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Sankt Helena.

Ein leichter Seewind strich über das Meer. Im Schein der Januar-Sonne glänzten die weißen Wälle und Mauern der Citadelle von St. James und der Häuser von Jamestown auf der Insel St. Helena.

Der Passatwind füllte die Segel zweier Schiffe, die von Norden und Süden heraufkamen, und bewegte die Wimpel zweier anderer Fahrzeuge, die auf der Reede von Jamestown ankerten.

»Das Schiff, das von Norden kam, ließ von seiner Gaffel die Tricolore wehen; es war der Fregatt-Schoner »die Isabelle«, von La Rochelle nach Kalkutta bestimmt.

Auf seinem Taffarell lehnten zwei Passagiere, während unter dem Sonnenzelt in einer Hängematte von indischem Hanf eine junge reizende Frau sich hin und her schaukelte und sich mit den beiden Männern unterhielt.

Von Süden her steuerte eine plumpe Galiote, niederländischer Bauart. Es war ein holländischer Ostindienfahrer, wie das ganze Aussehen und die Streifen der Tricolore horizontal, statt, wie bei dem französischen Schiff senkrecht, erwiesen.

Unter dem Zelt des Holländers, die »Jouffrouw van Bliessen« genannt, saßen auf weichen Kissen, aus kostbaren Hukahs rauchend, zwei braune Männer, in weiße indische Gewänder gehüllt. Neben ihnen, auf der Bank des Backbords, lehnte ein junger Mann; Gram und finstere Entschlossenheit in den bleichen ehrlichen Zügen. Seinem linken Arm fehlte die Hand!

Das eine der beiden Schiffe auf der Rhede – beide zeigten das Andreaskreuz im roten Felde, die mächtige Flagge Alt-Englands – war eine stattliche Fregatte, das andre ein dickbauchiges plumpes Transportschiff, eine jener schwimmenden Höllen, wo das Verbrechen und der Jammer hausen, und die notwendige Geißel der tyrannischen Disziplin regiert: eines der Verbrecherschiffe, welche die Verurteilten nach Botany-Bay Bucht des Großen Ozeans in Neu-Süd-Wales bei Sydney. D. H. deportieren.

Während die beiden fremden Schiffe herankamen, ereignete sich eines jener kleinen Dramen gleichzeitig am Bord der beiden Fahrzeuge, wie sie auf der englischen Flotte allwöchentlich mit der Regelmäßigkeit solider Geschäftsleute abgespielt werden.

Es war der Tag der neunschwänzigen Katze.

Die neunschwänzige Katze des die Menschenrechte verteidigenden Englands ist die Flottenknute ( cat o'nine tails), bestehend aus neun Stricken an einer fußlangen hölzernen Handhabe, von denen jeder voller Knoten ist, so daß zehn Hiebe damit in gleichem Kurse mit hundert der für die Landsoldaten üblichen Knute stehen.

Auf der Fregatte »Artemise«, auf der jeder Dienst mit strenger Pünktlichkeit vollzogen wurde, setzte auf den Befehl des ersten Leutnants der Hochbootsmann die silberne Pfeife an die Lippen und gab das Signal: »Alle Mann herauf zur Bestrafung!«

Durch die Luken stürzten die Leute empor, aus dem Takelwerk stiegen sie nieder und sammelten sich um den Fockmast.

Der Kapitän, der an diesem Tage von Jamestown herüber gekommen war, spazierte hinter dem Sonnenzelt auf dem Hinterdeck und beobachtete die ankommenden Schiffe. Es war ein tüchtiger und tapferer Offizier, kein ungerechter und grausamer Mann, aber ein arger Dienstpedant, der von dem Herkommen und dem Buchstaben der Vorschrift keinen Finger breit abwich.

Der Hochbootsmann tippte an den Hut und machte dem wachthabenden Offizier die Anzeige, der Offizier der Wache trat zu dem ersten Leutnant, tippte an den Hut und machte seine Bildung, der erste Leutnant wandte sich an den Kapitän, der dicht daneben gestanden, salutierte und sagte: »Sir, alles fertig zur Exekution.«

»Geben Sie mir die Strafliste, Duckworth,« sagte der Kapitän. Der Leutnant überreichte ihm das Papier.

»Fünf Mann! – Jack Campel wegen Verunreinigung des Verdecks sechs Hiebe! Der schmutzige Halunke soll zehn haben, ich will ihn lehren, auf meinem Verdeck auszuspeien! John Grattan und Tom Conelly zweimal betrunken! Die Schufte sind unverbesserlich, der Aderlaß wird ihnen gutthun! Der Schiffsjunge Nils, weil er des Kapitäns Hund den Schwanz abgehackt hat, fünf. Die Bestie! die Katze mag ihn lehren, den Hund in Ruhe zu lassen. Frederic Walding – zwölf Hiebe wegen Fluchtversuchs! Das ist ja der störrische Bursche, der in Plymouth gepreßt wurde und das Handgeld verweigerte! Wir wollen mit ihm anfangen!«

Der Kapitän stieg, die Liste in der Hand, die Treppe hinab und ging nach dem Vorderteil, wo die Mannschaft sich aufgestellt hatte, und der Gehilfe des Hochbootsmanns neben der Kanone stand und die Schwänze der Katze langsam durch seine Hände gleiten ließ.

»Männer,« sagte der Kapitän, in dem er vor dem Schiffsvolk stehen blieb, »es macht mir kein sonderliches Vergnügen, Euch zu bestrafen, aber die Ordnung muß gewahrt werden. Wenn Ihr Trunkenbolde, Ausreißer, Unheilstifter und Schmutzfinken seid, so bin ich dafür Kapitän und habe die Macht, Euch zu striegeln. Leutnant Duckworth, verlesen Sie die Strafliste und lassen Sie den letzten festbinden.«

Der Bezeichnete trat aus der Reihe; er trug Matrosenkleidung, denn man hatte ihm die seine fortgenommen; sein Gesicht war bleich und entstellt, hohe Aufregung lag in seinen Zügen.

»Sir, ich bitte Sie, widerrufen Sie den Befehl! Sie wissen, daß ich nicht zu Ihrer Mannschaft gehöre, daß ich kein Engländer, sondern ein Fremder und auf die schändlichste Weise des Nachts überfallen, gemißhandelt und gepreßt worden bin.«

»Das ist alles ganz gut,« sagte der Kapitän, »indes Du bist mir als Matrose vom Wachtschiff überliefert und hast das Brot Ihrer Majestät gegessen. Als enrollierter Jungmann darfst Du ohne Urlaub nicht ans Land, sonst wirst Du als Ausreißer behandelt und darum –«

»Ich habe das Brot dieses Schiffes gegessen, Sir,« sagte vor innerer Empörung zitternd der Verurteilte, »weil ich nicht verhungern konnte. Ich habe dieses Brot abverdient, indem ich Ihrem Wundarzt hilfreiche Hand leistete. Ich habe weder Ihr Handgeld genommen, noch Ihrer Regierung den Eid geleistet. Ich bin ein freier Mann, und als solcher ging ich in dem Boot ans Land! Daß ich der Tyrannei, die mich an dieses Schiff gefesselt hält, auf dieser Insel nicht entfliehen konnte, wußte ich so gut, wie Sie.«

»Was wolltest Du also am Lande, Bursche?«

»Das Grab eines Mannes besuchen, der eben so ein Opfer Englands gewesen ist, wie ich es bin!«

»Papperlapapp! – Womit wird der Bursche beschäftigt, Leutnant Duckworth?«

»Es ist, wie er sagt. Der Doktor hat ihn im Lazarett Dienste thun lassen. Er soll wirklich Kenntnisse haben.«

»Sobald er Dienste gethan hat, gehört er zu Ihrer Majestät Fregatte, und wer ohne Urlaub das Schiff verläßt, wird als Deserteur behandelt,« entschied der Kapitän. »Schnallt den Burschen fest, Hochbootsmann, und gebt ihm ein leichtes halbes Dutzend, wie ihm zukommt, und damit Du siehst, mein Mann, daß ich nicht unbillig bin, sollst Du, wenn Du Dein Recht erhalten hast, 24 Stunden Urlaub haben, um meinetwegen ans Land zu gehen, und jedermanns Grab auf dieser Insel besehen.«

Die Matrosen schrieen ein Hurra für die glorreiche Entscheidung und schwenkten die Hüte. Zwei Mann ergriffen den Unglücklichen, der sich vergebens mit allen Kräften wehrte, rissen ihm die Jacke und das Hemd vom Leibe und warfen ihn auf die Kanone, wo er festgeschnallt wurde. Der Bootsmannsgehilfe trat zur Seite, schwang das furchtbare Instrument, und der erste Hieb fiel aus die Schulter des deutschen Freundes jenes Enkels der Begum von Somroo, daß lange, blutunterlaufene Striemen die weiße Haut färbten. – – – – – – –

Auf dem Verbrecherschiff wütete die Katze grausamer in dem Fleisch der Ungehorsamen, und Mann auf Mann wurde auf das Lukengitter geschnallt, das hier den Pranger vertrat, und erhielt seine Dutzende. Kapitän Summer, ein kurzer, vierschrötiger Mann mit aufgedunsenem, rotem Gesicht, aus dem Bosheit und Grausamkeit sprachen, rieb sich vor Vergnügen die Hände und schien mit jedem neuen Streich, der fiel, an Behagen zu gewinnen.

Die Deportierten, hundert und einige zwanzig an der Zahl, standen auf den Gangwegen des Schiffes, um der Exekution beizuwohnen, während zwei mit Kartätschen bis an die Mündung geladene Kanonen vom Hinterkastell her auf sie gerichtet waren.

Ein junger Mann, ein armer Kupferstecher, der wegen Fälschung, aus bitterer Not begangen, um einer greisen Mütter das Leben zu fristen, zu zehnjähriger Deportation verurteilt war, lag auf dem Gitter, wegen eines geringen Vergehens gegen die Schiffsdisziplin zu drei Dutzend Hieben verdammt. Der Unglückliche, dessen Körper durch Krankheit und Kummer aufs äußerste geschwächt war, konnte unmöglich diese furchtbare Strafe ertragen. Schon bei den ersten Hieben wimmerte er auf das Kläglichste und der letzte Schlag des Dutzend traf einen Ohnmächtigen.

Die Männer, die mit verbissenen Zähnen, Spott und Trotz auf den wilden, von verbrecherischen Leidenschaften gefurchten Gesichtern selbst die Strafe erduldet, oder das Blut ihrer Kameraden unter der Geißel fließen gesehen, begannen zu murren bei dem Anblick.

» Hell fire!« brüllte der Kapitän, »will die Brut mucksen! Einen Laut noch, und ich lege das Schiff unter die Kanonen der Fregatte und lasse Euch zusammenschießen. Fortgefahren, Bootsmann und rührt Eure Katze, oder, so wahr Eure Seele verdammt sein möge, ich lasse Euch selber anschnüren.«

»Halten Sie ein, Sire, sehen Sie nicht, daß der Ärmste dem Tode nahe ist!«

Der Kapitän starrte den dreisten Redner an, als sei Ungeheuerliches geschehen. Der Redner war einer der Deportierten, der durch seine ruhige, ernste Haltung selbst über die Verbrecher eine, gewisse Autorität auszuüben schien. Obschon er die Kleidung der Deportierten trug und sein Haar kurz am Kopf geschoren war, trug seine Figur, seine Haltung, jede seiner Bewegungen unverkennbar den Stempel der guten Erziehung und des höhern Standes. In dem braunen, wirrgelockten Haar zeigten sich leichte Spuren von Grau, die Wölbung der hohen Stirn, auf der jetzt eine tiefe Falte zwischen den Brauen lagerte, verkündete einen kühnen und entschlossenen Charakter, das Auge war durchdringend und blitzend, die Gestalt majestätisch, selbst im Kleide des Verbrechers.

Der Kapitän schaute ihn erstaunt an. »Was soll das heißen, Bursche? Wie kannst Du es wagen, gegen meine Befehle Einspruch zu thun?«

»Das soll heißen, Sir,« sagte der Verurteilte ruhig, »daß Sie das Recht zur Strafe haben, aber nicht das, die Leute zu töten, und daß der Wundarzt dort selbst die Fortsetzung der Mißhandlung für einen Mord des Mannes erklären wird!«

Das Gesicht des kleinen Kapitäns färbte sich dunkelrot vor Wut über diese kühne Einsprache. Zugleich aber kam sein Eigennutz ins Spiel, denn die Regierung vergütet für jeden Deportierten, der lebend und gesund in Sidney abgeliefert wird, an den Kapitän und den Schiffsarzt eine gewisse Summe. Er wandte sich an den Wundarzt, der den Puls des Verurteilten fühlte, und fragte: »Kann der Bursche die Strafe aushalten?«

Der Doktor zuckte die Achseln. »Ich fürchte, nein!«

»Schnallt ihn los und bringt ihn ins Lazarett – es wird sich später eine Gelegenheit finden. Dafür schnallt mir jenen Halunken auf das Gitter und gebt ihm, was an den drei Dutzend fehlt, für seine Frechheit! Ich kenne Dich, schändlicher Mörder und Rebell, und habe lange auf die Gelegenheit gepaßt, Dir's einzutränken, was die Narren im Gerichtshof an Dir versäumt haben!«

Die Augen des Deportierten flammten. »Wagen Sie es nicht, Sir, Hand an mich zu legen, es würde Ihr Verderben sein!«

»Was, offene Meuterei?« tobte der Kapitän. »Wo ist die Wache der Seesoldaten? Nieder mit dem Schurken und gebt ihm die Katze!«

Mehrere Soldaten und Matrosen warfen sich auf den Verurteilten, aber er schüttelte sie wie Kinder von sich. Dann trat er selbst an das Gitter und warf die Jacke von seinen Schultern. »Ich bin bereit, Sir, lassen Sie Ihre Henkersknechte ihren Dienst thun! Diese Schmach wird nicht den entehren, den sie trifft, sondern das Land, das Männer wie Sie mit der Knute bewaffnet hat! Thun Sie Ihr Schlimmstes – die Folgen werden Sie zu verantworten haben!«

»Ich werde sie tragen, Bursche! Nieder mit ihm und gebt dem gottverdammten Rebellen die drei Dutzend voll!«

Wie ein Held, der zum Tode geht, überlieferte sich der Deportierte den Händen seiner Peiniger.

Wenige Augenblicke darauf klangen hohl die Schläge der furchtbaren Geißel von dem Fleisch, aus dem bei jedem Hiebe das Blut spritzte.

Aber kein Laut, kein Stöhnen, kein Seufzer des Schmerzes entfuhr der Brust des Geschlagenen.

»Das Parlaments-Mitglied für Ballycastle,« sagte der Kapitän mit Hohn, »ist von den irischen Wahlmeetings her an Schläge gewöhnt!«

Kein Mann auf dem Schiff antwortete dem grausamen Hohn – selbst die rohen, Schmach und Schande gewohnten Verbrecher hatten ihre Augen abgewandt.

Die sechsunddreißig Schläge waren gefallen, und der rothaarige Schotte, der die Exekution vollstreckt, wischte grinsend die blutigen Stränge seiner Katze an einer Hand voll Werg ab.

Der Unglückliche wurde emporgehoben, von seinem zerfleischten Rücken rieselte das Blut in Strömen; er war bleich; die Zähne schienen so krampfhaft zusammengebissen, als sollte der Mund nie wieder sich öffnen. Nur das Auge schien zu leben, und ein Blick richtete sich auf den Kapitän, so furchtbar und entschlossen, daß dieser schaudernd zurückfuhr. Dann sich gewaltsam fassend, sagte er mit abgewandtem Auge: »Das wird Dich lehren, zu widersprechen und den Meuterer zu spielen. Hinunter mit Dir, Bursche, und laß Dich vorerst nicht wieder blicken vor mir!«

Der Deportierte wandte sich festen Schrittes zur Luke und erreichte sie ohne ein Wort, ohne Wanken, dort aber verließ ihn die Kraft, und er sank zwei herbeispringenden Männern in die Arme.

»Bringt den Mann in das Lazarett, Leute,« befahl der erste Leutnant mit bebender Stimme. »Doktor, gehen Sie hinunter zu dem Kranken!«

Der Kapitän hatte das Deck verlassen und war in seine Kajüte gegangen, bald darauf ließ er sein Gig bemannen und fuhr nach der Fregatte. –

Eine Stunde nach der Exekution trat der erste Leutnant des Transportschiffes in den Raum, der zum Lazarett eingerichtet worden. Der Sträfling war kurz vorher wieder zum Bewußtsein erwacht, und der Doktor saß neben ihm.

Das Gesicht des Mannes, obschon bleich, war starr und ruhig, er schien auf das Zureden des Arztes kaum zu hören und nur seinen Gedanken nachzuhängen. Erst als der Leutnant zu seiner Hängematte trat, fuhr er aus seinem Starren empor.

»Sir,« sprach der Offizier mit einer gewissen Ehrerbietung zu dem Gefangenen, »ich beklage tief das Schreckliche, das geschehen. Es lag ganz außer meiner Macht, irgend etwas zu seiner Abwendung zu thun; denn dieser Mann ist ein Tyrann, der auf keine Stimme der Menschlichkeit und Billigkeit hört. O, warum mußten Sie ihn reizen und haben meinen dringenden Rat nicht befolgt!«

Der Gefangene sah finster vor sich hin. »Kümmern Sie sich nicht darum, Leutnant O'Meara,« sagte er dann, »jene Handlung hat das Maß voll gemacht, und wenn ich noch einen Augenblick zögerte, so ist das jetzt beendet. Nicht jener Mann ist es, den meine Rache zu treffen hat – England ist der Tyrann, der durch jenen und in mir das unglückliche Irland, ja das Recht der Menschheit mit Füßen tritt! Darum Rache an England! – Jetzt, Leutnant O'Meara, mahne ich Sie an Ihren Bundeseid; ich bedarf Ihres Beistandes!«

»Befehlen Sie, ich werde gehorchen. Auch wenn mein Eid es mir nicht zur Pflicht machte, würde ich mein Leben wagen, um den Willen des Mannes zu erfüllen, der mein Wohlthäter war in der Jugend, und dem ich selbst diesen traurigen Posten verdanke. Was soll ich thun?«

»Ich muß diese Nacht das Land betreten.«

»Sir, wenn Sie fliehen wollen, ich habe es Ihnen längst gesagt, steht mein Dienst und mein Leben zu Ihrer Verfügung. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sankt Helena die schlechteste Gelegenheit ist, die Sie wählen können.«

»Meine Flucht soll England die Schande wahrhaftig nicht ersparen, mich nach Botany Bay gebracht zu haben. Ich brauche vier Stunden und werde nach dieser Zeit wieder hier sein, mein Ehrenwort darauf. Der Doktor ist Irländer, wie wir beide, und wird mir behilflich sein. Bringen Sie mir Matrosenkleidung, einen Schiffsmantel und eine Kappe, die mein Gesicht verbirgt, und richten Sie es ein, daß in der Dunkelheit ein Boot zu Lande geschickt wird, mit dem ich unbemerkt ans Ufer kommen kann. Sie werden diese Nacht von zwei Uhr morgens ab die Wache auf dem Deck übernehmen, und wenn sich irgend ein Boot naht, in dem Sie mich erkennen, mir behilflich sein, wieder unbemerkt an Bord zu kommen.«

»Ihr Befehl soll erfüllt werden, Kapitän. Aber erlauben Sie mir, so schmerzlich die Erinnerung daran ist, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie nach der furchtbaren Mißhandlung unmöglich eine Anstrengung aushalten können.«

Der Deportierte wandte sich nach dem Arzt, der eben bei dem im Fieber rasenden jungen Mann beschäftigt war, für den jener gelitten.

»Kommen Sie hierher, Doktor!« Er wandte sich mit Mühe in der Hängematte um. »Nehmen Sie jene Flasche Rum und gießen Sie dieselbe über die Ehrenwunden, die ich für Alt-England davongetragen. In einer Stunde müssen die Wunden geschlossen sein!«

»Aber um Himmelswillen, Sir, das wäre ein furchtbarer, unnötiger Schmerz! Sie würden es nicht aushalten!«

»Thun Sie, was ich verlange, Doktor: das andre ist meine Sache.«

Die Zähne fest aufeinander gebissen, ohne einen Laut von sich zu geben, ließ der Gefangene die entsetzliche Operation an sich vollziehen.

Dann wandte er sich zu dem Offizier. »Glauben Sie jetzt, daß ich imstande sein werde, zwei Stunden zu Pferde zu machen, wenn ich es will?«

Der Offizier verbeugte sich. »Ich werde thun, was mir der Bund durch Sie befiehlt, Sir!«


Auf dem Hochplateau der Insel, eine Stunde von Jamestown, in der sterilsten und unfruchtbarsten Gegend, schutzlos den sengenden Strahlen der Sonne und den wilden Orkanen des Meeres ausgesetzt, liegt ein einstöckiges Haus, mit der Front gegen das Meer, auf der Rückseite von einigen Nebengebäuden umgeben.

»Es ist Longwood – der Kerker Napoleons I. bis zu jenem 5. Mai 1821, der den gefesselten Tyrannen für immer dem niedern Hohn des triumphierenden Englands entriß.

Östlich von Longwood liegt ein stilles, dunkles Thal – einige Palmen rauschen im Wind auf den Hügeln, ein kleiner freundlicher Bach spielt durch den Grund und zwischen der geöffneten Felswand hin dehnt sich die unendliche Fläche des Meeres.

Zwei Weiden stehen auf einem kleinen Erdabhang nahe dem Ufer des Baches. Ihre hängenden Zweige beschatten das Grab Napoleons I. – Neunzehn Jahre barg es seine Gebeine; dann wurden sie zurückgebracht nach Frankreich, um in dem Invalidendom zu Paris beigesetzt zu werden.

Es war Nacht – der Mond hellte mit seinen Strahlen zwischen den vorüberpeitschenden Wolken das einsame Thal. – Alles war einsam und still.

Unter der Weide am Grabe kniete ein Mann in Schifferkleidung, Hut und Mantel lagen am Boden.

In den Zweigen der Weiden flüsterte und rauschte es geheimnisvoll, gleich der Antwort der Unterirdischen, und von drei Seiten klang das Geräusch der Nahenden.

Der Mann am Grabe blickte empor.

Von Longwood her kam ein einzelner Reiter, von Osten herauf, an den Felsenklippen empor, stiegen zwei Männer und von der Ruperts-Bay im Süden sah man drei Personen auf Maultieren den Felsenpfad daherreiten.

Der einsame Reiter war der erste, der sich nahte; er hatte das kleine Gebirgspferd, das ihn getragen, in einiger Entfernung an den Stamm einer Palme gebunden und trat zu dem nächtlichen Wächter des Grabes.

»Verzeihen Sie, Herr, eine Frage,« sagte er auf Englisch. – »Ist dies jene letzte Ruhestätte, die Ihre Landsleute dem großen Gefangenen von St. Helena gewährt hatten?«

»Die Engländer haben dies gethan, Friedrich Walding,« entgegnete der Fremde, der den Mantel wieder umgenommen, den Hut in die Stirn gedrückt hatte, »nicht meine Landsleute, obschon sie in so mancher Schlacht in den britischen Reihen gegen den Toten fochten. Irland bekämpft seine Feinde, aber es mordet nicht die Besiegten!«

Der Angeredete fuhr bei dem hohlen Klang dieser Stimme zurück.

»Woher wissen Sie meinen Namen, Sir, Sie, ein Unbekannter auf dieser einsamen Stelle des Weltmeeres? Wer sind Sie?«

»Löscht die Gerechtigkeit Englands so bald selbst das Andenken ihrer Opfer aus dem Gedächtnis der Lebendigen, daß die Männer, die sie Freunde nannten, schon nach wenig Monden jene vergessen haben?«

Der deutsche Arzt sprang auf den Unbekannten zu und riß den Mantel von dem Gesicht. »Was ist das?! Trügen mich meine Augen? Kapitän Ochterlony, Sie hier, an diesem Ort?«

»Was wundern Sie sich darüber? Als ich Sie verließ, als ich Ihnen raten ließ durch Duncombe, den weißen Raben, den ehrlichen Notar, sobald als möglich England zu verlassen und nach dem Festlande zu fliehen, war ich ein Gefangener im Kerker; jetzt bin ich ein Verurteilter am Bord eines Verbrecherschiffes, auf dem Wege nach Botany Bay – der Unterschied ist gering, und mein Los Ihnen gewiß längst bekannt.«

»Entsetzlich! Jenes Schiff in der Bay von Jamestown –«

»Ist der neue Parlamentssitz für Ralph Ochterlony, den Irländer! Ist es nicht Gnade genug, daß man den radikalen Oppositionsmann, weil der Beweis der Ermordung eines Weibes, das er einst geliebt, und seiner Teilnahme am Bandverein von Irland nur unvollständig gelang, bloß zu lebenslänglicher Deportation verurteilte? Haben die Zeitungen der hohen Lords wirklich ihr Triumphgeschrei so wenig laut angestimmt, daß ihr Jubel nicht einmal bis zu Ihren Ohren gedrungen ist?«

»Das Ohr der Gefangenen und Unterdrückten vernimmt selten eine Botschaft. Ich bin ein Gefangener Englands, wie Sie, Ochterlony, ein entehrter, gemißhandelter Mann, und an dieses Grab gekommen, um hier Vergessen zu suchen für das eigene Unglück!«

Der Kapitän hielt ihn auf Armeslänge von sich und starrte ihn an. »Sie ein Gefangener wie ich!? – was wollen Sie damit sagen? Ich glaubte Sie auf dem Weg nach Indien, Ihr und mein Gelübde zu lösen!«

»Auf dem Weg dahin bin ich – aber nicht freiwillig. Ich bin ein Gefangener am Bord der ›Artemise‹, der Fregatte, welche vor drei Tagen von der afrikanischen Küste im Hafen von Jamestown eingetroffen und in des Nähe des Transportschiffes ankert. Vor sieben Monaten, als ich nach Ihrem Willen vor unsern Feinden aus London geflohen war und in Plymouth mich einschiffen wollte, wurde ich des Abends von unbekannten Männern am Strand überfallen und zu Boden geschlagen. Als ich wieder zum Bewußtsein gelangte, befand ich mich an Bord eines Wachtschiffes, meiner Papiere beraubt, und vierzehn Tage später wurde ich auf die nach der afrikanischen Küste und nach Indien bestimmte Fregatte gebracht, ohne daß auf meine Bitten und meinen Widerstand geachtet wurde.«

Der Kapitän faßte seinen Arm. »Und der Brief Dyce Sombres an Nena Sahib? Er ist also auch gestohlen, wie das Testament?«

»Er ist das einzige, was ich gerettet! Ich hatte ihn mit einigen Banknoten von schlimmer Ahnung getrieben, in dem Leder meines Stiefels verborgen. Alle Papiere waren mir entwendet, doch das rechte war den Mördern entgangen!«

»Es ist sicher, daß es auf dieses abgesehen war. So sind Sie demnach entflohen von der Fregatte?«

»Man hat mir auf vierundzwanzig Stunden die Freiheit gegeben, nachdem ich deren Behauptung mit einer eben so schimpflichen, wie tyrannischen Mißhandlung habe bezahlen müssen – man strafte mich als Deserteur!«

»Wie, auch Sie? und Sie leben noch ohne den Gedanken unendlicher Rache? – Doch still – Fremde nahen diesem Ort! fort, bis wir wissen, wer sie sind!«

Der Irländer verschwand mit dem Arzt hinter einem Felsblock.

Jede der beiden nahenden Gruppen hatte eine Fackel angezündet, in deren Schein sie ihren Weg verfolgten. Die dunkelen Sturmwolken verbargen jetzt den Mond und umzogen mit furchtbarer Schnelligkeit den ganzen Horizont.

Die beiden Männer, die von Osten her kamen und an den Felsenklippen der Küste emporgestiegen waren, betraten mit dem festen Schritt und dem kühnen Auge von Leuten, die gewohnt sind, der Gefahr ins Auge zu sehen, den Platz. Ihre Kleidung war die einfacher Reisender, der Gürtel jedoch, der ihre Hüften umgab, zeigte ihre Bewaffnung für jede Eventualität.

Das Licht der Fackel, die der eine trug, fiel auf die zweite Gruppe der Ankommenden und beleuchtete die weiten, reichen Gewänder zweier Indier, und die einfache Jacke eines holländischen Boors.

»Steht! wer da?«

»Antwortet selbst.«

»Fremde, Franzosen, die das Grab des Kaisers besuchen!«

Der junge Mann, der die Kleidung des holländischen Boors trug, schritt auf sie zu.

»Meine Herren,« sagte er in französischer Sprache, »wenn Sie Passagiere des französischen Schiffes sind, das mit uns zu gleicher Zeit auf der Reede von Jamestown eintraf, so seien Sie uns willkommen. Ein gleicher Zweck führt uns hierher, dem Grabe des Mannes unsere Ehrfurcht zu zollen, der der furchtbarste Feind unserer Feinde war. Ich bin ein einfacher Boor vom Kap, mein Name ist Peter Pretorius, und ich gehe in Aufträgen mit einem batavischen Handelsschiff nach Paris. Meine Begleiter sind Indier, der Bruder und General des Königs von Audh, Sicander Hasmat Bahadur, und der Bruder des künftigen Maharadschah von Bithoor Nena Sahib, Bader Dutt, die, um Klage zu führen gegen die Tyrannei und Gewaltthätigkeit des indischen Gouvernements, nach London reisen.«

Die Franzosen verbeugten sich.

»Mein Name ist Dugonier, der dieses Herrn Grimaldi; wir gehen nach Indien, um in die Dienste der unabhängigen Fürsten gegen England zu treten.«

Ein Blitz zuckte über den nächtlichen Himmel und der Donner rollte dröhnend über Felsen und Meer.

Hinter dem Felsblock hervor traten zwei Männer in den kleinen Kreis am Grabe.

»Lassen Sie uns die Dritten sein bei Ihrem Finden an dieser Stätte,« sagte die sonore Stimme des Älteren. »Indien, Holland, Irland, Frankreich, Griechenland und selbst der Deutsche, an dessen Strommündung England eine Zwingburg gebaut – nicht der Zufall, sondern die Fügung Gottes hat uns an diesem Grabe zusammengeführt. Wohlan, so laßt uns ein jeder seine Anklage gegen England niederlegen an diesem Grabe und uns verbinden zum heiligen Racheschwur gegen dies Volk!«

Er legte die Hand auf das Gitter der Gruft und begann seine Erzählung.

Einer nach dem anderen von den Versammelten folgte ihm in der Rede.

Als der letzte geendet, knieten alle um den Stein, der einst die Leiche des großen Kaisers bedeckt hatte, und sie legten ihr Hand auf den kalten, schwarzen Basalt und sie schworen zusammen:

» Kampf gegen England

 


Herrosé & Ziemsen, Wittenberg.


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