Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

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Der vierte Tag.

Das Mobiliar der Mme. Cuchet bildet noch immer den Mittelpunkt des Gerichtssaales, in neuer Anordnung und um einen Empireschreibtisch vermehrt, welcher Mme. Laborde-Line gehört hatte. An den Schranken lehnt das eiserne Gestell eines Bettes.

Als erste Zeugin wird Schwester Valentine, barmherzige Schwester zu Nevers, aufgerufen. Sie glaubt, daß Frau Cuchet, ihre Freundin, das Doppelleben Diart-Landrus und seine Familienverhältnisse erst entdeckt habe, als ihr Schwager, M. Friedmann, das Militär-Soldbuch des Landru gefunden. Von den aus jener Zeit aufgefundenen 3000 Francs glaubt sie, daß diese Landrus Eigentum wären.

Ihr folgt M. Germain. Er ist der Schwager des verstorbenen M. Cuchet. Er sagt aus: »Frau Cuchet hatte die Absicht, André nach England zu senden, aber weder sie noch mein Neffe hätten uns ohne Nachrichten gelassen.« Er weiß weiter nichts Wesentliches auszusagen.

Die nächste Zeugin, Mme. Pelletier, Hausbesorgerin von Mme. Cuchet, Wohnhaus in der Faubourg-Saint-Denis. Die erste Zeugin übrigens, die von Landru als »Monsieur Landru« spricht. Sie schildert ihre Mieterin als ernst, arbeitsam und anständig. Frau Cuchet habe ihr von der Bewerbung des M. Diart erzählt, auch davon, daß er André eine Stelle verschaffen würde.

Präsident: »Was hat Ihnen Mme. Cuchet nach ihrer Rückkehr aus Chaussée gesagt? Hat sie von gewissen Entdeckungen gesprochen?«

Zeugin: »Nein, ich habe nichts erfahren. Sie weinte, aber ohne den Grund ihres Kummers anzugeben. M. Diart kam nicht mehr zu uns.«

Frage: »Kam er später wieder?«

Zeugin: »Ja, mit zwei kleinen Mädchen.«

De Moro-Giafferi: »Wissen Sie das bestimmt?«

Zeugin: »Ja, ganz sicher.«

Mme. Cuchet kündigte im August 1914 für Oktober, zog aber erst im Dezember aus. Landru half ihr mit seinem Rollwägelchen beim Umzug, der nach Vernouillet stattfinden sollte.

Zum erstenmal stellt ein Geschworener, M. Maleville Fragen: Trug Mme. Cuchet Ohrgehänge? Von welchem Wert? Trug sie diese auch an den letzten Tagen, da sie Mme. Pelletier sah? – Der Verteidiger läßt die Zeugin wiederholen, daß Mme. Cuchet Weisung gab, über ihren neuen Aufenthalt keine Auskunft zu geben.

Mme. Morin ist die Mutter eines Freundes des André Cuchet.

Präsident: »Landru, haben Sie zu Mme. Morin gesagt, daß Mme. Cuchet und ihr Sohn in England wären.«

Landru: »Es sind sieben Jahre her – ich leugne nichts, denn ich erinnere mich nicht.«

Mme. Beity-Szisz vermietet die Garage von Neuilly an Landru, der sich Cuchet nannte. Sie bezeugt dies.

M. Holy ist Bevollmächtigter der Bank Rebondont, wo Landru unter dem Namen Cuchet die Obligationen veräußerte.

Nun erscheint der Polizei-Brigadier Riboulet. Landru hört genauer zu. Riboulet äußert sich präzis.

Präsident: »Haben Sie wegen des Verschwindens der Madame Cuchet nachgeforscht?«

Zeuge: »Recherchen bei den Schiffahrtsgesellschaften, wie bei den französischen und englischen Paßbüros haben nicht die geringste Spur der Mme. Cuchet und ihres Sohnes ergeben.«

Der Obmann der Geschworenen: »Haben sich keine Spuren über die Abreise der Mme. Cuchet und Andrés von Vernouillet ergeben?«

Zeuge: »Bezüglich der Papiere keine weitere Spur. Die Nachforschungen blieben ergebnislos.«

Der Geschworene M. Alline fragt: »Warum nimmt Landru für seine verschiedenen Geschäftsoperationen den Namen der Madame Cuchet an, deren Geliebter gewesen zu sein er leugnet.

Landru: »Das ist ganz einfach. Nachdem ich aus Mangel an Delikatesse verfolgt wurde, brauchte ich einen Namen, um mich zu verbergen. Naturgemäß nahm ich den jener Person an, die mit mir zusammen unter einem Dach wohnte.«

Der Obmann der Geschworenen: »Warum hat Landru nicht den Namen Raymond Diart beibehalten, unter welchen ihn Mme. Cuchet kennen gelernt hatte?«

Landru: »Ich glaubte, so besser vor Nachforschungen geschützt zu sein. Die Leute am Land sind nämlich außerordentlich neugierig und mißtrauisch.« (Heiterkeit.)

M. Alline: »Der Angeklagte hat beim Verhör geäußert, daß Mietangelegenheiten Sache des Mannes seien. Dabei leugnet er die wilde Ehe und war auch nicht der Gatte. Wozu also?«

Landru: »Ich habe dies getan, um hier durch meine Tätigkeit behilflich zu sein.«

Laborde-Line

Nun folgt der Fall Laborde-Line. Nach dem Tode ihres Mannes bringt Frau Laborde-Line ihren Sohn in den P. T. T. unter und siedelt sich im Jahre 1911 in Paris an. Im Juni 1914 muß der Sohn, der geheiratet hatte, nach Nancy und läßt in Paris Frau und Mutter zurück. Er wird nach Paris einberufen, sodann nach Troyes beordert und kündigt die Pariser Wohnung. Mme. Laborde-Line ist von ihren Kindern getrennt. Sie gibt eine Annonce in die Zeitung, um eine Stellung zu suchen. Landru war, wie man weiß, eifriger Leser dieser kleinen Anzeigen.

Er wird gefragt, wie er die Bekanntschaft dieser Frau gemacht habe.

Landru: »Ich habe an Madame Laborde-Line geschrieben, um ihr einen Vorschlag zu machen, nachdem ich voraussetzte, daß sie geneigt sein würde, ihr ganzes Mobiliar oder einen Teil desselben zu verkaufen. Sie setzte mir in wenigen Worten ihre Lage auseinander. Einige Möbel waren ihr Eigentum. Ich trug ihr an, diese für sie aufzubewahren, bis sie sich entschließen würde, sie zu verkaufen, und zwar gegen entsprechende Aufbewahrungsgebühr.«

Er erklärt neuerlich sein System des Kaufes von bescheidenen Möbeln, welche für die befreiten Gebiete bestimmt seien. Seine langsame Rede ist ebenso liebenswürdig kaufmännisch wie am ersten Tage. Aber er wechselt den Ton:

»Wir hätten nicht die Zeit gehabt, selbst die kleinste Idylle zu beginnen, wenn ich mit Frau Laborde-Line nur vom 25. Mai bis 26. Juni 1915 in Beziehungen gestanden bin. So hat mich auch die wachsame Hausbesorgerin bloß zwei- oder dreimal gesehen.«

Aber die »Verschwundene« hatte ihrer Hausbesorgerin Heiratspläne anvertraut.

Landru: »Man kann hier eine kleine Studie der weiblichen Psyche machen. Eine Frau sagt nicht gerne, daß sie ihre Wohnung aufläßt, weil sie sich geniert. Darum hat auch Laborde-Line ihrer Hausbesorgerin gesagt, daß sie in Anbetracht ihrer Heirat mit mir ihre Papiere aus Argentinien, woher sie stammte, kommen lassen würde. Meine Bemerkung wird auch für die späteren Fälle Anwendung finden.«

Präsident: »Kurz, lebten Sie in gemeinsamen Haushalt?«

Landru (kategorisch): »Nie und niemals.«

Landru will Mme. Laborde-Line nicht geraten haben, ihre Wertpapiere abzuheben. Er habe mit ihr keine Spazierfahrten im Automobil gemacht.

Landru: »Mein Wagen war damals gebrochen und meine Situation ein wenig außerhalb des Gesetzes stehend. Dies erlaubte mir nicht, einen Passierschein, der damals schwer zu erhalten war, zu verlangen.«

Präsident: »Die Hausbesorgerin erklärt, daß Sie bei der Rückfahrt Blumen mitgebracht haben.«

Landru: »Hat die Hausbesorgerin das Automobil gesehen? Es ist möglich, daß Mme. Laborde-Line nach Vernouillet gekommen ist, aber mit der Bahn.«

Frage: »Hat Mme. Laborde-Line nicht ihr Mobiliar in der Möbelaufbewahrungsanstalt in der rue Mouffletard unterbringen müssen, weil die Villa in Vernouillet mit Möbeln gut versehen, ja sogar überfüllt war?«

Landru: »Oh, das waren Nebenräume. Mme. Laborde-Line hatte keinen bestimmten Plan, da sie ja die Zukunft nicht wußte.«

Frage: »Wie erklären Sie es, daß die Hausbesorgerinnen der beiden ersten Verschwundenen dieselbe Instruktion erhalten haben, Besucher fern zu halten?«

Landru: »Die Gleichheit der Situation erklärt das Zusammentreffen.«

Frage: »Wie erklären Sie die Anwesenheit der Mme. Laborde- Line in der Villa Vernouillet?«

Landru: »Wie? Daraus, daß eine Frau im Garten einer Villa Blumen pflückt, dann den Garten bestellt, geht schon hervor, daß sie auch die Villa bewohnt hat?«

Präsident: »Wo war demnach Mme. Laborde-Line?«

Landru: »Ich brauche doch ihr Privatleben nicht zu kennen.«

Präsident: »Sie wollen nichts wissen?«

Landru (die Worte hervorhebend): »Ich habe es nicht zu wissen. Ich bin ein Möbelhändler. Lassen Sie mich über meine Situation nicht hinausgehen!«

Das Publikum amüsiert sich laut.

Landru: »Ich bin seit drei Jahren eingeschlossen. Ich kann nichts rekonstruieren. Ich habe keine Dokumente. Auch kann ich nicht antworten, mein Gedächtnis ist einer zu harten Prüfung unterworfen.«

Bezüglich der Wertpapiere gibt Landru zu, sie veräußert zu haben. Wegen des Mobiliars aus der Rue Mouffletard ist seine Erinnerung noch unsicher.

Landru: »Jeder Missetäter, der eine sträfliche Tat begeht, läßt die Beweise verschwinden. Ich habe viele Möbel aufbewahrt, da ich ein reines Gewissen habe.«

Präsident: »Ja, aber es genügt, daß man Sie bittet, zum Kommissariat von Neuilly zu kommen, damit Sie sich drücken, die Möbel in der Garage lassend.«

Der Präsident befragt Landru wegen des verdächtigen Besitzes von Gegenständen und Dokumenten. Er antwortet, daß es sich hier um ein »ihm heiliges, anvertrautes Gut« handle. Allerdings spricht er bald wieder von seinen »Handels-Operationen«, Doch warum sind nirgends Inventuraufnahmen und andere Belege, wie Quittungen etc., zu finden?

Landru: »Man belegt mir alles mit Beschlag und man verlangt von mir Belegstücke.«

Staatsanwalt: »Warum haben Sie nichts von Ihren kaufmännischen Vorstellungen dem Untersuchungsrichter gesagt?«

Landru: »Wir haben uns nicht gut vertragen

Dieser Ausspruch ruft Gelächter hervor.

Staatsanwalt: »Es handelt sich um das Leben eines Mannes.«

Landru: »Weil er eine vorgefaßte Meinung über meine Schuld hatte, habe ich während einer gewissen Zeit geschwiegen.«

Nun wird die Geschichte seiner Streitigkeiten mit M. Bonin berührt. Wie er erwähnt, daß ein Spaßmacher, anläßlich der Wahlen, den Namen Landru für den von Bonin setzte, lacht der Saal sehr laut.

Landru: »Es gibt nichts, worüber zu lachen wäre. Ich verteidige meinen Kopf.«

Staatsanwalt (nachdem er verschiedene Fragen gestellt hat): »Warum weigern Sie sich, alles über Ihre Beziehungen zu diesen Frauen zu sagen, nachdem ich es Ihnen gestern gesagt habe und heute wiederhole, daß Ihr Kopf auf dem Spiele steht?«

Landru: »Warum ich nicht will? Ich habe mit Frauen Geschäfte gemacht. Das übrige geht mich nichts an. (Seine Worte betonend:) Das Privatleben geht weder das Gericht, noch die Polizei etwas an.«

Die erste Zeugin wird vorgerufen, die Hausbesorgerin der Madame Laborde-Line, Mme. Tréhorel. Die Zeugin erhielt die vertrauliche Mitteilung von Mme. Laborde-Line, daß sie nahe daran sei, sich zu verheiraten. Sie hat am Tage des Ausflugs nach Vernouille das Automobil nicht gesehen. Sie lag damals zu Bett.

Frage: »Und die Uebersiedlung?«

Zeugin: »Sie sandte ihre Möbel an die Möbelaufbewahrungsanstalt, um in die Nähe von Mantes zu reisen.«

Frage: »War Landru beim Auszug anwesend?«

Zeugin: »Ja, um 16 Uhr entfernten sich beide zusammen. Meine Mieterin sagte mir bei der Abreise: ›Heben Sie meine Briefe auf, öffnen Sie sie und ich werde Ihnen schreiben, um Ihnen meine Adresse mitzuteilen. Ich werde Sie einladen.‹ Ich habe sie nicht wiedergesehen.«

Präsident: »Erkennt die Zeugin den Angeklagten?«

Zeugin: »Versteht sich.«

Nach einer Frage des Verteidigers an diese Zeugin wird der Sohn der Mme. Laborde-Line aufgerufen.

Präsident: »Von welcher Zeit datiert Ihre letzte briefliche Verbindung mit Ihrer Mutter?«

Zeuge: »Vom Mai 1915, ein rekommandierter Brief.«

Mme. Laborde-Line verschwand im Juni. De Moro-Giafferi hebt die Wichtigkeit dieser Antwort hervor, denn Frau Laborde-Line hat nicht geantwortet.

Aber der Staatsanwalt antwortet schnell, daß »man« Interesse haben konnte, die Mutter dem Sohne zu entfremden.

de Moro-Giafferi: »Wenn Frau Laborde-Line aufgehört hat, all den Ihrigen zu antworten, scheint es wohl, daß sie dies selbst so gewollt hat.«

Zeuge: »Vorausgesetzt, daß sie ihre eigenen Briefe nicht jemandem anvertraut hat, der ein Interesse daran hatte, sie nicht an ihr Ziel gelangen zu lassen.«

Der Verteidiger bekämpft eifrig diese Behauptung. Nach wieder eingetretener Ruhe sagt der Brigadier Riboulet über seine Nachforschungen in dieser Angelegenheit aus. Verschiedene kurze Zeugenaussagen werden verlesen, dann wird die Sitzung abgebrochen.


Ebenso wie im Laufe der Untersuchung eine Mme. Guillin aufgetaucht war, die sich dann nachträglich zwar als eine der 283 Bräute, jedoch nicht eine der verschwundenen, herausstellte, kam nunmehr das Gerücht auf, daß eine Mme. Jaume entdeckt worden sei, bekanntlich ebenfalls der Name einer der Vermißten. Diese Mme. Jaume hielt sich bis vor kurzem in Vitré auf, wohin sie vor etwa zwei Jahren gekommen war. Sie führte hier ein ziemlich geheimnisvolles Leben und verschwand in dem Moment, da die Verhandlung zu Versailles begann. Auf diese Umstände aufmerksam gemacht, hat die Polizei ihre diesbezüglichen Nachforschungen aufgenommen.


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