Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

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Der dreizehnte Tag.

(21. November.) Die Zuschauermenge nimmt noch immer zu. Es herrscht ein derartiges Gedränge, eine derartige Luft im Gerichtssaal, daß fünf Frauen während der Verhandlung ohnmächtig wurden. Übrigens waren diese, wieder zu sich gebracht, nicht dazu zu bewegen, den Saal zu verlassen und ein wenig ins Freie zu gehen.

Mit Beginn der Verhandlung erhebt sich der Staatsanwalt Godefroy. Er erinnert daran, daß Landru vorigen Freitag sein Versprechen gehalten hat. Er fügt hinzu, daß Überprüfungen der Aussage gemacht wurden. Das Hotel du Mans besteht wirklich, aber Besitzer und Leiter haben dort häufig gewechselt. Dennoch hat man das Polizeibuch über die Zeit, die eventuell Frau Héon dort verbringen konnte (4. Vierteljahr 1915) wiedergefunden. Aber weder unter dem Namen Héon, noch unter dem Namen Petit (in dieser Zeit ließ sich Landru Georges Petit nennen) hat man etwas vermerkt gefunden.

Staatsanwalt: »Ich glaube, daß Sie die Wahrheit gesprochen haben, Landru. Ich glaube, daß Frau Héon in einem Hotel der rue de Rennes gewohnt hat. Aber in welchem? In jenem, das Sie uns bezeichnet haben, Landru, oder in einem anderen in der Nähe des Bahnhofes Montparnasse? – – Ich ersuche den Gerichtshof, einen Zeugen zu vernehmen. Glauben Sie, Landru, daß die Toten nie aus dem Grabe auferstehen?«

Landru: »Ich habe das nie behauptet.«

Staatsanwalt: »Es ereignet sich, daß Lebende die Wortführer der Toten werden.« –

Anwalt de Navière du Treuil stellt fest, daß eine Frau namens Eon einige Nächte in der rue de Rennes verbrachte. Die Anklage antwortet, daß diese Frau Eon, die vom 6. bis 7. Oktober 1915 im Hotel du Mans lebte, mit der Verschwundenen nicht identisch sei.

Landru hat darüber noch etwas auszusagen.

Landru: »Hat man unter dem Namen Goudouin (der Name ihres früheren Geliebten, unter dem sie sich oft ausgab) nach Frau Héon geforscht?«

Der Präsident erwähnt, daß über Frau Héon, die am 6. Oktober verschwunden, sich am 8. November in dem Notizbuch noch Vermerkungen vorfänden. –

Eine unerwartete Zeugin wird hereingeführt. Es ist Frau Auger aus Saint Maudé.

Zeugin: »Im Jahre 1913 verkehrte ich mit Frau Héon und ihrer Tochter, Frau Kowalski. Ich verkehrte mit ihr auch als Frau Goudouin. Sie teilte mir ihre Verlobung mit M. Petit mit und fragte mich damals nach der Adresse eines Möbelhändlers, da sie ihre Möbel vor ihrer Abreise nach Tunis verkaufen wollte.

Später schrieb sie mir aus einem Hotel in der rue de Rennes neben dem Bahnhof Montparnasse und endlich am 8. November lud sie mich in ihre neue Wohnung, 45 Avenue des Ternes. (Bewegung.)

Hier teilte sie mir mit, daß sie glücklich sei, mit M. Petit zusammenleben zu können. Nachdem sie der Ingenieur nicht so schnell, wie sie erhoffte, heiraten könnte, entschloß sie sich, mit M. Petit in der Rue de Ternes in freier Ehe zu leben.

Herr Petit trat ein. Sie stellte mich als Freundin ihrer verstorbenen Tochter vor und sie umarmten sich. Frau Goudouin gab mir eine Goldkette zur Erinnerung an ihre verstorbene Tochter. Dann weinte sie, als sie ihrer verstorbenen Tochter gedachte und dann sagte sie mir, sie käme erst in drei Jahren zurück. Herr Petit tröstete sie mit den Worten: ›Man lebt nicht mit den Toten‹. Ich versprach meiner Freundin, das Grab ihrer Tochter zu pflegen. Meine Freundin sagte, daß sie mir schreiben würde. Ich bekam aber keine Nachricht von ihr.«

Die Zeugin sagte mit solcher Klarheit aus, daß sie großen Eindruck erzielt.

Präsident: »Also es war nicht Frau Guillin, sondern Frau Héon, die in der Avenue des Ternes wohnte?«

Landru antwortet, daß Zeugin die einzige ist, die eine derartige Behauptung aufstellt.

Präsident: »Erkennen Sie die Zeugin?«

Landru: »Nicht im geringsten. Ohne ihre Wahrheitsliebe zu bezweifeln, will ich bemerken, daß inzwischen sieben Jahre verflossen sind und daß in dieser Zeit Erinnerungen verblassen können.«

Präsident: »Mme. Auger, erkennen Sie den Angeklagten?«

Zeugin: »Natürlich. Mme. Goudouin sollte den nächsten Tag nach Gambais abreisen.«

de Moro-Giafferi: »Also das Wort Gambais ist gefallen?«

Zeugin: »Ja, sie sollte aus Gambais ein Korallenhalsband zurückschicken. Ihre Koffer waren schon für Tunis gepackt. Ihren Besitz habe sie von ihrer Schwester bekommen, er hatte einen Wert von 40.000 Francs.«

Präsident: »War es sicher in der Avenue des Ternes, wo Sie Landru gesehen haben?«

Zeugin: »Ja. Ich wußte, daß es sich um eine Untermietung handelte.«

Staatsanwalt: »Und haben Sie das Grab der Frau Kowalski besucht? Haben Sie bemerkt, daß es nicht mehr gepflegt war?«

Zeugin: »Ja, Herr Staatsanwalt.«

de Moro-Giafferi: »Ich nehme als feststehend an, daß die aufrichtige Zeugin in der Avenue de Ternes war. Gut. Während der Untersuchung hat die Polizei niemals die Wohnung in der Avenue de Ternes eruieren können, trotz der Existenz des Hausmeistersohnes, der Brigadier im Justizdienst ist. Die Aussage beweist also gegen die Polizei, daß Landru in der Avenue de Ternes gewohnt hat, wo ein anderer Zeuge auch Frau Guillin gesehen hat. – – –

Nun wird zum Fall Pascal übergegangen.

Mme. Fauchet, geborene Pascal, Schwester der Verschwundenen, wird vernommen.

Frau Fauchet erzählt in kurzen Worten die Geschichte der Verlobung ihrer Schwester. Als sie von der Abwesenheit Landrus erzählt, gibt sie hiefür die Erklärung ihrer Schwester an, daß »der in Betracht kommende Herr« zur Kartoffelernte nach St. Quentin gefahren sei.

Mit Bezug auf das Verschwinden ihrer Schwester meint Frau Fauchet: »Sie wäre ohne mich vor Sehnsucht vergangen«.

Die Zeugin sorgte schon mit 13 Jahren für ihre Schwester und war »Mama« für Frau Pascal.

Nun wird die Tochter dieser Zeugin, Marie Jeanne Fauchet, vernommen. Sie ist 24 Jahre alt. Sie lernte diesen »Herrn« im Dezember 1916 bei ihrer Tante kennen. »Ich habe ihm nichts vorzuwerfen. Er war sehr anständig und immer, wie es sich gehört. Als meine Tante krank wurde, pflegte er sie sehr gut. Ich habe nichts gegen ihn auszusagen.«

Über das Leben des M. Lucien, der auch M. Berzieux hieß, weiß sie nichts Genaues. Man kannte nicht seinen wahren Aufenthaltsort.

Auf eine eindringliche Frage des Anwaltes de Moro-Giafferi antwortet Marie Jeanne Fauchet: »Es war nie von einer Reise nach Gambais die Rede«. –

»Das würde die formelle Aussage der Mme. Koeßler, der Hausmeisterin der Villa Stendhal, einer der wichtigsten Zeuginnen der Anklage, zunichte machen«, ruft lebhaft der Verteidiger aus. –

Bevor sie den Gerichtssaal verließ, meint Mlle. Fauchet noch: »Wenn meine Tante leben würde, würde sie unbedingt schreiben, und wenn sie es mit ihrem Blut tun müßte! – – –

Man geht zum Fall Marchadier über.

Während der erste Zeuge, M. Moret, hereingeführt wird, verwahrt sich der Anwalt Lagasse dagegen, daß »man eine Frau beschmutzt, die ermordet wurde«.

M. Moret sagt aus. Durch ihn, der Agent ist, ist Landru mit der Marchardier, der »schönen Mithèse«, die ihren Pavillon in der rue St. Jacques aufgeben wollte, in Verbindung getreten. Er hatte der Mlle. Marchadier einige »Käufer« vorgestellt.

Mlle. Poilot, eine Freundin der Marchadier, spricht lange über den Lieblingshund, den sie ihr anvertraute und den Landru erwürgt hat.

Zeugin: »Sie sagte mir, daß sie den Ort ihres Aufenthaltes nicht nennen könne. Das war ein Geheimnis.«

Der Präsident fordert Landru auf, über den dreifachen Mord an den Hunden zu berichten.

Präsident: »Welches Mittel haben Sie angewendet?«

Landru, welcher noch auf eine andere Frage antwortet, zwingt den Präsidenten, seine Frage dreimal zu wiederholen.

Landru: »Ich hatte kein Gift und keine Waffe, ich habe sie, ohne viel Umstände zu machen, aufgehängt.«

Landru und sein Verteidiger betonen, daß durch die Aussage der Mlle. Poilot klargestellt wird, daß »Mithèse« an dem Abend desselben Tages, an welchem sie in der Villa war, von dort zurückkehrte. Nach einer Pause sagte Mlle. Poilot aus, daß sie noch immer Mlle. Marchadier erwarte.

Nun wird Mlle. Fernande Segret vorgeführt. Von Schluchzen geschüttelt, wird sie schließlich ohnmächtig und muß aus dem Saale geführt werden. – – –

Mme. Le Gallo hat der »schönen Mithèse« im Jahre 1913 3600 Francs geborgt, die sie ihr noch im Jahre 1916 schuldete.

Staatsanwalt: »Was verstehen Sie unter dem Ausspruch: ›Sie hatte die Heiratsmanie‹.«

Zeugin: »So oft sie einen Freund hatte, glaubte sie, er würde sie heiraten.« –

Jetzt wird der Polizeiinspektor Bélin, der Landru am 13. April 1919 verhaftet hat, vorgeführt. Er hat über die Auffindung der drei Hundeleichen auszusagen.

Nach einigen Einwürfen des Verteidigers und nachdem noch der Brigadier Riboulet – zum vorletztenmal – ausgesagt hat, wird die Sitzung geschlossen.


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