Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Cucumeto

Der ›Velasquez‹, 1370 Tonnen, Kapitän Señor Vidal, hatte in Valencia – wie prosaisch – Rohhäute für Genua geladen und obenauf etliche Fässer Öl nach Barcelona und Oneglia.

Wenn man den Duft der Ladung beiseite läßt, wars die reine Idylle – so freundlich hielt sich das Wetter, so lieb und warm die Wintersonne. Sie schien – wir waren ja im Reich Karls des Fünften – garnicht untergehen zu wollen und ging dann doch zu Bett, schämig, rot und zögernd wie eine Braut.

Barcelona spielte mit tausend gespiegelten Bogenlampen venetianische Nacht, als wir einfuhren. Die Krane rasselten, wir löschten die Häute und nahmen statt ihrer eine piepsende Brut von Frauenzimmerchen an Bord. Mister Smith riet auf Singvögel, Señor Don Barnils, der baskische Maler, auf einen Ballettrattenkönig, und recht hatten beide: die Opernstagione im Barceloneser Liceo-Theater war nämlich eben zu Ende, und was da – fünf niedliche Dämchen, zusammen kein Jahrhundert alt – die widerhaarigen Junggesellen schmunzeln machte, hatte gestern an der Rampe des Liceo zum letztenmal gesungen und getanzt.

99 Noch graute der Tag nicht. Die blauweiße Flagge P, das Zeichen der Ausreise, hing naß am Fockmast. Vor dem Fallreep ruhte der königliche Aduanawächter und zuckte hie und da zusammen. Wars der Taufall, der ihn frösteln machte, oder träumte er von Kämpfen mit den Schmugglern? – Da schlich mit seinen Filzsandalen Señor Barnils vorsichtig auf Deck. O, der Schwerenöter! Wenn er aber gemeint hatte, der Neugierigste und Schlaueste zu sein, so irrte er gewaltig – die andern standen ihm durchaus nicht nach: Mister Stork, englischer Possenfabrikant – ich – und sogar der Kapitän, der alte Seebär. Lispelnd und erwartungsvoll umstanden wir die Kajütentreppe, um sie kommen zu sehen. – Ja, wen denn? Die Damen natürlich.

Sie mochten gestern in der Stadt ausführlich Abschied gefeiert haben, daß sie so lang schliefen. Nicht einmal das lärmende Gangspill störte sie mit dem Ankerlichten. Spät vor Mittag wurde das Cabo San Sebastian über Backbord sichtbar mit den Schneegipfeln der Pyrenäen dahinter und in ihrem Schoß die Mauern und Türme von La Puebla. Da hörte man plötzlich Schritte unten . . .

Mister Stork schob die Perücke grade, Señor Barnils den Schal. Doch welche Enttäuschung! Es kam bloß ein verschlafener, mürrischer Mann herauf, der Maestro.

100 Endlich, endlich – sie, die Signorine – einzeln und in so langen Zwischenräumen, daß man jede für sich abschätzen konnte auf ihre Fähigkeit, himmlische Rosen zu flechten.

Zu Mittag haben sich die Ansichten schon gefestigt: Giuseppina ist die hübscheste von allen, Mademoiselle Alice die munterste und Ester die feinste. – Die Unterhaltung ist im Gang. Der Kapitän, dieser iberische Schurke, muß das vorausgesehen haben, so schlecht hat er heute kochen lassen.

»Dio mio« ruft die Munterste, »im Golf du Lion hat das Menü nicht viel zu sagen . . .« Ehe sie noch vollendet hat, wird Ester fahl, bekommt eine hellgrüne Nase und schwankt hinaus . . .

»Diese Weiber! Diese Weiber! Wenn man den Golf nur nennt, auf dem gnädigsten Meer werden sie seekrank.« Also murrt der Kapitän, und die Stimme bleibt ihm halben Weges zwischen Hohn und Staunen stecken.

Da – wir sind eben bei den sauern Orangen, haben über den Maestro was zu lachen – da geschieht etwas, was uns ersteinen macht: ein blutiger Mann steht in der Tür.

Ein Mann, dem vor Angst die Augen aus dem Kopf quellen, der uns sprachlos anstarrt.

Und Blut, lauter Blut der ganze Kopf.

Der Kapitän findet das erste Wort:

»Was ist dir, Juan?«

101 Der Unglückliche glotzt nur.

»Um Himmels Willen, was ist geschehen – was ists, Juan?«

Als kämpfte er mit den Wellen, gurgelt er mühsam und ringend: »Cucumeto!«

Cucumeto, der milchweiße Schiffskater, war in einem Anfall von Tollwut dem alten Steuermann ins Gesicht gesprungen und hatte ihn zerfleischt.

Nun, allzu gemütlich war der Zustand eben nicht. Man denke nur: eine wütende Katze im Schiff. Was – Schiff? – 1370 Tonnen sind ein kleiner Trog. Ein Ferkeltrog. Vom Bug zum Heck kaum drei Sprünge. – Der Maestro hat kurz vorher schauerliche Balladen zum besten gegeben, deren Held er in Sizilien gewesen war – er hat die Geistesgegenwart der Feigen und schließt sofort die Tür. Der Maler beruhigt die kreischenden Fräulein. Mister Stork bemerkt eine offene Luke und verschraubt sie.

»Pardiez,« brummt der Kapitän, »man wird Cucumeto töten müssen. Wo ist er denn?«

Ja, wo ist er?! Such auf einem Frachtschiff von 1370 Tonnen einen Kater! Zwischen den Ölfässern auf Deck kann er sein oder achtern im Tauwerk. Berühr einen Sack, so springt er auf dich hervor, lüft eine Leinenhülle, und er ist darunter. Wie kann man einen tollen Kater finden?

Aber: getötet muß er werden – das ist klar. Am Ende habens die Matrosen schon besorgt.

102 Der Kapitän besinnt sich auf seine Pflicht, plissiert die Stirn und steht waghalsig auf. Die Damen kreischen. Er zögert . . . drückt entschlossen die Klinke . . . blinzelt durch den Spalt in den Flurgang – – und draußen sind sie: er und der Steuermann. Der Maestro sperrt fürsorglich fest die Tür.

Zuerst ein beklemmendes Schweigen, einer sieht den andern an. Dann beginnen die Männer die Lage zu erwägen.

Es ist Nachmittag. Daß man Cucumeto nicht finden und unschädlich machen wird, daran ist leider kein Zweifel. Oneglia, den nächsten Bestimmungshafen, aber erreichen wir vor übermorgen nicht. Wir werden also vom Kapitän verlangen, daß er noch heute entweder Narbonne oder Cette anlaufe und uns ausschiffe. So viel Rücksicht dürfen wir Passagiere wohl erwarten. Denn daß wir mit einem wütenden Tier an Bord weiterfahren, kann uns doch niemand zumuten, besonders nicht den Damen.

Der weibliche Chorus stimmt begeistert ein:

»Jawohl, jawohl – Narbonne anlaufen und alles ausschiffen.«

Indessen waren Barnils und ich ungeduldig geworden und gingen, allen Abmahnungen zum Trotz, Umschau halten. Wir fanden den Kapitän auf der Kommandobrücke. Da schritt er auf und ab, der gereizte Grimmbär, spuckte nach Lee und 103 betete die unaussprechlichsten spanischen Flüche auf Katzen und Weiber ab wie das Vaterunser.

»Was ists, Padrone?«

»Was ists! Was ists! Einen tollen Kater haben wir an Bord, und in Oneglia werden sie uns die Pratica verweigern. – O, diese Frauenzimmer! Diese Frauenzimmer!«

»Padrone, was können die armen Frauenzimmer dafür? Die haben doch, weiß Gott, Ihren Steuermann nicht gebissen?«

»Aber schwätzen werden sie. Sie werden in Oneglia an Land gehen und von Cucumeto umplärren – bis es die Sanita erfährt – und die Suppe ist fertig.«

Meiner Treu, er hat recht: man wird uns gar nicht landen lassen, oder doch erst nach vielen Schwierigkeiten.

»Wissen Sie was, Padrone? Wir machen eine regelrechte Treibjagd – alle Herren und die verfügbare Mannschaft. Wenn der Kater erschlagen ist, bekommen wir sicherlich die liberia pratica.Vor dem Steuermann wird man sich wohl nicht fürchten?«

Zeit ist Geld, sagen die Amerikaner, die so wenig Zeit und so viel Geld haben. Bei den Südländern ists anders. Der Seebär schloß sich in seine Kajüte, trank altspanischen Wein im Urtext, den er für uns nur in einer volkstümlichen Bearbeitung herausgibt, und . . . erschien endlich nach zwei Stunden mit einem Entschluß:

104 Treibjagd.

Jedermann mußte ausrücken. Im ersten Treffen standen vier Matrosen mit wackern Tauenden; im zweiten Señor Don Barnils mit einem Mantel à la torero – ich – und der Schiffskoch mit der Flinte, die er vornehmen Passagieren gewerbsmäßig zum Möwenschießen borgt; weiter hinten hielten sich die übrigen.

Es war um 17 Uhr italienischer Zeit. Schlaff hing die Logleine, drehte sich stockend, und die Loguhr zeigte – klim . . . bim! – acht oder neun Knoten Fahrt.

Da winkte der Kapitän. Unsre vier Brackierer verschwanden in der Tiefe des Laderaumes. Man hörte sie rufen und mit den Tauenden lärmen. Und ehe wir noch begriffen, woher es gekommen war, leuchtete etwas Weißes auf den Wanten – höher – höher: Cucumeto. Der Koch schoß zuerst – dann knatterte meine Mauserpistole ihre zehn Patronen in einem Augenblick hinaus – so schnell, wie Don Barnils den Revolver grade einmal abzog.

Und Cucumeto? Der war unsichtbar. Alles Pulver hatte umsonst geraucht.

»Maestro! Maestro!« rief es jammernd: Fräulein Alice. Ein Gefühl, das stärker war als der Trieb des Lebens, hatte sie aus der bombensichern Deckung des Salons heraus in die Schlacht gezogen. Weinend ergriff sie des teuern Mannes 105 Hand, und er mußte ihr folgen . . . nicht, ohne uns andern durch Blick und Achselzucken anzudeuten: »Sagt selbst – kann ich anders, da sie es so will?«

Der erste Flüchtling macht die Niederlage. Wir folgten dem Maestro.

In dieser Nacht – kein Zureden veranlaßte die Damen, ihre Kajüten aufzusuchen – in dieser Nacht war nur von der Wutkrankheit die Rede. Cucumeto, versicherte Alice, sei jetzt weniger zu fürchten als der Steuermann. Denn auch bei ihm werde die Tollheit – sieben Minuten waren schon vorbei – sieben Stunden nach dem Biß ausbrechen. Señor Barnils bestritt es: die Krankheit könne auch später kommen. So blieben die Damen immer in ihrer Angst – die Nacht über und den folgenden Tag.

Uns andre hatten die Stunden der Spannung fast gleichgültig gemacht. Am nächsten Abend wagte sich Señor Barnils sogar auf Deck, und ich mit ihm. Die Sterne funkelten, das Drehfeuer von Planier schlitzte den Horizont, man sah seine Strahlenbündel über den Meeresspiegel fegen. Ein frischer Levante blies. Ach was, Cucumeto! Der Satan hole alle tollen Kater!

Auf dem Rost über dem Maschinenraum, wo es so schön warm ist, hockte Georgios, der griechische Schiffslausbub, und pfiff seine Lieder in die südliche Nacht; aufreizend trübsinnig.

106 Ein Dampfer kam uns entgegen. Im Nähern wichen seine Positionslaternen auseinander, man hörte das dreifache Gradeaussignal von den Uferbergen widerhallen, sah die Lichtzeilen der Rivierakurorte wie einen großartigen Fackelzug huldigender Vereine vorübergleiten – und so verging die lange, lange Qual und Weile.

Als wir Glock Zwölf unter Deck stiegen, saßen sie alle noch wach im Salon, unsre Reisegenossen, und zitterten vor dem tollen Kater.

Früh am Morgen ging die Sonne auf und galvanisierte die See mit einer Schicht von poliertem Kupfer. Im Kielwasser spielten die Delphine.

Da, dicht vor Queglia, gabs neuerlichen Schrecken:

»Cucumeto ist in der Kombüse.«

Zuerst wars ein Gerücht, eine Vermutung. Dann mußte der Schiffsjunge an einer Strickleiter außerbords hinabklettern und durch die Luke in die Kombüse gucken. Richtig, der Kater lauerte drin.

Langsam wie der Kunktator – doch in der Bedächtigkeit stak seine Größe – traf der alte Seebär die Anstalten zur Schlacht. Und als jeder auf seinem Posten stand, als alle die Gefahr des Augenblicks begriffen hatten: da mußte der Schiffslausbub die Tür aufstoßen.

Und als er sie aufgestoßen hatte, hingen vier Tauenden schlagfertig in der Luft, drei Läufe waren gerichtet.

107 Auf der Schwelle aber stand der Kater Cucumeto mit einer Maus in den Zähnchen und äugte uns mit verwunderten Lichtern an.

Der – und toll? Ach, das fiel ihm gar nicht ein. – Was andres wars: den Schweif hatte ihm der Steuermann abgetreten – und das läßt sich der zehnte Kater nicht gefallen. 108

 


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