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Zwischenbemerkung des Biographen: Paris und Sarah Bernhardt

Über dieses erste Gastspiel in Paris bietet sich dem Lebensbeschreiber eine gar nicht zu erschöpfende Fülle von Berichten aller Art dar. Sie scheiden sich deutlich in zwei Arten: die eine stellt die Geschichte eines großen Erfolges dar (aber wir haben dieses Wort Erfolg und seine Synonyme in dem Bisherigen schon allzuoft gebraucht, und da heute noch der Name Duse allein als ein Superlativ all solcher Worte gelten darf, scheint es uns im Sinne unserer Aufgabe zu liegen, uns mit Andeutungen all dieser ungeheuren Triumphe zu begnügen) – die andere Art erzählt sachlich, medisant oder sensationslüstern von der »Affäre« Sarah Bernhardt-Duse. Hätte diese im Leben Eleonora Duses eine solche Bedeutung gehabt wie in dem der alternden und um ihre Macht bangenden Sarah Bernhardt, dann müßten wir wohl von diesen nicht eben erbaulichen Dingen, die darzustellen Männer von wirklichem literarischen Rang nicht verschmäht haben, weil ihnen eben Paris und seine Tagesgespräche immer beinahe die Welt selber schienen, mit einiger Ausführlichkeit erzählen. Da wir jedoch sehen, wie einseitig diese Rivalität war und wie Eleonora Duse sich in ihrer bewundernden Scheu vor der großen Schauspielerin als der Mensch, dem jede Art von Intrige etwas völlig Sinnloses war, mit aller Kraft ihrer Natur geweigert hat, Gegenspielerin in dieser Komödie kleiner und großer Ränke zu sein, dürfen wir uns mit einer kurzen Darstellung des Sachverhaltes begnügen. Wir würden gerne auch auf diese verzichten, müßten wir nicht daran denken, daß es sich ja hier um das Verhalten der größten französischen Schauspielerin ihres Zeitalters gegen die größte Schauspielerin einer Menschheitsepoche handelt. Ehe wir diesen Sachverhalt so eilig, wie wir vermögen, erwähnen, um schnell wieder zu unserer Biographie, die sich jetzt endlich mehr und mehr der angestrebten Seelengeschichte eines repräsentativen Menschen nähern soll, zurückkehren zu können, scheint es uns notwendig, eine Anzahl von Sätzen anzuführen, in denen diese beiden Wesenheiten in Hinsicht auf das Theater gegenübergestellt werden. Sie stammen von Bernard Shaw, aus einem Aufsatze, der mit dem Namen dieser beiden Frauen überschrieben ist Wir entnehmen dieses Zitat der Sammlung von F. v. Mendelssohn, die in den bibliographischen Schlußbemerkungen genauer bezeichnet wird.; daß diese Gegenüberstellung in einer ein wenig späteren Zeit entstand als der, in der unsere Biographie angelangt ist, macht keinen Unterschied, da diese beiden Naturen sozusagen in einer anderen Kategorie als in der Zeit wesentlich anders waren. Shaw schreibt: »Der Gegensatz zwischen den beiden Darstellerinnen ist so groß, wie es ein Gegensatz zwischen Künstlerinnen überhaupt sein kann, die eine zwanzigjährige Lehrzeit in demselben Berufe unter ganz ähnlichen Verhältnissen hinter sich haben. Sarah Bernhardt besitzt den Zauber einer noch frischen, aber etwas verwöhnten und mutwilligen Reife, dafür hat sie aber stets ein die Wolken durchbrechendes Sonnenscheinlächeln zur Hand, sobald man nur genug Wesens aus ihr macht. Ihre Kostüme und Diamanten sind, wenn auch nicht geradezu blendend, jedenfalls prächtig, ihre Gestalt, ehedem viel zu dürftig, ist jetzt voll geworden, und ihr Teint zeigt, daß sie die moderne Kunst nicht vergeblich studiert hat. Jene reizvollen, rosigen Wirkungen, die französische Maler hervorrufen, indem sie dem Fleische die hübsche Farbe von Erdbeeren mit Schlagsahne geben und die Schatten blaß und hochrot malen, werden von Sarah Bernhardt am eigenen lebendigen Bilde geschickt verwendet. Sie schminkt sich die Ohren hochrot und läßt sie zwischen ein paar losen Flechten ihres kastanienbraunen Haares entzückend hervorlugen. Jedes Grübchen hat sein rosa Kleckschen, und Sarahs Fingerspitzen schimmern in so zartem Rosenrot, daß man sie für ebenso durchsichtig wie ihre Ohren halten und glauben könnte, das Licht dringe durch ihre zarten Adern. Ihre Lippen sind wie ein frischangestrichener Briefkasten; ihre Wangen haben bis hinauf zu den schmachtenden Wimpern den feinen Hauch um das Äußere eines Pfirsichs; sie ist schön im Sinne der Schönheitsbegriffe ihrer Schule und unglaubwürdig im Sinne bloßer Menschenhaftigkeit. Aber die Unglaubwürdigkeit ist verzeihlich, weil sie ... doch so kunstvoll, so klug, so anerkanntermaßen zur Sache gehört und in einer so munteren Manier zur Schau getragen wird, daß es unmöglich ist, sie nicht gutgelaunt hinzunehmen ... Ihre Schmeichelei paßt gut zu der kindlich eigenwilligen Art ihrer Darstellung, die nicht in der Kunst gipfelt, den Zuschauer höher denken oder tiefer empfinden zu lehren, sondern in der Kunst, ihn zu zwingen, sie zu bewundern und zu bemitleiden, für sie zu streiten und mit ihr zu weinen, über ihre Späße zu lachen, ihr Geschick atemlos zu verfolgen und ihr tosenden Beifall zu spenden, sobald der Vorhang fällt. Es ist die Kunst, alle unsere Schwächen ausfindig zu machen und darauf zu bauen, uns zu schmeicheln, zu quälen, aufzuregen, kurz, uns zum besten zu halten. Und immer ist es die Persönlichkeit der Sarah Bernhardt, die das bewirkt. Das Kostüm, der Titel des Stückes, die Reihenfolge der Worte mögen verschieden sein – die Frau bleibt immer dieselbe. Sie dringt nicht in den Charakter ein, den sie darstellt, sie setzt sich an seine Stelle.

Und gerade das alles tut die Duse nicht, der jede Rolle zu einer eigenen Schöpfung wird ... Wilkes, der entsetzlich schielte, rühmte sich, nicht länger als eine Viertelstunde lang hinter dem schönsten Mann Europas zurückstehen zu müssen: der Duse genügen fünf Minuten auf der Bühne, und sie ist der schönsten Frau der Welt um ein Vierteljahrhundert voraus. Ich gebe zu, daß Sarahs sorgfältig durchgearbeitetes Mona-Lisa-Lächeln mit dem bewußten Senken der Augenwimpern und der schüchternen Art, mit der ihre langen, karminrot gefärbten Lippen die blendende Zahnreihe enthüllen, auf seine Art wirksam ist ... Und der Zauber wirkt eine volle Minute, manchmal länger. Aber mit einem Beben der Lippe, das man mehr fühlt als sieht und das nur einen halben Augenblick dauert, greift einem die Duse geradewegs ans Herz. Und es ist keine Linie in ihrem Antlitz, kein kalter Ton in den grauen Schatten, der jenes Beben nicht erhöhte ... Es wäre jedoch ein kritischer Schnitzer, wollte ich damit andeuten, daß die Duse ebenso wie die Sarah Bernhardt irgendeine Kunst vernachlässige, welche die Wirkung ihres Spiels erhöhen könnte ... Es muß vielmehr gesagt werden, daß in der Kunst, schön zu sein, Sarah Bernhardt ein Kind neben der Duse ist. Der Vorrat an Stellungen und Gesichtswirkungen der französischen Künstlerin könnte ebenso leicht katalogisiert werden wie ihr Vorrat an dramatischen Einfällen: die Aufzählung würde kaum über die Finger beider Hände hinausgehen. Die Duse erzeugt die Illusion, in der Mannigfaltigkeit schöner Posen und Bewegungen unerschöpflich zu sein. Jede Idee, jeden Schatten eines Gedankens und einer Stimmung weiß sie zart, aber lebendig auszudrücken. Trotzdem die Duse scheinbar über eine Million von Modulationen verfügt, ist es unmöglich, auch nur eine Linie eines stumpfen Winkels oder auch nur die kleinste Anstrengung zu bemerken, die auf die völlige Hingabe aller Glieder an die lieblichste Anmut (wie nach einem natürlichen Gravitationsgesetz geschieht diese Hingabe bei ihr) störend einwirkte. Sie ist gewandt und biegsam wie ein Turner oder eine Pantherkatze, nur sind die zahlreichen Gedanken, die in ihren Bewegungen körperlichen Ausdruck finden, alle von jener hohen Art, welche die Menschen von den Tieren – und ich fürchte, auch von den meisten Turnern – unterscheidet.

Wenn man bedenkt, daß die Mehrzahl der Tragödinnen sich nur in Ausbrüchen jener Leidenschaften hervortut, die Menschen und Tieren gemeinsam sind, wird es nicht schwer fallen, den unbeschreiblichen Vorrang zu begreifen, der dem Spiel der Duse aus dem Grunde gebührt, daß hinter jedem kleinsten Zuge ihrer Darstellung eine rein menschliche Idee steht ... Kein physischer Reiz kann als edel oder schön empfunden werden, wenn er nicht der Ausdruck eines ethischen Reizes ist; und eben weil diese ethischen hohen Töne im Machtbereiche der Duse liegen ... preßt der Umfang ihres Könnens, der von den Tiefen eines bloß räuberischen Geschöpfes, wie Claudes Gattin, bis zur höchsten Güte Marguérite Gautiers oder bis zu den tapfersten Augenblicken Magdas sich erstreckt, eben darum preßt er die armseligen anderthalb Oktaven, auf denen Sarah Bernhardt ihre hübschen Liedchen und aufregenden Märsche spielt, auf ein so winziges Maß zusammen ...«

So stehen diese beiden Schauspielerinnen also einander gegenüber, getrennt durch den Abgrund, der den seelenhaften, leidenstiefen Künstlermenschen von dem Virtuosen trennt, dessen Menschliches ganz und gar vom Metier aufgezehrt worden ist, durch jenen Abgrund, der das Visionäre vom Geschmacklichen, das nach Heiligung Strebende von der Gefallsucht oder das Fromme vom Geistreichen trennt. Gemeinsam ist dann endlich nur noch, daß sie beide Schauspielerinnen sind, die zu Ruhm gelangt sind (obgleich auch schon in der Art des Ruhmes die ganze Wesensgegensätzlichkeit seiner Trägerinnen war). Daß diese bloße Gemeinsamkeit eines Metiers hinreichen konnte, die Nur-Schauspielerin, betroffen, beleidigt, aus dem Gleichgewicht gebracht, in eine verworrene Beziehung von Eifersucht, Ranküne und Bosheit zu verstricken, da sie den unbezweifelbaren Erfolg dieser andern (den sie nicht anerkennen kann, ohne sich selber zu negieren) erlebt, ist gemäß einer Motivenwirkung, die nicht mehr durch Menschliches, sondern lediglich durch die einem Metier entwachsene Psychologie bestimmt ist, fast selbstverständlich. Aber ebenso selbstverständlich ist, daß die andere (die nach jenem Worte »Wo du nicht lieben kannst, sollst du vorübergehen« lebte) sich abwandte, da sie eines solchen Verhaltens gewahr wurde, weil ihr diese bloße Metiergemeinsamkeit trotz aller bis an das Ende ihres Lebens bewahrten Bewunderung für das Können der Sarah nicht hinreichte, auch nur so viele Beziehung aufrechtzuerhalten, als in einem planmäßigen Sichwehren enthalten wäre.

Aber wir müssen kurz die Tatsachen streifen, die so viele Gemüter jener Zeit so sehr beschäftigt haben, daß ihnen in ihrer eifervollen Anteilnahme dieses und jenes wirkliche Geschehnis sich allmählich in einem Sinne umgestaltete, der ihrer Meinung davon deutlicher Ausdruck gab, und daß, weil ein großer Mensch, freilich ganz passiv, mit in dem kleinen Spiele war, sich mitten im Tage und seiner Zeitungsgeschichtlichkeit Elemente von Mythos einzuschleichen begannen, so daß zehn Jahre später schon selbst die Anfänge dieses einseitigen Kampfversuches in ein paar ganz verschiedenen Versionen existierten. Aber sämtliche, und auch die, die bei Freunden der Sarah ihren Ursprung haben, lassen erkennen, daß Eleonora Duse dieser Rivalität gegenüberstand wie allen Äußerungen menschlicher Kleinheit; etwa wie ein Mensch, der versehentlich an einen Ort geraten ist, wo ihm Dinge vor Augen treten, mit denen er nichts zu tun hat, und der, dessen gewahr werdend, mit einem Lächeln höflichster Entschuldigung hinweggeht.

Eleonora hatte von Gastfreundschaft den hohen Begriff, den die Wandernden haben, die in der Rast in einem Zelte, einem Hause die Heimat einer Nacht, einer Spanne Zeit ehren. Sie dünkte sich Gast der Sarah Bernhardt und mußte ihr entgegentreten, wie der Gast dem Eigner der ihm gewährten Stätte entgegenzutreten hat, wenn dieser ihm nicht selber begrüßend die Hände reichen kommt. Sie waren vordem nicht nur in Amerika, sondern auch da und dort in Europa gleichzeitig in derselben Stadt gewesen, aber eine nähere Bekanntschaft war nicht zustande gekommen, so sehr Eleonora Duse diese gewünscht hatte. Sie selber hatte ihre Meinung über die Sarah (zu Jules Huret) ausgesprochen: »Ich habe eine große Bewunderung für sie ... Ich finde, daß sie eine geniale Künstlerin ist, die einen angebornen Sinn und die Gabe der tragischen Schönheit besitzt. Ich bewundere auch ihre hohe Intelligenz, und ich bin ihres großmütigen und rechtlichen Geistes und ihres Künstlerherzens sicher. Und ich schätze noch mehr, wenn das möglich ist, ihre außerordentliche Energie, ihre seelische Persönlichkeit.«

Der Graf Montesquiou, der Schriftsteller und Repräsentant eines höchsten geistigen Genießertums, dessen Geschichte ihn uns Heutigen wie eine Gestalt von Proust erscheinen läßt, hatte sich als Mittler einer ersten Zusammenkunft erboten. Sarah kam aus Belgien zurück, und Eleonora wurde von Montesquiou in ihr Studio geführt. Das war noch vor dem Beginn von Eleonoras Gastspiel. Die Umarmung zur Begrüßung, sagt Montesquiou, sei etwas wie ein Aufeinanderprallen gewesen. Was dann folgte, war mehr eine Audienz als der Empfang eines willkommenen Gastes. Und Sarah, Meisterin der Konversation, habe es an wohleingekleideten Tücken und mit bezauberndstem Lächeln gesagten Gehässigkeiten nicht fehlen lassen. Am Abende dann spielte Sarah Bernhardt das letztemal vor Eleonoras Gastspiel. Sie hatte es sich angelegen sein lassen, für diesen Abend eine möglichst wirksame Rolle zu wählen. Eleonora war mit Montesquiou in einer Loge, und so schwer ihr das Stehen fiel, verbrachte sie, um die Sarah zu ehren, fast die ganze Vorstellung stehend. Sarah ließ natürlich an diesem Abende das ganze Feuerwerk ihrer Kunst spielen, aber sie war dieser Italienerin gegenüber entschieden nicht in Chance, denn das Theater war sehr schwach besucht, und das Publikum ging gar nicht mit.

Am Tage nach Eleonoras erster Vorstellung und ihrem ungeheuren Erfolge fuhr Sarah nach London. Nur hatte Eleonora Duse die Rechnung, ohne an ihre Gesundheit zu denken, gemacht, der sie in diesen Tagen mehr zugemutet hatte, als selbst ihr Wille zu erzwingen vermochte. Sie spielte und riß das Pariser Publikum von Mal zu Mal stärker hin – aber die Vorstellungen konnten nicht in der geplanten Aufeinanderfolge stattfinden: Fieber und Erschöpfung erzwangen größere Pausen zwischen ihnen. Dann ging die Frist, für die das Theater gemietet war, zu Ende. Eleonora wußte, daß Sarah in dieser Saison nicht mehr spielen würde, so bat sie um eine Verlängerung der Gastspielzeit, um die angekündigte Anzahl von Vorstellungen geben zu können. Die Bitte wurde mit der Begründung, daß Reparaturen im Theater nötig seien, abgeschlagen. Nun begann Paris vom Groll der großen Sarah zu sprechen, und nicht allerorten, das wußte die also Beredete nur allzubald, mit der andächtigen Unterwürfigkeit, die die Göttliche von ihrem Volke forderte. Da wurde sie vollends erzürnt, verklagte Schurmann beim Gerichte, der Urheber eines in diesen Tagen erschienenen Artikels gewesen zu sein, in dem sie selber zur Lobpreisung dieser »rosse«, wie sie die andere im Freundeskreis genannt hatte, herabgesetzt wurde. Es hieß, sie habe damit die bevorstehende Verleihung der Ehrenlegion an dieses »Subjekt« Schurmann hintertreiben wollen. Sie mußte ihre haltlose Klage zurückziehen, wurde auf Schurmanns Gegenklage wegen Verleumdung verurteilt – und als dann Schurmann tatsächlich jene Auszeichnung empfing, wütete sie gegen ihre Ergebenen, raste, forderte Rache und tobte um so mehr, als ihr wacher und erfahrener Verstand ihre Machtlosigkeit gegenüber dieser ersten Niederlage ihres Lebens, zu der sie selber das Kommen dieser anderen gemacht hatte, und die erste Lächerlichkeit ihrer stets wohlüberwacht gewesenen Haltung erkannte. Empört hatte sie mitansehen müssen, daß diese Duse, statt auf ihre Abweisung hin sofort aus ihrem Paris zu fliehen, ein anderes Theater für ihre letzte Vorstellung gemietet hatte. Sie sprühte machtloses Gift, wo sie es vermochte. Aber diese Duse hatte bereits den Kreis verlassen, in dem sie ihr noch auf irgendeine Weise nahekommen konnte. Denn nun wußte Eleonora, daß keine Brücke zwischen ihnen sei. Und sie ging weiter und bewahrte sich die Bewunderung für die Schauspielerin, an der sie zum ersten Male im Leben diese höchste Beherrschung des Handwerks und die daraus entspringende große Macht erlebt hatte.

Sarah Bernhardt jedoch, der Mensch der zum Genie gewordenen Eitelkeit, konnte nicht verwinden, daß jemand es gewagt habe, in ihrer Stadt, die sie sich in vielen Jahren des Werbens endlich unterworfen hatte, in wenigen Tagen auf eine derartige Weise Erfolg zu haben, die sie als einen Eingriff in ihr Recht betrachten mußte. Und sie trug ihr das mit der Zähigkeit, die die beste Stärke ihrer Natur war, über die Jahre hin nach. Und sie ließ sich keine Gelegenheit, die andere herabzusetzen, entgehen, an die sie mit einer wunderlichen Haßliebe gekettet war, mit der die Starken und Rachsüchtigen oft an das Unerreichbare gekettet sind. Ein solcher Versuch eines Racheaktes sichtbarerer Art war jener viel besprochene und viel zitierte Artikel in einem englischen Magazin, in dem sie im Rahmen ihrer Autobiographie nachfolgendes Urteil veröffentlichte: »Eleonora Duse ist eher eine große Schauspielerin als eine Künstlerin: sie geht Wege, die ihr von Anderen gebahnt worden sind. Gewiß ahmt sie diese Anderen nicht nach, sie pflanzt Blumen, wo jene Bäume gepflanzt hatten, und Bäume, wo bei jenen Blumen gewesen sind; aber sie hat mit ihrer Kunst niemals eine Gestalt geschaffen, die man als eins mit ihrem Namen betrachten könnte, sie hat niemals ein lebendiges Wesen oder eine Vision gestaltet, die uns unmittelbar an sie denken ließen. Sie hat nichts anderes getan, als die Handschuhe der Anderen anzuziehen, nur daß sie sie verkehrt angezogen hat. Und all das hat sie mit einer unendlichen Grazie und einer unbekümmerten Unbewußtheit getan. Eleonora Duse ist also eine große Schauspielerin, sogar eine sehr große Schauspielerin, aber sie ist keine Künstlerin.«

Trotz dieses Urteils, das die Presse und der Klatsch eines in seiner Neugier nach Personalien seiner Großen geeinten Europas gierig der nun schon langen Geschichte von Sarahs Rachsucht hinzufügten, hatte diese bei all ihrer sonstigen Beherrschtheit nicht die Kraft, eindeutig diese nunmehr zur Verpflichtung gewordene Haltung zu bewahren. Als sie bald danach erfuhr, daß Eleonora Duse wieder in Paris spielen werde und ihr Impresario bereits mit einem Theater abgeschlossen habe, versuchte sie augenblicklich, die Verhaßte zu bewegen, doch wieder wie damals in ihrem Theater zu spielen. Als ob sich das von selber verstehe. Die Antwort Eleonora Duses, die Haß so gut wie Liebe verstehen konnte, aber der alles trübe Gebräu der Vermischung fremd war, meinen wir um ihrer Sprache willen im französischen Original hierhersetzen zu sollen:

 

Pas d'oubli dans mon cœur.

Voici pour vous, Madame, ma première pensée – toute de reconnaissance – que je vous envoie dans ces quelques mots que je vous écris, à la première heure de mon arrivée à Paris.

Votre hospitalité, jamais je ne l'ai oubliée, jamais je ne l'oublierai.

Jadis, dans ces jours, vous avez tout fait pour être envers moi grande et bonne.

Vous m'aviez alors habituée à une douce intimité, qui était devenue pour moi une tendresse respectueuse et profonde.

Hélas – pourquoi aujourd'hui, pourquoi, Madame, mon cœur ne peut aller directement au vôtre?

Quelle est l'attitude qu'une âme droite, reconnaissante et digne doit garder?

Je ne peux pas ignorer, á l'heure qu'il est, l'opinion formulée par vous sur mon art – je ne peux ni l'ignorer, ni Padmettre, ni l'oublier, car on n'aime pas oublier ce qui fait vibrer en nous la plus féconde de nos forces.

Mais ... le Souvenir de votre jugement d'art ne doit pas me faire oublier vos premières bontés, car chaque heure a sa valeur dans la vie, et j'aime, dans ce moment, me rappeler celle où vous avez été, envers moi, parfaite et bonne.

Alors, que faire?

Je vous répetè encore, Madame, ces paroles affectueuses: Pas d'oubli dans mon cœur.

La souvenance d'une chose et la mémoire de l'autre, je les garde.

Veuillez donc, je vous prie, Madame, vous rappeler, à votre tour, mon admiration sans bornes et ma reconnaissance sans fin.

Paris, 20 février 1905,
Eleonora Duse

 

Sonst ist über diese »Affäre Duse-Bernhardt« nur noch zu sagen, daß Sarah Bernhardt noch bis in ihr Alter fortfuhr, ihrer Ranküne, wo sie es vermochte, Ausdruck zu geben, und daß Eleonora Duse, wo sich Gelegenheit bot, die Kunst der Sarah pries und daß sie, als die fast Achtzigjährige zu einem letzten kurzen Gastspiel nach Italien kam, ihr einen Strauß von Roses de France zum Gruße schickte.

Damit darf sich der Biograph von dieser Kleinwelt, aus deren Verstauben doch noch ein kleines Licht herscheint, wieder der Geschichte dieses Menschen zuwenden, über den, wenn menschliche Größe irgendeinen Sinn für die Menschheit haben soll, die Zeit nicht Gewalt haben wird, solange die Welt, die wir die unsere nennen, ihr Hohes der Zukunft weiterzugeben vermag.

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