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Der zweite Dezember.

Der große Empfang in Palais Elysée war vorüber, die Equipagen der Minister, der Deputierten und der Aristokratie der Armee und der Börse rollten davon.

Paris stand am Vorabend großer Ereignisse, vielleicht einer neuen Staatsumwälzung, die Nationalversammlung hatte soeben den famosen Paragraphen des Verantwortlichkeitsgesetzes gegen den Prinz-Präsidenten geschleudert, der die Provokation seiner Wiederwählung für einen Grund zur Anklage für Hochverrat gegen die Republik erklärte, die Montagnards fraternisierten offen mit den Agenten der Roten und der Socialisten, Thiers, der feige Intriguant, versteckt seine Ministergelüst hinter der Fusion, das Auftreten der Legitimisten unter Berryer wuchs mit jeder Sitzung an Kühnheit, und die Generale mit dem Ruhm von Algerien hatten offen den Erinnerungen des Bonapartismus den Fehdehandschuh hingeworfen.

Dennoch war der Napoleonide, auf den sich jetzt die Augen von ganz Europa zu richten begannen, noch nie so heiter, so sorglos, so liebenswürdig erschienen, als gerade an diesem Tage.

An diesem Abend war eine spanische Dame, Eugenie Marie von Guzmann, Gräfin von Téba, nebst ihrer Mutter durch den spanischen Gesandten im Elysée vorgestellt worden und Louis Napoleon hatte sich lange mit ihr unterhalten.

Die Ernennung des Generals Lawöstine, eines enragierten alten Bonapartisten, zum Chef der National-Garde von Paris war das einzige, was der Prinz-Präsident allen gegen ihn gerichteten Intriguen erwidert hatte.

Die letzten Wagen hatten eben den Hof des Elysée verlassen, als zwei Männer, in Mäntel gehüllt, von der Avenue Marigny her ihn betraten.

Die Wachen vertraten ihnen den Weg.

» Le mot, Messieurs, s'il vous plait!«

» L'empereur et Austerlitz!«

» Passez!«

Der nächste Tag war der sechsundvierzigste Jahrestag der Schlacht von Austerlitz.

Der eine der beiden Männer schien im Palast bekannt, denn er führte seinen Begleiter sogleich über mehrere Treppen und Korridore des linken Flügels, auf welchem Gange sie noch zweimal von Schildwachen angehalten wurden, nach einem großen Vorzimmer.

Auffallender Weise waren sie auf dem ganzen Wege keinem einzigen Mitgliede der zahlreichen Dienerschaft des Palastes begegnet, überall nur Posten von den Lanziers, dieser Lieblingstruppe des Prinzen.

Vor den herabgelassenen Portieren der gegenüberliegenden großen Thür standen zwei Offiziere. Eine Anzahl Mäntel, Hüte und militärische Kopfbedeckungen füllte bereits die Sessel und Tische des Vorzimmers.

»Legen Sie ab, meine Herren,« ersuchte einer der Offiziere, »und haben Sie die Güte, mir Ihre Namen und Ihre Karten zu geben.«

»Kommandant Dugonier und Kapitän Grimaldi.« Er reichte dem Adjutanten zwei rote, mit der Namensunterschrift des Generals Saint Arnaud versehene Karten.

»Treten Sie ein, meine Herren!«

Es waren in der That die beiden dem Leser bereits bekannten Personen, die jetzt in einen ziemlich großen Salon eintraten, der verfolgte Flüchtling von Korfu, der Feind Englands und der Offizier der französischen Expeditionstruppen, die ihn zu retten versucht.

Der Ionier war bleich und hager, die Spuren eines schweren Wundlagers waren auf seinem Angesicht, über sein ganzes Wesen eine finstere Ruhe verbreitet.

Der Saal war von etwa fünfundzwanzig bis dreißig Personen gefüllt, zu denen fortwährend neue sich gesellten. Eine Tafel mit Schreibmaterialien und einem großen Plan von Paris stand in der Mitte und war von einer Menge hoher Offiziere aller Waffengattungen, sowie verschiedenen Personen in glänzenden Hofuniformen, die eben noch dem großen Empfang beigewohnt zu haben schienen, oder in Civil umgeben. Stabsoffiziere geringer Grade reihten sich in Gruppen umher.

Alles war in lebhaftem, leise geführtem Gespräch begriffen. Nur hin und wieder unterbrach ein lauter Ausruf, eine neue Mitteilung diese Ruhe. Fortwährend kamen und gingen Personen in einem anstoßenden Kabinett aus und ein, von woher bei dem Öffnen der Thür oft die Laute einer ernsten Debatte hörbar wurden.

»Der Grund, weswegen wir uns auf Befehl hier befinden, ist mir noch immer ein Rätsel,« sagte der Grieche zu seinem Begleiter, »und die Zahl der hohen Offiziere und Personen von Rang, die ich hier sehe, verwirrt mich immer mehr. Diese militärischen Vorsichtsmaßregeln sind nach allem, was ich bis jetzt vom Prinz-Präsidenten gehört habe, ganz außergewöhnlich. Sollte es wahr sein, was man sich heute in den Cafés zuflüsterte, daß für diesen Abend der Ausbruch einer Revolte der roten Sozialisten gefürchtet wird?«

Der Kommandant lächelte. »Wenn Sie dort Herrn von Maupas, den Polizeipräfekten der Hauptstadt, fragen wollten, er würde Ihnen sagen können, daß von Herrn Ledru-Rollin und der Propaganda in London schon vor vier Tagen die Ordre an die geheimen Gesellschaften eingegangen ist, den allerdings auf heute bestimmten Ausbruch zu unterlassen. Aber es wird den Sozialisten wenig nützen, und ich möchte mit Ihnen wetten, daß, ehe achtundvierzig Stunden vergehen, wir die Gewehre der Republikaner hinter den Barrikaden knallen hören.«

»Der Republikaner? Aber ganz Frankreich ist ja Republik?«

»Lieber Freund – es sollte mir leid thun, wenn Sie noch nicht gemerkt hätten, daß es mit der Narrenposse zu Ende geht. Erinnern Sie sich an die Revolution von 92; auf das Direktorium folgte die Diktatur, auf die Diktatur das Kaiserreich. Wenn ich es Ihnen denn sagen muß, es ist das zweite Mal, daß ein Bonaparte um seinen Kopf oder eine Krone dafür spielt, und wir sind hier, um der Exposition des Dramas beizuwohnen.«

»So wird der Prinz das Kaisertum proklamieren?«

»Noch nicht; man macht erst ein Übergangsstadium durch, aber von langer Dauer kann, es unmöglich sein. Wir werden jetzt die Schwätzer der Assemblée los, und die Zeit der Soldaten kommt. Eine Republik in Frankreich auf die Dauer ist ein Unsinn, nur der Säbel kann die Franzosen regieren, und wer die Armee zu gewinnen versteht, gewinnt Frankreich. Dem Prinzen sichert sie sein Name.«

»Aber die Generale? Changarnier, Bédeau, Lamoricière? Sie haben großen Anhang in der Armee!«

»Die Rednertribüne in der Assemblée hat den Lorbeer von Constantine und Mazagran von ihren Schläfen gerissen. Ein Soldat muß nicht Politik treiben. Sehen Sie dort d'Hilliers, Canrobert, Grammont, Dulac, Forey und die anderen, sie sitzen zum Teil leider auch in der Assemblée, aber der Soldat geht ihnen über die Tribüne. Passen Sie auf – das Schauspiel beginnt!«

Der General Leroide Saint Arnaud trat aus dem Kabinett, mehrere Papiere in der Hand, und stellte sich an das Ende der Tafel.

»Meine Herren,« sagte er, »ich habe die Ehre, Ihnen anzuzeigen, daß Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz-Präsident mich zum Kriegsminister und zum Chef des Ministeriums ernannt hat. Hier ist die Liste der Minister. Schließen Sie die Thür, es darf niemand mehr herein oder heraus. Sie sind hier versammelt, um dem Prinz-Präsidenten Ihre Treue und Ergebenheit zu erweisen. Der nächste Morgen muß das Schicksal Frankreichs entscheiden. Eine feste staatliche Ordnung oder die rote Anarchie. Jeder, der die Verhältnisse kennt, weiß, daß es keine andere Wahl giebt!«

Der Ruf: »Es lebe der Prinz!« antwortete dieser kurzen und kräftigen Apologie. Einige Stimmen riefen: »Es lebe der Kaiser!« aber der künftige Marschall that, als hörte er es nicht. Nur wenige stimmten in den allgemeinen Ruf nicht ein.

»Ich danke Ihnen im Namen Seiner Kaiserlichen Hoheit,« sagte der neue Minister. »Wir haben uns in Ihrer Treue und Ihrer Einsicht nicht getäuscht. Dies ist die Proklamation des Prinz-Präsidenten, ich werde sie Ihnen vorlesen und Sie bitten, ehe ich Herrn Saint-Georges die Abschrift für die Staatsdruckerei übergebe und weitere Maßregeln ergriffen werden, das Dokument als Gelöbnis der Treue und der Zustimmung zu unterzeichnen, damit Seine Kaiserliche Hoheit weiß, auf wen sie sich zu verlassen haben.«

Obschon die meisten vorher geahnt, zu welchem Zweck sie hier zusammenberufen worden, war doch die Aufregung sehr groß, denn das Geheimnis der beschlossenen Maßregel war merkwürdig streng bewahrt worden und bis zum letzten Augenblicke nur wenigen der Vertrautesten bekannt. Während Dulac die bekannte Proklamation vom 2. Dezember vorlas, durch welche der Prinz-Präsident an das Volk und das allgemeine Wahlrecht appellierte, die Assemblée nationale und den Staatsrat für aufgelöst erklärte und die allgemeine Abstimmung für die zehnjährige Präsidentschaft dekretierte, zeigte der Kommandant dem überraschten Gefährten die von Hand zu Hand cirkulierende neue Ministerliste.

»Er versteht seine Leute zu wählen, das muß man ihm lassen,« sagte er sarkastisch. »Lauter echte Bonapartisten und Stützen des künftigen Kaiserthrons durch Blut oder Interesse. Morny, der neue Minister des Innern, ist bekanntlich, wie er, der Sohn Hortensens, Tourgot und Fould sichern ihm in ihrer Wiederwahl die Bourgeosie, Magne, Casa-Bianca und Nouher werden thun, was er will. Sehen Sie, dort kommen die beiden Neys, Montier, Persigny, Abatucci mit Renaud und Peter Bonaparte und Vieyra, dessen Ernennung zum Chef des Generalstabs der Nationalgarde die Assemblée außer sich gebracht hat. Passen Sie auf, die Rollen werden ausgegeben.«

»Aber sagen Sie mir um Himmelswillen – ich wiederhole, wie kommen wir beide hierher? Bei aller Ergebenheit für den Prinzen ist unsere Stellung, wenigstens die meine, als Fremdling in diesem Lande zu unbedeutend, als daß uns an diesem Werk der Politik eine solche Rolle zugedacht sein könnte!«

»Schweigen Sie, Kapitän, und beobachten Sie! Ich habe alle Ursache, zu glauben, daß wir nicht ohne Grund hier sind und, wenn es Zeit ist, die Reihe an uns kommen wird.«

Die neuen Minister, bis auf den Grafen Morny, waren jetzt eingetreten. Während an einem Ende der Tafel die Anwesenden sich zur Unterzeichnung des Dokuments drängten, wurden an dem anderen bereits die zu ergreifenden Maßregeln bestimmt oder vielmehr die Befehle ausgefertigt; denn es schien alles bis auf die Details von den Vertrauten des Präsidenten im voraus geordnet zu sein.

Die anwesenden Generale und Stabsoffiziere erhielten ihre Bestimmung.

Zugleich sollte zunächst mit der Veröffentlichung der Proklamation die Schließung der Nationalversammlung erfolgen.

Lamoricière, Changarnier, Bedeau, Cavaignac, Leflô, der Oberst Charras, Oudinot und Thiers sollten noch im Lauf der Nacht oder am Morgen verhaftet und vorläufig nach Vincennes gebracht werden.

Die Truppen hatten das Elysée, das Gebäude der Nationalversammlung, das Hotel de Ville, den Palast Bourbon und die Boulevards zu besetzen. Der Rest blieb in den Kasernen konsigniert. Eine Proklamation des Kriegsministers erklärte den ersten Militärbezirk, also Paris und die angrenzenden sieben Departements in Belagerungszustand.

Die oppositionellen Journale sollten suspendiert, die Chefs der Demokratie der Vorstädte verhaftet, die Telegraphen von der Regierung in Beschlag genommen, alle Bahnhöfe besetzt werden.

Die geheimen Ordres an die Garnisonen der Provinz, namentlich nach Lyon, sollten noch im Lauf der Nacht abgehen; die Truppendispositionen waren derart getroffen, daß ein bedeutendes Korps schon in diesem Augenblick um Paris konzentriert war und vom nächsten Morgen ab jede Stunde neue Regimenter eintreffen mußten, so daß bis zum Abend eine Macht von 150 000 Mann in der Hauptstadt versammelt war.

Man erwartete den Ausbruch eines Straßenkampfes, das Erscheinen der Londoner Häupter der roten Demokratie, Caussidière, Louis Blanc und Ledru-Nollin, auf dem Schauplatz, aber man war gerüstet und Louis Napoleon entschlossen, den Grundsatz seines Onkels zu befolgen, der seinem Bruder Joseph die bekannte Antwort gab: »Mit Tausend, die ich bei einer Emeute niederschießen lasse, rette ich Zehntausend das Leben!«

Das waren die Grundzüge des großen, ganz Europa bewegenden Staatsstreiches im Jahre 1851, dessen Rollen jetzt vor den Augen Grimaldis verteilt wurden.

Eine leise Berührung seines Armes weckte ihn aus der Betrachtung der Scene und er wandte sich um. Neben ihm stand ein mittelgroßer Herr von etwa vierzig Jahren, in überaus sorgfältiger, stutzerhafter Toilette.

»Sind Sie der griechische Offizier, mein Herr,« fragte er mit lispelnder Stimme, den Angeredeten geziert durch das Lorgnon betrachtend, »der in Italien unter Gemeau in unsere Dienste trat?«

»Ich bin der Kapitän Markos Grimaldi, Herr, patentiert in der Fremdenlegion von Algerien, obschon ich durch die Folgen meiner Wunden noch bis jetzt verhindert war. in aktiven Dienst zu treten!«

»Ganz recht! – Da ist ja auch der Kommandant Dugonier! Meine Herren, haben Sie die Güte, mir zu folgen.«

Ohne weitere Notiz von ihnen zu nehmen, ging er durch die Gruppen nach dein Eingang des Kabinetts zu, hin und wieder eine der hervorragenden Persönlichkeiten mit einigen Worten ansprechend.

»Ach, sieh da, Edgar Ney, ich konnte Dich heute beim Empfang nicht sprechen – ich war so beschäftigt. Weißt Du, daß mein Schweißfuchs Lydia gestern die braune Stute von d'Orsay geschlagen hat? Ganz famos! – Was sagst Du dazu, daß morgen der Calembourg des Herrn Changarnier Mandataires du pays, délibérez en paix! in Vincennes endigen wird? Der arme Cavaignac, morgen sollte er mit Fräulein Odier getraut werden! Goddam! Eine schlechte Hochzeit!

»Schäme Dich des Spottes, Graf,« sagte der junge Offizier ernst. »Cavaignac und Lamoricière sind brave Soldaten und es ist traurig genug, daß sie ins Gefängnis und ins Exil wandern müssen!

»Bah,« flüsterte der Spötter, »wir werden so viel Generale haben, daß wir nicht wissen, wohin damit. Jeder Regiment-Kommandeur, der sich für uns erklärt, hofft mindestens auf das Generalspatent. Hier herein, meine Herren!«

Er schob die Portiere zur Seite und trat m das Kabinett.

»Wer ist der Herr?« fragte leise der Grieche seinen Begleiter.

» Diantre! – kennen Sie ihn nicht? Der Stiefbruder des künftigen Kaisers, der Sohn des Grafen Flahault und der schönen Königin von Holland, der neue Minister des Innern!«

»Graf Morny

»Versteht sich!«

Sie warm: hinter dem Minister in das Kabinett getreten, in dem sich der Prinz-Präsident, Persigny und Carlier, der frühere Polizeipräfekt, befanden, der die Präfektur aufgegeben hatte, um bei dem Staatsstreich desto ausgedehnter hinter den Coulissen wirken zu können. Soeben war der Exkönig Jerome Bonaparte, der Gouverneur der Invaliden, eingetreten, an den der Prinz-Präsident während der Soirée, nachdem er sich eben sehr galant mit Madame Tourgot unterhalten, die lakonischen Worte geschrieben hatte: » Mon oncle, ce matin je frapperai un grand coup; je compte sur vous.«

Der eben so kurzen Antwort: » Mon neveu, dans une heure je serai auprès de vous; je vous suivrai partout!« war der Älteste der Familie Bonaparte auf dem Fuß gefolgt.

Der Prinz stand eben in eifrigster Unterredung mit dem Greis, als die beiden Offiziere eintraten. »Ich weiß auf das Bestimmteste,« sagte er heftig, »daß der Schlag von dem Revolutionskomitee in London organisiert ist, und daß man in England mit offenen Augen die Vorbereitungen duldet. Der Tag der Wahl war zum Losschlagen aller geheimen Klubs bestimmt, man hat durch ganz Frankreich die Personen enrolliert, die als die ersten Opfer fallen sollen, ja selbst die Häuser mit geheimen Zeichen versehen, wo der Mord sein blutiges Werk üben soll. Was ich thue, ist nicht bloß Selbstwehr, sondern Pflicht gegen Frankreich, gegen jeden seiner Bürger und Eure Majestät werden darin mir beistimmen.«

» Mon neveu,« sagte der alte Mann, »Sie wissen, wie glücklich ich darüber bin, daß Sie die Traditionen unserer Familie wieder aufgerichtet haben. Was Sie mir da von der Verschwörung erzählen, wird sich im Moniteur recht hübsch ausnehmen und den Bourgeois verblüffen; auch wird hoffentlich eine kleine Emeute der Roten an einem der nächsten Tage nicht ausbleiben und das Militär seine Revanche für den Februar nehmen können, indes rate ich Ihnen doch, nicht bloß auf das Stimmrecht der Armee sich zu verlassen, sondern Ihrem Enthusiasmus möglichst bald eine andere Gelegenheit zu geben. Der Kaiserthron –«

Graf Morny unterbrach die Explikationen. »Monseigneur, hier sind die beiden Offiziere.«

Der Prinz-Präsident wandte sich rasch um und biß sich in die Lippen. Sein Gesicht trug den Charakter selbstbewußter Entschlossenheit, und er ließ das kalte feste Auge einige Augenblicke auf dem Griechen ruhen, der in soldatischer Haltung dem Blick ehrerbietig, aber ruhig begegnete.

»Sind Sie Kapitän Grimaldi – aus der venetianischen Nobile-Familie Grimaldi?«

»Ja, Monseigneur!«

»Sie wurden von den Österreichern und Engländern, wie ich gehört habe, scharf verfolgt, als Sie in französische Dienste traten?«

»Bis an das Wellengrab, das ich gewählt, Monseigneur, und dem mich Franzosen entrissen.«

»So hassen Sie also die Engländer?«

»Ein Mann, Sire, ändert weder seinen Haß, noch seine Liebe. Seit der Vertrag von 1815 mein Vaterland an die Engländer übergab, ist es von diesen geknechtet worden.«

Der Prinz-Präsident überging mit einem halbem: Lächeln die Anrede, die der Kapitän im Eifer angewendet.

»Korfu und Frankreich verbinden allerdings glorreiche Erinnerungen,« sagte er. »Sie sind mir von vielen Seiten als ein ebenso tapferer wie entschlossener Soldat gerühmt worden. Liegt Ihnen Europa sehr am Herzen?«

»Monseigneur, ich bin für die afrikanische Armee patentiert und, wenn ich aufrichtig sein soll: machte es mir nicht die Dankbarkeit zur Pflicht, in Ihre Armee einzutreten, so war mein Wunsch und meine Absicht, Europa zu verlassen und nach Amerika zu gehen.«

»Nun, so gehen Sie noch etwas weiter – gehen Sie nach Indien. Ich wünsche Sie für die Ausführung einer Aufgabe in Indien zu gewinnen, wohin auch der Herr Dugonier bestimmt ist.«

»Nach Indien?« – Die Farbe wechselte auf dem bleichen Gesicht des Kapitäns; der Gedanke an Adelaide, an die wunderbare Fügung des Schicksals durchzuckte seine Seele.

»Ich kann Ihnen leider keine lange Bedenkzeit gestatten,« fuhr der Prinz fort, »Ihr Entschluß muß alsbald gefaßt werden. Ich will Ihnen deshalb aufrichtig sagen, zu welchem Unternehmen ich Sie beide ausersehen habe. Sie kennen die Ereignisse, die morgen Paris, wahrscheinlich ganz Europa in Bewegung setzen werden – und ich will Ihnen keineswegs verhehlen, daß ich wahrscheinlich gezwungen werde, nicht bei den ergriffenen Maßregeln stehen zu bleiben, sondern die Ruhe Frankreichs ein für alle Mal zu sichern. Mein Recht auf Frankreich ist legitim durch das Opfer auf Helena, so gut wie das der Bourbons oder Orleans, und ich habe außerdem den Willen des Volkes für mich. Aber ich weiß nicht, wie sich England, das vorläufig den Ausschlag in Europa giebt, der neuen Wendung der Dinge gegenüber verhalten wird, und ich muß es in meiner Macht haben, seinen bösen Willen zu brechen und seine Neutralität zu erzwingen. Englands verwundbarste Seite sind seine Kolonieen, namentlich Indien, seine Macht steht dort auf thönernen Füßen und über kurz oder lang wird es da zum Ausbruch kommen. Es sind Frankreich von verschiedenen indischen Fürsten Bündnisse angetragen; der Gouverneur von Pondichery verlangt entschlossene, geprüfte Offiziere, welche selbst sehen, beobachten und mit den Franzosen:, denen es geglückt, sich an den indischen Fürstenhöfen eine Stellung zu erwerben, in Verbindung treten können. Mit einem Wort: der Frieden in Indien muß für die nächsten fünf Jahre in meiner Hand sein; später kann dann geschehen, was da will, Frankreichs Macht wird in Europa so befestigt sein, daß England meiner bedarf, nicht des Londoner Kabinetts. Dieses Memoire, dem die Anerbietungen und Korrespondenzen verschiedener indischer Großen beiliegen, giebt über die Verhältnisse und die notwendigen Maßregeln genügende Auskunft. Herr Dugonier ist im allgemeinen bereits mit der Aufgabe vertraut und bestimmt, mit Ihnen zu wirken; er ist es, mein Herr, der Sie mir zu seinem Gefährten vorgeschlagen. Ich biete Ihnen Majorsrang in der französischen Armee und nach fünf Jahren, wenn Ihre Mission glücklich beendet ist, ein Regiment »der eine entsprechende Stellung in der diplomatischen Carrière. Aber ich muß sofort Ihre Entscheidung haben, denn nehmen Sie an, so verlassen Sie das Elysée nur, um den Reisewagen zu besteigen.«

Das Gesicht des Korfuaners glühte. Indien – ja, das war das längst geträumte Feld, wo er den Gang wagen konnte mit dem allmächtigen Gegner, wo er die Unterdrückung seines Vaterlandes rächen konnte.

» Sire, ich nehme Ihre Gnade an und gelobe Ihnen mit meinem Mannesworte Treue und Ergebenheit!«

»So sind wir einig. Ich liebe Männer, die, wie Sie, mutig gegen das Schicksal ankämpfen, und daher kommt mein Vertrauen zu Ihnen. Meine Zeit ist gemessen, deshalb muß ich mich kurz fassen. Ich kann Ihnen für die Ordnung Ihrer Angelegenheiten in Paris keine Zeit geben. Sie werden sich aus diesem Kabinett, ohne in Ihre Wohnung zurückzukehren, nach den Champs-Elysées begeben. Vor dem Eingang des Panorama finden Sie einen bespannten Reisewagen, dessen Gepäck die nötigen Reiseeffekten enthält. Sie werden den Schlag öffnen und der Person, die im Innern des Wagens sitzt, das Wort ›Pondichery‹ sagen. Antwortet sie Ihnen ›Rochelle‹, so steigen Sie ohne weiteres ein. So lautet ja wohl Ihr Arrangement, Carlier?«

»Genau, Monseigneur.«

»Der Wagen wird Sie durch die Barrière d'Enfer auf der Straße nach Orleans bis Etampes bringen; von dort benutzen Sie die Eisenbahn bis Poitiers und begeben sich von da ohne Aufenthalt mit Extrapost nach La Rochelle. Im Hafen liegt der Fregatt-Schoner »Isabelle«, Kapitän Girepont, segelfertig zur Abfahrt nach Indien. Sie übergeben dem Kapitän die Pässe und das Schiff wird sofort die Anker lichten. Das Schiff ist ein Handelsschiff, Sie erscheinen einfach als Passagiere desselben, die nach Indien gehen, um dort ihr Glück zu machen, wie so viele französische Abenteurer, und Sie führen natürlich beide einen anderen Namen. Die Person, die Sie in dem Wagen finden, macht die Reise mit Ihnen nach Indien, Herr Carlier hat sie selbst ausgewählt und instruiert, und in ihren Händen befinden sich die wichtigsten Instruktionen. In diesem Portefeuille finden Sie Wechsel auf Kalkutta und Madras im Betrage von hunderttausend Franken und dieses Kästchen enthält tausend Napoleonsd'or in Gold. Nehmen Sie und erfüllen Sie Ihre Aufgabe mit Treue und Thätigkeit. Es ist jetzt ein Uhr zehn Minuten früh, in zehn Minuten müssen Sie unterwegs sein.«

Er machte eine entlassende Bewegung, der Polizeipräfekt jedoch hielt die Offiziere noch auf.

»Monseigneur haben den Herrn noch nicht gesagt, daß sie auf Isle de la Reunion Insel Bourbon. Station machen werden, um Aufträge in Pieter Mauritzburg, der Hauptstadt der ausgewanderten holländischen Kolonisten, auszuführen.«

»Die Instruktionen enthalten alles, überdies weiß die Person Bescheid. Adieu, meine Herren!«

Die Offiziere verbeugten sich schweigend und verließen, von Morny geleitet, das Kabinett durch einen zweiten Ausgang. Der Graf begleitete sie durch die Wachen, die jetzt keinem mehr das Verlassen des Palais gestatteten, der nicht im Besitz eines neuen Paßwortes oder eines schriftlichen Befehls des zum Chef des neuen Kabinetts ernannten bisherigen Kriegsministers war. Wenige Augenblicke nachher befanden sie sich in den Champs-Elysées und durcheilten diese in der Richtung des Panorama.

» Parbleu – das geht rascher, als ich gedacht,« sagte lachend der Kommandant, als sie nicht mehr gehört werden konnten, »der Prinz scheint die schnellen Carrièren zu lieben. Schade, daß wir den Spektakel heute und morgen nicht mit ansehen können.«

Grimaldi wies auf einen bepackten Reisewagen, den sie schon von fern, wenige Schritte von dem Eingang des Panorama, halten sehen konnten. Er war mit vier Postpferden bespannt, an dem Schlag lehnte ein Mann, in einen Mantel gehüllt.

»Meine Herren,« sagte dieser, als sie näher traten, »vielleicht haben Sie der Frau Marquise etwas zu sagen?« Damit öffnete er den Schlag.

Dugonier wie der Grieche waren etwas erstaunt, als sie eine Dame sich aus dem Schlag neigen und im Schein der Laterne unter dem Capuchon ein feines, reizendes Frauengesicht mit großen dunklen Augen vor sich sahen, dessen Besitzerin höchstens drei- oder vierundzwanzig Jahre zählen konnte.

Beide hatten irgend einen Agenten Carliers zu finden erwartet.

Die schöne Unbekannte musterte sie einige Augenblicke, dann fragte sie mit einem spöttischen Lächeln, das ihre schönen Perlenzähne enthüllte:

»Nun, meine Herren, wohin wünschen Sie?«

»Nach Pondichery, gnädige Frau, aber ich glaube, wir haben uns geirrt!«

»Ganz und gar nicht, der Weg dahin führt über La Rochelle. Wer bitte, beeilen Sie sich gefälligst etwas, denn es ist ziemlich kalt!«

Noch immer kaum ihr Erstaunen bewältigend, ließen sich die Offiziere in den Wagen heben.

»Glückliche Reise, Frau Marquise,« sagte der Mann am Schlage, indem er die Uhr zog. »Ein Uhr fünfundzwanzig Minuten! Vorwärts, Postillon!« Der Schlag wurde geschlossen und der Wagen rollte davon.



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