Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Bassist

Wir hatten wochenlang im tiefsten Frieden gelebt. Morgens frühstückten wir auf der Terrasse und gingen nach Lapad. Am Mittagstisch fanden wir uns wieder zusammen; obenan Brünhilde aus Breslau, ihr zur Linken der Eheherr, zur Rechten natürlich Riki. Dann die vier pigmentreichen Wienerinnen, die immer von Kunst reden; sie kennen Sonnenthal persönlich. – Gegen Abend gingen wir baden. Die Breslauerin immer in die Damenabteilung, die Wienerinnen immer in die gemeinsame. Wir versprachen dem Schwimmeister Gold, wenn er sie nicht einließe.

Brünhilde, ihr Mann und Riki voran, hintennach Teddi und ich – ließen uns dann zur Ombla rudern oder fuhren nach Muline di Brenno. In Brenno macht man Filzdecken, das ist sehr interessant.

Spät abends war Souperstunde und Klavierspiel. Die Wienerinnen sangen: »Du bist zu schön, um treu zu sein.«

Diese ganze Ordnung wurde aber mit einem Schlag umgestoßen.

Schon am Morgen des verhängnisvollen Tages war uns am Portier eine gewisse fahrige Hast aufgefallen – wir schrieben sie dem Wechsel der Witterung zu. Als wir aber um Mittag aus dem 126 Giardino publico heimgingen, fuhr uns der Hotelomnibus vor, der sonst immer leer vom Hafen zurückkommt – und im Glaskasten saß ein bartloser, gefallsüchtig eleganter Herr. Man riet auf einen Komödianten.

Die Wienerinnen wurden dionysisch. Sofort legten sie zu. Sie fragten den Portier, wer angekommen sei, erhielten aber keine Antwort, denn der Portier war mit Geschäften überhäuft, er mußte hintennachlaufen, als die Hausdiener die sieben Koffer für den neuen Herrn in die Salöner trugen. Die Wienerinnen verschwanden, um Regatta zu machen.

Riki wollte essen, doch der Kellner zuckte nur die Achseln. Riki war wütend. Wie kommt man dazu, auf den erstbesten Fremden warten zu müssen?

Da gingen wir hungrig zu Maestro Giuseppe auf den Stradun, Brünhildens Zuavenjäckchen probieren.

Und als wir in den Speisesaal traten – wir trauten unsern Augen nicht – da saß auf Rikis Platz, jawohl, auf Rikis Platz der . . . Komödiant, ganz frisch kalfatert, und ihm zur Seite in vollem Fahnenschmuck die Wienerinnen. Riki meinte zuerst, er halluziniere, und wischte sich über die Augen. In der nächsten Sekunde wollte er bersten. Er sah Brünhilden an, die flüchtig rot wurde, nur so ganz wenig wie ein lyrischer Weihnachtsband, und auf . . . ihren Stuhl losging – neben den Komödianten.

127 »Hyäne,« zischte Riki.

– – –

Der Fremdling ist ein Franzose. »Mr. du Mourieux aus Toulon,« steht im Fremdenbuch. Doch Riki sagt, das sei der Theatername. Die Wienerinnen nennen ihn Maître.

Der Fremdling trägt zu jeder Mahlzeit einen andern Anzug. Für Spaziergänge wählt er drap, für Bootfahrten blau und eine Seglerkappe. Nach dem Dejeuner raucht er ägyptische Zigaretten und abends Havannas. Riki findet, ein solches Getue müsse jeder vernünftigen Frau lächerlich vorkommen. Er verlangt von Brünhilden, daß sie dem Franzosen ins Gesicht lache.

Riki ist springgiftig. Er fragt den Franzosen immerzu nach dem Touloner Sommertheater, und ob der Direktor Vorschüsse gebe. Der elegante Herr weicht aus und erzählt von Indien. Am besten macht er die Orkane nach, er hat einen mächtigen Baß.

Riki hat eine neue Tischordnung erfunden und sich neben dem Breslauer eingenistet. Wenn er nun auch wieder nahe bei Brünhilden sitzt – zu ihr sprechen kann er doch nur über ihren Gemahl.

Riki tobt. Das Gespräch bei Tisch wird nur mehr französisch geführt, und er kann nicht mitkommen. Am empörendsten ist diese Seemannsspielerei von dem Franzosen. Er tut, als wär er im Schiffsbauch aufgewachsen.

128 Riki ist täglich verliebter in Brünhilde. Er sagt, sie sei innerlich noch ein Mädchen. Sie wird brennrot, wenn sie Riki ansieht, und sieht ihn darum nicht an. Sie errötet überhaupt jeden Augenblick, auch bei Gedanken, die ein ganz andrer denkt.

Riki sagt, er müsse dem Bassisten einen Streich spielen. Etwas Großes, woran der Bassist wird ewig denken müssen. Teddi schlägt vor, er solle ihm ein Bein ausreißen.

Riki hat einen kleinen Kutter. Morgens, wenn Tramontana weht, segelt er nach Bobara und kommt vormittag mit Ponente oder kreuzend zurück. Einer von uns begleitet ihn und hilft ihm manövrieren.

Einmal schneidet Mr. du Mourieux wieder von seinen indischen Stürmen auf, und die Weiber happen nach jedem seiner Worte. Da lädt ihn Riki zu einer Kutterfahrt ein. – Aha! Nun sitzt der Herr Bassist in der Falle. Ganz recht. Wenn man das Jahr über beim Souffleurkasten umherschwimmt, soll man in den Ferien nicht den Jachtmann spielen wollen.

Am andern Tag tut das Meer ein wenig bewegt; bei Nacht ist frischer Schirokko gewesen, der hat sich erst morgens gelegt. Wir stehen auf den Felsen beim Giardino und sehen zu unsern Füßen die schwarze Galle der Brandung gären. Weiter draußen ist die See grau, aber mit Katzenköpfen 129 und graue Wolken darüber. Nur an der Kimmung blitzen Brillanten auf.

»Wer hat Schneid?« fragt Riki plötzlich leise.

Teddi und ich sehen ihn mitleidig an.

»Basarartikel,« antwortet Teddi für uns beide.

»Keine Späße!« flüstert Riki erregt. »Ich will mit dem Franzosen hinaussegeln, und einer von euch muß mithalten.«

»Na, wenns weiter nichts ist . . .?«

Der Franzose ziert sich; er sagt, er müßte sich vorher sportmäßig takeln, und Riki würde so lang nicht warten wollen.

»O ja, ich warte schon,« erwidert Riki grimmig, und wir gehen voraus nach dem Hafen.

Als sein Facchino uns zum Kutter rudert, fragt mich Riki:

»Bist du auf ein Bad gefaßt?«

»Was soll das heißen?«

Rikis Augen leuchten auf. Der Facchino schnattert:

»Si, si, signori! Fortunale. Grosse Wind. Albe Stunde« – bläst aus vollen Backen und zeigt nach Süden. Wir freuen uns wie die Schneeknuxe.

Wir binden die Barke an Rikis gemietete Ankertaue und kreuzen mit dem Kutter im Hafen. Endlich, endlich kommt Mr. du Mourieux – wie lächerlich – in einem Marinerock.

Nun gehts hinaus. Die Luft ist flau, und die Segel schlaffen. Mr. du Mourieux zündet eine 130 Seemannspfeife an. Ich bitte: ein Bassist mit einer Seemannspfeife!

Plötzlich schreit Riki: »Großschot fieren« und läßt abfallen. Und schon kommt eine breite Welle herangelaufen. Der Kutter krängt über wie nicht gescheit. Wir grinsen vor Vergnügen.

– – –

Herrgott, ist das eine Fahrt! Im Windschatten von Lacroma ists ja noch gegangen; doch jetzt, auf der offenen See bläst es und stößt es, daß ich glaube, wir müßten und müßten kentern. Über Luv spritzt es vulkanisch herein, und mit Lee sind wir ganz und gar im Wasser.

Riki sitzt stumm hintenübergeneigt auf der Bank und kutschiert den Karren mit dem Klüver. Er scheint mir eine große Absicht zwischen den Augenbrauen zu zerdrücken. – So geht es bis auf die Höhe von San Giacomo.

Kaum sind wir über die letzte Boje hinaus, da kommts noch toller. Der Schirokko spielt seine große Orgel.

»Riki,« sag ich, »ich tu bei dem Wahnsinn nicht mehr mit. Wir müssen schiften und bei den Dominikanern landen.« – Die Dominikaner haben nämlich auf Lacroma einen winzigen Hafen.

Riki spricht keine Silbe und würdigt mich auch keines Blickes. Wenn er überhaupt die Augen vom Meer wendet, sieht er nur, ob der Bassist schon blaß wird. Aber der . . . raucht seine Seemannspfeife.

131 Da spüre ich etwas Süßliches im Mund, was mich immerfort schlucken macht. Na, und . . . »Sei so gut – nach Lee!« rät Riki eben noch rechtzeitig. Furcht–ba–res Gefühl, solch eine Seekrankheit. Das ganze Leben wird einem eklig.

Wir schiften endlich wirklich und sind nun vor dem Wind. Das ist einfach schrecklich. Ein Schlingern und Rollen, daß Gott erbarm.

»So land doch bei den Dominikanern,« bitte ich Riki fast weinerlich.

»Erst den elenden Aufschneider kleinkriegen,« raunt er.

Und der Bassist raucht seine Pfeife.

An der Westküste von Lacroma, himmlischer Vater, ein Schauspiel! Ein Brausen und Schäumen in der Hexenküche, als würden Weltschicksale gargesotten. Riki hat das Großsegel fast ganz geborgen, aber selbst das Endchen Kleid, das noch gesetzt ist, ist zum Platzen voll. Eine Kielwelle wie von einem Dampfpflug. Wir sitzen buchstäblich im Wasser. Der Kutter liegt über – mit dem Schwert draußen. Bergauf – bergab. Ich sehe noch, wie Rikis Antlitz erbleicht und die Nase darin grün aufleuchtet – – dann packt mich Mr. du Mourieux am Kragen, nimmt mir das Schot aus der Hand und schleift mich auf die Achterbank.

– – –

Die Zollbehörde hat uns ihre Dampfbarkasse 132 entgegengeschickt, doch es war wirklich nicht nötig. Wir wären auch so zurückgekommen.

Riki ist sehr kleinlaut. Er begreift garnicht, wie er, der doch schon ein halbes Jahr segelt, hat so, aber sooo seekrank werden können.

Von Lacroma an sind Riki und ich einfach zum Sterben gewesen. Der Franzose hat ganz allein manövriert. Er muß das ungemein geschickt gemacht haben. Der Kerl ist nämlich – warum er das nicht gleich gesagt hat? – Fregattenkapitän in der französischen Kriegsmarine. 133

 


 << zurück weiter >>