Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Paris. Fahrten. Der Dichter und seine Dramen

Eleonora Duses Erwartung, daß Flavio Andò, der Partner so vieler Triumphe, auch in Paris der rechte Armand für ihre Marguérite Gautier sein würde, hatte sich nicht erfüllt. So herzlich das Wiedersehen gewesen war, auf der Bühne war etwas Fremdes zwischen ihnen: das Fluidum der Vertrautheit war fort. Er spielte im Äußeren annähernd so wie früher, aber er war anders. Viel Leben war indessen zwischen sie beide gewachsen, und der liebenden, einen Anderen liebenden Eleonora war die Marguerite so anders geworden wie dem im eigenen Ensemble theaterspielenden und einer anderen Frau verbundenen Flavio Andò der Armand. Und obgleich alles Äußere fast wie früher war, war dieser Versuch des nochmals Zusammenspielens ganz und gar mißglückt. Nichts von dem Meere von Beifall, das Eleonora umbrandete, grüßte ihren Partner, und in nicht wenige der Lobgesänge, die tags darauf die Zeitungen erfüllten, war ein bitterer Reim auf Flavio Andò eingefügt. Und dieser verstand, daß nun auch auf dem Theater für sie kein gemeinsamer Weg mehr sei und das Gewesene keine andere Wirklichkeit mehr haben könne als Freundschaft und Erinnerung. Und er verließ Paris noch am selben Tage und kehrte zu den Seinigen und in sein Leben zurück.

Es tat Eleonora Duse weh, daß dieser große Erfolg nur ihr Erfolg gewesen sei – aber zu einem tiefen Schmerze wurde ihr dieses selbe Gefühl, da jenes dramatische Gedicht ihres Dichters vom Publikum lediglich als ein Rahmen um ihre Wahnsinnige aufgenommen worden war. Aber dann sagte sie sich und ihm, daß das ja nur ein Anfang sei, und sie freute sich dennoch dieses ihres neuen Triumphes, weil er die Macht, die sie für sein Werk brauchte, vermehrte.

Dann sollte sie noch in einer Vorstellung mitwirken, deren Erträgnis für ein Denkmal Dumas' bestimmt war. Alle in Paris weilenden Theatergrößen würden spielen, auch Sarah Bernhardt. Eleonora hatte den letzten Akt der »Kameliendame« gewählt, da erfuhr sie, daß Sarah dasselbe getan habe. So spielte sie den zweiten Akt der »Femme de Claude« und wurde von der Elite der Pariser Gesellschaft bejubelt wie niemand sonst von den Mitwirkenden. Dann ein paar Tage vor ihrer Abreise gab sie als letzte noch eine andere Art von Vorstellung, die ihr unendlich sympathischer war. Sarcey, einer der wichtigsten Pariser Theaterkritiker dieser Zeit, hatte ihr geschrieben, daß, da die Billette zu ihren Vorstellungen teuer und schwer zu haben gewesen seien, viele von denen, die ihr bestes Publikum gewesen wären, sie nicht hätten sehen können. Ob sie sich nicht entschließen könne, noch eine Sondervorstellung für Künstler zu geben. Mit Freuden sagte sie zu und spielte vor einem Hause, das bis auf den letzten Platz voll war von all denen, in denen Geist und Kunst des Frankreichs dieser Zeit inkarniert war, und spielte so, daß keiner von diesen, der sie damals gesehen hat, sie je wieder vergessen hat. Nach nichtendenwollendem Applause tönte ihr, als sie erschöpft endlich doch noch einmal an die Rampe gekommen war, das »Auf Wiedersehn!« des ganzen Hauses entgegen.

Müde, müde, fort, ausruhen! Wieder ein Sommer. Zu viele Menschen waren um sie gewesen. Ja, Paris war schön, herrlich erregend, aber vielleicht ein wenig zu wach, zu hell; diese fremde Helligkeit hatte ihr zu stark in ihr Alleinsein hineingeschienen. Ja, sie brauchte ein wenig Ausruhen. Wie wunderbar das war, daß dieser Dichter Ausruhen nicht nötig hatte, daß es unaufhörlich in ihm siedete. Nun konnte sie zum ersten Male denken, daß, indes ihr Körper und ihr Wille endlich ein wenig Ruhe hätten, Einer etwas tat, was für sie mitgetan wurde. Sie kannte die Kraft ihres Wollens, die sie in so vielen Jahren erprobt hatte. Aber manchmal wollte diese ihr klein erscheinen neben dem Willen des Mannes, wenn er, in dem hundert Werke ihrer Schöpfungsstunde warteten, immer noch neue Ziele fand ...

Sie wußte nichts, nichts von Politik; sie liebte Italien als ihr Land und seine Menschen als den ihr nächsten und blutsvertrautesten Anteil am Menschengeschlechte. Aber nun hatte ja für sie eine neue Lehrzeit begonnen, und so mußte sie wohl auch lernen, daß man sein Land auf andere Weise lieben könne, eifervoller, beredter, planvoller, und daß man ihm und den Menschen nicht nur mit der hingebungsvollen Treue in dem eigenen naturvorgeschriebenen Tun, sondern auch auf diese Art, die er nun anstrebte, dienen könne. Und sie mußte die rechte sein, da sie seinem Wesen zu entspringen schien. Er war der neue Dichter, der Erfüller seines neuen Gesetzes, das alles Leben zu durchdringen und neuzugestalten gebot. So war auch dieses Wunderliche das Rechte, daß er jetzt wirkend in die Politik eintreten wollte, daß er als Kandidat für die Kammer aufgetreten und nunmehr Deputierter war. Sein Leben wurde weiter dadurch, seine Kräfte wuchsen ja an jeder neuen Aufgabe – und er hatte ihr ja nun ihr Theater versprochen! Sie ruhte aus und dachte an ihn und sehnte ihre Sehnsucht in sein Schaffen hinein. Verse jenes Nietzsche, die er ihr gesagt hatte, fielen ihr ein:

»O Lebensmittag, feierliche Zeit, o Sommergarten ...«

Großer, wunderbar brennender Sommergarten: das Warten war gestillt, da nun das Ungeheure gekommen war: Lieben zu müssen, wie alle Sehnsucht Liebe nicht geahnt hatte.

Ja, sie wußte, wie Liebe zu den Frauen kommt, wie sie die Träume des Leibes und der Seele dem Ersten entgegentragen und erwarten, daß er der Einzige sei, der Erlöser von der Last der allzu schweren Mädchengeheimnisse, der Wegweiser in das Glück, das zugleich Wissen wäre, der Sendbote der Welt, der ihnen alle Herrlichkeit des Menschen wiese, der Leib und Seele gewordenes All und doch ganz ihr eigen wäre. Hatte sie nicht alle diese Liebe, ihr Enttäuschtsein, ihr Verfallen und ihr Im-Tode-sich-Bergen vor der Scham der Enttäuschung in allen ihren Gestalten durchlebt? Und hatte sie nicht in allen Frauen, in deren Schicksal sie hatte schauen dürfen, den Freundinnen und den vielen Fremden, die um Beichte und Rat zu ihr gekommen waren, die Zerstörung der Liebe in ihren tausend Arten gesehen? Wie die Frauen sich selber anders erfahren müssen, als sie sich gewußt hatten, wie die Wirklichkeit des Mannes Tag um Tag sichtbarer wird und sie nun diesem fremden Lebendigen gegenüber leben, das sie nicht gesucht hatten und das nun ihren Leib und ihr Versprechen hat; wie die einen die Träume ihres Blutes dann von sich fortdrängen, um den vertraut gewordenen Freund zu bewahren, und die anderen die Wünsche ihrer Seele und ihres Geistes opfern, um den zu behalten, der sie das Entzücken ihres Leibes gelehrt hatte? Und sie kannte auch die anderen, die suchen, die sich kühn und frei dünkten und dessen nicht gewahr werden, daß allmählich ihre Wagnisse zur kleinen Münze der Begierde werden. Sie hatte alle Gestalten der Liebes-Chimäre gesehen, Bewahren und Vergeuden, Traumtreue und Unzucht. Alle Gesichte des Eros hatten sie aus Menschenaugen angeschaut, und sie hatte deren viele den Menschen auf dem Theater vorgelebt. Aber in ihrem Frauentume, so unendlich es verstehen konnte, wie alle die anderen ihr Leben zu formen versuchten oder ihre Triebe gewähren ließen, war nur das Verlangen nach dem Letzten, Äußersten, nur die tiefste Leidenschaft Gebot. Vielleicht hätte ihr Körper in seinen Fiebern und nach all den Jahren nonnenhaften Dienstes nachgebend endlich seine Lust gesucht, um für eine Weile Glut und Unrast zu stillen. Aber über die, die in großen Geheißen gehen, haben die auflösenden Kräfte eines zwischen den Gesetzen irrenden Zeitalters keine Gewalt, die so oft die Begierde und die Sehnsucht trennen und so in dem vom Lieben abgeschiedenen Genießen Leib und Seele aus ihrem göttlichen Verbundensein reißen.

Liebe mußte zu ihr kommen, und je länger sie gewartet hatte, um so tiefer und erfüllender mußte diese Liebe sein. Aber Liebe konnte ihr, das wußte sie, nur noch geschehen, wenn der, den sie lieben sollte, auch der wäre, der ihr schöpferisches Verlangen in die Erneuerung geleitete und sie aus der verwelkenden Welt ihres Tuns hinausführte in die Atemluft eines neuen Glaubens an jene größere Aufgabe, die ihr Wesen forderte und die sie (trotz des kurzen Traumes von der griechischen Tragödie) nicht allein finden zu können schien.

Oft, wenn das ungeheure Verlangen dieser Jahre vom Willen niedergezwungen oder in der Erschöpfung verstummt war, hatte sie, zu den Pflichten ihres Tagewerks sich aufraffend, sich plötzlich im Spiegel gesehen. Dann hatte zuweilen Verzweiflung nach ihrem Herzen gegriffen, wenn die Frau, die sie so sehr war, die ergrauenden Schläfen, die Ermattung der Lider, die vielleicht den Anderen noch unmerklichen zwei Falten (die eben erst ein Hauch von Verfärbung waren) erblickt hatte, die von den Bogenenden des Mundes, das Kinn abhebend, abwärts zogen. Sie hatte ihre Jahre bedacht, daß sie nun in dem Alter sei, in dem sonst die Frauen ihre Erwartungen zu den alten Briefen und Erinnerungen schließen und nur mehr in dem Gatten, den Kindern und im Kreise ihres Hauses ihr Leben haben – und vor den unleugbaren Zeichen der hohen Reife hatte alle ungestillte Jugend in ihr geklagt und das Sehnen der langen Wartejahre vor der Vergeblichkeit alles Wartens gezittert.

Sie war nicht wie die unbelehrbar Eitlen, die mit einem verzerrten Bilde von sich selber leben und ihm alle Gaben ihrer Wirklichkeit aufopfern. Sie wußte ihre Jahre und deren Male so gut, wie sie wußte, wie unverbraucht die Jugend in ihr war und wie viel sie fordern mußte, damit ihrer Erwartung genug getan werde. So hatte sie erst nur den wunderbar versprechensvollen Dichter sehen wollen, hatte seine Jugend vor sich übertrieben und ihrer Natur Gewalt anzutun versucht. Sie hätte gern nur die machtvolle Schauspielerin sein mögen, die den Dichter zu seinem ihm selber noch unbewußten Werke leitet und so das erfüllende Theater für ihr all der routinierten und allzu engen Dramen müdegewordenes Schaffen erwirbt. Aber der Mann hatte die Frau gefühlt und sich an ihrer hundertgestaltigen Frauenhaftigkeit entzündet. Er hatte in allzu leicht erworbenen Freuden und ihrem kleinen Flackern das vollkommene Verlangen, das er gesungen hatte wie kein anderer, vergessen. Aber nun, da die hohe Schönheit, die gnadegewordene Leidenschaft in der Glorie höchster Kunst ihm begegnet war, wußte er sich selber wieder, hatte sein alle Frauen umfangendes Begehren die Frau gefunden, die alle Frauen zu sein versprach und doch die eine war, die einzigartige, die kein Mehr der Begierde an ein gierigeres Traumspiel verraten würde. Und wie er der großen Schauspielerin genaht war und dann mit seinem ganzen gewaltigen Wollen nach der Frau verlangt hatte, so hatte sie, die den Dichter gemeint hatte, nachdem ihr Widerstand gebrochen war, dem Manne ihr Leben übergeben müssen.

Und nun mußte alles grenzenlos sein; wie die Qual des Sichverlierens und die wilde Seligkeit des Besitzens, wie die neu sich auftuenden Tiefen niegefühlter Schwermut und die trunkene Herrlichkeit der Ahnung von immer größerem Leben, das er ihr verhieß, so sollte jetzt alles, alles sein: nicht Glück, wie es die Anderen auch haben, mit seinen Vorbehalten und Zweifeln, seinem behaglichen Hinnehmen des Wunders und den klüglichen Sparpfennigen der Bedenken. So wie die Leidenschaft war, das Geben und Nehmen, mußte auch der Glaube sein. Du mußt glauben, Herz, du mußt glauben, du Schwermut in der Nacht, du mußt glauben, du Verstand ... Alles muß jetzt groß sein, muß das Größte sein, sonst – nein, es gibt kein Sonst ... Es muß, muß so sein! Ja, sie war noch schön, trotz der paar mahnenden Zeichen. Und wie gut es nun war, reich zu sein, schöne Dinge zu kaufen, zu schenken, wählen zu können, wo man sein wollte, ihm die Stätte zu bereiten, die seiner würdig wäre, die voll der Schönheit und Stille wäre, in der sein Werk reifen kann. Oh, ein Haus, in das er heimkehren kann aus seinen Kämpferzeiten, sein Haus, in dem ihn selbst ihre Liebe nicht beirren würde, wenn er mit den Göttern und Dämonen, die ihm die Herrlichkeiten seiner Worte bringen, Zwiesprache hält. Und auch ein Haus für sie, ganz nahe dem seinen, in dem sie ihr großes Brennen vor der Welt verbergen kann, wo sie in der Sonne ihres Gartens, unter vielen Blumen, geschlossenen Auges sich der dunklen Süße ihres eigenen späten großen Blühens hingeben kann. O Lebensmittag, feierliche Zeit ...

Auf der Höhe der Hügel von Settignano, oberhalb von Florenz, wo Mauern aus allen Zeiten italischer Geschichte die Terrassengärten mit ihren schönen Bäumen und versteckten Häusern tragen, wo da und dort der Blick zwischen Zypressengruppen hindurch unten die Stadt mit ihren Türmen und Kuppeln und zinnenbekrönten Palästen und jenseits die anderen Hügel, wo San Miniato weiß zwischen den Zedern hervorleuchtet, trifft, wurde die Stätte gefunden. Und sie nannten das schöne Haus des Dichters die Capponcina und weiter, im Gedächtnisse des erdeseligen Dichterheiligen San Francesco, ihr kleineres Haus, das weiter unten lag, wie dort in Umbrien die Klause des Heiligen unten, unter dem Kloster liegt, die Porziuncola.

Gemma Ferruggia, La nostra vera DuseVon der engen Straße von Settignano aus sieht man die Villa nicht – sie ist ein ehemaliges Bauernhaus und von Eleonora Duse mit vieler Geduld umgestaltet worden. Ein paar Steinstufen, ein schlichtes Tor, von grünen Zweigen gekrönt, in der Mauer eine einfache Steinplatte mit dem Namen der franziskanischen Grotte. Dann eine Glocke, die man nicht ohne Erregung zieht, als ob man sich Gott weiß welche schwer zu erlangende Gnade erwartete. Ferne, vom Innern des Hauses her, antwortet ein klösterliches Echo, und langsam und mit ein wenig Geheimnis öffnet sich das Tor dem Besucher, der reinen Herzens kommt (das heißt nicht im Verdachte des Interviewers steht). Ist dieser Besucher nun eingelassen, so fühlt er sich plötzlich vom Dufte der Rosen erfaßt, die der große Luxus dieser seltsamen Schauspielerinnenbehausung sind ... In der Mitte des Rosenhags zieht als ein schmaler Streifen unbepflanzten Bodens in dem großen vielfarbigen Bereich der Weg, der zu dem bescheidenen Eingange führt, in dem die Duse ein paar Abbildungen von Meisterwerken der Kunst vereinigt hat. Und Abbildungen von Werken Botticellis, Mantegnas, Verrocchios, Desiderios und anderer sind mit großer Urteilssicherheit und dem weisen Maßhalten hohen Geschmackes über das übrige Haus verteilt, das keiner anderen Behausung gleicht. Es ist so geworden, ohne snobistische Gesuchtheiten ... Reich ohne Luxus, eigenartig ohne Prunk, und es läßt den, der es nur ein einziges Mal besucht, nicht zur Ruhe kommen, so sehr ist er vom Fehlen der üblichen Möbel, der eleganten Kleinigkeiten und alles dessen betroffen, das man sonst um Frauen zu sehen gewohnt ist ... Mit ihrem leichten Gange dahinschreitend ... zeigt sie die verschiedenen Zimmer, in denen zwei dem Blicke wohltuende Farben vorherrschen: ein tiefes Rot und ein dunkles Grün. In ihrem Studio ... kein einziges Bildnis eines Lebenden: ein Stich stellt das Gesicht, das für das Shakespeares gehalten wird, dar, sonst ein paar Photographien, ein Bild von Keats, das Haus Shakespeares, eine Ecke des Säulenganges von San Giovanni degli Eremiti in Palermo ... Überall Bücher, und Blumen überall, besonders Rosen, in großen Kupfergefäßen oder in kleinen, in die Wand gehöhlten Nischen ... Die Duse hat die Feder eines hohen altertümlichen, festen Schrankes spielen lassen. Auf der Rückwand erschien das Bildnis einer wunderschönen Frau: »... die war meine liebe Freundin, die hieß auch Matilde wie unsere Serao. Sie war großmütig und gut. Sie war ein leidenschaftliches Wesen, und es geschah ihr, daß sie den Mann verriet, den sie glühend liebte. Sie gestand es ihm aus Haß, aus Ekel vor sich selber, und sie tötete sich. Hier habe ich nur dieses Bildnis von ihr. Alle diese Hüllen von schwarzem Leder enthalten Briefe eines einzigen Menschen. Und das ist die Übersetzung der Shakespearischen ›Cleopatra‹: das Manuskript von Boito. Alles übrige habe ich zerrissen ...«

Das ist die Porziuncola: ein kleines Haus ohne Kostbarkeiten. Und doch will es ihr, trotz all der Reichtümer, die nun ihr Eigen sind, scheinen, als hätte sie sich schon fast zuviel gegönnt. Für Andere gibt es kein Überlegen und Rechnen, sie schenkt strahlend, mit vollen Händen. Wenn einer von den Freunden etwas bewundert, das ihr gehört, zwingt sie ihn, es zum Geschenke anzunehmen. Kostbare Ketten, die ihr Königinnen als Dank gegeben haben, legt sie anderen Frauen um den Hals, und wenn sie das Aufblitzen der Freude in deren Augen sieht, verlangt sie, daß diese Kette heute um diesen Hals bleibe, morgen, und wenn die Trägerin sich gegen das Geschenk wehrt, bittet sie, doch noch eine Woche den Schmuck zu tragen, und erreicht es immer, daß sie ihn schließlich geschenkt hat. Für die Anderen will sie ihren Reichtum genießen – die Freuden, die sie selber davon haben mag, kosten nicht viel.

Er ist aus seinem ersten politischen Abenteuer in das schöne Haus voll prunkender Dinge zurückgekehrt, um zu arbeiten. Seine Zeit politischer Verwirklichung sei noch nicht gekommen, sagt er – aber er könne ja warten, und er habe genug zu tun, dieses Warten auszufüllen. Er ist nicht einmal enttäuscht über das Mißlingen seiner Deputiertenlaufbahn. Er war ja auch nicht enttäuscht, als zuvor in Rom sein »Traum eines Frühlingsmorgens«, an den die Freundin ihre ganze Kunst verschwendet hatte, so viel Widerstand, ja Feindseligkeit erregt hatte, daß nur die Gegenwart der Königin bei der Erstaufführung einen Skandal verhindert hatte. Er glaubte so wunderbar an sich und daran, daß alles kommen müsse, wie er es wolle. Nun sei die Zeit seines Theaters gekommen, meinte er. Angelo Conti, der Freund, der alle Ideen der Menschheit, die auf klassischem Boden gelebt hatte, in sich hineingenommen hatte und sie im Gespräche zu wunderbarem, geisterhelltem Leben zu erwecken verstand, hatte ihm immer wieder von der Mission des tragischen Dichters gesprochen, in ihm Visionen alter Welt erweckt, die er mit dem Blutrausche, dem glühenden Prunke seiner Gesänge und mit sich selber als dem Wahrer der ewigen Begierde erfüllen könnte. Und nun war die große Schauspielerin sein Eigen, die Triumphierende, auf die die Welt hingerissen hörte, sah zu ihm auf und wartete auf sein Theater. Und dann, war nicht der große Theaterdichter der mächtigste unter den Dichtern, der mit lebendigen Stimmen, mit Leibern, mit dem Geschehnis gewordenen Verlangen die Menschen aufrütteln, hinreißen, zu sich hinreißen konnte? Wenn sie seine Gedichte oder Romane lasen, waren sie allein, konnten sich plötzlich wieder sich selber zuwenden und ihn vergessen. Aber daß sie seiner im Theater nicht vergäßen, dafür würde er schon sorgen. Mochten sie sich auch jetzt noch empören, er würde sie zwingen, das, was er von sich zu sagen hatte, und ihn selber mit allen Nerven zu erleben und ihm dann, wenn sie aus ihren Erschütterungen taumelnd aufstanden, rasend zuzujubeln. Er würde die Welt zu sich zwingen, auf jede, jede Art. Aber jetzt vor allem durch das Theater. Eleonora wartete, dienen zu können. Sie sollte nicht vergeblich warten. Freilich, das nächste Drama, das er nun vor sich sah, dieses antikische Drama voll Leidenschaft dieser Zeit, würde sie noch nicht spielen. Es war der Anderen zugedacht, es sollte von Frankreich aus in die Welt gehen, Sarah Bernhardt sollte es darstellen. Er würde ja noch so viele Dramen schreiben, die die Freundin spielen könnte. Und sie war stolz, sie würde warten. Er schrieb sein erstes mehraktiges Drama »Die tote Stadt«, und da es vollendet war, sandte er es an Sarah Bernhardt, die, mehr noch als von der Rolle von einer anderen Freude getrieben, sich eilig zur Darstellung des Stückes entschloß. Eleonora war stolz und schwieg.

Sie hatte, soweit sie es vermochte, ihre Verpflichtungen eingeengt, sie wollte in ihrem Hause, ihm nahe sein. Zuweilen mußte sie doch fort, manchmal kam er mit, manchmal blieb er in dem schönen Hause, um zu arbeiten, oder ging allein in Städte. Dann hatte sie eine tiefe, schauerliche Sehnsucht nach ihm, deren sie sich zuweilen schämte, wenn sie an ihr Alleinsein von früher dachte. Sobald sie konnte, kam sie zurück. Leidenschaft scheuchte alle Gedanken fort. Und wenn die in den langen Tagen, die sie allein im Garten bei ihren Rosen saß, wiederkommen wollten, sagte sie sich: er ist, wie er ist. Ich habe alles gewußt. Ich liebe ihn. Und wenn ihr Verstand und die treu bewahrte Würde ihres Lebens Urteil fordern wollten, flüchtete sie in seine Arme, in seine Worte, obwohl deren zu großer Klang sie jetzt oft ein wenig verschüchterte. Die großen Bilder, die sie hinrissen, wurden seltener, denn ihm selber geschah es, was er dann ausgesprochen hat: »Im Sprechen wurde er dessen gewahr, daß seine Worte einen falschen Ton hatten, daß seine Leichtigkeit einen schlimmen Gegensatz zu dem tödlichen Schatten bildete, der auf dem verschleierten Gesichte der Geliebten wohnte.« Dann freilich rüttelte er an sich, zwang die Tore auf, hinter denen in den glorreichsten Worten alle seine Gesichte bewahrt waren, bis sie umfangen, verfangen, alles vergessend wieder zu den Augen aufsah, in deren hellem Glühen ihr wieder alle Verheißung des Lebens war.

Sie weinte viel, mehr als in ihrem ganzen Leben zuvor. Ihre Augen wurden müde, sie verschloß sich oft in einem dunklen Zimmer und suchte die Träume und die Sehnsucht in sich, auf daß die zudeckten, daß sie mit dem geliebten Menschen schlimme Augenblicke, fast lieblose Worte gehabt hatte. Und wenn sie ins Licht zurückkehrte, scheute sie die Spiegel und fühlte sich uralt, ausgelebt, verloren.

Dann sah sie schlimmere Spiegel als den eigenen, der ihr die letzte schmerzliche Süße ihrer späten Schönheit hätte zeigen müssen: eine junge Schauspielerin kam als Bittstellerin, sie sah unter dem ärmlichen Kleide die göttliche Rundung der Mädchenbrüste, sah in der Demut der verehrungsvoll Bittenden heilige, furchtbare Jugend in Blick und Mund. Und sie gab so viel, daß das Mädchen zutiefst erschrak und es nicht glauben wollte. Oder sie ging mit ihm gegen Abend durch die Via Tornabuoni unten in Florenz. Und während sie wie immer einen Augenblick vor dem Palazzo Antinori stehenblieb, um die edle Strenge der Fassade anzuschauen, sah sie, daß sein Blick nicht mit dem ihren ging, und sie folgte ihm und gewahrte die tierhaft schönen Bewegungen der vorbeigehenden kleinen Ladenmädchen, ahnte die faltenlose Glätte dieser Körper und dachte daran, daß der Mann da neben ihr, ihr Geliebter, ja Schönheit, Begehren und Lust, die Anbetung des Leibes und die Lobpreisung des Genusses zum Dienste seines Lebens und seiner Dichtung gemacht hatte – und sie schämte sich ihres Frauentums und ihrer Leidenschaft und hätte sich gern in Altsein und Einsamkeit verborgen und entsühnt. Aber er, er, der jung war und die Schönheit liebte, riß sie dann doch wieder aus ihrer Scham und Scheu auf.

Wenn dann nachher in ihre tiefe, grausige Schwäche die Erinnerung, daß sie ja Theater spielen müsse, hineinrief, meinte sie, daß sie sich so doch nicht mehr ertragen könne. Dann sahen sie die paar Freunde, die jetzt noch zu ihr kommen durften. Und obwohl sie von ihm wie die Priesterin von ihrem Gotte sprach, verstanden sie aus ihrem Gange, aus ihren Händen, aus der Tiefe ihres Lächelns das Geheimnis sich vollziehenden Schicksals und wollten mit Worten, mit Bitten und Beschwörungen und mit der Darbietung ihres ganzen Gefühls dem wehren, das so um sie war, als ob es schon geschehen sei. Einer der Freunde, der nächste in dieser Zeit, weil er den Geliebten wie die Liebende gleich tief verstand, erkannte die Machtlosigkeit des Wortes, da er selber die Macht jener anderen Worte trunken und ernüchtert erlebt hatte. So suchte er nach anderer Hilfe. Eines Tages entdeckte er in dem hügeligen Lande am anderen Ende der Stadt ein einsames Haus, das weithin von Olivengärten umgeben war. »Hier muß Eleonora wohnen und ihr Alleinsein wiederfinden«, sagte er sich. Dann sah er am grasigen Hange gegen das Haus zu brennendrote Mohnblumen stehen. Das entschied. Denn er besann sich mit einem Male, wie diese Frau sehend zu leben verstand. Er erinnerte sich eines Ganges mit ihr in Umbrien, da er, der Gläubige, vor dem Standbilde eines Franziskanerheiligen haltgemacht und ihr die selige Büßergestalt gewiesen hatte. Sie war noch so sehr ein Kind ihrer ungläubigen Zeit gewesen, daß sie mit einem ein wenig spöttischen Lächeln die Statue des armseligen Heiligen betrachtet hatte. Da hatte er von San Francesco gesprochen und endlich zur Erklärung auf das umbrische Land vor ihnen gedeutet. Und sie hatte geschaut, geschaut, und mit einem Male waren in ihren großen Augen Tränen gewesen. Und dann waren aus ihrer Erinnerung die Verse emporgestiegen, die Dante von diesem kummerseligen barfüßigen Heiligen gesagt hatte – und sie hatte ihm leise diese Terzinen vorgesprochen, mit kindlich weinenden Augen, sie so gesprochen, daß der Freund sein Leben lang keinen Tonfall eines Wortes daraus vergessen konnte, und zuletzt waren ihre Hände wie arme, nackte Füße gewesen, die durch den Sommerstaub Umbriens müde die Straßen gehen müssen, die San Francesco gegangen war. Sie war noch ein wildes Heidenwesen gewesen, sagte der Freund, aber die Landschaft, die Landschaft hatte ihr damals schon für diese Stunde die Ahnung gegeben. Und nun beim Anblicke des roten Mohnes vor dem Hause, das er ihr zudachte, fiel ihm ein anderes Erlebnis mit ihr ein. Es war in der Anfangszeit ihrer Liebe zu dem Dichter gewesen. Sie hatten einen Nachmittag lang Venedig zu Fuß und in der Gondel durchstreift, und gegen Abend waren sie dann der Giudecca gegenüber gewesen, der Insel mit ihrem Reichtume an Granatäpfeln, die in ihrem Schweigen die schönsten Gärten der Welt einschließt. So erzählt Angelo Conti, der Freund jener Jahre, in seinem Buche Sul Fiume del Tempo. Und Eleonora Duse hatte ihm voll großer Traurigkeit gesagt: »Das Schicksal muß und wird wenigstens die Gärten der Giudecca retten, in denen man gegen Sonnenuntergang sieht, wie die Sommermohnblumen beim Wasser blühen und wie ihre Feuerfarbe mit den goldenen Nebeln des Horizontes verschwimmt. Wer nicht die Mohnblumen der schweigenden Insel gesehen hat, dort jenseits der Kanäle, wo noch immer die Chioggioter Fischer anlegen, der weiß nicht, was ein venezianischer Sonnenuntergang ist. In Gruppen, in Bündeln, zu Hunderten, zu Tausenden, in einer Farbe, die heftiger ist als die des Feuers, erheben sich die Blütenkronen, gegen Osten im Wasser gespiegelt, wie lebendige Flammen dem lichterfüllten Himmel zu. Der Mitklang ihrer Farbe vertieft das Glühen des Sonnenuntergangs, Licht zu Licht gefügt, Brand der Erde, emporgetaucht in den Brand des Himmels. Und so viel Licht und so viele Musik verströmen sich in einer vollkommenen Einsamkeit und in einem Schweigen, das nur das Vorüberkommen einer Barke oder der Schrei einer Möwe stört ...«

Und der Freund trat in das weiße, ölbaumgeborgene Haus ein, sah seine Helligkeit, empfand die tiefe Stille und erwirkte, daß das Haus der Frau, die baldigst mit ihm kommen werde, vermietet werde. Andern Tags schon eilte er zu Eleonora, um ihr seinen Fund zu zeigen. Da er mit ihr in den silbrig dämmernden Frieden des Gartens eintrat, sah er auf der Blässe ihres Gesichtes ein kindlich sehnsüchtiges Lächeln aufblühen. Und als er ihr dann im Hause selber an dem geöffneten Fenster, mit einer Geste die Abgeschiedenheit der umgebenden Hügel umfassend, sagte, dieses Haus müsse von nun ab das ihrige sein, kam ein solcher Ausdruck von Dank und Hoffnung in ihren Blick, daß er den Tränen nahe war. Im nächsten Augenblick straffte sich ihre Gestalt, sie lief durch die Zimmer, die Treppe hinab, umkreiste das Gebäude, kam wieder und erzählte sprudelnd von allem, was an dem Hause geändert und erneuert werden müsse. Ungeduld hatte sie gepackt: schnell, schnell sollte der Vertrag gemacht werden. Am selben Tage noch hatte sie das Haus für ein Jahr gemietet, Aufträge zu dringenden Arbeiten gegeben, und tags darauf sollte schon die Übersiedlung beginnen. Mit dem ersten Fuhrwerke, dessen sie habhaft werden konnte, schickte sie das allernötigste Hausgerät dahin – aber die alte Beschließerin wartete vergeblich auf die weiteren Wagen und die neue Herrin. Und dem Freunde, der, die Vergeblichkeit seines Versuches ahnend, zu ihr kam, sagte sie: »Es wäre dort, wie es hier ist, denn ich wäre ja dort ...«

*


 << zurück weiter >>