Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

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Der vierzehnte Tag.

(22. November.) Die verschiedenen Effekten der Verschwundenen haben jenem Gegenstand Platz gemacht, der in diesem Prozeß eine so große Rolle spielt – dem Küchenherd Landrus. Er steht in der Mitte des Gerichtssaales. –

Von heute an wird M. Surcouf als Anwalt der Verwandten der Mme. Cuchet sprechen. –

Nunmehr sollten nach den verschwundenen die noch lebenden Bräute Landrus vernommen werden. Es handelt sich hier um zwei Frauen, doch die eine von ihnen, Mme. Falque, liegt zur Zeit schwer erkrankt in einem Sanatorium. Die zweite ist Mlle. Fernande Segret, dieselbe, die am Vortage ohnmächtig wurde und nicht vernommen werden konnte.

Mlle. Segret ist eine junge hübsche Pariserin. Sie war es, die seinerzeit bei der Verhaftung Landrus in seiner Wohnung anwesend war.

Sie hat im »Le Journal« die Geschichte ihres Zusammenlebens mit Landru geschildert. In den letzten Kapiteln erzählt sie, wie eines Tages mehrere Männer in die gemeinsame Wohnung eintraten und dem heftig um sich schlagenden Landru Handschellen anlegten. Es waren Polizeiagenten. Sie konnte ihre Bestürzung nicht verbergen. Einer der Agenten rief ihr zu: »Bemitleiden Sie ihn nicht, der Mann hat vier Morde auf dem Gewissen.« (In jenem Anfangsstadium waren die anderen Fälle noch nicht bekannt.)

Es wird die Zeugenaussage der Mme. Falque verlesen.

Landru protestiert gegen die Behauptung, daß er die Wertsachen der Zeugin zu Geld machen wollte.

Welcher Art waren seine Beziehungen zu Mme. Falque?

Landru: »Rein kaufmännische – ich glaube, es handelte sich um ein Geschäft mit Saccharin.«

Die Zeugin hat Landru ein Darlehen von 900 Francs gewährt.

Landru: »Diesen Betrag habe ich ihr zurückgezahlt, indem ich sie an dem Saccharingeschäft beteiligte und ihr als ihren Anteil 1300 Francs einhändigte.«

Präsident: »Davon findet sich in Ihrem Notizbuch keine Spur. Dagegen ersieht man, daß Sie ihr 500 Franken, die wohl eine Abschlagszahlung auf jene 900 Franken waren, einen Monat später – am 15. Jänner 1918 – zukommen ließen. Aus welchen Mitteln haben Sie diese Rückzahlung geleistet?«

Während Landru nachsinnt, ruft der Staatsanwalt aus: »Sie haben mit dem Gelde der Mlle. Marchadier bezahlt, die am 13. Jänner verschwunden ist.«

Landru: »Ich protestiere energisch. Welchen Beweis haben Sie, daß Frl. Marchadier verschwunden ist?«

Staatsanwalt: »Ich werde ihn führen, wenn der Augenblick gekommen sein wird.«

Landru wollte später weitere 3000 Francs von Mme. Falque ausleihen. Zeugin sagte aus: »Ich hatte Gelegenheit, die Villa in Gambais zu sehen, die mir sehr mittelmäßig möbliert vorkam. Als mir Landru den Küchenherd zeigte, sagte er: »Der Herd hat einen guten Zug. Man kann da drinnen verbrennen, was man will.« Das Begehren Landrus, ihm 3000 Franken zu leihen, lehnte ich ab, da die wenigen Garantien, die ich verlangte, nicht geleistet, ja selbst die Identitätspapiere mir nicht vorgelegt werden konnten. Nach dieser Begegnung brach ich vollständig mit Landru.«

Präsident (zum Angeklagten): »Was haben Sie hierauf zu antworten?«

Landru: »Was die Ziffern betrifft, bleibe ich bei dem, was ich soeben gesagt habe. Betreffs der Geschichte mit dem Küchenherd, will ich bloß bemerken, daß es nicht einen Hausbesorger in Paris gibt, der einer Partei, die eine Wohnung, um sie zu mieten, besichtigt, nicht sagen würde: »Das ist ein guter Ofen, der einen guten Zug hat, man kann da alles verbrennen.« Die Anklage hat diesen Belanglosigkeiten eine ganz falsche Deutung gegeben, und ich überlasse ihr die Verantwortung dafür.«

Nun wird Mlle. Segret aufgerufen. Sie tritt an die Schranken. Das Publikum wird unruhig.

Präsident: »Ich erinnere das Auditorium daran, daß wir uns nicht im Theater befinden. – (zur Zeugin): Was sind Sie von Beruf?«

Zeugin: »Lyrische Künstlerin.«

Landru betrachtet sie starr. Sie ist der erste Zeuge, für den er wirkliches Interesse zeigt. Die Anklage nimmt an, daß er sie wirklich geliebt hat.

Mlle. Segret sagt aus: Sie lernte Landru in einem Geschäft kennen. Er folgte ihr und erbat ein Rendezvous, in seinem Benehmen übrigens durchaus zart und respektvoll. Am nächsten Tag waren sie zusammen im Boulogner Wäldchen. Sie fuhren zusammen am See Kahn. Die Zeugin, die damals kein festes Engagement besaß, gestattete Landru, sie wiederzusehen. Er nannte sich M. Lucien Guillet, Industrieller aus Rocroit, wo Fernande Segret niemals gewesen.

Landru benahm sich stets respektvoll, durchaus als Kavalier. Zuerst verkehrten sie nur kameradschaftlich.

Gegen Ende Juli 1917 bat Landru das Mädchen, zu ihr zu ziehen. Sie hatte damals »großen Kummer wegen ihres ersten Verlobten«. Dieser war Soldat und in Kriegsgefangenschaft. Auf ihre Briefe gab er ihr abweisende Antworten. Nun gab sie endlich dem »Angeklagten« nach.

»Dem Angeklagten« – Landru scheint durch dieses Wort getroffen.

Doch weiter. Fernande stellte M. Guillet ihrer Mutter als Bräutigam vor und er durfte ins Haus kommen. Er wollte so bald wie möglich heiraten. Fernande besaß keinen Centime.

1918. Landru verzögert die Hochzeit mit der Begründung, daß seine Papiere während des ersten feindlichen Einmarsches verloren gingen. Nun erkundigte sich die Familie Segret beim Bürgermeister von Rocroit und erfuhr, daß er einen Industriellen Guillet aus Rocroit nicht kenne. Fernande war darüber sehr betrübt.

Präsident: »Wie dem auch sei, fand die Verlobung statt?«

Zeugin: »Ja, im Mai. Wir waren dann in der rue Rochechourt.«

Fernande Segret, welche sich, etwas müde, niedergelassen hat, erklärt ihre Aussage: Wir waren eines Tages in der komischen Oper. Er kaufte mir Blumen, nahm eine Loge und ich glaube, es war an jenem Abend, als er mir den Verlobungsring anbot. –

Präsident: »Was geschah nach dem Waffenstillstand?«

Zeugin: »Er sagte mir: »Der Krieg endigt wirklich zu schnell für mich!« Diese Worte machten mir einen seltsamen Eindruck.« –.

Die Zeugin erleidet einen Schwächeanfall.

Man reicht ihr ein Flacon Essig. Fernande bricht in Schluchzen aus und ruft: »Ich ersticke, ich ersticke, ich kann nicht mehr!«

Die Sitzung wird aufgehoben.

Nachdem ein junger Arzt sich um Fernande Segret bemüht hat, kann diese ihre Aussagen fortsetzen: Landru erklärte mir jenen Satz, der mich so erschreckte, folgendermaßen: »Fernande, die Gefangenen sind zurückgekommen. Der Ihrige auch! Er ist jünger als ich und Jugend braucht Jugend.« Ich hatte tatsächlich eine Unterredung mit meinem Verlobten. – Der junge Mann wollte alles vergessen und war bereit, Fernande zu heiraten. Landru willigte in eine vollständige Entsagung ein. Trotzdem imponierte er Fernande mehr, sie brach mit dem jungen Mann. »Seit jenem Abend blieb ich in der rue Rochechourt.«

Präsident: »Wollen Sie den Herren Geschworenen von Ihrem Aufenthalt in der Villa berichten?«

Zeugin: »Ich war dort sechs- oder siebenmal. Mein Eindruck war ein ausgezeichneter. Die Villa war jedoch kaum möbliert. Er erklärte mir, es sei dies genügend für ein Absteigequartier. Ich liebte die Ruhe dieses Ortes. Er sagte mir nicht, daß er die Villa besaß, aber zur Zeit des Bombardements bemerkte er, daß er sie verkaufen wolle.«

Frage: »Haben Sie nichts Verdächtiges bemerkt? Die Gegenwart von Jagdgewehren, Revolvern, Patronen im oberen Stock?«

Zeugin: »O ja, ich glaube einen Karabiner gesehen zu haben.«

Frage: »Landru hat uns nämlich gesagt, daß er gezwungen war, die Hunde des Frl. Marchadier aufzuhängen, da er keine Waffe besaß.«

Zeugin: »Darauf kann ich nichts sagen.«

Fernande Segret, beunruhigt vom Fragen, meint, daß sie niemals etwas Abnormales bemerkt habe, weder Rauch noch Gerüche, noch sonst etwas.

Frage: »Wovon schien Landru zu leben?«

Zeugin: »Vielleicht von einigen Möbelgeschäften, aber hauptsächlich von seiner Automobilgarage, wo ich den jungen Lehrling (Charles Landru) habe arbeiten sehen.«

Frage: »Haben Sie ihm als Sekretärin geholfen? Was wissen Sie von seinen besonderen Geschäften?«

Die Zeugin, deren Aussagen Landru aufmerksam folgt, spricht von der Miete einer zweiten Garage, sowie einem neuen Radiator, welcher eine Umwälzung in der Automobilindustrie hervorrufen sollte.

Frage: »Auf wieviel können Sie die Summe schätzen, welche er Ihnen zur Verfügung stellte?«

Zeugin: »Ich gab nur aus, was der bescheidene Haushalt erforderte.«

Frage: »Wissen Sie, ob die Zahl 7 des Notizbuches Sie bezeichnete.«

Zeugin: »Ich wußte nichts von diesem Notizbuch vor der Gefangennahme.«

Frage: »Sie haben von Landru gesagt, er sei leidenschaftlich, aber normal?«

Zeugin: »Oh, ganz normal!«

Moro-Giafferi stellt der Zeugin verschiedene Fragen. Wie Fernande Segret aussagt, hat sie auf dem Kochherd Speisen zubereitet.

Moro-Giafferi: »Haben Sie dort Knochen gesehen? Ah, Herr Staatsanwalt, hier beginnt der Prozeß Landru. Gemäß der Beschuldigung, mußten Knochen dort gewesen sein. Sie waren nicht dort. Gut.« –

Nun sagen die Psychiater aus.

Der Doktor Vallon hat Landru untersucht. Er stellt ihn an die Grenze des Wahnsinns, ohne daß Landru sie überschreitet. Seine Verantwortlichkeit ist nicht absolut anzunehmen. Der Angeklagte hat den Beweis einer sonderbaren intellektuellen Tätigkeit erbracht. Seine vererbten Eigenschaften sind mittelmäßig, aber die erbliche Belastung hat nichts Verhängnisvolles an sich. Zu verschiedenen Zeiten seines Lebens wurde Landru von Attacken teilweiser Paralyse heimgesucht. Trotzdem kann nicht angenommen werden, daß Landru seine Taten unbewußt begangen habe. Die Lypemanie, der er sich nähert, läßt ihn trotz allem als Betrüger und wissentlichen Fälscher erscheinen.

Der Doktor Rogues de Furcos ist derselben Meinung wie Doktor Vallon. Er hat keine Spur von Psychose bei dem Angeklagten gefunden. Was Dr. Roubinovich anbelangt, so sieht er in Landru »ein obscures Individuum ohne jede geheime Krankheit«. Er hat ihn zu verschiedenen Malen untersucht, zur Zeit seiner vorhergehenden Verhaftungen von 1904 und 1906. »Ein normaler Mensch, der jedoch einiger Nachsicht bedarf.« Im Jahre 1919 wurde der Arzt jedoch frappiert von seiner Geistesgegenwart. Als Irrenarzt ist er überrascht gewesen über die Exaktheit von dessen Gedächtnis. Landru scheint ihm außerdem als ein »unvergleichlicher Causeur.«

Der Angeklagte scheint geschmeichelt, daß man seine Konversationsgabe so wertet. Er sagt, als der Sachverständige schweigt: »Ich danke den Herren Sachverständigen für ihre Feststellung, denn die Verbrechen, die man mir vorwirft, sind so ungeheuer, daß sie nur von einem Entarteten verübt werden können. Nun, wenn ich geistig gesund bin, konnte ich sie nicht begangen haben.«

Verteidiger: »Und mir fällt es nicht ein, auf Wahnsinn zu plädieren!«

Ein Geschworener (zu Dr. Roubinovich): »Ist Landru imstande, jemandem seinen Willen aufzuzwingen, ihn gewissermaßen zu hypnotisieren?«

Der Psychiater: »Vielleicht, wenn er es mit hysterischen Frauen zu tun hatte. Aber Landru ist vor allem ein Charmeur und hat dadurch das Vertrauen seiner zahlreichen Bräute zu erringen und zu fesseln vermocht.«

Nach einigen kleineren Debatten kommt der Brigadier Riboulet noch einmal zu Wort, um mitzuteilen, was er bezüglich der Hilfsquellen des Angeklagten konstatiert habe. Er bringt verschiedene Schlußfolgerungen vor, über die der Verteidiger debattiert.

Nachdem noch der Staatsanwalt dem Brigadier den Dank der Öffentlichkeit für seine Bemühungen ausgesprochen hat, wird die Sitzung als beendet erklärt.


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