Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Arbeit an der Wuka

Als Mile Rudan nach Wien auf die Hochschule ging, war Maria Wilitsch ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen.

Als er nach drei Jahren wiederkam, war sie so erwachsen, daß er sich gehörig zusammennehmen mußte, es zu fassen. Und es gelang. So gründlich, daß er eine Woche später über die Ohren in sie verliebt war und nach zwei Wochen sie in ihn noch viel mehr und unsagbar. Sie gestandens einander, küßten einander und lebten in seliger Weltvergessenheit zwei, drei Jahrtausende.

Endlich, nach den Ferien, sollte Mile wieder zurück nach Wien gehen. Wie ein Gespenst nahte mit weitausgreifenden Schritten die Stunde des Abschieds. Eh es noch so weit war, hatte Mile Rudan seinen Prüfungsfrack angetan und stand im Eßzimmer der Frau Wilitsch. Seine wirre Erinnerung überflog die Ansprache, die er gemeinsam mit Maria zurechtgefügt hatte.

Er wußte, Frau Wilitsch würde nicht überrascht sein. Maria hatte sie ja am Abend vorher von allem unterrichtet und ihr die Einwilligung fast schon abgerungen. Die Hände der Frau Wilitsch schienen gar nicht willens, allzu fest den Schatz zu halten, den er ihnen entreißen wollte.

28 Es ist eine alte Geschichte: die Mütter lachen, wenn sich die Töchter verloben, und weinen auf der Hochzeit. In der Vorstellung dünkt die Sache den Müttern erstrebenswert, notwendig und erfreulich – abscheulich, herzlos in der Wirklichkeit.

Frau Wilitsch trat also ein.

Mile besann sich auf die Ansprache. Ab und zu hielt er inne, um Frau Wilitsch Gelegenheit zu geben, ihn mit einem freudigen Wort zu unterbrechen. – Er wartete vergebens.

Die Frau saß vor ihm und hatte auf den Lippen ein scheues Lächeln, das um Verzeihung bitten wollte, in den Augen einen scheuen Blick. Rudan begann die Frau vor sich als Feind zu fühlen und wich von dem Entwurf ab. Er verteidigte seine junge Liebe, sein junges Glück vor diesem Feind mit heißen Worten.

»Das letzte Tröpfchen Blut für Maria, gnädige Frau! Glauben Sie mir, daß nichts, nichts und niemand uns trennen kann.«

Frau Wilitsch wiegte das Haupt und sprach endlich:

»Te–te! Was für große Worte, lieber Mile!«

»Würdig der großen Sache,« rief er begeistert.

»Große Sache! Te–te! Sie haben recht: 's ist eine große Sache, das Heiraten. Eine große Sache, einem ein Kind hinzugeben, bei dem es ausharren soll in guten und bösen Tagen . . .«

29 Dann sank sie in ihren Speck zurück, als wollte sie sich gegen alle Angriffe dahinter verschanzen. Schwieg und ließ Mile weiterreden.

Plötzlich unterbrach sie ihn. »Es geht halt nicht. Es geht nicht,« rief sie mit schmerzlicher Entschiedenheit. »Ich hab mit meinen Söhnen gesprochen. Beide sagen, daß es nicht geht. Was will ich gegen das Schicksal? Sie haben da einen großen Besitz an der Wuka, ich weiß. Aber alles unter Wasser. Wovon wollen Sie mit meiner Maria leben? – Es geht nicht.«

Mile kämpfte heldenhaft. Da sie aber zuerst bei ihrem »Es geht halt nicht« blieb und dann überhaupt nur mehr »Te–te« gluckste, gab er es auf, mit der Dummheit zu streiten. Reden sind schwache Truppen; Tatsachen siegen.

– – –

Nachmittag fand er Maria wie immer auf dem Kreuzweg. Sie hatte rotgeweinte Augen. Mit leiser, trauriger Stimme berichtete sie ihm, daß ihre Sache verloren sei.

»Verloren, Maria?« rief er stürmisch. »Nur wenn ich deine Liebe verlöre. Wenn du den Glauben an mich verlörest, Herzlieb.«

Und Maria erzählte, wie die großen Brüder ihn spottend den Wasserjunker nennen und sie mit dem Froschpalast necken, in dem sie wohnen werde. Selbst der kleine Bruder, ihr Liebling, habe 30 aufgeschnappt, wovon die Rede war, und ihr höhnisch ein Quoaxquoax nachgerufen.

Rudans Stirn rötete sich. Ein paar Herzschläge lang ermaß er die ganze Tiefe des Schmerzes, wenn er von Maria lassen müßte. Eher das Licht seiner Augen als Maria. Und er ermaß auch die Größe der Gefahr, die ihn bedrohte.

»Maria, willst du mir schwören, daß du treu auf mich warten wirst – nur einen, zwei Sommer lang, nur so lang« – er lächelte mühsam – »bis der Platz trocken ist, wo unser Palast stehen soll?«

»Ich schwöre, Mile!«

»Nicht so, Maria! Willst du mirs vor der Mutter Gottes schwören?«

Sie erbleichte ein wenig, dann war sie bereit. Sie wandten sich der Waldkapelle zu.

Vor dem Altar, dem wundertätigen Bild Mariä sprach sie andächtig den Schwur der Treue. Ihre leise, erschrockene Stimme rang sich kaum hörbar aus der Kehle.

Er aber sagte laut und feierlich:

»Ich schwöre zu Gott, zur Mutter Gottes und allen lieben Heiligen, daß ich dich treu und fest lieben werde, daß ich dich nie verlassen will, nicht in guten, nicht in bösen Tagen.«

Als sie aus der Dämmerung ins Sonnenlicht traten, da war ihr vor der Wucht des Augenblicks der rosige Schein auf dem Kinderangesicht verblichen. Seine Augen aber leuchteten.

31 Sie küßten einander – lang, sanft und herzinnig, wie Neuvermählte sich küssen.

– – –

Am nächsten Morgen steht Rudan mit Lodenjoppe und Wasserstiefeln an der Wuka und überblickt sein Gut – den Sumpf.

Er ist also zu arm für Maria? Es ist wahr, von seinen zweitausend Jochen liegen drei Vierteile im Wasser. Aber gedeiht auf dieser lieben jungfräulichen Erde heute auch nur üppigschießendes Rohr – in einem Jahr soll sie Weizen tragen, so weit das Auge reicht, und nicht anders als im Viererzug wird er sich Maria holen von heut in einem Jahr. Haben denn die Brüder Wilitsch geschlafen, als die Landesregierung die böse Wuka zähmte? Wissen sie nichts von den Millionen, die es gekostet hat, und den goldnen Bergen, die man den zögernden Landwirten versprach, als man die Riesenschuld auf die Besitzer wälzte?

Ein leiser Wind raschelt durch die Binsen. Sie knistern und knacken und schwanken durcheinander und nicken Rudan mit ihren Federbüschen zu. Hoch im Himmel streicht ein Dreieck wilder Enten, und leise, leise in sonniger Ferne zieht seine lauernden Kreise der Weih.

Mit freudigem Stolz faßt Rudan seine Entschlüsse. Er wird eine Hypothek aufnehmen, so groß wie irgend möglich. Ein tüchtiger 32 Kulturingenieur aus Wien – er kennt ihn – wird die Pläne zeichnen. Und dann geht's los: Gräben, Schleusen, Kanäle, Dämme – bis jede Spur von Wasser aus diesem lockern Torf gepreßt ist und aufgetunkt wie ein Tintenklex durch Löschpapier. Wo jetzt ein Fischer seine armen Netze flickt – dort in die große Pfütze kommt ein Vorwerk. Wo der Storch die Frösche jagt, wird übers Jahr ein Häschen Haken schlagen, und wo der Reiher schreit, eine Dreschmaschine surren.

– – –

Nikola Duditsch, der Partieführer, hat den ersten Spatenstich getan, und bedächtige Schwaben teilen sich nach ihm in die Arbeit. Allenthalben hat der Herr Ingenieur nivelliert, ausgesteckt und abgemessen. Rechts und links ragen die dünnen Stangen der Signale. Kalkübertünchte Schindelkreuze weisen dem großen Kanal den Weg, kleine Pflöcke bezeichnen die Gräben. Nikola läuft von Partie zu Partie, zieht buchstabierend sein schmieriges Taschenbuch zu Rat, spannt Rebschnüre zwischen den Pflöckchen und fährt mit dem breiten Daumen am Zollstock hin und her, wenn es heißt, die Tiefe der Sohle unter dem ausgesparten, gewachsenen Rasenbrücklein zu messen.

Schon rieselts unter dem arbeitenden Spaten lustig der regulierten Wuka zu. Je weiter ins Land die Gräben ihre Fühler strecken, desto frischer läuft das Wasser.

33 Als es so recht quirlt und trippelt, kneift Mile Rudan fröhlich die Augen zusammen und reibt die Faust im Handteller. Wartet nur, ihr lieben Brüder Wilitsch! Der Viererzug, der die Braut holen wird, frißt gräflichen Hafer . . .

Des Schafhirten jüngster Bub hat noch selten einen so glühenden Brief wie heut zu Maria getragen.

– – –

Und doch – jede Woche einmal erleidet Mile Rudans aufbrausende Zuversicht einen Schrecken. Das ist am Samstagabend, wenn Duditsch rechnen kommt. Der Herr Ingenieur raucht eine Zigarre und hört aufmerksam zu, wie Duditsch eintönig seine Kubikmeter vorsagt. Aber je mehr ihrer werden, desto erregter zupft Mile an seinem Schnurrbart. Wenn die Summe der Erdbewegung einer Woche ermittelt ist, fragt er zweifelnd: »Ist es denn möglich? So viel?« – Er prüft Ziffer für Ziffer. Endlich ist er mit seinem Stift am untern Rand des Ausweises angekommen und hat den erhofften »großen Fehler« doch nicht gefunden. Seufzend erhebt er sich und holt das Geld aus der Kasse. »Eins – zwei – drei – vier . . .,« zählt er die Hunderter vom Stoß, und Nikola Duditsch sieht ihm auf die Finger. Dann tut er einen Blick in die Kasse unter gerunzelten Brauen – kreischend schließt sich die Tür – und eine Woche ist vorbei. – Sommerarbeit, teure Arbeit.

34 Für Montag hat Rudan Maria eingeladen. Es ist ein Wagnis, wenn sie kommt. Ah, die Zeit aber ist nicht fern, wo sie frei und offen kommen und gehen wird.

Die erste Tafel ist trockengelegt. Hundert fleißige Hände haben die Binsen abgeschnitten und den neuen Damm entlang zu hohen Kegeln getürmt. Dieselben hundert Hände reißen jetzt das Wurzelwerk der Sahlweiden aus dem Boden, der so braun und locker wie Kaffeesatz ist. Heute soll das erste Rodefeuer brennen. Auf der gereinigten Tafel selbst darf mans nicht anzünden, es könnte den Torf rundum ergreifen und sich tief in den Grund fressen. Wenn der Torf auch unten noch naß genug ist, zu widerstehen – einen Arm tief glömme er doch. Das Ende wäre fruchtbare Asche, aber auch ein Verlust von zehn Zentimetern an der Höhenlage. Ein zehn Zentimeter kleineres Gefälle – welch unermeßlicher Schaden in dieser Ebene von tückischem Moor!

Maria selbst muß den ersten Binsenkegel in Brand stecken. So hats Mile gewünscht. Lachend sehen die Arbeiter zu, wie mädchenhaft ungeschickt sie es anfängt. Plötzlich, mit einem Aufleuchten packt das Feuer seine Beute, und wie ein ausgehungertes Raubtier würgt es sie nieder. Da blickt Rudan stolz seine heimliche Braut an. Mitten in den brenzlichen Rauchwolken steht er, läßt sich von ihnen umwallen und saugt ihren Duft ein. 35 Und desto höher schlägt ihm das Herz, je toller die Funken um ihn stieben.

Maria steht neben ihm, angstvoll vor einer haushoch aufschlagenden Flamme. Rudan beugt sich zu Maria nieder und fragt:

»Was bist du übers Jahr?«

»Frau! Frau!« krächzt ein halb Dutzend Raben – die hat der Rauch aus ihrem Lager gescheucht. »Frau! Frau!« schreien sie ein übers andre Mal und flattern in die Weite.

Rudan sieht ihnen dankbar nach. Er wird nie mehr einen Raben schießen. Zu Haus, bei Wilitsch auf der Pußta, hüpft auch solch ein großschnäbliger Philosoph umher, unbeholfen mit seinen gestutzten Flügeln. Wie oft hat er schon die zwei Verliebten belauscht, mit klugen, zwinkernden Vogelaugen ihre Händedrücke gesehen und brav geschwiegen . . .

»Frau! Frau!« klingts noch einmal aus verlorner Ferne. Da lachen Rudan und Maria einander an wie sorglose Kinder und wissen ihr sorgloses Kinderglück mit spannweiten Armen nicht zu umfassen.

– – –

Heute liegt ein kalter, graugelber, ekliger Nebel auf den Feldern; man meint, er wolle einen ersticken. Sieben Tage und sieben Nächte lang hat es geregnet, und auch jetzt nieselt von Stunde zu Stunde ein beinkaltes Nebelreißen.

Der Herr Ingenieur patscht übellaunig durch den Sumpf, der Gehilfe mit den Instrumenten 36 und Stangen immer hinterdrein. Unruhig folgt Rudan.

Es ist wie verhext. Die Wassergeister der Wuka müssen sich rein mit den Wettern des Himmels verschworen haben. Wie ein Schwamm hat dieser durstige Geizhals von Torfboden die Nässe aufgesogen und mag sie gar nimmer hergeben. Wo der Ingenieur und Rudan hintreten, gurgelt das Grundwasser in ihren Fußstapfen auf. Und alles Wasser steht still. In den Gräben, wo's fließen soll, ist träge Ruhe. Wo das Grabscheit in den Körper des Morastes schlägt, sickerts langsam wie aus einer blutenden Wunde, doch die Ader schließt sich und ist auf ja und nein unsichtbar vernarbt. Das aufgeworfene Erdreich wird formloser Brei und zerrinnt nach allen Seiten. Die Dämme versinken, die Grabenwände quellen auf. Rudan hat Hürden legen lassen und Prügelholz, um Wege herzustellen – sie sind verschwunden, und ein zäher Lehm ist an ihrer Stelle, der Rudans Füße festhält und beschwert.

Längst ertrunken ist die Begeisterung, mit der der Grundherr an die Arbeit ging. Aus dem Sturmmut des Eroberns ist eine trotzige, verbissene Stetigkeit geworden – die verteidigt jetzt sein Werk gegen die Ungunst neidiger Elemente. Mag sich auch die ganze Welt gegen ihn wenden – die unvernünftige Wuka, die alles ringsum ersäuft, sie soll nichts vermögen wider seinen Eisenwillen.

37 Und die Brüder Wilitsch erst recht nicht. Sie verwehren ihrer Schwester, mit Rudan zu sprechen und Briefe mit ihm zu wechseln? Gemach, ihr feinen Brüder: die Pferde, mit denen er sich Maria holen wird, fressen schon ihren Hafer. Es müssen just keine herrschaftlichen Jucker sein. So bald wird Rudan nicht Millionär. Dazu hat der urbare Neugrund wohl zu viel verschlungen. Immerhin: ein wohlhabender Bürgersmann hofft er zu werden, und wenn er und Maria ein paar Jahre sparen, werden sie kummerlos auf bessere Zeiten warten können.

– – –

Eines Tages rinnt es wieder, seit langem zum erstenmal, munter den Kanal abwärts. Ein Wolkenbruch ist niedergegangen, nun strömt das Wasser von rechts und links ungestüm herbei und wälzt sich mit gelben Fluten nach der Wuka.

Mile hat sich auf seine Stute gesetzt und läßt sie auf dem schlüpfrigen Damm waten, den Kanal entlang. Was kümmern ihn Wetter und Wind? Er ist so mutig wie nur je in seinen besten Tagen.

Wo der Damm am höchsten ist, pariert er, hält seine Hand schützend vor die Augen und späht ringsum durch den trüben Dunst des Strichregens.

Stolz sieht er sein Werk, das große Werk in Tätigkeit. Geschäftiges Eilen in allen Wasserläufen. Er wendet sein Pferd: auch dort, auch da. Flink sprudelt es aus dem Rohr und hastet 38 geduckt die vorgezeichneten Linien entlang, als fürchteten die Wasser die Gerte des Gutsherrn, der Nixen und Najaden aus seinem Gebiet vertreiben will. Rudan gibt befriedigt Luft im Zügel und legt die Schenkel an. Die Stute greift schnaubend aus und trägt ihren Reiter in elastischem Trab fort. Quatsch – quatsch – weicht der Boden unter den Hufen, daß es nur so spritzt. Wenn ihm der Regen kalt ins Gesicht sprüht, ist Rudan grade am lustigsten und pfeift sich eins:

Kenn ein Weibchen wie ein Täubchen,
Hat ein samtnes Ärmelleibchen.

Drüben in Dugamedja singens immer die Slowaken, wenn sie über die Courage getrunken haben. Es ist ein Lied, bei dem ein rechtschaffener Mensch die Mütze schief auf das eine Auge drücken muß. Und Mile Rudan tut es. Alle Dudelsäcke des Himmels und die Brüder Wilitsch dazu wissen kein schöneres Lied zu pfeifen und haben zusammen nicht so viel Courage wie diese alte, schiefe Mütze auf dem Brausekopf Mile Rudans.

Dort vorn auf dem Damm aber steht Nikola Duditsch und kratzt sich hinterm Ohr. Dicht daneben der Herr Ingenieur. Er weist mit der Hand in die Ferne, zeichnet etwas in die Luft und scheint auf den Alten erregt einzusprechen.

Mile hat keine Eile. »Herren staunen nicht, zahlen nicht und hasten nicht.« Und nie ist Rudan ein größerer Herr als heute gewesen. Die Stute 39 hat ein paar Eisen gekriegt und lançadiert in nervösen Sprüngen über den Damm, hart am Wasser. Wenn sie ausrutscht und hineinfällt –? Dem Reiter wirds nicht die Laune kühlen.

Plötzlich stutzt Mile. Was ist das? Trügen ihn seine Augen? Nein, es ist wirklich wahr, so unbegreiflich es ist: der Hauptgraben C steht gestrichen voll Wasser. Mannshoch gefüllt mit Wasser. – Mile schnalzt und gibt die Trense nach – Lady galoppiert, was sie kann auf solchem Boden. Im Augenblick ist er zur Stelle.

»Mein Gott, man kann sich verrechnen . . . Irren ist menschlich,« beginnt der Ingenieur ungefragt und zuckt die Achseln zum Reiter hinauf, der ihn verständnislos anstarrt. »Irren ist menschlich. Daß der Hauptgraben C um etliche Zoll zu tief ist, habe ich schon lang vermutet, jetzt ist es augenscheinlich geworden.« Der Ingenieur wendet sich an den Partieführer: »Sie hätten eben auf ihre Leute besser acht haben sollen, mein Lieber. Da fährt solch ein Lümmel von einem Kerl mit seinen Pratzen in die Omelette wie in einen Käse. Einige Zoll zu viel sind bald ausgehoben, und das Gefäll ist beim Satan.«

Mile erbleicht. Er weiß ganz gut, daß Duditsch die geringste Schuld trägt, wenn hier das Wasser aus dem Kanal in die Felder strömt, statt umgekehrt. Er hat diesen teuern Freund von Ingenieur ebensolang vorher durchschaut, wie der Ingenieur 40 den Fall des Grabens C. Das Maß der Geduld ist voll bei Rudan. Eh es überläuft, muß es nur noch kochen. Doch ein Tropfen kalten Verstandes schreckt die Wallung ab und macht aus der Wut schneidenden Hohn. Punkt für Punkt zählt er dem Ingenieur alle Mißgriffe auf, die bisher geschehen sind. Am längsten verweilt er bei dem Kunstfehler, der ihn am meisten schmerzt: der Ingenieur hat die Kosten der Entwässerung viel, viel zu niedrig veranschlagt. Noch ist die Hälfte nicht vollbracht, und schon hat dieses Ungeheuer von Sumpf die Hypothek bei Putz und Stingel verschlungen und streckt seine Krallenpfoten gierig bettelnd nach neuen Bissen aus.

Mile sitzt weit vorgeneigt im Sattel und beugt sich bis auf Ladys Mähne, um dem nachlässigen Mann ja von rechter Nähe sagen zu können, was er auf dem Herzen hat. Aus dem freundschaftlichen Du, das die beiden Streiter früher verbunden hat, ist bald ein Sie verachtender Höflichkeit geworden. Und Mile müßte kein Rudan sein, wenn nicht zuletzt ein Du des tollsten Hasses folgte.

»Die finanzielle Seite der Frage ist mir ganz und gar fremd gewesen und geblieben.« Der Ingenieur beschließt seine ungeschickte Verteidigung und wendet sich zum Gehen, um dem leidigen Auftritt ein Ende zu machen.

Mile aber, der dem Gegner noch so viel zu sagen hat, folgt ihm Schritt auf Schritt und schleudert 41 ihm die heftigsten Vorwürfe nach – wie ein geiferndes, zänkisches Weib.

Der Ingenieur trägts schweigend. So wird der Grimm am ehesten verrauchen.

– – –

Durch die kahle Allee zwischen abgeräumten Maisfeldern wandelt Maria Wilitsch mit Rudan. Es ist derselbe Weg, den sie einst in engem Aneinanderschmiegen zur Waldkapelle gingen.

Sie schweigen beide. Mein Gott, was haben sie einander zu sagen? Gemeinsam den wonnigen Traum geträumt bis zum furchtbar bittern Erwachen, gemeinsam gekämpft um Besitz und Recht bis zur großen, niederschmetternden, endgültigen Niederlage.

Das Mögliche und Unmögliche hat Mile versucht. Mit blindem Starrsinn hat er Geld auftreiben wollen, um seine Arbeit fortzuführen; den Kopf als Einsatz für so hohen Preis: sein Vermögen und Maria. – Alles vergebens.

Mitten in seinem Schaffen ist er stecken geblieben. Was er wühlend erbaut hat, sinkt mit langsamer, unheimlicher Stetigkeit nutzlos in den Boden. Dahin sind die schönen Tausender. Nicht einen Daumen breit Landes hat er der Wuka abgerungen. Die Mauern des Hauses stehen, aber das Dach fehlt, und Wind und Regen hausen im offenen Gemäuer, nagen an den Ziegeln und machen es unwohnlich, nicht besser als das freie Feld.

42 Mile Rudan atmet schwer. Ihm hat der Gram eine tiefe Furche in die Stirn gezogen wie der Säbel eines Feindes. Das macht sein Antlitz finster und verschlossen.

Er bemüht sich, hinter dem Trotz das wehe Zucken seiner Seele zu verbergen. Wie verwüstet auch sein Leben ist, sein frischer Mut – Maria soll es nicht sehen, Maria, die man zu dem Glauben bekehrt hat, daß ihre Sache verloren sei.

Ja, das weiß auch er. Vorerst nur mit dem Verstand, der ihm klar vorrechnet, daß ein Bettler kein Freiersmann ist für die schöne Maria, ein Haus ohne Dach kein Heim für junges Eheglück.

Wer nichts sein Eigen nennt als brennende Liebe und meertiefe, turmhohe, sonnenhelle Träume, mag Wohnung im Traumland nehmen. Maria hat recht und die Ihren mit ihr.

Aus den Furchen des Sturzackers fliegen krächzend die Raben auf. Wie lang ist es denn her seit jenem Rodefeuer, der vollen Seligkeit des Augenblicks? Und schmerzhaft durchfährt ihn der Gedanke, daß er verzichten muß, verzichten auf das seidene Glück, in das er sich versponnen hat.

Rudan blickt Maria an. Zwei silberne Tränen fließen ihre Wangen herab, und ihm preßt etwas hartes, unbarmherziges die Kehle, was er seit den Knabenjahren nicht mehr gespürt hat. Da sieht er einen tiefen Abgrund vor sich, in den soll er alles werfen, was süß und lieb und hold in seinem 43 Leben war. Jugend, Schönheit und Glück sind hinter ihm, und da vorn ist nichts, nichts. Er wirds vielleicht verschmerzen . . . Was dann? – Arbeiten. – Wofür? Um zu essen, zu trinken, zu schlafen. Ist das noch des Lebens wert?

Müd beugt er den Kopf auf Marias Schulter, um einen Augenblick darauf auszuruhen. Sie streichelt ihm das braune Haar – tröstend wie eine Schwester.

Und sie schreiten durch die Zaunhecke auf den Friedhof, der die Waldkapelle umschließt. Morsche, arme Holzkreuze stehen auf den vergrasten Hügeln. Selbst das Gras ist verwittert.

»Da ist gut sein,« sagt Rudan und beißt sich auf die Unterlippe.

Er weiß, was er will. Ein kurzer, guter Entschluß – und aus ists. Man hat nicht einmal Zeit, den Knall zu hören, und ist schon drüben. – Man wird nach einem Arzt rufen. Er kommt, horcht und schüttelt den Kopf. Man bahrt den Toten auf. Im Leichenbegängnis gehen die Herren mit und flüstern von ihm und Maria. Sie nennens eine unglückselige Geschichte und kommen dann auf die Weizenpreise zu sprechen. »Circumderunt me...,« näselt der Pfarrer in scheinheiligem Tonfall – die Schollen poltern, die Frauen weinen – und in dreißig Jahren haben ihn auch die vergessen, die ihn dereinst am liebsten hatten, und über sein Leid und Streben ist gradeso Gras 44 gewachsen, wie hier auf diesen namenlosen Hügeln . . .

Sieh, da rüstet der Totengräber eine neue Schlafstätte zu. Bis an die Schultern steht er schon im Grab und legt mit zitternder Schaufel, selber ein altes Gerippe, sorglich einen Schnitt Erde auf den andern. Die harte Krume hat vom Eisen einen flimmernden Perlmutterglanz bekommen.

Rudan setzt sich dem neuen Grab gegenüber auf ein Holzgitter und sieht mit weit aufgerissenen Augen zu. Maria ist ratlos. Sie tippt ihm auf die Schulter, er möchte doch kommen. Er aber rührt sich nicht.

Bedächtig und unbekümmert, als sei er allein, schafft der Alte weiter. Mitten durch der Erde Leib hat er geschnitten: zuerst durch lebenden Rasen und dann durch das feine Wurzelgewebe, woraus der Rasen die Blumen nährt. Unten ist fester, unbarmherziger Ton.

Den armen Rudan schüttelt es kalt. Es ist gräßlich, das Sterben. Welch ein Gedanke! Das Auge bricht, der Mund verstummt, das heiße rote Blut gerinnt. – Rudan springt auf und flüchtet vor das Tor, so schnell, daß ihm Maria kaum folgen kann. Draußen setzt er sich wieder, auf den Radabweiser.

»Mile, wir wollen in die Kapelle gehen,« sagt sie leise.

Er schüttelt den Kopf.

45 »Mile, willst du mir nicht etwas sagen?«

»Was soll ich dir sagen?« Er blickt ins Weite.

»Mile, sag mir, daß es dir nicht gar so weh tut,« bettelt sie mit stockender Stimme.

»Nein, nein.« Er preßt die Lippen zusammen, um der Bitterkeit zu wehren, die in ihm quillt.

»Mile, ich habe dich so lieb gehabt wie der Himmel die Sonne. Daran denk auf deinem Weg.«

Da birgt er das Gesicht in die Armbeuge. Mit Knochenhänden packt es ihn – unaufhaltsam und unmännlich weint er, und das Schluchzen schüttelt den Kampfmüden zum Erbarmen.

Sie umschlingt seinen Hals, und seine Tränen sickern auf ihren Nacken. Stürmisch küßt er sie noch einmal. Es ist der Abschied von einer Verzückung – von der letzten.

»Leb wohl, Mile! Gott mit dir! Leb wohl! Denk an mich . . .«

Da strafft ein Ruck seinen Körper, und ihre Arme sinken herab . . .

Er geht nach Haus.

Lange blickt ihm Maria nach. Sie weiß, Mile ist nicht der Mann, ihr die verdammte Klugheit zu verzeihen – die Klugheit, die eingesehen hat, daß sie einander nicht gehören können.

Dieser Mile Rudan ist hartnäckig genug, ein Weib zu verlangen, das seinetwegen eine Dummheit begehen könnte . . .

46 Ein sonderbarer Mensch, dieser Mile. Kein einzigesmal hat er sich umgesehen.

– – –

Seit vielen Monaten schon hatte Rudan den Verkehr mit seinen alten Freunden gemieden. Ihre wohlgemeinten Ratschläge, ihr kühles Mitleid waren ihm aus der Seele zuwider. Mitleid? Gleichgültigkeit und Schadenfreude gucken darunter an allen Rändern vor. Als er der Hilfe bedurfte, verschmähte er sie – und je weniger sein Kopf sich im Wirrwarr zurechtfand, desto weniger war er geneigt, an den Verstand andrer zu glauben.

Heut aber hat er Maria verloren, den Untergang seines Erbes besiegelt – heute will er den besten seiner Kameraden um einen Liebesdienst ersuchen.

Als der Wagen vor dem Kastell des Freundes hält, bekommt Rudan die Auskunft, der Herr sei auf das Feld hinaus gefahren. Wahrscheinlich zum Dampfpflug.

Fern am Horizont bezeichnet ein dünnes Rauchwölkchen die Stelle, und Rudans Kutscher lenkt seine Braunen dahin, einen holperigen Karrenweg entlang.

Von weitem schon hört man die Maschine rasseln und pusten. Die Pferde stutzen. Mile springt vom Sitz und geht die letzte Strecke zu Fuß.

Der Schnee fällt in flaumigen Flocken. Durch die Stille tönt das Schnauben des stoßweis 47 entweichenden Dampfes, das Ächzen der Zahnräder und Surren der Drahtseile. Leise zittert der schwarze Leib des Ungetüms unter der gebändigten Kraft, die in ihm brodelt. Wenn der Maschinführer die Heiztür aufkreischen läßt, hört mans drinnen prasseln und brennen, und ein roter Streifen Feuerschein fällt auf den rußigen Mann, der Klotz um Klotz auf den Rost wirft.

Schnee, so weit man blicken kann. Wie zwei Walfische im schimmernden Meer hebt sich die Lokomotive hier und ihre Schwester drüben dunkel von dem weißen Grund ab, und zwischen ihnen zieht sich eine breite Furche neuer, brauner Ackerung.

»Wo ist der Herr?« fragt Rudan den Maschinisten.

»Beim andern Kessel,« antwortet der Mann und zieht tief zum Gruß die ölige Mütze.

Die Maschine stoppt, der Pflug wird gekippt, und der Steuermann auf ihm wechselt den Sitz. Als er sich die Füße sorglich in Stroh gewickelt hat, ruft er: »Fertig.« – Ein Pfiff, die Räder geben lärmend nach. Die andre Maschine zieht drüben an, und bohrend fährt die Pflugschar in die Krume.

Im letzten Augenblick ist Rudan hinter den Steuermann aufgesprungen und hält sich an seinen Schultern fest, als ihn die Schar rüttelnd über Feld trägt. Dort steht sein Freund.

Rudan wird freudig begrüßt.

48 »Sieh da – du bists?« schreit Herr Tschermak. »Zum erstenmal macht mir der dumme Rumpelkasten Freude.« – Er deutet lachend auf die Lokomotive. Sie stoppt, wälzt sich schweratmig ihre fünf Schritte weiter und setzt ihr Tagewerk fort. Rudan und Jaromir Tschermak treten beiseite.

Mile will nicht mit der Tür ins Haus fallen und erst den Redeschwall seines Freundes anhören, eh er seine Wünsche vorträgt. Und Tschermak kargt nicht mit Worten. Er bedauert Rudan, der sich verspekuliert habe, und setzt breit und gemächlich auseinander, wie es Rudan hätte anstellen müssen, um sich nicht zu verspekulieren.

Mile sieht seine Fehler selber deutlich genug und läßt sich nicht gern von andern die Nase darauf stoßen. Nun, da es doch geschieht, hört er gelangweilt zu, wie man das leere Stroh drischt.

Tschermak wird immer hitziger. Eine seiner Behauptungen geht Mile allzugrob wider den Strich – er fällt endlich aus der Rolle des stummergebenen Zuhörers und beginnt zu streiten. Doch Jaromir Tschermak ist ein Dickschädel, der immer noch alle überschrien hat. Mile muß die schönsten Dinge anhören.

»Mensch,« brüllt Herr Jaromir, als sollte er einen Stier einschüchtern, »wie kann man als Besitzer von fünfhundert Joch Ackerland auf einmal fünfzehnhundert Joch unter den Pflug nehmen 49 wollen? Wenn der Boden so trocken gewesen wäre wie ein Salondiwan und so fruchtbar wie ein Mistbeet: dein Geld hätte für die Kulturarbeit einer solchen Fläche nicht ausgereicht. Zu zweitausend Joch, Mensch, braucht man Maschinen, Ochsen, Pferde, Dünger, Saatgetreide, Arbeiter, Schüttkasten, Stallungen, Wagen, Pflüge, Eggen, Walzen, Tod und Teufel, Herr – Geld vor allem – Geld vor allem, Herr.«

Rudan fängt an, sich für das zu interessieren, was der rote Truthahn da mit der ganzen Gewalt seiner Lunge hinausschmettert.

»Langsam hättest du beginnen müssen, Mile! Zrno do zrna pogača, kamen do kamena palača. Korn auf Korn gibt Kuchen für den Gast, Stein auf Stein entsteht ein Palast. Nicht fünfzehnhundert Joch hättest du auf einmal entwässern dürfen, sondern fünfzig. Heuer fünfzig, nächstes Jahr sechzig. Dann hundert, hundertzwanzig, Herr. – Ein gutes Jahr? Hundertachtzig, Herr. – Ein schlechtes Jahr? Hundert, Herr. – Und so fort, zwei, drei, vierhundert. – In zehn Jahren wärst du ein reicher Mann gewesen – und wirst es noch sein, Herr. – Tod und Teufel, Herr, Geld vor allem, Herr!«

Mile lächelt seltsam. Warum hat Jaromir Tschermak nicht vor einem Jahr so geschrien? Vielleicht stünde jetzt das Wasser im Graben C nicht mannshoch, und der große Hauptkanal wäre 50 nicht das einzige Denkmal eines verunglückten Eroberers.

»Sieh dich um,« donnert Jaromir Tschermak, »das alles ist unter Wasser gewesen, ehe sie die Wuka reguliert haben. – Was? Schöne Tafel? Dreihundert Joch Hanf, eben wie der Tisch; wenn an dreihundert Joch ein Fingernagel fehlt, will ich Veit Schnappsack heißen. Das ist Arbeit! Alles ehrlich trockengelegt und gerodet mit eignem Geld, mit meinen Händen, meinen Leuten und meinen lieben, weißen Ochsen. Keine Hypothek, kein Schwindel, kein Riesenbetrieb, Herr! Langsam – Korn auf Korn – und der Kuchen für den Gast war gargebacken.«

Jaromir Tschermak legt plötzlich seinen Arm um Rudans Schultern und fährt seltsam weich fort:

»Ich weiß, wies mit dir steht. Frag nicht, woher. Genug, ich weiß es. Schlag dir zuerst die Liebe aus dem Kopf, mein Freund. Wir alle haben einmal was dergleichen gefühlt und sind darum betrogen worden. – Arbeit! Mehr und weniger hat uns das Leben nicht zu bieten. – Geh hin, gib alles verloren und fang von neuem an. Du brauchst Geld? Sollsts haben. Sieh, der Schreihals Jaromir Tschermak hat keine Frau, keine Kinder, keinen Freund auf der Welt, und . . . er arbeitet. Geh nach Haus, überleg dirs. Von heut in einer Woche aber komm wieder und hol dir dein Geld.«

51 Tschermak hält die fleischige Hand hin, und Rudan schlägt ein.

Das müßte doch kurios zugehen, wenn er seinen Sumpf nicht unterkriegte, denkt er sich, als ihn die Schrollen des Karrenwegs auf dem Wagensitz hin und her wiegen.

Da merkt er was, der junge Mile Rudan: langsam, langsam ist ihm die Trockenlegung des Sumpfes wichtiger geworden als . . . Maria.

Und der Sumpf wird trockengelegt werden.

Stählern blickt Rudan drein, setzt seine couragierte Mütze auf und summt zur slowakischen Blaumontagsweise:

»Korn auf Korn gibt Kuchen für den Gast,
Stein auf Stein entsteht ein Palast.«

Das ist Arbeit. Himmelstürmen, das ist Wahnsinn. 52

 


 << zurück weiter >>