hab ich es wieder aufgebaut, ich werd's noch zehnmalen tun, so es nötig ist. Nicht zwar, daß ich sonderlich Spaß daran hätte; doch es würde mich zehnmal tiefer kränken, wenn ich umziehen müßte. Ich würde mir gleich einem Körper ohne Haut erscheinen. Ihr bietet mir eine neue, schönere, weißere? Sie würde Falten werfen oder platzen. Nein, nein, die meine ist mir lieber.«

Also in summa: Weib, Kinder, Haus. Habe ich hiemit alles Meine aufgezählt? Nein, das Beste stehet noch aus, das habe ich bis zuletzt aufgespart: mein Handwerk ist noch übrig. Ich gehöre zur Zunft von St. Annen, bin Schreiner. Bei Leichenbegängnissen und Prozessionen trage ich den Stab, mit Zirkel und Leier gezieret, darob die Großmutter unseres lieben Herrn zu sehen ist, wie sie ihre Tochter, die holdselige Jungfrau, da sie ein Kind war, im Lesen unterweist.

Bewaffnet mit Hacke, Stemmeisen, Meißel und Hobel, schalte ich an meinem Werktisch nach meinem Willen mit der knorrigen Eiche und dem glatten Nußbaum. Was werde ich daraus erstehen lassen? Das bestimmt nur meine Laune und das Geld meiner Kunden. Wie mannigfache Formen schlummern wartend und verborgen darinnen! Um Dornröschen zu wecken, tut nur vonnöten, gleich dem Prinzen weit genug ins Gehölz vorzudringen. Aber die Schöne, so ich unter meinem Hobel hervorzaubere, ist kein Zierpüppchen. Lieber denn eine dürre Diana, dran hinten und vorn nichts ist, wie sie jene Italiener darstellen, ist mir ein dunkel gebeiztes, wuchtiges Burgunder Hausgerät, üppig und quellend, mit Früchten beladen gleich einem Weinberg, eine schöne bauchige Truhe, ein geschnitzter Schrank, in der herben Art des Meisters Hugues Sambin. Ich bekleide die Zimmerwände mit Paneelen und Gesimsen. Ich lasse Wendeltreppen sich ringeln und geräumige, kernfeste Möbel gleich Äpfeln aus einem Spalier aus den Wänden herauswachsen; die passen prächtig an den Platz, allwo ich sie aufpfropfe. Jedoch meine Erquickung und beste Herzfreude ist, so ich die fröhlichen Gebilde meiner Phantasie zu Papier bringen kann, eine Bewegung, eine Gebärde, einen gebeugten Rücken, einen schwellenden Busen, blühende Voluten, eine Girlande, irgendwelche Grotesken oder, so es mir glückt, die Fratze eines Vorüberwandernden, die ich im Fluge auffange und auf meinem Zeichenblatt festnagele. Ich habe auch (und dieses ist mein Meisterstück) zu meinem eigenen und unseres Herrn Pfarrers Ergötzen die Chorstühle der Kirche von Montreal geschnitzt, darauf zwei Bürgersleute, am Tisch sitzend, sich bei ihrem Henkelkrug verlustieren und miteinander anstoßen, indes zwei Löwen sich brüllend um einen Knochen raufen.

Arbeiten und darnach trinken, trinken und darnach arbeiten, welch köstlich Leben! ... Um mich her sehe ich mißvergnügte Toren, die sagen mir, ich habe einen feinen Augenblick erwählet, um zu singen und lustig zu sein, sintemalen wir in gar bösen Zeitläuften lebten ... Ach, es gibt keine bösen Zeitläufte, es gibt nur böse, traurige Gesellen. Zu selbigen, gottlob, gehöre ich mitnichten. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, also wird es allzeit bleiben. Ich lege meine Hand ins Feuer, daß unsere Urenkel in vierhundert Jahren noch gleichermaßen erpicht sein werden, einander in die Haare zu fahren und das Fell zu gerben. Ich sage auch nichts, daß sie nicht vierzig neue Arten erfunden haben werden, es gründlicher zu machen denn wir. Aber ich stehe dafür, daß sie keine neue Art des Trinkens erfinden werden, und leugne gewiß, daß sie solches besser verstehen werden denn ich. Wer mag sagen, was die Schelme in vierhundert Jahren beginnen werden! Kann sein, daß sie, vermöge des Krautes des Pfarrers von Meudon, des wundersamen Pantagruelion, es fertig bringen, die Gefilde des Mondes, die Schmieden der Blitze und die Schleusen des Regens zu besichtigen, im Himmel Quartier zu nehmen und mit den Göttern Zechgelage zu halten ... Wohl! Da gehe ich mit ihnen. Stammen sie nicht aus meinem Samen, sind sie nicht meines Blutes? Schwärmt lustig umher, kleine Schäker; indes, an meinem Platz ist es sicherer. Wer sagt mir gut, daß der Wein in vierhundert Jahren gleich vorzüglich ist wie heute?

Mein Weib hält mir vor, ich sei ein arger Schlemmer. Mitnichten! Ich weiß nur alles zu würdigen. Ich liebe alles Gute: gutes Essen, guten Wein, die saftigen Freuden und die zarten, duftigen, so man nur im Traume auskostet. Ich liebe das göttliche Nichtstun, dieweil man da am tätigsten ist. Da ist man Herr der ganzen Welt, ist jung, schön, ein Eroberer, erschafft die Welt neu, hört das Gras wachsen und pflegt Zwiesprache mit Bäumen, Tieren und Göttern. Und ich liebe meinen alten Gefährten, der mich nimmer im Stich läßt, dich, meinen Freund, meinen Pylades, dich, mein Schaffen!

Wie wonnesam ist es, mit dem Werkzeug in der Hand am Arbeitstisch zu stehen, wie herrlich, den schönen festen Werkstoff, so da widerstrebet und sich dennoch formen läßt, zu sägen, zu schneiden, zu hobeln, zu stutzen und auszuhöhlen, wieder zusammenzusetzen, zu feilen, zu zerreiben und von neuem zu binden; also das weiche, feste Nußholz, das unter der Hand wie ein Feenleib bebt, gleichermaßen jeder Hülle bloß, die blonden und rosigen, die braunen und goldigen Körper der Nymphen unserer Wälder, die die Axt gefällt hat. Welche Freude verschafft die sichere Hand, welche Freude die geschickten Finger, diese groben Finger, aus denen emporsteiget das zarte Werk der Kunst! Welche Freude für die Seel, die Elemente der Erde zu beherrschen, dem Holz, dem Eisen, dem Stein den Stempel ihrer edlen Einfälle aufzudrücken! Ich fühle mich gleich dem Herrscher eines Feenreiches. Mein Feld nähret mich mit seiner Kraft, mein Weinberg tränket mich mit seinem Blut, alle Geister guter Säfte lassen meiner Kunst zuliebe die schön gegliederten Bäume, so meine Finger kosen werden, heranwachsen, lassen sie länger und stärker werden, sich strecken und glätten. Meine Finger sind willfährige Diener, regiert von meinem Obergesell, meinem alten Gehirn, das, selbsten mir untertänig, nur das Spiel leitet, das da meinen Träumen gefällt. Wer war je besser bedient als ich? O welch trefflicher kleiner König! Sollte ich da nicht mein Wohl trinken? Aber vergessen wir derweil nicht (ich bin nicht undankbar) meine braven Untertanen. Gesegnet sei der Tag, der mich geboren! Gar herrliche Dinge hat diese runde Erde, so da fröhlich anzuschauen und mit Behagen zu genießen sind. Herrgott, wie ist das Leben schön! Ich mag mich noch so voll damit stopfen, immer noch hungert mich darnach, immer noch lechze ich darnach. Ich muß krank sein. Zu welcher Stunde des Tages es sei, immer läuft mir das Wasser im Munde zusammen, so ich an den Tisch denke, den mir Erde und Sonne gar herrlich gedeckt haben.

 

Aber ich bin ein Prahlhans, Gevatter! Die Sonne ist verstorben, es friert in meinem Reich. Der Teufelskerl, der Winter, hat in meinem Zimmer Einzug gehalten. Die Feder taumelt in meinen erstarrten Fingern. Gott bewahre mich! Ein Eiszapfen bildet sich in meinem Glase, und meine Nase wird schier weiß: schauderhafte Couleur, eine wahrhafte Kirchhofslivree! Ich mag das Blasse nicht ausstehn! Hallo, machen wir uns ein wenig Bewegung! Die Glocken von Sankt Martin läuten und klingen. Heute ist der Tag Mariä Lichtmeß. »Nun enteilet der Winter, oder er sammelt frische Kräfte.« Der Erzschurk! Er sammelt wahrlich frische Kraft. Nun wohl, machen wir's gleich ihm. Ich werde auf die Landstraße gehen und mich Aug in Auge ihm gegenüberstellen ...

Eine schöne Kälte! In meine Backen sticht's gleich hundert Nadeln. An der Wegkreuzung liegt der Nordwind auf der Lauer und zaust mir den Bart. Jetzo glühe ich, Gott sei Dank, und meine Haut zeiget wieder ihre ganze Pracht. Gar gerne höre ich die hartgefrorene Erde unter meinem Schritt klingen. Ich fühle mich zu jedwedem tollen Streich gelaunt. Was wollen die Leute alle mit ihren kläglichen, unholden Mienen?

Wohlan, Nachbarin, seid wohlgemut, wer hat Euch in Zorn gebracht? Der Wind, der Schalk, der Euch die Röcke aufhebt? Er tut recht daran. Er ist jung, ich wollte, ich wär's auch. Er packt an der rechten Stelle zu, der Schelm, der Schlemmer, er weiß, allwo die besten Bissen zu finden sind. Geduld, Frau Gevatterin, leben und leben lassen! Und wohin denn so eilend, als wenn der Teufel Euch auf den Fersen wäre? Zur Messe. Laus Deo! Er wird auch fürderhin über den Bösen siegen. Es wird lachen, wer da weint, dem Erfrorenen wird warm werden. Na, da lacht Ihr ja schon. So ist's recht ... Wohin ich Selbsten will, wollt Ihr wissen? Gleich Euch in die Messe. Aber nicht zum Pfaffen, zur Messe unter freiem Himmel.

Vorerst aber spreche ich bei meiner Tochter vor und hole mir meine kleine Glodie. Wir vollführen alle Tage selbander unseren Spaziergang. Sie ist meine liebste Freundin, mein kleines Schäflein, mein zwitscherndes Vögelein. Sie ist ein weniges über fünf Jahre alt, lebhaft wie ein Eichhörnchen und schlau wie ein Füchslein. Alsobald sie mich erblicket, kommet sie gelaufen. Sie weiß, ich habe meine Hucke allweil voller Geschichten, und die liebet sie gleichermaßen wie ich selbst. Ich nehme sie bei der Hand.

»Komm, Kleinchen, wir wollen der Lerche entgegengehen.«

»Der Lerche?«

»Heute ist Mariä Lichtmeß, weißt du's nicht, sie kehret heute vom Himmel zurück.«

»Was hat sie denn dorten getan?«

»Das Feuer für uns geholt.«

»Das Feuer?«

»Das Feuer, das in der Sonne brennt. Das Feuer, das den Kochtopf unsrer alten Mutter Erde zum Sieden bringt.«

»War es denn abhanden kommen?«

»Ja, freilich, seit Allerheiligen. Jedwedes Jahr im November geht es fort, die Sterne am Himmel wieder anwärmen.«

»Wie kommt es denn heimwärts?«

»Die drei kleinen Vögel sind es holen gegangen.«

»Erzähle doch!«

Sie trippelt auf der Straße mir zur Seite; warm eingepackt in einem Wämslein von weißer Wolle, mit einer blauen Kapuze auf dem Kopf, gleicht sie einer kleinen Meise. Sie hat keine Angst vor der Kälte, indes ihre kleinen Bäckchen sind feuerrot, und das zierliche Nasenknöpfchen läuft wie ein Springquell.

»Holla, kleines Lichtschnüppchen, schnupfe dich, blase die Lichter vom Himmel fort. Geschieht solches zu Mariä Lichtmeß, entzünden sie sich wieder am himmlischen Ort.«

»Erzähle doch, Großvater, die drei kleinen Vögel ...« (Ich lasse mich gern ein weniges bitten.)

»Wohlan, die drei kleinen Vögel sind auf die Reise gegangen. Die drei tapferen Weggenossen Zaunkönig, Rotkehlchen und unsere liebe Freundin, die Lerche. Der erste, unser Zaunkönig, flink und behend wie der kleine Däumling und stolz wie ein wirklicher König, erblicket in der Luft das schöne Feuer, nicht größer denn ein Hirsekorn, das rollet ihm entgegen. ›Ich hab's, ich hab's!‹ schreit er und stürzt sich darauf, und die andern rufen und schreien: ›Ich, ich, ich!‹ Aber der Zaunkönig hat's schon im Fluge erhascht und schießt blitzschnell damit in die Tiefe. ›Zu Hilfe! Feuer! Zu Hilfe, ich verbrenne!‹ ruft er, dieweil er's gleich einem kochend heißen Brei von einer Seite des Schnabels zur andern wälzt. Er kann nicht mehr, er reißt den Schnabel auf, die Zunge hat er sich schier verbrannt, er spuckt es aus und birgt es unter seinen kleinen Flügeln. ›Au, au, zu Hilfe!‹ Die kleinen Flügelchen beginnen zu flammen. (Hast du schon seine roten Flecke und die kraus gesengten Federn erspäht?) Nunmehr kommt Rotkehlchen zu seiner Hilfe. Es pickt das Krümchen Feuer und setzt es andächtiglich in sein weiches Vorhemdchen. Sieh nur, das schöne Wämslein, wie es rot und immer röter wird, und Rotkehlchen schreit: ›Ich kann nimmer, mein ganzes Kleid ist verbrannt.‹ Doch jetzo kommt die Lerche, unsere tapfere kleine Freundin. Das Flämmchen im Fluge erhaschend, das schon wieder zurück gen Himmel wollte, schießt sie eilends, gerade und sicher gleichwie ein Pfeil, damit zur Erde nieder und versenket mit ihrem Schnäbelchen das schöne Körnlein Sonne in die vereisten Furchen, die sich vor Freude nicht zu lassen wissen ...«

Meine Geschichte ist am Ende. Nunmehr ist es an Glodie, mit mir zu liebäugeln. Maßen wir die Stadt hinter uns ließen, habe ich sie auf den Rücken genommen, um den Hügel hinaufzuklimmen. Der Himmel ist grau, der Schnee knirscht unter den Holzschuhen. Die Sträucher und die zarten Bäume mit ihren feinen Ästen sind weiß gepolstert. Aus den Hütten steigt kerzengerade, blau und langsam der Rauch. Kein Laut ist vernehmbar, nur mein kleines Vöglein zwitschert. So kommen wir oben an. Zu meinen Füßen die Stadt, meine Stadt, umgürtet von den Bändern der trägen Yonne und des mutwilligen Beuvron. Mit ihrer Haube aus Schnee, schier erstarret, wie sie ist, frostig und bebend vor Kälte, macht sie mir doch, allsooft ich sie sehe, das Herze warm.

Du Stadt der schönen Farben und der sanften Hügel. Rings um dich her geflochten, gleich dem Stroh im Nest, ziehen sich die sanften Linien der bebauten Felder hin, wogen weich, zu fünf oder sechs Reihen ineinandergeschoben, die langen Wellen der bewaldeten Hügel. Wie sie in der Ferne verblauen, möchte man meinen, dorten sei das Meer. Doch von dem tückischen Element, das Odysseus von Ithaka und seine Gefährten hin und wider warf, ist hier nichts zu spüren. Keine Stürme, kein Hinterhalt, Ruhe allerorten. Kaum, daß hie und da die Berglinien sich unter einem Hauch zu heben scheinen, gleich einem wogenden Busen. Von einem Wellenkamm zum andern gehen die Wege, gerade, ohn Hast, gleich den Spuren einer gleitenden Barke im Wasser. Auf der höchsten Spitze der Wogen, weit hinten, blinken die Masten der Madeleine von Vézelay, und zuvorderst, an der sich schlängelnden Yonne, strecken, zwischen dem Dickicht, die Felsen von Basseville ihre Eberzähne in die Luft. Und lässig hingestreckt, eingebettet in den Kreis der Hügel, neigt die schmuckreiche Stadt ihre Gärten, ihr altes Gemäuer, ihre Lumpen, ihr Geschmeide, allen Schmutz und alle Schönheit ihres Leibes und ihr Haupt, gekrönt von dem durchbrochenen Turm, hinab zum Ufer ihres Flusses.

Also stehe ich in Bewunderung vor dem Gehäuse, des Schnecke ich bin. Die Glocken meiner Kirche heben im Tale ihre Stimmen; ihre reinen Klänge breiten sich aus gleichwie klare, kristallene Fluten in der dünnen, erstarrten Luft. Dieweil ich freudig bewegt ihren Klang einsauge, siehe, da dringt schon ein Sonnenstrahl durch die graue Hülle, die den Himmel versteckt hielt. Im selbigen Augenblick klatscht meine Glodie in die Hände und ruft:

»Großvater, ich höre sie, die Lerche, die Lerche!«

Und ich, lächelnd vor Glück über ihr kleines Stimmlein, küsse sie und sage:

»Auch ich höre sie, die Lerche, so den Frühling bringet.«


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