Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Bardy und die Hetäre

Bardy – aus einer verarmten Seitenlinie der siebenbürgischen Grafen Bardy, ein kleiner schwarzer Junge – das war der berühmte Leutnant, dessenwegen man einmal – 1897 oder 98 – das Verordnungsblatt von neuem drucken mußte. Die Geschichte ist sehr bekannt:

Alljährlich am 18. August, Kaisers Geburtstag, wurden im alten Österreich-Ungarn die Militärakademiker ausgemustert – schworen und kamen als Leutnante zur Truppe. Wohin, zu welchem Regiment – das war bis zehn Uhr vormittag tiefes Geheimnis.

Die Akademie aber mußte ihre Leute doch ausrüsten und bekleiden, der Schneider Aufschläge und Knöpfe annähen. Von demselben Schneider ließ man sich einfach eine eigne Uniform anmessen – dann hatte man das Geheimnis sofort heraus: himmelblauer Kragen, gelbe Knöpfe – Gott sei Dank: Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 in Wien.

In seiner Freude über den Haupttreffer Wien zog Bardy die eigne Uniform schon am 17. Abend an und fuhr in den Prater – als Leutnant. Warum nicht? Er war ja Leutnant; die Ernennung vom Kaiser unterschrieben und im Verordnungsblatt gedruckt.

Doch er hatte noch nicht geschworen. Und als er in dieser lustigen Nacht im Prater Händel bekam 206 und den Säbel zog . . . na, da war es nicht Ehrennotwehr des Offiziers, sondern schwere Körperverletzung mit tötlichen Waffen, begangen von einem Akademiker – und es bedurfte aller, aber auch aller Fürbitten von Exzellenztanten und bischöflichen Onkeln und immer wiederholter Hinweise auf Bardys ausgezeichnete Beschreibung und Fähigkeit, damit der arme Kerl mit einem blauen Auge aus der Schlammastik kam und doch noch seinen Rang behielt – freilich nicht bei Deutschmeistern, sondern bei Philippowitsch-Infanterie Nr. 70, meergrün, in Zimony.

– – – Zimony, Semlin, liegt an der untersten Donau, in Slavonien, wo sich Füchse und Hasen Gute Nacht sagen. Ein so flaches, kleines Nest – wenn am Morgen ein Zigeuner betteln nach Zimony kommt, kennt ihn zu Mittag die ganze Stadt.

Ein Bataillon Nr. 70 – das war damals die Garnison. (Später gab es auch Dragoner dort und Landwehr.)

Und dies Bataillon – sollte man's glauben? – fand sein Schicksal garnicht so uneben:

Semlin hatte nämlich immerhin einen Vorzug: es war Grenzstadt. Gegen Serbien. Schief genüber, jenseits der Sawe, liegt Belgrad.

Belgrad war ja damals auch nur ein Nest; aber Hauptstadt eines Reiches; es gab Diplomaten, Minister, einen Hof; Chantants, Theater, Cafés; Damen, Frauen und Weiber.

207 Nun hatte Serbien hohe Einfuhrzölle. Wenn die Belgraderin einen Hut kaufen wollte, setzte sie einen alten Deckel auf und fuhr nach Semlin, ins Österreichisch-Ungarische; wählte was Nettes im Laden – schmiß den alten Deckel in die Sawe und kehrte mit einem funkelneuen Hut auf dem Kopf heim, ohne Zoll zu zahlen. – Auf diese Art sind die Siebziger zu mancher hübschen Bekanntschaft gekommen.

Eines Tages ging Bardy an der Sawe spazieren und erblickte . . .

Nein, schön war sie bei näherm Zusehen eigentlich nicht; aber sehr, sehr scharmant. – Sie sind sonderbar die Balkanfrauen: die stolze, aufrechte Grazie ist vielleicht ein Erbstück von Hellenenzeiten; überaus spröd – das haben sie von den Türkinnen; eine Türkin fühlt sich, wenn sie nur ihre Stimme vor einem Fremden hören ließ, schon so beschämt, als hätte sie sich nackt gezeigt; und bei aller Herbheit gehen diese Frauen so gern, so heimlich, so leicht über die Grenze wie der herbe Negotiner Wein.

Die Bardysche also war Ingenieursgattin aus Belgrad. Drüben, zu Hause, sicherlich eine ängstlich-korrekte Frau. Hier »im Ausland« muß eine blitzplötzliche Lust zum Abenteuer sie überfallen haben.

Da konnte sie an keinen Bessern geraten als an Bardy. Auch er immer wie der Blitz. Ging Tag und Nacht, Jahr und Tag umher in Träumen – und plumps! – in eine Patsche, daß er Monate 208 brauchte, sich herauszufinden. Aus solchen Leuten werden im Frieden Unglückliche – und Helden in der Schlacht: die da um und um Bedenken wälzen, entschließen sich ja nie.

Kurz, Bardy verbrachte eine wahnwitzige Stunde mit der Serbin – und zwischendurch, seine Augen flackerten, deklamierte er ihr . . . Gedichte.

Die Ingenieurin aber war keine alltägliche Frau. Sie fragte ihn:

»Hör, was sind das für Gedichte?«

Bardy reckte sich und sprach:

»Die hab ich gemacht.«

»Du?« – Sie glaubte es nicht recht. – »Und auf wen?«

»Auf dich.«

»Kindskopf! Hast mich doch nie gesehen?«

»Tausendmal im Traum. Ich liebe dich, seit ich lebe.«

Die Serbin wollte immer mehr Gedichte hören – und Bardy deklamierte immer mehr – flammende Verse, die zum Küssen luden – flammende Küsse, die Verse wurden.

»Lieber,« sagte sie, »du bist ja wahrhaftig ein Dichter.«

Und nun bekannte er gern: er wär es auch wirklich – ein oft gedruckter, ein bekannter Lyriker; unter einem undurchdringlichen Pseudonym. Kein Mensch ahnte: ›Nassihuddin‹ ist ein Leutnant, der arme stille Bardy von Siebzig in Semlin.

209 Da fragte die Ingenieurin:

»Höre! Und zahlt man dir auch Geld dafür, wenn man dich druckt?«

»Gewiß.«

»– – – Und schämst du dich nicht . . .?«

»Warum denn?«

»Nun, in deinen Liedern – nicht? – verströmst du dein Blut; deine innersten Regungen verrätst du den Menschen, den Schullehrern, den Kaufmannsfrauen: den Abonnenten. Deine Seele gibst du preis – und läßt dich dafür bezahlen. Pfui!«

Bardy lächelte. – »Ich fühlte mich ein Dilettant, ein Stümper, wenn ich meine Verse umsonst hergäbe. Grade, daß man sie bezahlt, macht mich sicher, stolz und groß. Ein Dichter müßte keine Ehre im Leib haben, wenn er auf den Lohn verzichtete. Shakespeare hat auf Bestellung gestaltet – für Geld – sein Bestes. – Und ich bin Offizier, will für das Vaterland sterben: für's Leben muß mich mein Vaterland bezahlen. Ich nehme auch dieses Geld und erröte nicht.«

Sie war gereizt durch die Erregungen der Liebe – er nicht minder. Sie kamen ins Streiten.

War es ihr ernst oder wollte sie Bardy quälen? – Sie rief:

»Wenn du dich für dein heiliges Sakrament bezahlen läßt – warum ich nicht? Mein Mann ist Beamter – er dreht jeden Groschen dreimal um. Ich bin nach Semlin gekommen, um mir einen 210 Pelz zu kaufen – und soll ohne Pelz zurück, weil er um eine Lappalie mehr kostet, als ich habe? – Gib mir auf der Stelle zwanzig Kronen!«

Bardy kannte das Weib erst seit heut nachmittag – doch ihm war, als seien ihm im Ätherflug die Fittige gebrochen. Die wunderbare Stunde seines Lebens endet: im Dreck.

Zwanzig Kronen. – Er blickte die Frau still an; kam ins Weinen und schluchzte, rasend vor Zorn und Enttäuschung.

Eine Hure – nichts weiter. Zwanzigkronenhure. An die hatte er geglaubt. Nur heut nachmittag – immerhin geglaubt. Wollte ihr das Geld gern hinwerfen und mit runder Gebärde noch tausendmal mehr . . .

. . . wenn er's nur hätte!

Sie ging trotzig, mit kurzem Gruß, und er blieb vernichtet – oh, so beschämt zurück – beschämt, weil er in diesem erzdummen, lumpigen Augenblick zufällig erzdumme, lumpige zwanzig Kronen nicht hatte, um sie dieser . . . dieser . . .

Kaum war sie gegangen, da rannte Bardy, sich zwanzig Kronen zu pumpen, und lief ans Saweufer.

Der Dampfer war davon.

Mit dem nächsten Lokalschiff, in Uniform, wie er war, fuhr Bardy hinüber, nach Belgrad. (Damals, zu König Alexanders Zeiten, durfte man's noch wagen; Österreich stand gut mit Serbien.)

211 Auf alle Art versuchte Bardy, die Ingenieurin aufzufinden. – Vergebens.

Und die zwanzig Kronen brannten ihm im Sack – er mußte, er mußte sie der Canaille geben.

Er mußte sich rächen an ihr, sie erniedrigen. Sie sollte ihr Geld haben; und nicht sagen können: ›Ein österreichischer Offizier hat mich gehabt und ist mir den Lohn schuldig blieben.‹

Nicht einmal – nein, dreißigmal war Bardy drüben; die Ingenieurin erschaute er nirgends. Wußte ihren Namen nicht und konnte doch nicht fragen, um des Himmels willen.

– – – Das blöde Erlebnis bohrte und fraß an seiner Seele.

Da, eines Abends . . .

Eines Abends, Bardy war wiederum in Belgrad und hatte sich die Augen nach der Person ausgeguckt – da versäumte er das letzte Abendschiff.

Was tun? – Nun, ins Theater.

Eine ganz gewöhnliche Vorstellung, ein Boulevardstück. Nichts Berühmtes.

Im Zwischenakt, bei hellerleuchtetem Saal, läßt Bardy gelangweilt seine Bli . . .

Mein Gott! Zwei Jahre hat er sie wie eine Stecknadel gesucht; da sitzt sie – in der Proszeniumsloge.

Mit . . . Aber nein, es ist nicht möglich.

Bardy weiß es felsenfest und glaubt sich's selber nicht. Er zischt den Nachbarn an, heiser und hastig:

212 »Sie! Wer ist das? Die Frau?«

Und der andre, ohne hinzublicken – nach wem sonst konnte der Fremde gefragt haben? –:

»Diese Frau, mein Herr, ist jetzt Ihre Majestät, unsre Königin.« – Man hört deutlich: er billigt die Wahl des Herrschers ganz und gar nicht. – »Sie haben wohl in der Zeitung gelesen: vor kurzem noch Draga Maschin, Gattin eines Ingenieurs . . .« – Der Nachbar nickt bekümmert.

– – – Einmal mußte Bardys wegen das kaiserlich sanktionierte Verordnungsblatt von neuem gedruckt werden. Und derselbe Bardy erlebte das Außerordentliche, einer Königin zwanzig Kronen zu schulden. 213

 


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