Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Das Bewußtsein

Wir gingen umher wie traumverloren, niemand wußte was Rechtes zu beginnen. Der Seekadett spielte den lieben langen Tag Schach mit Riki, der Ölonkel aus Berlin erzählte bis zum Überdruß von seiner Braut, und der Akzessist tat überhaupt nichts. Es plätscherte und plätscherte der Regen, hoch überm Fort trieb der Schirokko seine luftigen Herden, und kein Ende – kein Ende. Am liebsten hätten wir alle einander gefordert.

Da saß eines Tages, als wär sie vom Himmel geflattert, eine kleine Frau in der Trattoria – eine Frau, so lieb und wundernett, wie mans gar nicht beschreiben kann – und niemand wußte, woher sie gekommen war. Am Schmalende des Tisches saß sie, wo sonst der taube Gerichtspreside sitzt, die liebe, kleine Frau, aß mit zierlichen Fingerchen den miserabeln Zwieback und blinzelte so scheu umher wie ein ganz, ganz kleines furchtsames Rotkehlchen. Als der taube Preside eintrat, wär er gern ausfällig geworden, weil sein Schmalende besetzt war, konnte aber nicht vor so viel Reizen und wich betroffen in den Winkel.

Der Ölonkel aus Berlin sagte gleich, sie sehe seiner Braut ähnlich. Doch das war eine Lüge, denn was zweites so hübsches kann es gar nicht geben, nicht einmal in Berlin.

62 Riki fragte den Kellner, wer sie ist, und versprach ihm fünfzig Centesimi für die Erkundung. Der Seekadett bestellte die Suppe ab und lief zum Barbier. Ich würgte erregt an einem Bissen, der mir in der Kehle stak. Der Akzessist tat überhaupt nichts.

Draußen aber plätscherte und plätscherte der Regen.

Nachmittag gab das Wetter ein wenig nach. Von der Stephanieesplanade sieht man so herrlich das tosende Meer. Ich sagte mir, die Fremde würde hingehen. Richtig stand sie dort und hielt sich die Röckchen vor dem Wind zusammen und das Hütchen auf dem Kopf. Die Bank war naß – sonst hätte sie sich wohl gesetzt.

O, ich überlegte keinen Augenblick. Ich gab mir auch nicht die Mühe, lange Einleitungen zu machen. Ich empfand, sie wird ein paar Wochen mein Schicksal sein, und sie mußte es ebenso fühlen.

»Wie purpurn es leuchtet,« sprach ich und zeigte weit hinaus auf die Kimmung.

Sie sah mich an, und da begegneten unsre Blicke einander zum erstenmal. Das Meer vergoß sein weißes Blut in den Klippen.

»Man könnte Jahr und Tag hier stehen,« antwortete sie nach langem Sinnen. So wurden wir bekannt.

Als wir am Abend zusammen in die Trattoria kamen, merkte ich, wie der Ölonkel und Riki Witze rissen. Ich ließ den Seekadetten vom Kellner 63 herausholen und bat ihn, er möge dem Ölonkel und Riki meine Meinung sagen. Dann kehrte ich zurück zu Teresa.

Worüber Riki und der Berliner sich eigentlich das Maul zerreißen? Ich darf doch Frau Teresa nicht einmal nach Haus geleiten. Ich darf nicht über den Korso mitgehen, morgens nicht am Brunnen auf sie warten – und sie badet gar nicht um die Stunde, wenn gemeinsam gebadet wird. Nur mittags und abends im Restaurant kann ich sie sehen und dann um vier Uhr auf der Esplanade.

»Teresa, Sie sind lächerlich in Ihrer ewigen Scheu vor der Menschenmeinung.«

»Lassen Sie – es muß sein.«

»Aber die Leute nehmen ja viel mehr als geschehen an, als Sie mir je gewähren werden.«

»Wirklich?« – Ihre großen schwarzen Augen starren mich erschrocken an. Wenn ich sie nicht beruhige, wird sie mir auch noch die kleine Gunst der Esplanade versagen.

»Teresa, wir sind in einer Fremdenstadt. Den Einheimischen sind wir Nutztiere, und die Fremden kümmern sich nicht um uns. Sie sollen nicht so grausam sein, mich immer wieder wegzuschicken.«

»Gehen Sie – es muß sein.«

»Teresa, unser Leben ist kurz. Es besteht nur aus Ereignissen. Was dazwischen liegt, das wüste 64 Einerlei der Monate, ist ewig verloren. Nützen wir die kargen Stunden aus.«

Sie schüttelt den Kopf.

»Warum nicht, Teresa?«

»Ich fürchte mich.«

»Teresa – vor wem? Wovor?«

»Vor niemand – vor nichts – vor allem.«

»Sie werden es bereuen. Sie werden in mancher einsamen Nacht Tränen weinen um ein Stück Jugend, Freiheit und Liebe.«

»Ich weiß – es ist wahr.«

»Und dennoch nicht?«

»Nein – ich fürchte mich.«

Wie zierlich sie ist! Ihre Füßchen stecken in niedlichen Schühlein, ihre Händchen haben so rosige Nägelchen, ihr Haar so zottige Ringelchen – und darüber ein Hütlein – ein Hütlein, das müssen Feenhände eigens für sie geflochten haben – aus Mondstrahlen, aus Wolkenwolle und Abendnebelglanz.

Teresa geht jeden Sonntag in die Kirche. Sie schiebt sich in die Bank und schlägt über Stirn und Lippen ein Kreuz, das unsern Herrgott freuen mag. Sie senkt keusche Lider über ihre lasterhaften Augen – denn die Augen sind lasterhaft an ihr, nur die Augen. – Sie murmelt Gebete und beugt das Knie, sie heuchelt dem lieben Herrgott frömmste Frömmigkeit vor und betört sich und ihn. Dann, wenn die Messe aus ist, gehen wir an die Küste.

65 Einmal, im Piniengebüsch bei San Marfilio, werde ich toll. Ich fasse sie fest wie einen Gegner, blitze sie mit wilden Pupillen an und will sie leidenschaftlich küssen.

Das weckt ihren Trotz.

»Und jetzt erst recht nicht«, ruft sie widerspenstig und bringt die Frisur in Ordnung.

Da gebe ich ärgerlich das Werben auf.

Wir haben eine gute Familie kennen gelernt, Livländer oder so was. Mama ist eine früh ergraute Dame und sehr distinguiert. Er, der Staatsrat, läuft immer mit dem Baedeker umher und fragt die Polizisten nach dem Tintoretto, der im Buch mit dem Sternchen bezeichnet ist. Man zuckt die Achseln. Der Tintoretto ist längst nach Amerika verramscht, aber der Staatsrat wills durchaus nicht glauben. »Merkwürdig – merkwürdig. Es steht ausdrücklich hier, ich bitte: ›Tintoretto (1519–1594) – Porträt einer Dame, Echtheit wird angezweifelt.‹ Wo steckt er also?«

Teresa führt kluge Reden über die Schönheit der Landschaft und versichert, sie könnte Jahr und Tag am Meer stehen. Bei Schirokko sehe es dort weit draußen ganz purpurn aus. – Die Staatsrätin findet Alpen angenehmer. Ich die Hölle.

Teresa führt uns zum Pinienbusch, bei dem ich sie damals küssen wollte – grade, als wär da nichts geschehen. Sie kräuselt spöttisch die knospenden 66 Lippen – ich erröte wie ein kleiner Junge – an ihrer statt.

Wir essen nun mit den Livländern. Der Staatsrat liebt die italienische Kost nicht.

Wir machen auch gemeinsame Ausflüge. »Es ist so unterhaltend in größerer Gesellschaft,« zwitschert Teresa. Sie habe sich vordem oft gelangweilt, erzählt sie unverfroren. Sie erzählt auch von ihrem Mann, der ein sehr lieber Mann ist, Steueramtsdirektor in der sechsten Rangsklasse mit den Bezügen der fünften. Wie schade, daß er nicht hier ist – er mag Krebse so gern. Doch er kann um diese Zeit nie aus dem Amt.

Der russische Staatsrat hat im Baedeker einen Wasserfall entdeckt und verlangt dahin. Der Ort liegt irgendwo über das Fort hinaus, man fährt mit dem Wagen drei Stunden hin. »Dem Kutscher fünf Lire und Trinkgeld,« steht im Baedeker.

Wir fahren also. Teresa, die Rätin und ich im ersten Wagen, die andern folgen; nämlich der Staatsrat mit den beiden Jungen.

Der Ausflug ist ein Aufsitzer. Das Wasser ist eingetrocknet. Der Staatsrat ist verstimmt – die Buben werfen mit flachen Kieseln über eine Zypresse und hätten beinah eine Henne erschlagen.

In einem Hohlweg zwischen hohen Steinmauern küsse ich Teresa. Sie läßt es ruhig geschehen und liegt mir warm in den Armen. Ihr Mund und ihre Lasteraugen verlangen mehr Küsse.

67 »Teresa, fürchtest du dich noch immer?«

»Nein.«

»So lassen wir die Livschen laufen und seien wir wieder für uns allein.«

»Eben der Livschen wegen fürchte ich mich nicht,« zischt sie und entschlüpft mir. Dann bestellt sie die Rätin für morgen früh an den Brunnen.

Das Weib wird mich noch rasend machen.

Ich passe sie am nächsten Tag vor ihrer Wohnung ab. Warum auch nicht? Ich kompromittiere sie? Unsinn. Man liests ja den Leuten von den Nasen ab, was sie von uns denken. Wenn ich so glücklich wäre, wie die Leute wähnen, brauchte ich nicht als verlaufener Hund umherzuirren . . .

»Teresa seien Sie gescheit! Durch Ihre vermeintliche Schlauheit sind Sie mehr in den Mund der Welt gekommen, als wenn Sie sich und mir quallos und heimlich . . . Noch ist es nicht zu spät – leben wir die geizigen Wochen füreinander.«

»Und dann?«

»Und dann bleibe uns meinetwegen nur die Erinnerung. Wir werden sie in alle Zukunft mit uns nehmen.«

»Haha, mein Freund, ich fahre morgen schon heim – zu meinem Mann.«

Mich durchrinnt es kalt.

»Morgen, Teresa? Was soll ich nun anfangen?«

»O Gott – was immer: spazieren gehen, baden, Schach mit Ihren Freunden spielen. Sie 68 vernachlässigen sie sehr – und der Seekadett, zum Beispiel, scheint doch sehr nett zu sein. Übrigens bleiben ja die Livländer hier. Sehr honette Menschen das. Sollte man glauben, daß die Rätin erst neununddreißig Jahre alt ist?«

»Also morgen schon?«

»Na, seufzen Sie nicht so wehmütig! Es ist eine Nachfolgerin für mich da, die vielleicht . . . hm . . . gesprächiger sein wird. Sie haben sie gewiß schon bemerkt. Eine Wienerin, höre ich – sie sitzt in der Trattoria immer beim Ventilator und hat einen schwarzen Pinscher mit.«

»Also morgen schon. – Hören Sie, Teresa! Erinnern Sie sich an die brennende Rose unlängst auf der Esplanade? Ich wollte sie pflücken, und Sie duldeten es nicht. Wenn ich mir den Duft dieser Rose vorstelle, möchte ich . . . möchte ich mich schlagen, daß ich sie nicht doch gepflückt habe.«

»Und was hätten Sie heute davon, mein Freund? Heut wär sie schon verwelkt.«

»Aber das Andenken, Teresa, das Andenken!«

»Wissen Sie, daß das Pflücken von Blumen auf der Esplanade bei zehn Lire Strafe verboten ist? Nun nehmen wir beide das Bewußtsein mit, nichts Strafbares verübt zu haben.«

Sie reicht mir die Hand und scheidet lachend.

»Das Bewußtsein nehmen wir mit . . .«

Da werden tausend lockende Weiber alt und haben nichts mit als »das Bewußtsein.« 69

 


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