Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Die Johannisfeier

Die Hanuma des Hassan-Begs war krank. O, sehr krank. Ob ihr der viele Kaffee geschadet hatte – denn manchen Tag trank sie wohl fünfzig Tassen – oder hatte jemand sie besprochen – genug, sie war ganz anders als ehedem; schwermütig, schwach und manchmal wieder so zornig, als ob sie, Gott behüte, toll wäre.

Der Beg war um sein Weib sehr besorgt. Er befahl der alten Christa, seiner Hausserbin, jeden Morgen von neuem: sie möge ja alles versuchen, um die Hanuma zu heilen.

Und man versuchte wirklich alles.

Man rief die Frau des türkischen Pfarrers herbei. Sie setzte der Hanuma einen Besenstiel auf den Leib und drehte ihn siebenmal herum. Es nutzte nichts. Sie massierte der Hanuma den Magen aus dem Daumen zurück – denn er war ihr wahrscheinlich dahin gefallen – band ihr den Arm ab, bis er blau wurde, hieß sie dann sich auf den Arm legen – – es nutzte wieder nichts. Vom Magen konnte also das Übel nicht stammen.

In der Zigeuner-Vorstadt wohnt die Witwe eines Apotheker-Laboranten, eine Katholikin. Man rief auch sie. Sie schöpfte eine grüne, irdene Schüssel voll Wasser, zerließ auf dem Herd eine fliegende Kugel – also eine, die schon einmal 115 abgeschossen worden war – und goß das flüssige Blei ins Wasser. Die Hanuma mußte über sich rückwärts in die Schüssel greifen und mit den nassen Fingern Brust und Lenden benetzen. Ein wenig besser wurde ihr zwar davon, am nächsten Tag aber fühlte sie sich elender als je.

Antunakis, der spaniolische Doktor, kam mit seiner Feuerzange. Die Hanuma trat hinter einen Vorhang, streckte den verhüllten Arm hervor, und Antunakis fühlte ihr von außen mit der Zange den Puls.

»Na, was fehlt ihr?« fragte der Beg. »Hat sie Fieber?«

Antunakis nickte.

Die Hausserbin eilte sogleich zu Edhem, einem Kaufmann, der sich auf derlei Dinge besonders versteht, und ließ für die Hanuma gegen ein Entgelt von zehn Eiern einen Fieberfaden knüpfen. Edhem hat in seinem Laden etliche hundert weiße Fäden an einem Nagel zugeschnitten hangen; rupfte einen Faden ab, begann Koransprüche zu murmeln – knotete und küßte die Knoten, murmelte und band die Sprüche, bis der Fieberfaden fertig war.

»Wo soll sie ihn tragen?« fragte die Serbin.

Edhem deutete auf den Hals.

»Aber sie hat das Fieber doch im Herzen.«

Der Kaufmann schlug die Augen auf mit einem Ausdruck, der keinen Widerspruch duldete, und 116 deutete noch einmal auf den Hals. Brummend, ungläubig und kopfschüttelnd zog die Serbin ab mit dem Entschluß, für die Begowitza-Hanuma auch noch einen Sapis beim Popen machen zu lassen, denn der Faden des eigensinnigen Türken würde ohnehin nicht helfen.

Der Pope war sofort bereit und schrieb auf ein Stück Papier einen Vers aus dem Evangelium zum Schlucken und einen zweiten, den die Hanuma in der Hose tragen sollte.

Allen diesen Kuren zum Trotz verschlimmerte sich die Krankheit der Hanuma immer mehr. Anfang Juni traten Lachkrämpfe hinzu, die schon an Tobsucht gemahnten. Die weiblichen Verwandten des Hauses waren einig darin, daß die Hanuma besessen sei, und suchten den Beg zu bewegen, seine Frau nach Podmiljatscha wallfahren zu lassen.

Der Beg sträubte sich lange. Wenn Allah Antunakis und den andern nicht die Kraft gegeben hat, die Hanuma zu heilen – wie soll es den Ziegenböcken – Franziskanern – von Podmiljatscha gelingen?

Nach einem besonders heftigen Anfall, als man deutlich den Teufel aus der Hanuma bellen hörte, gab der starrköpfige Gatte nach.

– – –

Podmiljatscha ist ein einsames Kirchlein in der Felsenschlucht Werbas-abwärts von Jeitze. Einstens, 117 vor vielen, vielen Jahren, stand das Kirchlein drüben auf den Bergen des linken Werbasufers, und die Moslem benutzten es als Ziegenstall. Da wurde eine Hanuma unterwegs von Wehen befallen, konnte aber nicht gebären. Schmerzgequält erreichte sie die entweihte Kirche – und kaum hatte sie sie betreten, da ging die Geburt wunderbar leicht vor sich.

»Ach, daß dieser Gnadenort doch auf meinem Grund und Boden stünde!« sagte sie, und hatte es noch nicht gesagt, da ragte das Kirchlein schon aus ihrem Garten – eben dort, wo es jetzt ohne Grundmauern steht. Der heilige Johannes selber hatte es hinübergeschafft.

Sogleich schenkte die Hanuma die Kirche den Franziskanern. Der heilige Johannes aber fährt fort, dem Haus seiner Anbetung die wunderbarsten Gnaden zu erweisen. Sooft ein Stein aus dem Gefüge dieser Mauern fällt, fügt ihn der Heilige über Nacht wieder ein und ersetzt auch den Mörtel, den die Pilger aus den Quaderfugen kratzen.

Am Vorabend des Johannistages belebt sich die schmale Ebene aus dem Flußufer vor dem Kirchlein. Ein ungeheurer Menschenstrom rauscht von Norden ein durch die Werbasenge und mischt sich zu tosendem Strudel mit den Gästen, die über Jeitze vom Balkan hergekommen sind. Hunderte von Laubhütten sind für die Verkäufer von 118 tausenderlei Waren aufgerichtet. Man spielt Roulette um Süßigkeiten und folgt den lockenden Flötentönen des Marzipanverkäufers. Auch der Moslem trinkt gern roten Likör, wenn ihn der Wirt als Fruchtsaft anpreist und dadurch die Sünde des Genusses auf sich nimmt.

Je dunkler es wird, desto heller flackern unzählige Lagerfeuer. Ihr Rauch zieht bläulich als lückenloser Schleier vor dem Wind und trägt den Duft von unzähligen Hammelbraten würzig mit sich. Geschrei und Lustbarkeit klingt in den Laut der Kirchenglocken.

Franziskanermönche mit kriegerischen Schnurrbärten reiten auf kleinen Pferden hin und wieder, begrüßen die Kleriker, die Erzbischof Stadler aus Sarajewo entsendet hat, drücken alten Bekannten die Hände und zählen schmunzelnd die Wagen der Pilger.

Da ist jeder Glaube, Stand und Ort vertreten: die Türkin aus der Herzegowina mit roter Samtmaske – der Trawniker Bauer mit halbrasiertem Kopf und Zöpfen – tätowierte Katholiken mit grellroten, dickgewickelten Turbantüchern – Spaniolen – bosnische Gendarmen – Albanier mit weißen, schwarzverschnürten Tuchanzügen (sie rufen Gebäck und Maisbier aus) – serbische Frauen mit Seidenhosen, Schuppenhalsbändern von Dukaten und goldgestickten Käppchen – Mädchen aus der Sawegegend, kenntlich an ihrem Haar, 119 das sie mit schwarzer Wolle, Fingerhüten und Münzen durchflochten tragen – kokett aufgeputzte Zigeunermusikanten mit Sträußchen im Strumpfband – Türken aus Konstantinopel und von Kreta – Griechen – Österreicher – elegante Damen –.Bettler mit ekelhaften Gebresten – Arm und Reich – Nord und Süden. – Längst sind die Glühwürmchen scheu in die Büsche geflüchtet.

Nach Podmiljatscha also kam die Begowitza-Hanuma am Abend des 23. Juni in ihrer Plachenkarosse. Sie brauchte nicht viel zu forschen und zu fragen. In den verworrensten Menschenknäuel wurde sie von ihrer Serbin geführt und sollte gleich den andern Besessenen kniefällig um die Kirche rutschen.

Der Brauch war ihr neu, der Türkin. Sie lernte ihn bald. Stundenlang machte sie die Marter mit auf den spitzen, kalten Steinen, und weil sie nicht nach Art der meisten, die hier beteten, die jungfräuliche Muttergottes anzurufen wußte und den heiligen Johannes, lallte sie ihr »la ilahe-illel-lah« – »kein Gott ist außer Gott.«

Die Erschöpfte und Verwundete wurde von der Dienerin auf den Wagen zurückgebracht, in die Polster gebettet und bis zum Anbruch der Dämmerung bewacht.

Als die schrillen Kirchenglocken zur Frühmette riefen, schrak die Hanuma auf und jammerte und wand sich.

120 Fünf, sechs Leute blieben vor dem Wagen stehen und nickten einander zu: wieder eine, aus der der Teufel bellt. Dann bekreuzigten sie sich, nach ihrer Sitte mit der flachen Hand.

Die Kirche war gedrängt voll, und vor ihrer Tür hing noch eine zehnmal größere Schwarmtraube summender Völker. Stehend und knieend tat man seine Andacht, öffnete die Arme zur Klafter, spreizte sie wie Geweihe oder faltete christlich die Hände zum Gebet. Jeder wollte dem Altar zunächst sein; nur den Besessenen ließ man willig den Vortritt. Sie verrieten sich durch Geschrei und Fratzen.

Nach dem Hochamt kamen die Gendarmen und räumten Schiff und Sakristei. Draußen aber musterte Fra Marian, der Diözesanpfarrer, die Hilfesuchenden. Da galt kein Bitten und Flehen. Wen er für irrsinnig hielt, schickte er weg. Die heulende Menge der Besessenen durfte eintreten.

Und nun umgaben sie einen jungen, bleichen Mönch, der sich durch Fasten und Beten auf die Teufelsaustreibung vorbereitet hatte. Glaubenseifer und ängstliche Erregung blitzten aus seinen Augen. Als ihm eine dralle Magd, die man bis zur Unbeweglichkeit gebunden hatte, schamlose Worte zurief, als drüben ein Krüppel geifernd hinfiel und sich bis zu des Priesters Füßen wälzte – da schien den entkräfteten Mann am Altar eine Ohnmacht anzuwandeln. Er biß die Zähne 121 aufeinander und zelebrierte gleichwohl die Messe. Die Amtsbrüder standen bei ihm.

Es ist eine Eigenheit des Teufels, zu antworten, in welcher Sprache man ihn auch anreden möge – denn er versteht jede. Fra Marian macht sichs zu nutze und geht unter den Leidenden umher, um die letzte Sonderung der Besessenen von jenen vorzunehmen, die Gott mit Irrsinn bestraft hat.

»Quomodo vocaris?« fragt er die Gefesselte.

Sie bleckt die Zunge aus und sprudelt wieder unflätiges Zeug. Dafür muß sie den heiligen Ort verlassen.

»Exi!« befiehlt der Mönch dem Satan in dem Krüppel.

Der Krüppel schüttelt den Kopf – ein Besessener.

»Unde es?«

Keine Antwort.

»Unde es?«

Der Krüppel greift sich an die Brust. Dort also sitzt der Teufel.

Bei der Hanuma bedarf es garnicht erst der Probe. Auf den Vorhalt eines christlichen Greises, warum sie statt des islamitischen Hodjas die Franziskaner aufsuche, hat sie ihr »la ilahe-illel-lah« gerufen – »kein Gott ist außer Gott.«

Die Messe ist zu Ende. Über jedem einzelnen Kranken hält nun der junge Mönch die precatio supra aegrotos: 122

»Jesus Christus, dominus noster
apud te sit, ut te defendat,
intra te sit, ut te conservet,
ante te sit, ut te ducat,
post te sit, ut te costodiat,
super te sit, ut te benedicat.
«

Fra Marian mit dem Weihwedel, Fra Luka mit dem Kruzifix sind bei ihm. Wenn ein hartnäckiger Teufel nicht gleich weichen will, wiederholt man das Verfahren. Manche Besessenen erwachen unter dem kalten Guß des Weihwassers aus der Ohnmacht, andre fahren fort zu lästern. Sie müssen sich einem schärfern Exorzismus unterwerfen.

Die Franziskaner betreiben ihn mit Eifer. Doch es gelingt nicht immer, wie es bei Anka Messarowitsch aus Dusluk gelungen ist. Die bereitete sich immer heimlich Speisen, bis die Mutter es einmal merkte und sie verfluchte:

»Hättest du doch den Teufel gegessen!«

Von Stund an kämpfte das Mädchen mit schrecklichen Anfällen. Die Eltern wußten sich mit ihr nicht mehr zu helfen. Panduren kamen und schleppten sie in die Kirche – da mühte sich der Pfarrer und später ein Kanonikus vergebens um sie. Sie rief ihnen zu: »Ihr seid sündig« – und blieb im Bann der Hölle.

Endlich telegraphierte man um einen Kaplan, einen bewährten Exorzisten. Er war kaum erschienen, da rief der Teufel aus der Kranken: 123

»Du bist mein Verhängnis. Wo soll ich hinaus?«

»Durch das Fenster,« antwortete der Kaplan, »und gib uns ein Zeichen, wenn du entwichen bist.«

Das Fenster sprang auf, die Lampe erlosch, das Mädchen war geheilt. – Scheu erzählen sichs die Bauern.

Ein andermal trieb man den Teufel aus einer Serbin. Einem Glaubensgenossen gefiel nicht, daß sie zu den Ziegenböcken gegangen war – er neckte sie mit ihrem Aberglauben.

»Gib du lieber die gestohlenen Schindeln zurück,« entgegnete sie, die ihn garnicht kannte. Man forschte nach, fand wirklich, daß er ein Dieb war, und brachte ihn ins Gefängnis.

Von rechts nach links fortschreitend, waren die Teufelsbanner bis zu einem schwermütigen Moslem gekommen, der mit der seidenen Achmedia auf dem Kopf aufrecht mitten in der Kirche stand. Fra Luka hielt ihm ein Kruzifix hin; der Türke wollte es eben widerstrebend küssen.

Wie eine Tigerin sprang die Hanuma auf und stellte sich zwischen die Franziskaner. Ihr weißer Gesichtsschleier, der Jaschmak, war ihr niedergeglitten, das Kopftuch fiel zurück, und nun stand sie da mit ihren hagern Zügen und heftete verbietend die Augen auf den Abtrünnigen. Selbst die Franziskaner hielten betroffen inne; denn sie hatten noch niemals eine Türkin unverschleiert gesehen.

124 »Ihr verehrt doch auch unsern Heiland als Heiligen – Issa alejhi selam,« rief Fra Luka.

Da küßte der Moslem das Kruzifix.

Die Hanuma fuhr zurück. »La ilahe-illel-lah,« schrie sie, hob ihren schwarzen Mantel auf und tanzte eine Tarantella vor dem Altar, daß die Absätze der gelben Stiefel nur so klapperten.

Der junge Mönch erbleichte. Rasch wandte er sich ihr zu.

Erst nach drei Exorzismen fiel sie erschöpft auf die Steine und ließ willig geschehen, daß man ihr die Lippen mit dem Kruzifix berührte.

»Seht, auch diesen Teufel haben sie besiegt,« raunte man im Volk. Und pries aufs neue und aber neue die Wunder des Johannistages. 125

 


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