Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Der Tollste in drei Königreichen

Hannibal ante Portas! Hannibal Graf Draway nämlich, der tollste Mann in Kroatien, Slavonien und Dalmatien. Haben Sie noch nie von ihm gehört?«

»Nein.«

»Nun, Sie werden nicht bereuen, ihn kennen gelernt zu haben. Nachmittag kommt er – sein Husar hat ihn schon angekündigt. Er macht sonst nicht so viel Umstände, wenn es gilt, ein Kastell heimzusuchen. Nur aus Rücksicht auf die alte Baronin stürzt er bei uns nicht zum Kamin herein oder durchs Kellerloch – wie anderswo. – Ja, schütteln Sie nur den Kopf! Vor fünf Jahren ist er das letztemal bei uns gewesen. Wir sitzen eben beim Nachtessen – da hört man plötzlich draußen ein Gepolter – die Tür tut sich auf – und Hannibal reitet so ruhig ein, als wär es was Alltägliches, im ersten Stockwerk zu Pferd Besuch zu machen. Er sitzt ab, begrüßt uns – wir sind sprachlos – da kommt auch noch hoch zu Roß sein Husar daher, nimmt Hannibals Pferd am Zügel, schwenkt im Trab um den Tisch und zur Tür hinaus.

Die Baronin hat nachträglich alle Heiligen angeschrien. Darum bereitet er uns diesmal auf seine Ankunft vor.«

8 »Wie kommt es, daß er fünf Jahre weggeblieben ist?«

»Gott weiß, wo er gesteckt hat. In ganz Polen und Ungarn.«

»Macht er eine Reise?«

»Eine Reise? Er lebt jetzt wie immer. In einem Viererzug fährt er umher, ein zweiter folgt mit dem Gepäck – zwei Husaren hinten mit seinen beiden Reitpferden – so lebt Hannibal. Er hat kein Heim, keine Verwandten. Vier Diener, zwei Wagen, zwölf Pferde und zwei Hunde – das ist seine Welt.«

»Er ist wohl nicht sonderlich reich?«

»Seine Pferde schätze ich auf dreißigtausend Gulden. Was er an Bargeld besitzt, weiß ich nicht. Sicherlich etliche Millionen. Und er wirft das Geld mit vollen Händen hinaus – im wahren Sinn des Wortes. Zigeuner und Kinder können alles von ihm haben. Sie müssen wissen, daß es keinen lustigern, gutmütigern Menschen gibt als Hannibal Draway. Seine Diener behandelt er wie seinesgleichen. Sie amüsieren sich ebensogut wie er auf diesen Reisen und werden wohl dereinst als Gutsbesitzer sterben.

Sommer oder Winter gilt ihm gleich. Er fährt ins Land ohne Plan. Heut ist er bei einem Gutsherrn zu Besuch und bleibt vier Wochen da. Eines Morgens ist er auf und davon – ohne Abschied. Dann übernachtet er am Waldrand im Wagen, 9 die Husaren im Zelt, die Pferde am Pflock, die Hunde auf der Wacht. Er braucht sich nicht zu fürchten, seine Hunde sind Wolfskinder. Und wer sollte sich an ihn wagen? Er hat schon manche Nacht mit Räubern und Schweinedieben durchgezecht. Als die Gendarmen vor acht Jahren Bakonya erschossen, nahm er einen von Bakonyas Leuten zu sich. Der ist noch bei ihm.

Draway weiß alles, was im Land vorgeht, und kennt alle, lebt mit allen auf dem besten Fuß – nur mit den jungen Ehemännern nicht. Wenn es irgendwo heißt ›Hannibal kommt‹, schickt man flugs die schönen Frauen weg. Denn es gibt keinen glücklichern Eroberer von Weiberherzen als ihn. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, jemand zu betrügen, einen Fürsten oder einen Bauern, dann ließe er sich eher einen Arm abschneiden, als daß er seinen Willen aufgäbe. So zäh er ist, so schlau stellt ers an. Kein Mensch weiß, wen er liebt. Seine Leute sind oft meilenweit weg, und er geht, allein und verkleidet, bei Neumond, Nacht und Nebel seinem Abenteuer nach.

Kühn und verwegen ist er, darum lieben ihn die Frauen. Zu Baron Selinsky kam er einmal vor etwa sieben Jahren. Die Baronin war sehr schön damals. Der Herr Gemahl empfing Draway mit wohlwollendem Lächeln und sagte ihm: ›Lieber Freund, wenn dir dein Herz mit der Ehrlichkeit durchgehen sollte, denk an drei Dinge: an meine 10 Hand – denn ich treffe die Tauben im Flug; an mein Ohr – ich höre geölte Angeln gehen; und an mein Auge – denn ich sehe dir in den Brustkasten und weiß, was du möchtest. Darum werde ich doppelt wachsam sein.‹ – Draway sprach: ›Wir verstehen uns. So wahr ich Draway bin, ich werde mich vor dir hüten‹ – und drückte ihm warm die Hand.

Am Morgen darauf fand man merkwürdige Veränderungen an dem Schloß: der goldne Turmknauf fehlte, dafür flatterte oben eine scheckige Fahne; das Wappen über dem Portal zeigte im Mittelfeld statt eines Pferdes einen Esel mit Tütenohren; und darüber eine Aufschrift: ›Baron E. Selinsky‹.

Selinsky schnaubte Wut und ließ den armen Draway augenblicklich fordern; kriegte eine Kugel in den Arm ab – und mußte sich noch auslachen lassen: denn Draway hatte die gewisse verhängnisvolle Nacht fünf Meilen Weges weit bei einem Nachbarn zum Tanz aufgespielt mit allen seinen Dienern.

Seither sagt niemand mehr anders als Eselinsky.

Auf den Dörfern ist Hannibal König. Die ungarischen Bauern nennen ihn den tollen Grafen und lieben ihn und ehren ihn, wie man in alten Zeiten die Helden des Volkes geehrt hat. Die Serben dichten ihm alle Taten an, die Marko vollführt hat, der sagenhafte Königssohn. Und, 11 meiner Seel, ich weiß nicht, was größer an ihm ist: seine Kraft oder sein Mut; sicherlich aber gibt er lieber und mehr, als er nimmt.

Auf den Kastellen sieht man ihn überall gern, weil er ein ganzer Kerl ist, ein angenehmer Gesellschafter und immer Kavalier. Er erzählt und wird nicht müd, zu reden – und wenn Sie ihn gleich erstechen, sagt er nicht, was er da und dort gesehen, welche Erfolge er errungen hat. Aufschneiden ist überhaupt nicht seine Art, Böses nachreden noch weniger. Er sieht alles und bemerkt das Gute an jedem besonders.

Wenn er irgendwohin zu Gast kommt, ist er nach einer Stunde heimisch, singt mit den Kindern, jagt mit den Alten und betet mit den Ältesten.

Irre ich nicht, ist er jetzt fünfunddreißig Jahre alt, dabei so frisch und jung, daß er mit den Knaben Ball spielt und für die Backfische Kaffeekränzchen hält.

Er wartet keine Einladung ab und kommt trotzdem nie ungelegen. Er weiß, wo man ihn wohl empfangen wird. Vielleicht hat er Spione, die ihm das berichten. Kurz, ich sage Ihnen, Hannibal Draway mag der Tollste in drei Königreichen sein – er ist auch der Glücklichste darin und der Gescheiteste.«

»Wie sieht er denn aus?«

»Bei Gott, ich hab viel von ihm gehört und Ihnen eben nur erzählt, was alle Welt weiß. 12 Gesehen hab ich ihn ein-, zweimal. Etwas kleiner ist er als Sie . . . Was ist Ihnen denn? . . . Sie nehmen ja Ihr Haar vom Kopf . . . und . . . und . . . den Bart auch – – oh . . . oh . . . Sie sinds ja selber . . . Wirklich, wirklich – – Kinder – herbei, herbei, Hannibal Draway ist da!«

»Still doch – jubeln Sie nicht wie ein kleiner Junge . . .!« 13

 


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