Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Der Spiegel

Sandro raffte eilig den kleinen Teppich zusammen, der über das Deck gebreitet war, legte ihn doppelt und vierfach, darauf seinen Mantel und bot den ganzen Pack der Contessa als Sitz an.

Contessa Filippa hatte dem eifrigen Jüngling lächelnd zugesehen. Ihre Lippen waren in seiner Verschmitztheit gekräuselt, sie schien keinen Gebrauch von dem Liebesdienst machen zu wollen.

Sandro wurde purpurrot.

»Ihr werdet ermüden, Eccellenza,« sagte er höflich.

Nur um diesen Ton der bescheidenen Huldigung zu hören, hatte sie gezögert; und nahm nun auf dem Gallion Platz; hatte das Antlitz dem Fahrzeug zugewendet, den Leib fest in den vordersten Winkel des Bordgeländers gepreßt. Zu ihren Füßen Sandro Ghetaldi. Ein Windhauch, der die trägen Segel überholte, strich ihr zärtlich die Löckchen von den Schläfen.

Die Augen der Contessa waren unbeweglich, weitgeöffnet auf das Segel gerichtet, als stände da der Entschluß geschrieben, den sie suchten. Doch die Fläche war weiß und leer, kaum angeatmet vom Violenduft der welkenden Sonne.

Da tauchte zwischen den Brauenschwingen der Contessa senkrecht eine dunkle Falte auf. Scheu sah der 134 Jüngling dies Adlerwappen des Gedankens. Was die Herrin nur hatte? Sie war nicht wie sonst. Verloren, sinnend; und grade heute? Am Vorabend des großen Tages, da ihren Gemahl der Mantel des Rettore schmücken sollte, der Scharlach der Republik, die goldnen Sporen König Sigismunds?

Was konnte die Herrin verstimmt haben? Vergeblich zerbrach sich Sandro den Kopf darüber. Diesen Kopf streichelte jetzt der Blick Filippas, und ein Leuchten kam aus ihren Augen, vor dem alle Schatten weichen mußten.

»Du bist schweigsam, Sandro. Erzähle!« sprach sie heiter.

Er fuhr in seligem Erschrecken auf.

»Ich weiß nichts.«

»Gut, so will ich dir erzählen.« – Und eine unbeherrschte Leidenschaft griff mit fünf Krallen in das Gesicht der schönen Frau. Nur einen Herzschlag; dann kams schon ruhig, als sei es ein Märchen, halb gesungen, halb gesprochen von den zitternden Lippen:

»Am Molo, da liegt eine Bark bereit. Man kommt an Bord, das Gangspill kreischt, das Schiff zieht seine Bahnen. Darinnen . . . Wer ist drinnen, Sandro?«

»Ich . . . ich weiß nicht, Eccellenza.«

»Auf dem Schiff . . . wer mags nur sein? Ein Knabe und seine Dame. – Kennst du die Dame? 135 Wohin geht die Reise? – Übers Meer, wohin die glücklichen Winde blasen. – Kennst du das Ziel?« – Sie weidete sich an seiner Hilflosigkeit.

»Ihr wollt in See gehen, Eccellenza?« rief er höchlich erstaunt.

Ein Blick der Contessa fing seinen Blick auf und lenkte ihn achtern nach dem Steuermann. Eine stumme Mahnung für Sandro, die Zunge zu hüten. Doch die geheimnisvollen Andeutungen Filippas ließen seiner Neugier keinen Frieden.

»Ihr wollt in See gehen, Eccellenza?« fragte er leiser. »Ich darf Euch begleiten? O, mich dürft Ihr gewiß nicht zurücklassen. Es geht gar über See? Wohin um aller Heiligen willen? Nach Persano? Das kann nicht sein. Nach Venedig also?«

Belustigt ließ sie ihn raten.

»Sicherlich nach Venedig zu Signora Prodanelli. Nicht? Am Ende gar . . . Ist es denn möglich, Signora, Ihr werdet den Schwager, Conte Pietro, in Salamanca besuchen?«

Durstig trank ihre Liebe die Plauderworte. Die Hingabe an diesen edeln Jüngling – wie oft hatte sie vor ihm, dem Ahnungslosen, es erwogen! – wird ihr keinen Kampf mehr kosten. Fliehen mit ihm, ihm angehören die Blütezeit eines Menschenpaares lang: was lag noch jenseits solcher Tage, was vor ihnen, daß sie sie nicht erleben sollte?

Nur: der Gemahl . . .

Das Boot war inzwischen an dem Leuchtturm 136 der Pettini vorbei ins offene Meer gelangt, um die Halbinsel zu umschiffen, und lag jetzt vor einem frischern Wind. Rauschend teilte der Kiel die Fluten. Sie schäumten hoch auf und bedrohten die Contessa auf ihrem Teppichthron. Als sie sich eben lachend retten wollte, ließ der Steuermann nach der Bucht abfallen, und die Contessa verlor auf dem schwanken Deck den Boden. Der Jüngling sprang herbei. Er mochte zaghaft genug zugegriffen haben. Ihr Lächeln jagte ihm auch diesmal wieder das Blut in die Wangen. – »Mein Kind,« sagte sie, »mein Unverstand,« ehe sie, einen Augenblick zu spät, den helfenden Arm freigab.

Der Knall eines Böllers ließ die beiden jäh umblicken. Da stand der Turm von San Lorenzo schwer und trotzig in der Brandung, und von seiner Zinnenkrone stieg eine Rakete auf. Glockenläuten scholl aus der Stadt heran, die Kanonen dröhnten auf den Mauern, eine Rakete um die andre zerstob im Abendhimmel. Das Fest der Signoria hatte begonnen.

Nun lief das Boot auch schon in den Hafen ein. Wartende Diener halfen es vertäuen. – Ehe sie noch recht fertig waren, erklomm Filippa, vom Arm ihres Kavaliers gestützt, die Steinstufen des Molo und schritt der Sänfte zu. Unmutig nahm sie die Abwesenheit ihres Gemahls wahr. – Hatte sie wirklich erwartet, daß er zu ihrem Empfang erscheinen werde? Der Glanz seines neuen Amtes vertrug 137 nicht ihre Schönheit neben sich. – Geduld, Geduld! Der Eigendünkel wird sich morgen im Talar der höchsten Ehren blähen. Von Tausenden umjubelt, vom Bischof im Dom zu San Biagio gesalbt, Ältester der drei Räte: so wird er sich zu Tisch setzen. Und just wenn seine freche Hand nach dem Pokal greift, um den berauschenden Trunk des Erdenglücks auf den letzten Tropfen zu genießen, just in diesem Augenblick wird der Rettore der Republik ein Hahnrei sein, ein Harlekin, den seine Frau mit dem Pagen betrogen hat, ein Karnevalsnarr für das Gelächter der Menge. – So hat sie sichs ausgeheckt, so macht es ihr grausame Freude.

– – –

Nun stehen schon die Koffer zur Flucht bereit. Die Eccellenza hat ein Kleid von grünem Sammet angelegt und horcht ungeduldig aus dem Düster des Saales hinaus auf den volksbelebten Stradone, ob sich nicht bald in die verworrene Musik, in den Jubel und Pistolenknall das Pochen des Türklopfers mischen werde.

Endlich! – Stumm entschlüpft die wlachische Dienerin, um zu öffnen.

Sandro Ghetaldi tritt ein. Auf seinem Antlitz strahlt noch der Widerschein all der geschauten Pracht, aus seiner Kehle klingt das Jauchzen der Gassen, als er verkündet, der Zug des Senates sei eben in den Palast verschwunden.

138 »Mach Licht, Elena,« ruft die Herrin. – Dann schickt sie, bei flackerndem Kerzenschein, noch einmal, zum letztenmal, ihre Blicke die Wände entlang – über die vertrauten Bilder – auf das verhaßte Lager – und von ihm auf den Jüngling. Ahnt er, welche Wonnen ihm dieser verzehrende Blick für die Nacht auf dem Meer verheißt?

Und dann auf den Spiegel. Venezianisches Glas, von blutroten Granaten umrahmt. Mit den Versprechungen dieses Spiegels hat Filippas Schönheit – der Abend weiß, wie oft – erbittert Filippas Los verglichen. Nach diesem Spiegel greift jetzt die Contessa.

Da sieht sie . . . wo sich Wimper und Schläfe küssen, den ersten Boten des Alters eingenistet, einen Krähenfuß.

Der Spiegel entgleitet der Bebenden.

Contessa Filippa nimmt des Knaben Kopf zwischen beide Hände und küßt ihn; einmal, zweimal. Nur auf die Stirn. – Zwei Tränen, die niemand versteht, beweinen einen Traum.

»Ein Spiegel zerbrochen! Sieben Jahre Unglück!« murmelt die Wlachin, während sie die Reisekoffer auspackt. 139

 


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