Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

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Der zwölfte Tag.

(Marchadier.)

(19. November.) Diesmal erblickt man im Gerichtssaale die Wohnungseinrichtung der Mlle. Marchadier, die entschieden reichlicher ausgestattet war als die der vorhergehenden Verschollenen.

Mlle. Marchadier hatte eine ziemlich bewegte Vergangenheit hinter sich, als sie Landru kennen lernte. – Nachdem sie lange Zeit von »Galanterie gelebt hatte«, wie sich die Anklage ausdrückte, oder, wie die Zeitungen schrieben, »ihr Leben der Nächstenliebe gewidmet hatte«, zog sie sich zur Ruhe zurück und vermietete nun ihrerseits Zimmer an galante Damen. Landru bekam ihre Möbel zu Gesicht, als er sie zufällig in ihrem »Pavillon« in der rue Saint-Jacques aufsuchte.

Frage: »Zu welchem Zweck traten Sie mit der Marchadier in Verbindung?«

Landru: »Ich war auf der Suche nach einem geeigneten Lokal für eine Auto-Radiatoren-Herstellung.«

Präsident: »Nicht einmal hier haben Sie es unterlassen, sich als Bräutigam vorzustellen. Sie haben das wohl schon aus Gewohnheit getan.«

Landru: »Nun, vielleicht wollte ich eine psychologische Studie betreiben.« (Heiterkeit.)

Präsident: »Am 1. Jänner 1919 schrieb sie Ihnen: ›Ich habe mir Ihren Vorschlag überlegt. Ich verlange nichts sehnlicher, als auf dem Lande zu leben. Das war seit langem mein Traum. Meine Verhältnisse haben es mir bisher nicht erlaubt.‹«

Landru: »Von einer Heirat zwischen uns war aber nie die Rede. Sie sehen, daß sie schreibt: ›Ich möchte auf dem Lande leben‹. Sie schreibt nicht: ›Ich möchte da mit Ihnen zusammenleben‹.«

Landru und Fräulein Marchadier, die einen Teil ihrer Möbel um 2000 Franken verkauft, den anderen Teil für das Landhaus aufbewahrt hatte, richten sich am 9. Juni in der Villa zu Gambais ein. Der Schaffner des Stellwagens an der Bahnstation bemerkte, daß Landru zwei Kohlensäcke auflud. Seine Begleiterin bringt ihre zwei Hunde und noch den einer Freundin mit. Vier Tage später, am 13. Juni, ist Fräulein Marchadier auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Landru, der noch tags zuvor von einem Schuster in Gambais 12 Francs borgen mußte, verfügt am 14. Juni über Geld. Er kann, wie sein Notizbuch ergibt, den Mietzins für die Villa, für seine Pariser Wohnung und für seine Garage bezahlen. Landru behauptet, daß er mit seinem Geld bezahlt hat, dem »Geld aus seiner Reserve«.

Präsident: »Mit Fräulein Marchadier sind auch die drei Hunde verschwunden oder vielmehr, man hat die Skelette der Tiere im Garten der Villa gefunden.«

Landru: »Mlle. Marchadier beauftragte mich, die Hunde zu töten. Die Erhaltung der Tiere war für ihre Mittel zu kostspielig; dazu kam noch die erhöhte neue Hundesteuer.«

Präsident: »Daß sie ihre zwei Hunde, obzwar sie sehr an ihnen hing, hatte töten lassen, mag noch hingehen. Aber der dritte, der gar nicht ihr gehörte?«

Landru: »Sie hatte beschlossen, sich aller drei zu entledigen. Mehr weiß ich nicht.«

Präsident: »Was ist aus Fräulein Marchadier geworden?«

Landru: »Sie stellen mir immer dieselbe Frage.«

Präsident: »Ich bin dazu verpflichtet.« –

Landru: »Außer Mlle. Marchadier, die von dem Kutscher Berg in der Villa Tric erblickt wurde, ist keine der Verschollenen jemals von irgend jemand gesehen worden. Es ist nicht weiter erstaunlich, daß die Anklage nichts von ihrer Rückkehr weiß, da sie ja auch keine Zeugen für die Ankunft hat.« –

Präsident: »Wollen Sie sagen, daß Mlle. Marchadier in Gambais geblieben ist?«

Landru: »Ohne Zweifel.«

Präsident: »Und war Sie noch dort, als Sie nach Gambais zurückkehrten?« (Landru schweigt.)

Frage: »Wie erklären Sie den plötzlichen Abbruch jeden Briefwechsels Ihrer Klientinnen?«

Landru: »Der größte Teil davon konnte kaum schreiben. Ich habe oft in Gambais für dieselben ihre Briefe erledigen müssen. Ist es da zu verwundern, daß ihre Angehörigen oder Freunde nichts mehr von ihnen zu hören bekommen haben von dem Augenblicke an, da ich ihnen nicht mehr als gutwilliger Sekretär Dienste leistete?«

Der Staatsanwalt spricht von Landrus finanziell bedrängter Lage.

Landru: »Diese Bedrängnis bestand nur in den Zahlen meines Notizbuches.«

Man erwähnt, ob Landru nicht eine Aufstellung der kommerziellen Transaktionen mit »seinen Klienten« vorlegen könne.

Moro-Giafferi: »Ich würde es ihm verbieten. Wie soll ein Gefangener Buchhaltungsexpertisen beistellen ohne Buchhaltungsbelege?«

Nach einigen Debatten zwischen Verteidigung und Anklage wird die Sitzung unterbrochen. –

Bei Wiederaufnahme kommt die Affäre Pascal wieder aufs Tapet, die vorgestern unterbrochen worden war.

Brigadier Riboulet sagt aus.

Riboulet: »Landru verkauft immer Möbel, kauft aber nie solche.«

Landru protestiert und will darauf antworten: »Es handle sich um Notizen, die der Zeuge gar zu wörtlich auffasse, ohne den Sinn derselben ganz zu verstehen«. Er spricht nun über den Ankauf der Einrichtung einer Klientin, die nicht verschollen ist. Es ist auch in diesem Fall nur der Verkaufspreis und nicht der Ankaufspreis verzeichnet. Es handelt sich um die Einrichtung der Mme. Gaudin.

Die Verteidigung behauptet, daß der Angeklagte nicht vom Ertrag seiner Möbeltransaktionen seinen Lebensunterhalt bestritten hat.

Staatsanwalt: »Wovon lebte er denn?« –

Es entsteht eine lebhafte Debatte zwischen dem Verteidiger und M. Lagasse, ja es kommt so weit, daß de Moro-Giafferi droht, sich zurückzuziehen. Nachdem sich der Lärm gelegt hat, erscheint der Schriftsachverständige M. Rigault.

Er demonstriert an einer großen schwarzen Tafel, warum die »19« im Briefe der Mme. Guillin nicht von ihrer Hand, sondern von der Landrus herrühren müsse.

Es kommt neuerdings zu einer erregten Debatte zwischen Ankläger und Verteidiger. Schließlich zieht sich M. de Moro-Giafferi wirklich zurück und auch sein Sekretär, M. Navières du Treuil, will infolge einer Äußerung des M. Lagasse das gleiche tun.

Das ganze spielt sich unter kolossalem Lärm ab.

Dazu bemerkt Landru: »Unter solchen Umständen möchte ich am liebsten auch weggehen.« –

Die Sitzung wird auf fünf Minuten unterbrochen. Bei ihrer Wiederaufnahme ist die Verteidigung wieder auf ihrem Platz.

Der Präsident klärt in einigen Worten den Zwischenfall auf, dann wird das Verhör des M. Fouchet und seiner Tochter auf Montag vertagt und die Sitzung aufgehoben.


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