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Der Dichter

Glorificate in voi la vita bella!

G. d'A.

Eleonora Duse wurde im Nachdenken über diesen Mann, der nun mit einem Male in ihrem Leben war, dessen gewahr, daß sie von ihm noch viel mehr wisse, als sie anfangs vermeint hatte. Er war nun in seinem dreiunddreißigsten Jahre, und die ganze Fülle von Gedichten, Novellen und Romanen, die er geschrieben hatte, erzählten von ihm selber. Mochte er auch endlich nach den glühenden Bekenntnissen zur Fleischlichkeit, nach all der Verherrlichung des Begehrens und des Genusses einen anderen Weg gesucht haben und scheinbar in diesen letzten Büchern zu Gestaltungen gelangt sein, die mit ihrem fremden wirklichen Leben mehr waren als Auseinandersetzungen mit dem Ich: sie empfand den, den sie aus den schönen, den hinreißend farbigen Gedichten von früher her kannte, weiter in der in das Grauen verliebten Geschichte des Giovanni Episcopo und in »L'Innocente«, dem Romane, den sie als die Schöpfung einer über alles Maß hinausverlangenden Leidenschaft liebte. Ja, diese Lust am Gräßlichen, die seine Geschichten aus seiner abruzzesischen Heimat geformt hatte, war das andere Gesicht der Sinnlichkeit, und all die Visionen von Blutschande, tötender Liebe, heroischer Grausamkeit waren andere Gesichter dieser rasenden, über alles Maß hinaus besitzenwollenden Begierde zur Welt.

Jetzt dachte sie erst an all das, was ihr die Freunde erzählt hatten, Matilde Serao, die ihn so lange kannte, und ihr Gatte Edoardo Scarfoglio, der sein Freund war. Sie hatte die schöne Fürstin Galese gesehen, seine Gattin, von der er nunmehr getrennt war – und es schien ihr jetzt, als ob ihr alle nur von ihm gesprochen hätten. Es fiel ihr ein, daß man ihr gesagt habe, mit diesem großen Talente gehe es bergab. Sie erinnerte sich eines Briefes von ihm an Scarfoglio, den dieser veröffentlicht hatte und in dem d'Annunzio selber schrieb, daß er sich nach den an Arbeit und Ausschweifung so vollen Jahren körperlich und geistig verödet fühle, und sie besann sich des Gedichtes, in dem er die Traurigkeit des müdgewordenen Fleisches bekennt. Aber nun hatte sie ihn gesehen, und sie traute ihren Augen: da war nichts von Abstieg und Zuendegehen! Sie fühlte, daß die anderen unrecht haben mußten, daß sie den des Nachlassens seiner Kraft zeihen, der sich neuen Zielen zuwendet. Oh, es würde ihr wohl auch so gehen, wenn sie erst den neuen Weg gefunden hätte, auf den ihr Leben zuging, wenn sie nicht mehr wie bisher Theater spielte, sondern sich von all der bürgerlichen Tragik dieses Theaters befreit hätte und die großen erhabenen Gestalten eines höheren Lebens schaffen würde.

Ging es ihm nicht wirklich wie ihr? War er, den seine veristischen Erzählungen berühmt gemacht hatten, nicht auch dieser gestaltlosen Wirklichkeit satt geworden?

Sie sah ihn wieder, immer öfter, sie wohnte ja nun in Venedig. Da regten sich gute Freunde, wollten sie vor dem »fascino« dieses Mannes, dem alle verfielen, warnen. Sie grollte nicht einmal. Sie warnen? War sie denn ein kleines Mädchen, das man berücken konnte? Hier galt es andere Dinge: Schaffen und Gestalten. Das war der Mensch, dessen Schöpferkraft wirklich machen konnte, worum es ihr ging und worum es allen gehen sollte. Gefahr? Ja, vielleicht auch Gefahr. »Das unschuldige, freundliche, gewinnende Lächeln eines Kindes ... und dabei aus den großen lichten Augen der kalte stählerne Blick eines Mannes, der zielbewußt will und rücksichtslos, vielleicht auch grausam, wollen kann ...« Aus dem im Anhange erwähnten Aufsatze des Prinzen Hohenlohe über d'A. Sie sah das auch. Aber wer nach dem Gewaltigen, der Tiefe und der Erfüllung verlangt, wer sich so sehr im Schicksale weiß, der ist selber Gefahr, und das Behagliche und das Geborgene hat nicht Raum bei ihm; und dann, der gehen muß und nur einen Weg sieht, hat keine Wahl.

Was kümmerten sie all die Klatschgeschichten von Frauen, die er verlassen habe, von Lastern, Schulden und dergleichen, die man ihr nun zuzutragen versuchte? Mochte auch alles wahr sein, sie sah es anders. Sie empfand den ungeheuren Willen in diesem Leben, die Leidenschaft, die kein Besitz zu stillen vermag und die immer neue Begierden und Verzweiflungen in immer neuen Formen zu immer gültigerer Gestalt zwingen müsse.

Hatte er nicht von der Figur, in der am meisten von ihm selber gewesen war, von Andrea Sperelli, das ausgesprochen, was sie als das Versprechen an sie nehmen durfte: »... Aus der Erschöpfung der Lust selber und den Bitterkeiten, die sie in seiner Seele hinterläßt, und aus den Müdigkeiten, darin ihm sein Leib matt wird, begreift er die Leere und die Erbärmlichkeit, und er fühlt sich hingezogen zu der großen Rettung der Anachoreten der Menschheit von heute, zum vielfältigen und vielgestaltigen, schwingenden, tönenden, hinreißenden Leben und zu der großen Kunst, die ein Spiegel der Erscheinungen und der Leidenschaften der Welt ist ...«

Die große Kunst – o alles würde in ihr sein, das Blut und sein Blühen in Leidenschaften und Qualen, Herrschen und Dienen, alles Niegesagte an Martern und Seligkeiten der Menschengeschicke, und dazu ihr Sinn durch die Endgültigkeit der Form.

Sie glaubte an seine Kraft und seine Sendung, diese verworrene Zeit in seine Gestalten zu raffen und sie emporzuheben in den Mythos. Großes kündigte sich an, wie hätte sie nicht stolz sein sollen, mitsein zu dürfen, wo es geschah?!

Und er kam und erzählte von seinen Plänen, und er erzählte sie so, daß jeder sie hinriß. Er sprach, und mit einem Male gingen die Worte auf, und glühende Landschaften waren in ihnen, Landschaften, die sie zu kennen meinte und die doch abgerückt waren, endgültig wie in Mythoszeit, und alle menschlichen Dinge gingen als Figuren durch sie, blutnahe und fern zugleich durch die Schönheit. Und sie, die alles Schöne der Erde immer mit inbrünstiger Zärtlichkeit geliebt hatte, die in Farben verliebt gewesen, edle Stoffe liebkost hatte wie Lebendiges und mit Blumen gelebt hatte wie mit unendlichen Liebkosungen der Erde selber, sie, der die tiefen und glühenden Worte noch die Tiefe und die Glut des Lebens selber waren, fühlte, da die Worte des Dichters alledem seinen Namen gaben, die wortlosen Schönheiten ihres Lebens in der großen Glorie neu leuchten, die die Kunst über das Gelebte zu strahlen vermag.

Er kam und erzählte ihr von dem großen dichtenden Denker, dessen Werk ihn in diesen Jahren ungeheuer aufgerüttelt habe, von Friedrich Nietzsche und seiner Botschaft vom höheren Menschen. Er erzählte auf andere Art und anderes von diesem Werke, als Freunde es ihr dargestellt und gedeutet hatten. Aber dort waren es Gedanken gewesen, und hier war das alles lebendige Kraft geworden. So hatte er recht. Er sprach von Dichtern, die sie zu kennen geglaubt hatte. Und sie waren verwandelt, in sein Leben hineingenommen, Wirkendes seiner Natur geworden. Mochte er ihnen Gewalt angetan haben, er hatte die Gewalt, so waren sie sein Werkzeug geworden.

Aber wenn sie dann allein war, sah sie auf ihr Leben, auf all die Jahre voll unerbittlicher Zucht und Strenge gegen sich selber, auf dieses Dasein ohne eine andere Heimat als ihr Tun, das nun immer engender geworden war – und sie sah es an wie etwas, das ganz und gar zu Ende ist, und so sehr sie sich dagegen wehrte, sie hatte Heimweh nach sich selber, nach diesem erkämpften und erlittenen Ich. Sie gedachte ihrer Sehnsucht nach Verwandlung und schalt sich feige und kleinmütig, daß sie jetzt, da das Andere gekommen sei, sich solchen Gefühlen hingebe. Sie dachte der Freunde, des Freundes, der fern in einem Leben war, in dem kein Raum für ihr Tun war – und sie hatte tiefer noch Heimweh.

Aber dann stand immer wieder dieser Mensch vor ihr. Unendlichkeit der Erde, Unendlichkeit des Menschen sah sie in seinem Blicke, und alle ungelebte Jugend, alle Geheimniskraft ihres Wesens, die in Sehnsucht und Unrast in ihr geschwelt hatte, verlangte Erfüllung von ihm.

Bis dann mit einem Male alle Kräfte ihrer Natur wider diese neue Herrschaft aufstanden. Eines Tages, da er fort war und sein Wollen, an Arbeit hingegeben, von ihr gelassen hatte, fuhr sie wie aus ungeheuerlichem Traume auf, sah ihr langes, gutes und schlimmes Alleinsein, die unendliche Arbeit vieler Jahre, sah all das, was ihr Leben gewesen war – und sah, daß um alles Besitztum und alles Warten dieses Lebens schon die Leidenschaft zu diesem Menschen gewachsen war, daß ihr dieses Dickicht schon den Blick verstellte und sie bald ganz darin verfangen sein würde. Nein, nein, nein! Sie ging durch die schönen Zimmer ihrer Wohnung (der ersten ihres Lebens!), sah ihr Venedig vor den Fenstern – und umfing all das, die Stadt, die Heimat, die geliebten Dinge um sie, die sie von den Wanderungen und Fahrten ihres Lebens hierhergebracht hatte und die nun auch schon alle von dieser ihrer Leidenschaft gezeichnet waren, mit einem Blicke wehesten Abschieds. Und dann gab sie Befehl, daß wieder ihre Koffer zum Aufbruche bereitzumachen seien und daß die Wohnung geräumt und die Möbel und all ihre Habe nach Rom geschickt würden. Und sie schrieb an Primoli, er möge ihrem Besitztume in seinem Hause Platz gewähren, bis es vielleicht doch noch einmal für sie wieder ein Zuhause geben würde. Sie hatte das Stiegenhaus zu ihrer Wohnung, die im obersten Stockwerke lag, ganz mit rotem Stoffe ausschlagen lassen. Der war noch in seiner ganzen Fülle und Üppigkeit an den Wänden, da alles andere schon verpackt war. Man fragte sie, was damit geschehen solle. Sie sah den Purpurstoff an, der ihr plötzlich so fremd und nicht zu ihr gehörig schien, dachte »auch das ist er, der Prunkliebende ...« Und als Leute kamen, um nach der freiwerdenden Wohnung zu fragen, schenkte sie den Fremden diesen vielen Stoff. Und sie ging fort. Sie wollte neu arbeiten, aus eigener Kraft die Verwirklichung ihres Theaters beginnen. Ein Freund, in dessen Natur und Denken die Antike wieder auferstanden schien, Angelo Conti, hatte sie die griechischen Tragödien sehen gelehrt. Das mußte nun ihr Weg sein: sie wollte die Antigone spielen, die Orestie! Das sollte ihr großes Theater sein. Jetzt war sie reif genug, seine gewaltige Form mit ihrem Leben zu erfüllen, und dieses Schaffen würde ihr Frieden und Freiheit geben. Sie ging nach Rom. Sie wollte ihr eigenes Theater errichten, nahe der Stadt in antiker Landschaft, ein Amphitheater, von den Steineichen und Lorbeerbüschen der Albaner Berge umwachsen ... Sie hatte sich selber entfliehen wollen – und als er dann wieder in ihr Zimmer trat, wußte sie, daß man sich selber nicht entrinnen könne. Und sie gab sich wissend und schicksalglühend dem Unabwendbaren hin.

Nun sie eine Liebende war, war es ihr Stolz, es mit immer mehr und immer besseren Kräften zu sein. Und wenn ihr Herz vor dem dunklen fremden Wachstum, das nun urwaldhaft in ihr trieb, erschrak und sie sich wieder in das Heimweh nach dem Unwiederbringlichen flüchten wollte, mahnte eine zarte Stimme, die sie doch als altvertraut erkannte, mit jener Ahnung von früher her, daß das, was man verlieren könne, nicht wert sei, daß man es behalte. Und da er dann immer tiefer, immer heißer, immer ausschließlicher ihr Leben erfüllte, tröstete sie ihre Seele: er wird mein Theater schaffen, ich werde seinen Gestalten meine Kraft und mein Blut geben. Es ist noch nicht die Zeit. Wenn ich ganz in seinem Leben bin, wird er meiner Sehnsucht nach meinem Werke dienen müssen, wie ich dann seinem Werke dienen will. Sie wollte Geduld haben, nun mußte sie ja glauben, daß ihr Theater aus ihm werden müsse, da er die Welt geworden war. Und sie sagte sich, daß es anders sein würde als alles Theater der Welt zuvor und daß es herrlich Kampf und Arbeit kosten werde, die Menschen dazu zu zwingen. Das war nun ihr Dienst – und der Traum vom erhabenen griechischen Theater verkroch sich in das Dunkel zu den anderen stillgewordenen Träumen.

Schurmann drängt, für eine neue größere Tournee in Amerika, für die sich außerordentlich vorteilhafte Möglichkeiten bieten, abzuschließen. Oh, Amerika – und wäre es auch nicht diese Welt, die ihr so unvernünftig unheimlich ist, ja trotz all der Erfolge und der kindlich warmen Menschen, die sie dort weiß, fast grausig – sie möchte nicht fort, jetzt nicht fort aus Italien! Aber da spricht ihr Schurmann von dem vielen Gelde, das dieses amerikanische Gastspiel einbringen werde, und sie, die tausendmal bewiesen hat, wie wenig ihr am Gelde liege, denkt daran, daß sie auch Geld brauchen werde, um ausharren und seine ihr verheißenen Dramen durchsetzen zu können – und sie sagt ja und geht nach Amerika.

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