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In den Apenninen.

Der glänzende Strahl der Junisonne war milder geworden, die Cypressen, die Pinien, die Berge und Felsen warfen lange, gigantische Schatten, das große Gestirn des Tages neigte sich zum Untergang in die blauen Wellen des Mittelländischen Meeres.

Es war Sommer, Sommer in Italien; aber noch in seinem ersten Beginn. Die Hitze hatte noch nicht Zeit gehabt, aus dem Moor und Sumpf die giftige, Verderben bringende Malaria zu brauen, und der Duft der Blumen und Kräuter füllte noch am Morgen und Abend würzig die Luft.

Auf den Berghöhen der Apenninen erschien die Natur noch kräftiger, frischer als im Thal, die Luft reiner, und aus den Klüften der Abbruzzen strich der Seewind der Adria oft eisig kalt herüber.

An einer einsamen, schlecht erhaltenen und nur selten von Reisenden benutzten Seitenstraße, die von Spoleto, der neapolitanischen Grenze sich nähernd, nach Ascoli geht und dort in den großen Küstenweg aus dem Neapolitanischen nach dem Wallfahrtsort Loretto an der adriatischen Küste Italiens führt, lag auf dem westlichen Abhang des Gebirges eine kleine halbverfallene Osteria. Eine riesige Pinie streckte ihre Äste über das tiefgesenkte Dach, das ärmliche Haus lehnte an die zerklüfteten Felsen, gleich als finde es darunter einen Versteck; wilder Wein und Epheu wucherten an seinen Wänden und den morschen Holzpfeilern seiner Veranda, und das ganze Aussehen der kleinen Herberge ließ darauf schließen, daß es mehr ein Schlupfwinkel oder eine Herberge der römischen und neapolitanischen Schmuggler, ja wohl noch gefährlicheren Gesindels sei, als eine Unterkunft für gewöhnliche Reisende.

Dennoch gehörte der Mann, der in diesem Augenblick unter der Veranda des Hauses, den Kopf in die Hand gestützt, saß, offenbar zu keiner der oben angedeuteten Klassen. Sein Äußeres war eben so anziehend wie ungewöhnlich, obschon er eine einfache französische Kleidung trug, an der, außer dem langen griechischen Fez, nichts Auffallendes war. Der Fremde war von hohem, imponirendem Wuchs, breiter Brust und breiten Schultern. Er mochte ungefähr dreißig bis zweiunddreißig Jahre zählen, und obgleich in der vollen Blüte männlicher Schönheit und Kraft, war doch eine tiefe Melancholie auf seinem klassisch edlen Gesicht ausgeprägt. Ein durchsichtig dunkler Teint färbte gleichmäßig die Wangen ohne jene Rötung, die im Norden Kraft und Gesundheit anzeigt. Seine dunklen, von langen Wimpern beschatteten und von fein gezeichneten und bogenartig nach der Nasenwurzel sich senkenden Brauen überwölbten Augen wiesen jenen Ausdruck von Träumerei und matter Ruhe, von dem man sehr bald erkennt, daß er sich mit Gedankenschnelle zum Blick kühner Entschlossenheit und unwiderstehlichen Befehls wandeln kann. Ein dunkler, wohlgepflegter Schnurrbart hing nach Art der Magyaren und Albanesen, lang über die Mundwinkel herab. In dem ganzen Wesen und der Gestalt des Mannes lag soldatischer Charakter, der Ausdruck eines kühnen und freien Kriegers, wenn auch die geregelten Formen und Bewegungen der civilisierten Militärerziehung diesem Ausdruck häufig zu fehlen schienen.

Die Aussicht, die vor dem, nach der untergehenden Sonne gekehrten Blick des Fremden über das Bergplateau von Fogliano und Norcia sich öffnete, war köstlich. Bis nach Spoleto und Trevi hin schweifte der Blick, und die Öffnung der sabinischen Berge ließ selbst an den äußersten Grenzen des Horizonts den mit den Wolken verschwimmenden Streifen des Mittelländischen Meeres erkennen. Im Rücken erhoben sich die dunklen Wände der römischen Apenninen, der Monte Vittore, darüber hinaus der Berg der Sybille und der Monte Gatto, die Aussicht nach der adriatischen Küste sperrend, und weit hinein in die Felsenklüfte und Höhen der Abruzzen, jenseits der neapolitanischen Grenze, ließ sich der Lauf des hinter Amatrice entspringenden Tronto verfolgen.

Das Auge des Mannes war unverrückt auf den einzelnen leuchtenden Punkt des fast 50 Miglien entfernten Meeres gerichtet, während der Wirt der armseligen Posada, der schon lange vor ihm gestanden und zu ihm gesprochen, seinen Krug aufs neue aus dem Ziegenschlauch mit dem Wein von Velletri füllte und ihm denselben zuschob. Offenbar hatten seine abwesenden, weit in die Ferne schweifenden Gedanken nichts von all den Reden des Wirtes gehört, und als er jetzt wortlos den Krug zurückwies, setzte ihn dieser selbst, unwillig den Kopf schüttelnd, an den Mund, that einen langen kräftigen Zug und sagte dann: »Nichts für ungut Signor Capitano, aber es ist eine Sünde, die edle Gottesgabe, wenn sie eingeschenkt, verkommen zu lassen. Ich trinke auf das Wohl Eurer glücklichen Überfahrt. Die heilige Jungfrau wird ein Einsehen haben, und Euch nach so vielen Leiden und Gefahren doch endlich einen Weg eröffnen. Wahrlich Kapitän, es war Zeit, daß Euch die guten Väter von St. Benedetto fortschafften, und Theodoros, Euer Diener, Euch zu mir, seinem alten Kameraden, brachte, obschon Ihr noch krank und schwach waret; denn die österreichischen Spürhunde lungerten bereits arg um das Kloster. Der Teufel hole die Schufte, die Franzosen in Rom, sie sind eben nicht besser als diese Scharfrichter von Neapolitaner und helfen einen ehrlichen Burschen, der nur gegen ihre Feinde den Degen gezogen, zu Tode hetzen. Wahrhaftig, Signor, ich hätte die Amnestie des heiligen Vaters angenommen, und spazierte jetzt stolz über das Forum, ja vielleicht, wenn Ihr's recht angefangen, hätten Euch Ihre Eminenzen am Ende gar Eure alte Kompagnie wiedergegeben, und ich will ein Schuft sein, wenn ich nicht selber wieder Handgeld genommen.«

Der Capitano, wie ihn der Wirt bezeichnet, schüttelte trübe lächelnd den Kopf. »Du weißt, Franzesco, daß ein doppelter Preis auf meinen Kopf gesetzt ist, der Kaiser von Österreich und Se. Herrlichkeit der König von Jonien, Sir Henry Ward, bemühen sich auf gleiche Weise darum. Den Franzosen thust Du Unrecht. General Gemeau hat mich auf meinen Brief wissen lassen, daß es ihm unmöglich sei, ohne seine strengen Instruktionen zu brechen, mir offen Schutz zu gewähren, da ich überdies in Rom zu bekannt bin. Aber der Wink wegen der französischen Handelsbrigg, die in Ancona ankert, und die Nachricht, daß den Kapitän acht Tage dort jede Botschaft treffen werde, gleicht die Weigerung vollkommen aus. Neapel, wenn ich in die Hände seiner Schergen gefallen wäre, hätte mich, wenn auch nicht nach Korfu, doch sicher an die Österreicher ausgeliefert. – Ob Theodoros morgen Abend in Ripatransone sein wird?«

»Es ist unmöglich, Signor Capitano,« erklärte der Wirt. »So gewandt und verschlagen der Bursche ist, so sind es doch 90 Miglien bis Ancona, und 60 von dort zurück nach Ripatransone. Dazu braucht er Zeit, um den französischen Schiffer zu finden und sich mit ihm über Zeit und Ort zu verständigen. Vor übermorgen Abend kann er unmöglich dort sein. Doch seid unbesorgt, Signor, Euer Weg durch die Gebirge über Force und Montalto ist zwar länger als die Poststraße über Ascoli, aber wenig besucht, und die Soldaten haben genug zu thun in den immerwährenden Scharmützeln mit diesen Banden, um auf einen einzelnen Reisenden zu achten, wenn Sie nur meinem Rat folgen und meine Kleidung benutzen. Die Verwegenheit dieses Teufels von Pepe Mamiani wird alle Tage größer und, bei der Jungfrau, ich sage Ihnen, es sind tapfere Bursche unter seiner Bande, genug von denen, die auf den Mauern Roms sich gegen die französischen Kanonen verteidigten und unter Garibaldi sechs Wochen lang in den Apenninen gegen Österreicher, Franzosen und Neapolitaner gekämpft haben.«

»Ich glaubte, sie seien alle entkommen oder hätten die Amnestie angenommen?«

»Ah bah« – er warf mit jener verächtlichen Gebärde, welche die Italiener so unnachahmlich verstehen, die Finger von sich – »Amnestie! Was braucht jemand Amnestie, der sein Stilet und seine Büchse hat und die Felsenpfade der Apenninen kennt. Als General Garibaldi von der Fregatte Oreste – versenkt sei sie auf den Grund des Meeres! – bei der Flucht nach Venetia sich angegriffen sah und die Küste bei Volano wieder gewann, suchten seine Begleiter in den Gebirgen Schutz. Heilige Mutter von Loretto, was blieb ihnen übrig, als Banditen zu werden – der Mensch will leben, Signor, und sie fechten für ihre Freiheit, wie sie vor zwei Jahren für die Freiheit Italiens fochten. Dennoch, glaube ich, würden Sie manchen Mann unter den Banden finden, der Sie gern auf das französische Schiff begleiten möchte.«

Der Kapitän hatte ihm aufmerksamer als vorhin zugehört und wollte ihn eben näher befragen, als Peitschenknall, das Geklingel von Maultieren, das Wiehern von Pferden und Geschrei der Vetturins den Weg heraufscholl, der sich, von einer Wendung des Berghanges verborgen, zu dem Plateau hinaufzog. Einen Augenblick horchten beide auf das Geräusch, dann warf der Kapitän einen Blick umher, als ob er ein Mittel suche, sich unbemerkt zu entfernen; aber die Felsenspalten zu erreichen, war es nicht mehr Zeit, und der Flüchtling hatte kaum das kleine Gemach der Osteria betreten, als bereits einer der Reiter, den anderen vorangeeilt, vor die Osteria sprengte und laut nach dem Wirt oder einer Bedienung rief.

Bestürzt blickte der Gerufene, der seinem Gast gefolgt war, auf diesen. »Gebenedeite Mutter der sieben Schmerzen,« jammerte er, »ich bin verloren, wenn man Sie hier findet. Geschwind hinaus, Signor, durch das hintere Fenster, der wilde Wein verbirgt Ihre Flucht und Sie sind schnell zwischen den Felsen in Sicherheit.«

Der Kapitän jedoch, der durch das Fenster geschaut, winkte ihm abwehrend mit der Hand. »Geh' ruhig hinaus,« sagte er, »und nimm dem Herrn das Maultier ab. Wenn ich recht gesehen, habe ich von ihm nichts zu fürchten, und sollte es sein, je nun, auf diese oder jene Weise muß es zu Ende gehen.«

Er kreuzte die Arme und blieb ruhig an das Fenster gelehnt stehen, den Ankommenden erwartend, der auch alsobald dem herbeieilenden Wirt die Zügel zuwarf, ihm einige Anweisungen gab und in das Haus und das Gemach eintrat.

Der Reisende war ein feiner, ernster Mann, mit vielem Anstand und ruhiger Würde in seinem Wesen. Er mochte zwei bis drei Jahre mehr zählen, als der Kapitän: helles Haar, und die durchsichtig blauen Augen, wie die gemessene Haltung, bezeichneten ihn als einen Sohn Englands, dabei fehlte aber seiner in der kräftigen, ruhigen Form jenes Landes geschnittenen Physiognomie weder ein sichtlicher Zug von Milde und Wohlwollen, noch ein gewisser Ausdruck von festem Sinn und Kraft. Er begrüßte den Anwesenden leicht in italienischer Sprache, kaum aber hatte er ihn näher ins Auge gefaßt, als sein Fuß wie gebannt an der Schwelle des Gemachs haften blieb und er mit immer erstaunteren, aber auch zugleich ängstlichen Blicken den Offizier maß.

»Um Gott,« sagte er endlich – »Sie sind es wirklich, Kapitän Grimaldi? Sie sind noch hier in diesem unglücklichen Lande? Kaum traue ich meinen Augen! Ich glaubte Sie in Griechenland oder längst in Sicherheit!«

Der Kapitän Grimaldi trat rasch auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »So sind wir also noch immer Freunde, trotz des Preises, den Ihr Oheim, Sir Henry Ward, auf meinen Kopf gesetzt?«

»Wie können Sie zweifeln? – Ich las von jener traurigen Proklamation in den Zeitungen.«

»So kommen Sie nicht von Korfu?«

»Nein, Freund – ich komme von London – zunächst von Rom. Schon vor zwei Jahren habe ich Korfu verlassen und von Ihnen nur gehört, daß Sie an dem Kampf in Venedig und später an dem unglücklichen Aufstand in Cephalonien teil genommen. Ich bitte Sie, erzählen Sie mir von Ihren Schicksalen.«

Der Kapitän lächelte trübe. »Sie wissen, daß ich wegen meines Widerstandes im Senat und wegen der Unterzeichnung der Proklamation für den Anschluß an Griechenland von Korfu verbannt wurde. Ich ging nach Rom zurück und trat aufs neue in die päpstliche Leibgarde, in der ich schon früher gedient. Es war in dem unglücklichen Jahre achtundvierzig, drei Monate nachher wurde Graf Rossi ermordet und die römische Revolution brach aus.«

»Sie schlossen sich ihr an?«

»Nein, Sir! ich that es nicht. Ich hatte dem heiligen Vater meinen Eid geleistet und schlug mich mit den Schweizer Kompagnieen und meinen Albanesen drei Tage lang in den Straßen Roms. Sie wissen, daß das Volk gegen uns Partei nahm, der Papst die provisorische Regierung anerkannte und floh. Die Leibwache wurde aufgelöst, meine Kapitulation war zu Ende. Als ich, von einer Wunde genesen, mich nach Griechenland einschiffen wollte, traf die Nachricht von der Bedrohung Venedigs durch die Österreicher ein. Sie wissen, daß Venedig die alte Heimat meines Geschlechts ist, und sein Name in den goldenen Büchern der Republik verzeichnet stand.«

»Wer kennt den Namen Grimaldi nicht aus der Geschichte?«

»Meine Familie wohnte seit 150 Jahren auf ihren großen Besitzungen in Korfu und Zante, aber die alte Heimat blieb uns so teuer wie die neue. Ich eilte nach Venedig, wie viele andere von den griechischen Inseln, und half das Fort Sanct Secondo gegen die österreichischen Schergen verteidigen. Die Welt kennt den Heldenkampf, den wir unter Manin schlugen. Auch Garibaldi stieß nach dem Falle Roms zu uns. Als General Pepe am 22. August auf der Villa Papadopoli den Vertrag zur Übergabe Venedigs mit Radetzky geschlossen, flüchtete ich mit mehreren meiner Gefährten auf einem Handelsschiff zurück in meine Heimat. Verbannt aus Korfu, wollte ich Zante nur betreten, um meine Verhältnisse zu ordnen, und nach Griechenland zu gehen. Im Hafen von Korfu an Bord des neutralen Schiffes, wurde ich verhaftet und in die Kerker der Citadelle gebracht, jener Zwingburg, die England für mein freies Vaterland errichtet. In Cephalonien war am 27. August die Erhebung ausgebrochen, welche die alte Freiheit der Republik oder die Vereinigung mit Griechenland forderte. Mein älterer Bruder Anastasio stand an ihrer Spitze. Dreihundert Ionier, darunter Männer aus den edelsten Familien, wurden von unseren Tyrannen, den Briten, hingerichtet, von jener Nation, der Europa den Schutz des jungen Staates anvertraut, und die uns zu ihren Knechten gemacht hat. Ich sah sie sterben, die Märtyrer ihrer Rechte, an dem Galgen auf der Esplanada von Korfu. Neun Monate darauf erst öffnete sich die Thür meines Kerkers – ein befreundetes Herz allein hatte des Gefangenen gedacht und sich seiner angenommen; – mir ward bedeutet, nach Zante zu gehen und dort unter strenger Aufsicht, fern von aller politischen Teilnahme, zu leben, widrigenfalls mich das Schicksal meines Bruders erwarte.«

»Es ist hart mit Ihnen von der Regierung verfahren, ich gestehe es.«

»Das sagen Sie, der Engländer,« sprach mit bitterem Hohn der Kapitän. »Bedenken Sie, wie ich, wie jeder Ionier in seinem Herzen dafür fühlt. Englische Festungen und drohende Kanonen auf jeder Spitze unserer Felsen, die Wappen Englands auf jedem unserer öffentlichen Gebäude; jedes Amt, jeder Posten bis zu dem geringsten herab in den Händen jüngerer Söhne und Müßiggänger, die England hier versorgt; die reichen Einkünfte unserer Ernten nicht zur Kultur unseres Landes, sondern zum Unterhalt einer vertragswidrigen Armee, zum Bau neuer Zwingburgen, zur Bereicherung habsüchtiger Beamten verwendet! Unser Parlament, eine Gesellschaft ohne Bedeutung, die jede Laune Ihres Onkels auflöst, bis sie seinen Willen thut! Freie Presse, ein Wahn unter der liberalen Herrschaft Englands – das außer der Regierungsdruckerei in Korfu notorisch keine Druckerei, keine Zeitung in dem ganzen Staat duldet. Sagen Sie selbst,« – er faßte den Arm des Briten – »habe ich mit einer Silbe übertrieben?«

Der Engländer senkte schweigend den Kopf.

»Ich ging nach Zante, auf das kleine Eigentum, das bei der Konfiskation unserer Güter mir geblieben,« fuhr der Kapitän fort, »und das unthätige Leben, das tägliche Schauspiel maßloser Unterdrückung fraß an meinem Herzen. Ich schrieb an meine Freunde in Athen, um in die griechische Armee zu treten – das arme Griechenland war geknechtet, gleich uns, von den übermütigen Beherrschern der Meere. England forderte, allem Völkerrecht zu Trotz, die Inseln Sapienza und Cervi für sein Ionien und dreimalhunderttausend Drachmen für fremde Kaufleute, die von irgend einem Räuber geplündert waren. Seine Flotte sperrte den Piräus, seine Willkür hatte alle griechischen Schiffe mit Embargo belegt, trotz des Widerspruchs Frankreichs und Rußlands. Kein Ionier durfte in Griechenland Zuflucht finden – meine Hoffnung war vergebens. Ich vegetierte fort – nur der Schmerz in meinem Innern wuchs riesengroß. Da kam von den albanesischen Küsten und aus Montenegro die heimliche Nachricht zu uns, daß russische Agenten sich dort aufhielten. Ich selbst konnte nicht hinüber, denn jeder meiner Schritte war bewacht, jeder Ausflug mir verboten. Ich kam heimlich mit getreuen Männern zusammen, ich sandte einen vertrauten Diener mit Briefen ab nach Patras, in denen wir dem alten Freunde Griechenlands, dem Zaren, unsere Dienste anboten und von ihm Hilfe für unser Elend forderten.

»In einer Oktobernacht, während das Meer im Sturm sich hob, klopfte es an das Fenster meines Hauses. Ein Unbekannter reichte ein Papier herein und verschwand so rasch, als er erschienen war. Mein alter Diener Theodoros, ein Mann, der mich nie verlassen, brachte mir den Zettel. Er enthielt die Worte: ›Fliehen Sie – die Briefe nach Petersburg sind aufgefangen und in den Händen Sir Henry Wards. Befehl zu Ihrer Verhaftung. Der Weg nach Griechenland gesperrt. Italien!‹ Noch in derselben Nacht, während Theodoros meine Freunde benachrichtigte, erreichte ich Vromi, und schiffte mich auf einer Barke ein. Nach zwei Tagen Umherkreuzens auf dem offenen Meere, von denen jede Stunde zehnmal den Tod zu bringen drohte, trafen wir ein Messina-Schiff, das nach Tarent ging. So erreichte ich das Festland.«

»Doch wie kommen Sie aus Calabrien hierher, nach so langer Zeit – warum suchten Sie nicht längst Schutz in einem anderen Lande?«

»Fragen Sie die Motte, warum sie das Licht nicht flieht, das ihre Flügel versengt?« sagte mit einem Anflug melancholischen Spottes der Capitano. »Doch – es war nicht möglich. In Neapel konnte ich nicht hoffen, mich einzuschiffen; infolge des Aufstandes in Sizilien war hier die Aufsicht streng und ausgedehnt. Ich glaubte im römischen Gebiet leichter die Küste des Mittelländischen Meeres zu erreichen und durchwanderte die Abruzzen. In Rieti, auf päpstlichem Gebiet, wurde ich erkannt – kaum entrann ich den österreichischen Schergen, denn mein Name stand von Venedig her auf der Liste ihrer Proskribierten. Mein plötzliches Erscheinen galt als Beweis neuer propagandistischer Versuche; der englische Konsul in Rom, Ihr Gesandter in Neapel schlossen sich der Verfolgung an und, gehetzt wie der Eber der Abruzzen, floh ich zurück in die Gebirge.

»Ein Preis stand auf meinen Kopf – meine Kraft war gebrochen; in dem Schnee der Apenninen sank ich fieberhaft zu Boden und wünschte mir den Tod. Mein treuer Diener trug mich an die Pforten des Klosters St. Benedetto hoch im Gebirge an der neapolitanischen Grenze. Dort lag ich monatelang krank und verborgen im Schutz der frommen Väter, und sie entließen mich nach meiner Genesung erst dann, als mir durch einen Zufall Verrat und Gefahr drohte. Seit zehn Tagen bin ich hier bei einem Manne, der vor Jahren in Rom unter mir gedient, und der diese Schenke auf dem Gebirge von seiner Familie geerbt. Sein Dank giebt mir Obdach!«

»Und was gedenken Sie zu thun? Wie kann ich Ihnen helfen? – Richard Hunter, obschon nur ein Diener der Religion und des Friedens, wird keine persönliche Gefahr scheuen, um dem Freunde, dem Retter seines Lebens in den Schluchten des St. Salvador Korfu. zu beweisen, daß die Verschiedenheit politischer Meinungen nicht die Pflichten der Dankbarkeit und der Freundschaft aufhebt.«

Der Kapitän reichte ihm die Hand. »Ich weiß, es fehlt nicht an edlen Herzen in Ihrer Nation, wie sehr ich sie als solche auch hassen muß; an Herzen, so groß und schön, so stolz und edel, wie Gott sie nur in der Menschen Brust gepflanzt. – Eine Aussicht eröffnet sich mir – in Ancona ankert ein französischer Kauffahrer, der mich an der Küste aufnehmen soll. In Ripatransone erwarte ich Botschaft, und es gilt nur, dasselbe ungefährdet zu erreichen.«

»Das träfe sich herrlich,« sagte der Brite, »wir gehen nach Ascoli und an die Küste. Niemand in unserer Reisegesellschaft kennt Sie – Sie werden uns begleiten.«

»Noch weiß ich nicht, ob ich es wagen darf,« erwiderte der Grieche. »Sie haben mir noch nicht erzählt, welcher Zufall Sie in diese wilden Gebirge führt, wer Ihre Begleiter sind?«

»Vier junge Landsleute, jüngere Söhne edler Familien wie ich, die meiner Obhut anvertraut sind, und mit denen ich die Tour durch Frankreich, Deutschland und Italien gemacht. Ihre Bestimmung ruft sie in die Armee und die Verwaltung nach Ostindien, und dorthin, Freund, führt auch mich mein Schicksal. Ich gehöre zur Mission von Bengalen, und gehe, wenn ich mein Lebensglück durch die Erfüllung meines teuersten Wunsches gesichert, nach Suez, um mich von dort nach Kalkutta mit meiner künftigen Gattin einzuschiffen. – Doch da kommen meine Begleiter, und wenn Sie auch keiner persönlich kennt, ist es doch nötig, Sie unter anderm Namen einzuführen.«

Während der Unterredung im Innern der Osteria war vor deren Thür die besprochene Gesellschaft angekommen und hatte Halt gemacht. Sie bestand aus mehreren Reitern, teils auf Eseln, teils auf Maultieren, denen ein leichter Karren mit Gepäck folgte. Die Hauptgruppe bildeten vier junge Männer, von denen noch keiner das zwanzigste Jahr erreicht hatte, und die jetzt lachend und auf den schlechten Gebirgsweg scheltend von ihren Sätteln stiegen und nach ihrem Begleiter riefen. Lärmend kamen die jungen Herren alsbald ins Haus, wo ihnen der Vikar, dessen Ansehen und ruhiger Würde sich alle bereitwillig zu fügen schienen, entgegentrat und ihnen den Kapitän zuführte. »Sehen Sie, wie glücklich ich dabei gewesen bin, daß ich diesmal Ihrem Willen nachgegeben und statt der großen Straße den Weg durchs Gebirge eingeschlagen,« sagte er; »denn ein Zufall läßt mich in dieser Osteria einen alten Freund aus Neapel, den Conte di Griffeo treffen. Erlauben Sie mir, lieber Graf, Ihnen hier meine jungen Reisegefährten vorzustellen: Sir Stuart Sanders, Fähnrich in Ihrer Majestät 84. Regiment in Ostindien; Kornett Pond, der Neffe des Generals Wheeler, Hugh Flinton und James Ward, mein Vetter, der Sohn meines Oheims in Korfu, der seither in England erzogen wurde.«

Der Kapitän verneigte sich höflich vor den jungen Männern, denen sein stolzes, edles Äußere imponierte, und da er fertig englisch sprach, war die Unterhaltung bald im Gange während die Diener den ermüdeten Tieren Futter gaben, und der Wirt für die Gäste einige Flaschen des köstlichen Weins von Montefiascone herbeischaffte, mit denen sein Felsenkeller durch die Schmuggler reich versehen war.

Im Laufe des Gespräches fragte der Grieche, weshalb Master Hunter, sein Freund, den er vor drei Jahren in Korfu als Kaplan gekannt hatte, einen Posten in der indischen Mission angenommen habe und so weit von der Heimat sein Glück suchen wolle. »Unsere kirchlichen Verhältnisse,« erwiderte der Vikar, »können Ihnen nicht unbekannt sein. Die Stellen unserer Geistlichen teilen sich in Sinecuren mit einem fürstlichen Einkommen, und in die Lasten schlecht besoldeter Untergebener. Der wahre, eifrige Diener und Verkünder des göttlichen Wortes leidet in unserm stolzen England oft am nötigsten Mangel und der Hunger ist sein Los. Wenn nun auch meine Familie so viel Einfluß besitzt, daß ich Aussicht gehabt hätte, in einiger Zeit eine jener Sinecuren zu erhalten, so widerstrebte dem doch mein besseres Gefühl; ich will wirken, schaffen in meinem Beruf – und dazu ist in England wenig Platz. Hierzu kommt der Drang, der so häufig uns Briten nach fernen Zonen zieht. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich die Naturwissenschaften mit Vorliebe treibe und schon in Korfu jede freie Stunde dazu benutzte. Hat doch gerade diese meine Neigung unser Freundschaftsbündnis geschlossen, als Sie mit Lebensgefahr aus der Felsenschlucht und der wütenden Brandung mich retteten, in die ich durch einen jähen Sturz geraten. Dort, wo ich hingehe, will ich gleichfalls der Natur und den mächtigen Erinnerungen der Vorzeit leben. Indien ist noch immer ein jungfräuliches Land, das alle Herrschsucht, alle falschen Maßregeln der Kompagnie nicht zu Grunde zu richten vermocht haben. Eine großartige Natur, die ganze, ursprüngliche Wissenschaft und Bildung des Menschengeschlechts in gigantischen Ruinen der Vorzeit erwarten mich dort; – der Charakter des Volkes ist weich und empfänglich, die Segnungen des Christentums haben ein weites, ergiebiges Feld vor sich, und – es ist unnütz, es Ihnen zu verhehlen – auch der Gedanke zieht mich an, so manches Unrecht, das meine Landsleute den armen Hindus zufügen, durch Gottes Wort vergüten, gegen manche Tyrannei vielleicht mit einigem Erfolg ankämpfen zu können. Darum nahm ich das Anerbieten des Erzbischofs von Canterbury, zu dessen Diözese das indische Reich gehört, an, zunächst in die ferne Zone zu gehen, da die Frau, der meine Achtung und Liebe gehört, eingewilligt hat, mir dahin zu folgen, ja gewissermaßen die Anregung dazu gab. – So, Freund, wollen wir beide mit dem Leben und für das Leben kämpfen, und eine liebe, teure Erinnerung würde es für mich sein, wenn ich beim Verlassen Europas noch zur Sicherung Ihres Schicksals das Meine thun könnte. Nehmen Sie daher meinen Vorschlag an, Sie können ohne Gefährdung mit uns reisen, wir haben genügende Papiere bei uns, welche uns gegen alle Belästigungen, auch der österreichischen Militärwachen, schützen; überdies ist einer der kommandierenden Offiziere durch die Schwester meines Vaters, welche nach Deutschland heiratete, mir verwandt. Wir wollen bald weiter, denn wir beabsichtigen noch vor Anbruch der Nacht Osole zu erreichen, wie die Führer es uns versprochen haben. Ich stehe für Ihre Sicherheit und habe die Freude, Ihnen so in etwas meine Schuld abzutragen.«

Der Kapitän schlug ein. »Ich erkenne Ihre Güte,« sagte er, »und weiß, wem ich vertraue. Aber auf eins möchte ich Sie aufmerksam machen. Sie kennen diese Gebirge zu wenig, und die Sonne naht bereits stark ihrem Untergange. Es ist selbst bei Tage auf diesen Nebenwegen, ja häufig auf der großen Landstraße zu reisen gefährlich, denn zahlreiche Banden lagern auf dem Monte Vittore und in den Abruzzen, und streifen oft hier herüber, ja selbst bis an die große Straße von Foligno und an die Meeresküste. Es würde besser sein, während der Nacht hier zu bleiben.«

»So besorgt, Freund,« erwiderte lachend der Vikar, »und haben doch schon so lange selbst in dieser Wildnis zugebracht? Nein, mein Freund, wir müssen fort. Wir sind, außer dem Führer und den beiden Treibern der Maultiere, zehn gut bewaffnete Männer, und wenn mein Amt auch friedlich ist, verstehe ich doch im Notfalle sehr gut, mich der Waffen zu bedienen, und es fehlt mir nicht an Willen und Mut dazu. – Überdies« – ein Lächeln umzog seinen Mund – »werde ich morgen an einem Orte erwartet und denke, auch Ihnen dort eine kleine Überraschung zu bereiten. Die Räuberbanden haben sich nach den Nachrichten, die wir in Terni erhalten, gänzlich auf das neapolitanische Gebiet, in die unzugänglichsten Teile der Abbruzzen zurückgezogen, da sie überall von den französischen und österreichischen Truppen bedrängt werden, und starke Piketts auf der ganzen Grenze postiert. Ich hätte sonst sicher nicht diesen Weg gewählt. Heda, Wirt, wie weit rechnet Ihr noch bis Osole?«

»Neun Miglien, Etwas über zwei deutsche Meilen. Eccellenza zu dienen.«

»Und werden wir noch vor Einbruch der Nacht den Ort erreichen?«

Der Wirt zuckte bedeutsam die Achseln. »Die Wege durchs Gebirge sind beschwerlich, Eccellenza,« sagte er, »und wenn ich's mir herausnehmen dürfte, einem so vornehmen Herrn zu raten, möchte ich ihn bitten, mit meiner geringen Osteria fürlieb zu nehmen, oder nach Norcia zurückzukehren. Es hält sich viel Gesindel in den Bergen auf, sonst zwar ganz ehrliche Leute, die aber gezwungen sind, mit Büchse und Stiletto ihr Brot zu verdienen; ja, die Bauern in den Thälern munkeln sogar, daß der glorreiche Pepe Mamiani, ein so blutdürstiger und verwegener Schurke,« – er sah sich vorsichtig um – »wie Eccellenza nur einen denken können – wieder seine Streifzüge über die Grenze macht. Eccellenza möchte ein Unfall betreffen, und ich wäre untröstlich …«

»Schon gut, Herr Wirt,« unterbrach ihn der Brite; »wir haben noch eine Stunde bis zum Untergang der Sonne vor uns, und ich frage Euch, ob es möglich ist, in zwei Stunden Osole zu erreichen?«

»Möglich wohl, Eccellenza, indes – die Jahreszeit – die Gewitter …«

»So lassen Sie die Tiere vorführen, James, und Sie, lieber Pond, treiben unsere Führer zum Aufbruch, denn es will mir scheinen, als besäßen die Kerle eine bedeutende Portion italienischer Faulheit. Wie bringen wir Sie aber fort, mein Freund?« wandte er sich leise an den Kapitän. »Einer unserer Bedienten mag sich auf den Karren setzen und Ihnen sein Maultier abtreten.«

»Machen Sie sich keine Sorge deshalb, Sir,« erwiderte der angebliche Graf. »Ich besitze eines der kleinen Gebirgspferde, die wie die Ziegen klettern, und es befindet sich hier in der Nähe. – Wenn Sie demnach erlauben, meine Herren, schließe ich mich Ihrer Gesellschaft an, bis unsere Wege sich trennen. Holen Sie mein Pferd, Francesco, und Sie, Freund, warten Sie nicht auf mich, sondern treten Sie den Weg nur an, was mich selbst das beste dünken will, wenn ich jene schwere Wolken über dem Monte Cavallo sich erheben sehe. In wenigen Minuten hole ich Sie ein.« Er reichte dem Geistlichen herzlich die Hand, winkte dem Wirt und verschwand mit diesem.

Die Dienerschaft legte den Tieren wieder Sättel und Zäume an, die Führer und Träger mit mürrischen, verdrossenen Mienen über den schleunigen Aufbruch, nahmen das Gepäck auf und schickten sich nach allerlei Zögerungen zum Weitergehen an. Endlich war alles bereit, und der Zug setzte sich in Bewegung, nachdem der Leiter desselben in der Osteria einige Geldstücke für die Bewirtung zurückgelassen. Voran schritt ein starker und wild aussehender Gebirgsbewohner als Führer, der Sir Richard auf seine Fragen nur kurze Antworten gab und wenig Zutrauen Erweckendes in seinem Äußern hatte. So ging der Zug die wilde Straße in die Berge hinein, während die untergehende Sonne, welche auf die Hecken von wilden Feigen und Taxus oder auf die bläulichen Schiefer des Gesteins rote Strahlen warf, den Reisenden oft malerische Anblicke in die Tiefe gewährte.

Indes sie ihren Weg fortsetzten, hatte Francesco, der Wirt, das kleine, rauh behaarte Gebirgspferd, das er für den Kapitän gekauft, aus der Felsenspalte geholt, die man zum Stalle eingerichtet. Markos Grimaldi teilte den ziemlich spärlichen Inhalt seiner Börse und legte die Geldstücke heimlich auf den Fenstersims für den Getreuen. Dann gab er ihm die nötigen Instruktionen für den Fall, daß er seinen jetzigen Diener und Fluchtgefährten in Ripatransonne nicht treffen sollte, und bestimmte den Ort des Rendezvous an der Küste. Der Capitano nahm die Zügel aus der Hand des alten Dieners und legte die seine ihm auf die Schulter, in dem er lange und herzlich ihm ins Gesicht blickte. »Lebe wohl, braver Mensch,« sagte er – »das Schicksal zwingt mich, zu gehen, ich glaube auf immer oder mindestens auf lange Zeit. Kann ich Dir je vergelten, was Du in Deiner Treue für mich gethan, so soll es, bei dem Gott über uns, geschehen – wo nicht, nimm fürlieb mit dem Dank eines Heimatlosen.« Weinend, mit tausend Segenswünschen beugte sich der Wirt der Osteria auf die Hand des Offiziers und küßte sie; Grimaldi aber drückte ihn selbst an die Brust, dann sprang er auf den Klepper, und das kräftige, wilde Tier jagte davon, während Francesco, der Wirt, noch lange dem Scheidenden nachwinkte.

Die Dämmerung nahte bereits, als Grimaldi den Zug erreichte und sofort zu seinem Freunde ritt, mit dem er eine kurze Strecke hinter den Dienern folgend, über die gemeinschaftlichen Erinnerungen und die wichtigen, die europäischen Verhältnisse erschütternden Ereignisse der letzten zwei Jahre plauderte. So achteten sie wenig darauf, daß drohende Gewitterwolken den Abendhimmel umzogen und den Weg verdunkelten, der, ohnehin fast zur Unkenntlichkeit verlaufend, immer tiefer und wüster in die Berge sich hineinzog. In den südlichen Ländern ist die Dämmerung nur kurz und geht rasch zur Nacht über. Erst als das ferne Wetterleuchten zwischen den Berggipfeln ihn aufmerksam machte und der Diener des Geistlichen, ein ernster Schotte von gesetzten Jahren, zu ihnen herankam, um ihnen zu sagen, daß er fürchte, sie seien längst vom rechten Wege abgekommen, und daß der Führer, fortwährend mit den beiden Maultiertreibern flüsternd, ihm verdächtig vorkomme, – fiel auch ihnen auf, daß sie die von dem Wirt ihnen angegebene Entfernung bereits zurückgelegt haben, oder wenigstens Osole sehr nahe sein müßten. Dennoch war in dem Dunkel keine Spur einer kultivierten, von Menschen bewohnten Gegend zu sehen, und beide begannen die Besorgnisse des Dieners für begründet zu halten. Hunter wollte sofort den Führer rufen, der Kapitän jedoch hielt ihn zurück und bat, ihm erst eine kurze, wie zufällige Prüfung des Mannes zu gestatten. Um diese vorzunehmen, trennte er sich von dem Freunde, und ritt nach der Spitze des Zuges, wo er absteigend neben dem Führer her ging und, Feuer von ihm für seine Cigarette verlangend, ein Gespräch mit ihm anknüpfte.

Der Mann blieb jedoch, gegen die Gewohnheit der Italiener, sehr einsilbig. Es war eine starke knochige Gestalt, das Gesicht von einem bereits ergrauenden Bart umgeben und durch eine tiefe, über die Nase laufende und sie verunstaltende Narbe gezeichnet.

»Wie weit rechnet Ihr noch bis Osole Amico?« fragte der Grieche.

»Drei Miglien, Eccellenza, die Wege sind schlecht und wir haben nur wenig über die Hälfte zurückgelegt.«

Grimaldi wußte, daß der Mann log; sie waren jetzt zwei volle Stunden unterwegs und konnten demnach, auch bei dem schlechtesten Wege, die Entfernung nach Osole recht gut zurückgelegt haben. Er unterdrückte jedoch alle weitere Bemerkungen und sagte nur: »Jedenfalls müssen wir bereits über Gatto hinaus sein, und dennoch habe ich keine Spur davon gesehen.«

»Eccellenza müßten Adleraugen dazu haben, es liegt dort hinter jenen Bergen.« Er wies nach links, und doch war es dem Kapitän aufgefallen, daß sie von der Osteria statt gerade aus, sich immer links gehalten hatten, also auf den Weiler hätten stoßen müssen.

»Das Wetter scheint drohend zu werden,« fuhr der Offizier fort, »es wird Zeit, daß wir unser Nachtquartier möglichst bald erreichen. Ihr seid doch Eures Weges sicher, Freund, und aus dieser Gegend? Wo seid Ihr her, und wie nennt Ihr Euch?«

» Antonio Pescare, aus der Campagna, Signor. Ich mache den Weg jetzt fünfzehn Jahre und kenne jeden Stein desselben.«

Der Kapitän sah ein, daß der Mensch wieder log. Der Dialekt der italienischen Landschaften ist so verschieden, daß man leicht daraus die Heimat eines Mannes erkennen kann, und der des Führers war offenbar nicht der römische, sondern bekundete den Bergbewohner von Calabrien. Überdies hatte Francesco, der Wirt, der jetzt schon zwei Jahre die Osteria an der Straße hielt, geäußert, daß ihm der Führer ganz unbekannt sei. Ohne die Bewegung auffallend zu machen, blieb daher der Kapitän langsam zurück, bis er sich wieder an der Seite des Freundes befand. »Ich möchte Ihnen gern eine bessere Kunde geben, als meine Überzeugung mir zur Pflicht gemacht,« sagte er zu diesem »Ich glaube, Sie befinden sich in sehr schlechten Händen. Der Mensch, den Sie zum Führer genommen, ist offenbar nicht das, für was er sich ausgiebt, und hat Sie bereits irre und vom rechten Wege abgeführt. Ich bin überzeugt, daß wir weit links in den wildesten Teil des Gebirges geraten sind, und halte es für das beste, daß Sie sich seiner versichern und wir dann unsern Weg so rasch als möglich zurücknehmen. Ihn nicht aus den Augen und aus unserer Gewalt zu lassen, wird aber jedenfalls nötig sein.«

Nach einer kurzen Beratung wurde beschlossen, daß Master Hunter sich zu dem Führer begeben und die Umkehr befehlen sollte, während der Kapitän zurückblieb, um die Leute im Auge zu behalten und die Flucht zu verhindern. Hunter gab der kleinen Karawane das Zeichen zum Anhalten und ritt zu dem Führer hin, der ihn, auf seinen langen Gebirgsstock gestützt, trotzig erwartete.

»Ich und meine Begleiter sind der Ansicht,« sagte der Kaplan mit freundlichem Ton, »daß wir zuweit links in die Berge geraten sind. Was meint Ihr dazu Freund?«

Der Mann schaute ihn mißtrauisch von der Seite an. »Wenn Eccellenza in diesen Bergen besser Bescheid zu wissen meinen, als ich, so werden Sie am besten thun, sich selbst zu geleiten.«

»Dazu habe ich Euch gemietet,« sagte der Geistliche ernst, »und Ihr müßt uns dahin führen, wohin ich es Euch bestimme. Für jetzt habe ich beschlossen, daß wir unsern Weg zurücknehmen wollen nach der Osteria, die wir vor zwei Stunden verlassen haben. Also laßt die Tiere und die Leute umwenden und zeigt uns den Weg.«

Der Führer biß die Zähne trotzig zusammen und warf tückische Blicke auf den Sprechenden. »Ich und meine Gefährten gehen keinen Schritt zurück; wir versprachen, Sie nach Osole zu bringen und haben selbst Geschäfte dort; unser Weg geht also vorwärts!« Damit steckte er den Finger in den Mund, that einen schrillen Pfiff und schritt, unbekümmert um die Reisenden, voran, während die beiden Maultiertreiber bei dem Laut aufmerksam nach ihm hinblickten, wie ein Pferd die Ohren spitzt, wenn der Ton der Trompete zum Kampf ruft. Hunter aber, von der Begründung seines Verdachts jetzt überzeugt, war rasch an des Führers Seite und packte ihm beim Kragen. »Halt, Kerl,« rief er, »wenn Du nicht in Güte hörst, werden wir Dich zum Gehorsam zwingen.«

»Laßt mich los, Signor, oder …«

»Henry – Steffen – herbei!« schrie der Brite den Bedienten zu. »Faßt mir den Halunken und bindet ihn!«

» Maladetta bestia« knirschte der Italiener und riß sich mit einem kräftigen Ruck aus den Händen des Vikars los. Hunter fühlte die Schneide eines Messers an seinem linken Arm hingleiten und leicht das Fleisch ritzen; durch eine rasche Bewegung aber entging er dem Stoß und versuchte aufs neue, den Mörder zu fassen, denn er war ein Mann von großem persönlichen Mut und bedeutender Körperkraft. Aber mit der Gewandtheit einer Katze war jener an den Rand des Weges, wo er sich abschüssig in dichtes Gebüsch senkte, gesprungen und ließ einen zweiten Pfiff ertönen, dem ein wilder Gegenruf der beiden Maultiertreiber antwortete. Ehe die Reisenden oder ihre Diener es verhindern konnten, waren diese aus der Reihe gesprungen, und kletterten an den Felsen empor. Ein greller Blitz aus der Wolkenwand, die sich bereits über den ganzen nördlichen und östlichen Himmel emportürmte, zeigte Antonio, den Führer, noch am Rande des Weges stehend, und sein höhnendes grelles Lachen ward verschlungen vom Rollen des Donners. Dann erscholl der Knall eines Pistols, ein wilder italienischer Fluch wurde ausgestoßen, und der Verräter verschwand am Abhang.

Der ganze Auftritt war das Werk weniger Augenblicke gewesen, und der größere Teil der Gesellschaft wußte kaum, was das alles zu bedeuten habe, und schrie und fragte bunt durch einander. Nur Hunter und der Kapitän behaupteten ihre ruhige Entschlossenheit, und der letztere, der den Schuß auf den Flüchtling gethan, behauptete mit Bestimmtheit, daß er ihn verwundet haben müsse. Mit flüchtigen Worten wurde jetzt den anderen ihre gefährliche Lage kund gemacht und eine rasche Beratung gehalten, die bei der Eile um so nötiger war, als plötzlich das Unwetter in voller Kraft über ihren Häuptern losbrach.

Ein Gewitter ist in allen Gebirgen eine furchtbarere, gewaltigere Erscheinung, als in den Ebenen des flachen Landes. In den Felsenschluchten der höheren Apenninen toben die Wetter mit einer Heftigkeit, die den Orkanen der heißen Zone ähnelt. Das Gewitter, das die Gesellschaft überfallen, war von der stärksten Art – die trockene Hitze vieler Tage hatte die Elektrizität gesammelt, und sie entlud sich jetzt Schlag auf Schlag über den Geängsteten. Menschen und Tiere schienen minutenlang an dem hohen Abhang, auf dem sie sich befanden, im Feuer zu stehen, und die Reisenden genossen das eigentümliche wenn auch gefährliche Schauspiel, die Blitze über ihren Häuptern und unter ihren Füßen sich kreuzen zu sehen. Der Donner durchdröhnte unaufhörlich die Luft in so gewaltigen, von hundert Echos wiederholten Schlägen, daß die Maultiere zitternd, mit gesträubter Mähne an ihrem Platze hielten, und die Menschen betäubt wurden. Dennoch traf kein weiteres Unglück die kleine Gesellschaft, und eben so rasch, wie sie im Sturm dahergebraust, flogen die elektrischen Wolken vorüber und senkten sich in die nahen Thalkessel. Dagegen wetterte jetzt eine Hagelwolke ihre scharfen eisigen Körner in dichten Massen nieder, und nur mit der größten Anstrengung gelang es den Herren und Dienern, die Tiere festzuhalten, daß sie nicht in blinder Tollheit ohne Ziel und Pfad davon rannten, da überdies die beruhigende Stimme des bekannten Führers fehlte.

Die Gesellschaft befand sich in einer trostlosen, durch die Ungewißheit um so gefährlicheren Lage, und wie in einer solchen die kräftigen, entschlossenen Charaktere sich stets der Leitung bemächtigen, so geschah es auch hier: der neapolitanische Pseudo-Graf trat an ihre Spitze. Mit flüchtigen Worten wurde den jungen Männern und Dienern, unter denen sich nur zwei in Rom gemietete Italiener befanden, die Gefahr der Lage angedeutet, und nach kurzer Beratung zwischen dem Geistlichen und seinem Freunde über die Frage, ob man den Rückweg allein versuchen sollte, auf das energische Andringen des Kapitäns beschlossen, trotz des noch immer tobenden und in heftige Regengüsse sich auflösenden Wetters vorwärts zu dringen. Der Kapitän erklärte überzeugend die Gründe, die ihn zu diesem Vorschlag bewogen. Offenbar hatten die Entwichenen, die sich der Gesellschaft auf der letzten Station in der Nähe von Norcia aufgedrängt mit dem Versprechen, sie auf einem nähern Wege durch die Berge zu führen, von vorn herein die Absicht gehabt, sie unterwegs irre zu leiten und in irgend einen Hinterhalt zu locken, ja, es ließ sich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß wenigstens der eine zu einer Bande selbst gehörte und die Vetturins die willigen Werkzeuge waren. Da man bereits den Entschluß geäußert hatte, nach der Osteria Francescos zurückzukehren, so würden die Verräter gewiß mit ihren Genossen sie auf dem langen Wege dahin im Dunkel der Nacht überfallen, und selbst im glücklichsten Fall bot die einsam gelegene, von jeder Hilfe abgeschnittene Herberge keinen genügenden Schutz gegen einen Angriff. Dagegen war es möglich, daß man bei mutigem Vorwärtsdringen aufs Geratwohl eben durch das Unerwartete den harrenden Feinden entgehen könne, die durch das Unwetter eben so gut behindert sein mußten, wie die Reisenden. Der in Strömen fallende Regen mußte jede Spur ihres Zuges verwischen, und jedenfalls, auch wenn sie keine bewohnte Gegend erreichten, war es immer besser, in irgend einem abgelegenen Dickicht des Gebirges den Tag zu erwarten und die etwaigen Verfolger so über ihren Weg zu täuschen.

Die Ansicht des Kapitäns entschied, wie gesagt. Man sah ein, daß es unmöglich wäre, den Karren mit dem Gepäck weiter fortzubringen, spannte daher das Pferd, welches ihn zog, aus, verteilte die Bagage auf die Tiere der Dienerschaft und stürzte ihn den Felsenabhang hinunter. Dann setzte man die Waffen, so weit es in diesem Wetter thunlich, in Bereitschaft, und der ganze Trupp, so dicht an einander haltend wie nur möglich und auf plötzlichen Überfall gefaßt, bewegte sich mitten in den Wolkenzug hinein.

Aber nur das tobende Wetter schien ihnen noch Ungemach bereiten zu wollen. Seit dem Verschwinden Antonios und seiner beiden Genossen hatte man nichts wieder von ihnen gesehen und gemerkt, als anfangs einzelne Signale durch schrilles Pfeifen, die sich aber immer mehr in der Ferne verloren oder von dem Brüllen des Donners übertönt wurden. Der Kapitän schloß daraus, daß jene sich ganz entfernt oder in irgend einem Zufluchtsort Schutz gegen das Wetter gefunden hatten, und trieb um desto dringender alle an, ihren Marsch zu beschleunigen.

Derselbe erfolgte über das Bergplateau, das die Gesellschaft erreicht hatte, so gut es ging, den Wegspuren folgend, bald aber, nachdem man diese gänzlich verloren, auf gutes Glück mit so viel Vorsicht, als möglich war. Man mochte auf diese Weise wohl eine halbe Stunde vorgedrungen sein, als das Unwetter sich zu legen begann und, mit jenen schnellen Übergängen im Süden, bald sich gänzlich verlor und einer klaren, sternenhellen Nacht Platz machte.

Sie hatten das Plateau, seit einiger Zeit bergabsteigend, verlassen und waren eine Strecke weit immer tiefer ins Thal quer durch einen Wald von italienischen Fichten vorwärts gegangen, als einer der beiden italienschen Bedienten, der sich gerade an der Spitze des Zuges befand, einen Ausruf der Freude ausstieß und auf einen fernen Lichtschimmer deutete, der sich zwischen den Bäumen hindurch zu zeigen begann. Allgemeine Freude erfaßte die Reisenden, als sie dies Zeichen der Nähe einer menschlichen Wohnung erblickten. Der Kapitän jedoch hielt die Eilenden zurück, um sich wo möglich erst nähere Kunde zu verschaffen und eilte weitere Beratung mit seinem Freunde zu halten.

»Es ist uns vor allen Dingen Vorsicht nötig,« sagte er, »der Lichtschein dort unten kann eben so gut von einem Feuer der Banditen, wie aus der Wohnung eines ehrlichen Mannes kommen, obschon Zehn gegen Eins zu wetten, daß von der letztern Art nicht viele in dieser Wildnis leben. Ich erinnere mich übrigens von einem Gehöft in der Tiefe des Gebirges gehört zu haben, einem alten Gemäuer, das in früheren Jahrhunderten zu einem Kastell oder sonst einem Zweck gedient hat und eben nicht im besten Rufe steht. Sollten wir dahin geraten sein, so können die Chancen eben so leicht günstig als schlimm für uns ausfallen, denn es wird darauf ankommen, von wem wir es bewohnt finden. Es kann jedoch unmöglich entfernt von der Straße nach Amandola liegen. Jedenfalls, wenn es ein Gehöft ist, müssen wir versuchen, für die Nacht dort ein Unterkommen zu finden, denn unsere Tiere sind erschöpft, und wir selbst vermögen kaum noch den Beschwerden zu widerstehen.«

Der Geistliche ließ seine Uhr repetieren – sie gab halb Elf an. Sie waren unterdessen an den Rand des Waldes gekommen und vor ihnen lag ein ziemlich weiter vom Gehölz freier Thalgrund, in dessen Mitte, die Vermutung des ehemaligen Offiziers bestätigend, ein großes, dunkles Gebäude sich am Nachthimmel abzeichnete. Aus jenem kam der einsame Lichtstrahl.

»Lassen Sie mich vorausreiten,« sagte Grimaldi, »und zuerst allein Einlaß versuchen. Einem einzelnen werden die Leute, die dort hausen, weit eher öffnen, und ich kann mich dabei zugleich überzeugen, ob nicht vielleicht eine uns überlegene Zahl von Feinden dort Schutz vor dem Wetter gesucht. Hören Sie einen Schuß, so bin ich in Gefahr, und Sie thun am besten, sich wieder in die Berge zu werfen. Mein Ruf soll Sie benachrichtigen, wenn das Feld rein ist und wir also eine Herberge finden. Bis dahin aber halten Sie sich im Dunkel des Waldes.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, gab er seinem kleinen Pferde die Sporen, und ritt auf das Gebäude zu, das dunkler von dem Schatten der umliegenden Berge sich erhob. Es war, wie er näher kommend fand, ein breiter, viereckiger Turm, aus zwei niedrigen Stockwerken bestehend und an der Frontseite von einer Mauer umgeben, die im Halbzirkel einen kleinen Hofraum umschloß und durch ein Thor von schweren Eichenbohlen den Zugang zum Gebäude öffnete. Aus dem fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert herstammend, schien es in den vielfachen Kämpfen der italienischen Edlen jener Zeit zu einem festen Zufluchtsort oder verborgenen Waffenplatz, vielleicht auch nur als ein sicherer Aufenthalt während der Jagdstreifereien in den Gebirgen gedient zu haben, und obschon in einzelnen Teilen etwas verfallen, doch im ganzen noch gut im Stande und fester Bauart zu sein. Der Kapitän konnte sich nicht verhehlen, als er es näher kommend betrachtete, daß das Gebäude ganz dazu gemacht sei, einen Schlupfwinkel für Räuber und anderes Gesindel abzugeben; zugleich aber erkannte sein militärischer Scharfblick auch, wenn seine Gesellschaft das Haus unbesetzt fände, und es ihr gelänge, hier ein Unterkommen zu erhalten, dies auch der geeignetste und vorteilhafteste Ort sei, im Fall einer Gefahr sich zu verteidigen und einen Angriff mit geringen Kräften abzuschlagen oder doch wenigstens bis zum Tagesanbruch hinhalten zu können. Dies überlegend, klopfte er ohne Zögern mit dem Kolben seines Pistols an das verschlossene Hofthor, daß der Schall laut durch die Nacht dröhnte.

Noch hallte das Echo nach, als er schon ein kleines Fenster im unteren Geschoß sich öffnen hörte, und eine Stimme fragte: »Wer klopft? Ist es einer von uns?«

»Ja,« antwortete der Kapitän unbedenklich mit leiser und verstellter Stimme, vom Schatten des Thores, an das er dicht heran getreten, gedeckt. »Mach' auf und sage, ob Du allein bist?«

»Heilige Jungfrau von Loretta! Niemand ist im Hause, als Mutter Therese und ich. Komm getrost herein, Freund, ich wunderte mich schon, wo Ihr in diesem Höllenwetter gesteckt. Im Augenblick bin ich bei Dir.«

Der Kapitän sah den Lichtschein verschwinden und hörte die innere Thür öffnen. Der hohle Husten, während der Mann über den Hof kam und die schweren Riegel von dem Thore hob, wie die Stimme, überzeugten ihn, daß er alt sei, und in der That stand, als der Thürflügel geöffnet war, eine kleine, zusammengeschrumpfte Greisengestalt vor ihm. Das volle Licht der Laterne, die der Alte in der Hand trug, fiel auf die kriegerische Figur des Kapitäns und ließ ihn zu seinem Schreck einen gänzlich Fremden erkennen. »Heiliger Januario, mein Padrone!« rief er, »wer seid Ihr und was wollt Ihr, daß Ihr einen armen, einsamen Mann so in dieser schrecklichen Nacht überfallt?«

Er versuchte das Thor wieder zu schließen, aber der Offizier war bereits dazwischen getreten, und indem er ohne weitere Anfrage sein Pferd in den Hofraum führte und dort stehen ließ, sagte er: »Nichts für ungut, Alter, Not kennt kein Gebot, ich bin ein verirrter Reisender und Ihr könnt Christenleuten nach einem Wetter, wie das eben vergangene, nicht ein Unterkommen verweigern, um sich zu erholen. Kriegsrecht gilt überall; ich habe einige Freunde bei mir, die draußen meiner noch harren, und muß mich vergewissern, ob sie ohne Gefahr hier eintreten können. Also voran, Alter, und zeigt mir Eure Spelunke.« Er nahm seinen Säbel in den linken Arm, spannte das Pistol und bedeutete den Wirt, voran zu gehen, der mit sichtlichem Schreck und Ärger das entschlossene Wesen des Fremden betrachtete. »Heiliger Jakob von Compostella,« rief er, »meint Ihr denn, daß mein Haus eine Herberge für alle Leute ist, die in den Gebirgen umherziehen? Geht in Frieden, Signor, und laßt mich das Thor schließen. Ich kann so viele Leute nicht beherbergen und zu finden ist hier nichts in diesen öden Mauern.«

»Alter Narr,« sagte der Ionier, »haltet Ihr uns für Räuber und Spitzbuben? Ihr sollt Eure Gastfreundschaft nicht umsonst geben, es sind Engländer, und Ihr wißt, die bezahlen reichlich.«

»Inglesi?« fragte der andere – » Veramente! diese Herren Engländer haben gewöhnlich viel rotes Gold und mit Gottes und der heiligen Jungfrau Hilfe könnte da vielleicht auch ein Stück für den armen Jacopo abfallen. Legt Euer Mißtrauen ab, Eccellenza, und ruft Eure Freunde immerhin. Im ganzen Hause ist keine Seele als ich und der alte Drache, mein Weib, das mich das Fegefeuer schon hier auf Erden schmecken läßt, und ein kleiner armer Bube. Ihr werdet hier so sicher aufgehoben sein, wie im Schoß des heiligen Vaters selber.«

»Ich pflege meinen eigenen Augen am liebsten zu trauen,« erwiderte der Kapitän trocken, »also voran und zeigt mir den Weg. Meint Ihr es ehrlich, so wird sich das leicht bewähren und nicht zu Eurem Schaden sein.«

Der Alte, einsehend, daß ihm nichts übrig blieb als zu gehorchen, fügte sich, unter verschwenderischen Beteuerungen seiner Redlichkeit und der Sicherheit seines Hauses, die er geläufig bei allen Heiligen des italienischen Kalenders beschwor, in den Willen seines Gastes und geleitete ihn die zerbröckelten Steinstufen hinauf, die zum Hause führten. Den unteren Teil desselben nahm fast ganz eine weite Halle ein, die jetzt zur Küche diente und in welcher ein kleines Feuer auf dem Herde brannte. Ein altes, von Jahren und Gicht krumm gezogenes Weib, mit mürrischer Miene, saß dabei und spann, während von einem Mooslager daneben ein Knabe, von etwa zehn bis elf Jahren, beim Eintritt der Männer sich erhob und mit forschenden, verschlagenen Augen den Fremden betrachtete. Zwei Thüren, die der Wirt öffnete, zeigten nur zwei leere und wüste Kammern, ohne weiteren Ausgang, und auch in dem oberen Stockwerk, das wiederum eine große Halle und zwei anstoßende leere Zellen enthielt, fand sich nichts Verdächtiges. Desto weniger Zutrauen flößte freilich das Äußere des Wirtes ein, das er jetzt bei dem Schein des Feuers und der eisernen Lampe, die an einer Kette von der Decke hing und nun von diesem angezündet wurde, näher ins Auge fassen konnte. Obgleich der Mann ein hinfälliger, schwacher Greis war, lag in seiner faltigen, vom Alter vertrockneten Spitzbuben-Physiognomie doch so viel Lauerndes, Boshaftes und – bei seinem jetzigen Bestreben, sich angenehm zu machen – Heuchlerisches, daß ihn unwillkürlich dies Gesicht, das außerdem noch durch den Verlust eines Auges entstellt war, anwiderte.

»Einstweilen scheint mir Euer Haus sicher,« sagte der Kapitän, »und ich gehe, meine Freunde zu holen. Nur möchte ich doch vorher noch wissen, wen Ihr eigentlich erwartet, als Ihr mir das Thor geöffnet?«

»Santa Teresa – wen sollte ich erwartet haben?« fragte heuchlerisch der Wirt. »Hier des armen kleinen Peppo Eltern aus Arquata – meiner Frau Muhme und Vetter – wollten uns heute besuchen und den Burschen abholen. Wir glaubten sie verspätet durch das höllische Wetter im Gebirge. Aber Eccellenza wollen mir die Frage erlauben, wie Sie denn bei diesem schrecklichen Gewitter hierher geraten und mein armes Haus gefunden haben?«

»Ich sagte es Euch schon – wir kommen von Terni und haben uns im Gebirge verirrt. Der Führer und die Vetturins haben uns hintergangen und sind, als wir uns ihrer versichern wollten, entflohen, ihre Tiere im Stich lassend. Der Schurke, der sich in Terni meinen Freunden zum Führer anbot, hatte sicher Helfershelfer im Gebirge, denen er uns in die Hände spielen wollte.«

»Kennt Eccellenza den Namen des Mannes?«

»Antonio Pescare nannte er sich mir.«

Der Knabe am Feuer machte eine leichte Bewegung, der Wirt und sein Weib blieben jedoch ruhig und unbefangen.

»Sorgt, unterdes ich meine Reisegefährten hole, für ein gutes Feuer und was etwa Euer Haus vermag,« sagte der Offizier, »ich bin sogleich mit ihnen zurück.«

Der Wirt leuchtete ihm aus der Thür und kehrte dann sogleich in die Halle zurück, wo er den Knaben bereits im eifrigen Gespräch mit der alten Frau fand. »Der Vater hat es selbst gewagt,« sagte der Bursche, »und bei Sankt Peter – die englischen Ketzer sollen ihm nicht entgehen!«

»Aber was sollen wir thun, kleine Ratte,« meinte der Alte. »Sie werden vielleicht zahlreich sein; – wer weiß, wo unsere Leute nach dem Wetter in den Bergen zerstreut liegen, und wir können vielleicht ohne Gefahr ein hübsches Stück Geld verdienen, wenn wir diesen Engländern weiter helfen.«

» Che rinegato!« kreischte das Weib. »Hat der alte feige Schuft nicht gehört, daß es Inglesi, Ketzer sind, die zu töten ein gutes Werk ist? Höre nicht auf ihn, Peppo, mein Jüngelchen. Ich möchte darauf schwören, daß Dein braver Vater in der Sankt Lorenzo-Kapelle Schutz vor dem Wetter gefunden hat, oder dort den Aufgang des gesegneten Mondes erwartet, um die Teufelsbrut zu verfolgen. Er ist nicht der Mann, der seine schönen Maultiere im Stich ließe. Peppino – Du bist ein flinker Bursche, Du kennst alle Stege des Gebirges und wirst ihn finden. Bringe ihm Nachricht, wo er die Fremden trifft. Jacopo wird dafür sorgen, daß Ihr das Thor unverschlossen findet.«

Der Knabe nahm sogleich einen alten, kurzen Mantel von Ziegenhaaren um und setzte seinen spitzen Filzhut auf. »Seid unbesorgt, Muhme,« sagte er. »Ich werde sie finden und sende Euch Botschaft. Merkt nur auf, ob ihr den Rabenschrei hört.«

Der alte Banditenhehler kratzte sich hinter den Ohren. »Es wird freilich das beste sein, wenn sie nur so zahlreich beisammen sind, daß es keinen Kampf weiter giebt. So im Schlaf, ein blankes Messer über die Kehle, und es giebt keiner einen Laut mehr von sich. Die Inglesi sind Tiere; ich werde ihnen guten Wein vorsetzen, daß sie ihren Verstand darin lassen. Aber dem Burschen, der eben hier war, traue ich nicht. Er redet unsere Sprache wie ein Italiener und ist kein Fremder.«

»Bah,« sagte der Kleine – »mein Vater Antonio ist mit anderen fertig geworden. Addio, Mütterchen! Sorge nur, daß ich auch meinen Teil von der Beute bekomme!«

»Ein Teufelsjunge, der Peppino!« schmunzelte der Alte, während er dem Knaben nach einer der Kammern folgte. »Ich möchte zehn Scudi gegen einen Bajocco wetten, daß er, ehe zehn Jahre vergehen, das beste Stilet zwischen Spoleto und Terracina führt.«

Als er zurückkam, war er allein. Draußen vor der Thür tönte bereits das Geräusch der Ankommenden, und Jacopo, der Wirt, trippelte hustend und keuchend hinunter, die Gäste zu empfangen, die er soeben dem Mordmesser der Banditen verraten hatte.

Der Kapitän hatte seinen Freund von dem Zustande des Zufluchtsortes unterrichtet, der sich ihnen bot, und dieser ihm sogleich zugestimmt, daß sie sich desselben bis zum Tagesanbruch versichern müßten. Dementsprechend wurden sofort die nötigen Befehle erteilt, das Thor wieder sorgsam geschlossen, die Maultiere und Pferde in einem im Hofe sich befindenden Schuppen untergebracht und mit Futter versehen, das sämtliche Gepäck aber in die Halle des Erdgeschosses gebracht, wo bereits die vier jungen Männer sich um das Feuer versammelt hatten, und des überstandenen Ungemachs und der Gefahr rasch vergessend, mit der alten Frau ihren Scherz trieben, dem ziemlich guten Wein, den der Wirt herbeischaffte, zusprachen und es sich so bequem als möglich machten.

Erst auf die energischen Vorstellungen des Vikars beschäftigte sich jeder – während die beiden italienischen Diener der Frau bei Bereitung des Abendbrotes halfen und aus dem Vorrat der Engländer zunächst ein starker Thee gekocht wurde – mit Instandsetzung und Reinigung der Waffen von den Spuren des Regens. Die vier jungen Herren und der Vikar führten treffliche Enfieldsgewehre bei sich, außerdem mehrere Paar Pistolen und Revolvers. Mit Säbeln und Degen konnte die Dienerschaft vollständig bewaffnet werden. Jetzt erst, als die Polenta aufgetragen wurde, bemerkte der Falkenblick des Ioniers, daß der Knabe verschwunden war, und er fragte sogleich energisch nach dem Grund. Aber die alte Hexe war geschwind mit einer Geschichte bei der Hand, daß sie den Burschen nach einem zwei Miglien entfernten Weiler geschickt habe, um dort Milch und Brot für das Morgenmahl der Herren Engländer zu holen, und da der Kapitän das Geschehene nicht mehr ändern konnte und auch keinen weiteren Anhalt für seinen Verdacht fand, mußte er sich mit dieser Auskunft begnügen, erklärte jedoch auf das bestimmteste dem Wirt und seinem Weibe, daß bei dem geringsten Anzeichen eines Verrats oder einer den Reisenden drohenden Gefahr man sich ihrer Personen bemächtigen und sie zuerst dafür büßen lassen werde.

Das Verschwinden des Knaben beunruhigte trotzdem fortwährend den Offizier, und er verabredete mit seinem Freunde, daß sie abwechselnd in dem oberen Stock, den man zur Schlafstätte der Herren gewählt, Wache halten wollten, indeß einer der Diener das gleiche Amt in der Halle des Erdgeschosses versehen sollte. Zum großen Ärger des Vikars hatten seine vier Schutzbefohlenen sich aus dem Thee und mit Hilfe der mitgeführten Spirituosen einen Punsch gebraut und demselben so stark zugesprochen, daß das beste für sie war, sobald als möglich ihr Lager zu suchen. Aus Stroh, Mänteln und Decken war ein solches in der oberen Halle bereitet worden, und da Master Hunter darauf bestanden hatte, die erste Wache zu übernehmen, streckte sich der Kapitän, Säbel und Pistolen neben sich, in einem der oberen Seitengemächer gleichfalls auf den Boden, um einige Stunden Schlaf zu suchen.

Es war elf Uhr, als alles im Hause bereits ruhig und still, das Feuer bis auf das leichte Flackern der Kohlen im Kamin erloschen und selbst der mit der ersten Wache in der unteren Halle beauftragte Diener, von den Strapazen des Tages ermattet, neben seinen Gefährten eingeschlafen war.

Richard Hunter hatte die Lampe ausgelöscht, um nicht durch ihren Schein die Gegenwart von Menschen im Turm zu verraten, und saß, den Kopf in die Hand gestützt, am offenen Fenster, den Blick bald in den gestirnten, durchsichtigen Nachthimmel tauchend, bald auf die Schatten richtend, die der Mond, sich eben über die Tannen und Pinien erhebend, durch das Thal warf.

Noch nicht lange hatte er so seinen Gedanken nachgehangen, als plötzlich aus dem Dunkel der Pinien eine Gestalt langsam und vorsichtig über die lichten Stellen der Mondbeleuchtung hinwegglitt und sich in den bergenden Schatten der Hofmauer stahl.

Das mußte ein Fremder sein, vielleicht ein Spion der Banditen.

Ein schlecht nachgeahmter Rabenschrei ließ sich hören und wiederholte sich dreimal.

Dann war es ihm, als klänge ein Fenster dicht unter ihm. »Wer ist da?« flüsterte eine Stimme, in deren unterdrücktem Hüsteln er den Ton des schuftigen Wirtes erkannte.

» Manigoldo! wer sonst als die Raben des Gebirges! Laß mich ein, alte Eule! Bei dem Kreuz von Suli – kennst Du Danilos, den Uskoken, nicht?«

»Der tolle Seebär!« murmelte der Wirt. »Verwünscht, der Bursche ist so unbesonnen, daß er sie alle wecken wird! – Ich komme schöner Danilo – einen Augenblick Geduld, ich will mich nur überzeugen, ob die Fremden schlafen, denn es sind ein paar Augen unter ihnen, denen ich nicht traue.«

Eine Verwünschung in fremder Sprache, dann hörte der Vikar das Fenster schließen und bald darauf leise, katzenartige Schritte auf der Stiege.

Er hatte kaum Zeit, sich in eine Stellung des tiefen Schlafes auf den Boden zu werfen, als Jacopo, der Wirt, hereinschlich, das Licht einer Blendlaterne auf die einzelnen Schläfer fallen ließ und namentlich sorgfältig bei ihm lauschte. Endlich schien er sich überzeugt zu haben, daß nichts zu besorgen, und kehrte wieder in das untere Stockwerk zurück, im Vorbeigehen leise den Riegel vor die Thür der Kammer schiebend, in welcher der Kapitän schlief.

Dem Vikar pochte das Herz in der Brust. Er war ein Mann von persönlichem Mut, wie die meisten seiner Landsleute, und konnte, wo es sein Beruf und seine Pflicht verlangten, dem Tode und der Gefahr mutig ins Auge schauen. Selbst im Gebrauch der Waffen war er nicht ungeübt, da die Erziehung seiner Jugend ihn mit den Beschwerden der Jagd im schottischen Hochland bekannt gemacht. Dennoch schwankte er einen Augenblick in Überlegung – denn die Gefahr, die ihm hier entgegentrat, war eine seinen Berufsverhältnissen ganz ungewohnte. Doch dauerte dieses Überlegen nicht lange, der persönliche Mut und der Gedanke siegten, daß bei einem Lärmmachen der Spion und der Wirt leicht entfliehen könnten; er nahm deshalb den Säbel eines der jungen Männer auf und schlich leise die Treppe hinunter nach der Halle.

Hier lag alles in tiefem Schlaf. Ein schwacher, dünner Lichtstrahl, der unter der Thür einer der Kammern hervorbrach, zeigte ihm, daß dort die Feinde befindlich waren, und er schlich dicht heran und legte das Ohr an einen Spalt, was ihm erlaubte, jedes Wort deutlich zu hören.

»Warum ist Antonio nicht selber gekommen, warum schickt er einen Fremden?« fragte die selbst in der Dämpfung des Tons kreischende Stimme der Frau.

»Bah, alte Hexe, was weiß ich! – Er steuert hinter seinen Kameraden, den Halunken, her, um sie in allen Winkeln der Berge zusammenzusuchen. So bat er mich, zu gehen und Euch zu sagen, daß er um fünf Uhr 1 Uhr nachts; die Italiener und Orientalen rechnen ihre Stunden vom Untergang der Sonne. hier sein wird, um dieser englischen Brut ein Ende zu machen! Das Fegefeuer über sie! Seit sie mir eine meiner Hindinnen, die trefflichste Tartane Tartane ist ein ungedecktes Fischerfahrzeug mit einem Pfahlmast, einem lateinischen Segel und zwei Klüwern am Klüwerbaum. D.H. der ganzen Küste, verbrannt, hasse ich sie wie die schwarze Pest.«

»Das Geschäft geht jetzt herzlich schlecht, Signor Danilo,« keuchte der Alte. »Der Schmuggel zur See muß Euch aber doch ein hübsches Stück Geld abwerfen. Die Landtransporte über die neapolitanische Grenze bleiben immer nur ein Stückwerk gegen so eine hübsche Schiffsladung, glücklich in einen der Häfen gebracht. Gedenkt Ihr nicht bald wieder in See zu gehen?«

»Narr! meinst Du, ich bleibe aus Vergnügen in Eurem schlechten Lande? Wenn ich nicht ein wichtiges Geschäft hier auszurichten hätte, wäre ich längst wieder in der Kraina oder auf blauer See. So nahm ich das Erbieten Deines schuftigen Vetters an, mit dem ich manche gute Ladung getauscht, als er noch in Calabrien den Schmuggler spielte, und denke, Engländer und Österreicher sind gleich schlecht, beide stahlen den tapferen Uskoken die Herrschaft auf dem Wasser, und ob auf dem Meer oder Land, wenn man ihnen den Yatagan zwischen die Zähne rennen oder eine Kugel zwischen die Rippen schicken kann, thut man ein christliches Werk und soll die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen. Darum bin ich dabei, da es einen Streich gegen die weißhaarigen Fremden giebt. Verflucht seien ihre Schiffe von Feuer, die alle Freiheit geknechtet! Sind die Bursche fett? Fett an Gold, wie sie es an Übermut und Stolz sind?«

»Ich hoffe, es wird ein schönes Teil auf jeden kommen. Aber sagt mir, Signor Danilo, was ist's für ein Geschäft, das Ihr habt? Bei der heiligen Jungfrau, ich möchte Euch helfen, wenn etwas dabei zu verdienen ist.«

»Still, alter Schwätzer – ich suche jemand in diesen Bergen, den Deine Unkenaugen doch nicht finden würden. Aber es ist Zeit. Addio, alter Schurke, und halte die Vögel bereit, wenn der blutige Hai kommt!«

»Also eine Stunde nach Mitternacht! Sie schlafen wie die Ochsen. Ich lasse Euch ein, und Ihr könnt ihnen die Kehlen abschneiden, ehe sie eine Ave sprechen, wenn diese Ketzer überhaupt beten.«

» A rivederci!« sagte die tiefe Stimme, und der Vikar hörte ein Geräusch, wie das Öffnen einer Thür.

Er fühlte, daß der Augenblick des Handelns gekommen, riß daher die Thür der Kammer auf und sprang mit dem Säbel in der Faust hinein, zugleich mit lauter Stimme den Freund und die Gefährten zum Beistand rufend.

Der Anblick, der sich ihm bot, erklärte ihm sogleich, auf welche Weise der Bandit oder Korsar in das Innere des Turmes gekommen, und früher der Knabe denselben verlassen hatte.

Eine Fallthür gähnte geöffnet im Winkel der Zelle und zeigte eine Reihe von Stufen, die in die Tiefe führten; Jacopo hielt die Thür, und der Fremde hatte sich ihr eben genähert, um hinunter zu steigen.

Es war eine schlanke, prächtige Gestalt, halb im albanesischen, halb im Seemannskostüm, die rote, phrygische Mütze zur Seite auf dem in hundert kurzen Zöpfen geflochtenen schwarzen Haar. Energische Kühnheit blitzte aus den dicht an der Nasenwurzel zusammenliegenden Augen. Der Korsar war jung, in voller Manneskraft, einer jener kühnen See-Uskoken, die auf ihren Barken aus den unzähligen unzugänglichen Felsenspalten der albanesischen Küste herkommen und mit der Schnelligkeit der Schwalben die blauen Wellen der Adria, des Ionischen und Griechischen Meeres durchstreichen, bald Handelsleute, bald Schmuggler oder Korsaren, von den Österreichern und Türken gefürchtet, von den Engländern gehaßt und verfolgt, aber von den Küstenvölkern jedes Glaubens als die letzten Helden ihrer alten Freiheiten, als ihre Versorger mit Munition und verbotenen Gütern gefeiert. Yatagan und Pistolen steckten in seinem Gürtel.

Der Korsar war im Begriff, die Stufen zu betreten, als die Thür der Zelle aufflog und der Vikar dazwischen sprang. Im Schreck ließ der Alte die schwere Fallthür seiner Hand entschlüpfen, und donnernd schlug sie zu. Im nächsten Augenblick stand der Engländer auf ihr und schwang mutig den Säbel. »Ergebt Euch, Schurken, Ihr seid gefangen!«

Ein unterdrückter Fluch entfuhr dem Munde des Korsaren, im nächsten Moment aber sprang er wie ein Tiger auf den Vikar zu, den Säbelhieb nicht achtend, der seine linke Schulter verwundete. Oben im Gebäude krachte ein Schuß; die plötzlich erweckten Schläfer sprangen empor, wirr durcheinander fragend, was geschehen; aber schon war der Vikar zu Boden gerissen, das Knie des Korsaren auf seiner Brust und der Yatagan zum Todesstoß erhoben.

»Schmach über Danilos Petrowitsch, wenn er den Besiegten tötet!« sagte eine ernste feste Stimme. »Es ist unwürdig eines freien Klementi!« Die katholischen Albanesen.

Die Worte schienen eine Zaubergewalt über den wilden Uskoken zu haben; die Faust mit dem Yatagan sank nieder, ohne ihn zu töten, er erhob sich von der Brust des Engländers, und seine Blicke suchten den Sprecher, denn durch die Thür drangen jetzt die jungen Offiziere und ihre Diener herein.

Seine Augen fielen auf den Ionier, der kaltblütig, das abgeschossene Pistol, mit dem er den Riegel seiner Thür gesprengt, in der Hand, vor ihm stand.

» Capitano Grimaldi! Die Panagia Heilige Jungfrau! sei gelobt, daß ich Dich finde!« Er eilte auf den Offizier zu und wollte seine Hand ergreifen.

Dieser bewahrte seine ruhige Haltung. »Ich kann es nicht glauben, daß Danilo Petrowitsch, der Meeradler, der sich mit seiner Tartane zweimal durch die Schiffe der Schwabi Die Deutschen (Österreicher). schlug und den Kriegern Venedigs Tapfere zuführte, der selbst mit auf den Schanzen von Sankt Secondo kämpfte, jetzt ein Genosse von Banditen und Mördern ist!«

Die Stimme des Kapitäns schien eine merkwürdige Herrschaft über den jungen Korsaren zu üben. Seine Augen suchten rollend den Boden, die geballte Faust preßte sich auf die Brust, und die Zähne drückten die Lippen. »Diavolo!« sagte er endlich mürrisch – »so darf bei den sieben Heiligen, nur Markos, mein Milchbruder zu mir sprechen! – Weswegen bin ich hier, als um Deinetwillen? Wer, zum Teufel, sollte ein Unrecht darin finden, wenn ich ein halbes Dutzend rothaariger Inglesi in die andere Welt befördern helfe! Sind sie nicht Deine Feinde, wie die meinen?«

»Still, Danilos,« sagte schnell der Kapitän. »Reisende plündern und morden bleibt die Sache eines Banditen, nicht die eines freien Kriegers. Die Herren hier stehen unter meinem Schutz, und ich teile ihr Los, das merke Dir.« – Dann auf den Vikar zutretend, dem die Diener aufgeholfen, und der erstaunt mit den anderen der seltsamen Erkennungsscene beigewohnt, reichte er ihm die Hand und sagte: »Es freut mich, daß ich noch im rechten Augenblick kam. Haben Sie keine Sorge, ich kenne diesen Mann, er ist ein Korsar der albanesischen Küste, aber ein tapferes und wackeres Herz. Seine Mutter war meine Amme, und ich bürge für ihn. Lassen Sie jedoch diesen alten Halunken und die Hexe, sein Weib, binden und in Verwahrung bringen und den Ausgang untersuchen, zu dem diese Fallthür führt.«

Dies war in wenig Minuten vollbracht und das würdige Paar, trotz alles Jammerns und Wehrens, geknebelt und in einen Winkel der Zelle geworfen.

Der Kapitän hatte unterdes den Seemann in die größere Halle geführt. »Was sollten Deine Worte bedeuten,« fragte er ihn hier in griechischer Sprache, »als Du sagtest, Du befändest Dich meinetwegen hier?«

»Was ich gesagt, ist die Wahrheit. Das Gerücht war von Korfu zu uns herüber gekommen, Du hieltest Dich an der neapolitanischen Grenze verborgen. Ich übernahm es, den Mann, der Dich aufsuchen sollte, an die italienische Küste zu bringen, und bin seit vier Tagen in den Bergen bei Mamianis Bande, unter der ich manchen alten Freund vom Schmuggelhandel an der Küste habe. Ich glaubte durch die Bursche am besten Deine Spur zu finden. Es sind nicht wenige dabei, die in Rom und Venedig mit Dir gefochten.«

»Weißt Du, wer der Mann ist, der mich zu suchen kommt?«

»Es ist ein Offizier unseres Vaters, des schwarzen Zaren in Moskau. Er lebt schon seit Jahresfrist unter den Stämmen des Hochlands, obschon er bald hier- und dorthin reist. Ich selbst führte ihn zweimal heimlich nach Korfu.«

Der Kapitän ging bewegt auf und nieder, ohne die mißtrauischen Blicke zu beachten, die schon seit mehreren Minuten die Engländer auf ihn richteten, nachdem sie leise vorher miteinander verhandelt. Der Vikar war noch mit den Anordnungen zur Sicherung des Hauses beschäftigt.

»Wo ist der Offizier?« fragte endlich leise der Kapitän.

»Bei Mamiani in irgend einem Schlupfwinkel. Ich ließ ihn dort mit einem meiner Matrosen, und zog mit dem Pescare, weil ich gehört, daß ein Fremder im Kloster St. Benedetto sich aufgehalten, dessen Beschreibung auf Dich paßte.«

»Verzeihen Sie, Sir,« sagte hier, mit seinen Gefährten hinzutretend, der Kornett Pond, »daß wir Ihr gewiß sehr wichtiges Gespräch mit diesem ehrlichen Mann unterbrechen, aber ich glaube, wir haben Ihnen um unserer eigenen Sicherheit willen einige Fragen vorzulegen. Master Hunter hat Sie uns als den Grafen Griffeo aus Neapel vorgestellt, während dieser Mann Sie Kapitän Grimaldi nannte?«

Der Ionier, dem erst jetzt der unglückliche Verrat seines Namens einfiel, fühlte sein Gesicht sich mit dunkler Glut färben. »Und was folgern Sie daraus, Sir, wenn ich bitten darf?« fragte er unwillig.

»Unser Freund, James Ward, hier behauptet, daß Grimaldi der Name eines entflohenen ionischen Rebellen sei. Es ist nötig, Sir, daß Gentlemen wissen, woran sie mit einem Herrn sind, der so – seltsame Bekanntschaft mit den Helfershelfern der Banditen hat.«

Noch ehe der Kapitän antworten konnte, kam der Vikar herbei und fragte, erstaunt über die fast drohende Haltung, welche die jungen Männer gegen seinen Freund angenommen, was vorgefallen sei.

»Diese Herren,« sagte der Kapitän, und ein bitterer Hohn umzog seinen Mund, »befragen mich soeben, welche Rechte ich auf den edlen Stammbaum der Partannas Die Herzöge von Partanna sind Grafen di Griffeo. habe, und ich muß ihnen erwidern, daß sie eben nur in der Freundschaft Master Hunters bestehen, und ich wirklich der Kapitän Grimaldi bin, den der Vater dieses jungen Herrn da sich nicht scheut, gleich einem österreichischen Sbirren zu verfolgen.«

»Wenn Sie Kapitän Grimaldi sind,« versetzte der junge Ward heftig, »so verhaften wir Sie.«

»James, sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie uns alle zu Grunde richten?« rief der Vikar. »Welches Recht haben Sie an diesen Mann, thörichter Knabe?«

»Er ist ein Rebell und Verräter gegen die Krone Englands,« erwiderte derselbe trotzig, »er steht mit Banditen im Bunde und ist dem Galgen verfallen. Ich selbst habe die Proklamation gelesen, die einen Preis auf seinen Kopf gesetzt, und ich wäre ein schlechter Sohn meines Vaters, wollte ich die Gelegenheit vorübergehen lassen, seinen Feind unschädlich zu machen.«

»Sie sind würdig, sein Sohn zu heißen,« sagte mit stolzem Hohn der Grieche. »Das Blut Englands zeigt sich überall. – Lassen Sie uns die Thür öffnen, Sir Richard Hunter, ich und dieser Mann wollen die Nacht lieber bei den Wölfen der Apenninen zubringen, als unter den ehrenwerten Gentlemen, die gegen einen Gefährten in der Gefahr die Häscher der Tyrannei spielen! Komm, Danilos!«

»Freund, ich beschwöre Sie …«

Der Kapitän schritt tief verletzt der Pforte zu, aber Kornett Pont und der junge Ward warfen sich ihm in den Weg. »Nicht von der Stelle, Sir!«

»So bin ich also wirklich Gefangener?«

»Unsere eigene Sicherheit erfordert es!«

Der Kapitän setzte sich schweigend auf einen Sessel am Herd. Sein Wink fesselte den Korsaren neben sich, der, die Hand am Griff des Pistols, mit den Augen seinen Mienen gefolgt war, da er das Gespräch in englischer Sprache nicht vollständig verstanden.

»Ich bitte Sie, mein Freund,« sagte der Vikar streng, »hören Sie nicht auf die Worte dieser jungen Thoren. Und Ihnen, meine Herren, befehle ich, kraft der Aufsicht, die mir über Sie anvertraut, sich jeder Beleidigung dieses Mannes zu enthalten.«

»Euer Ehrwürden,« entgegnete der Fähnrich Sanders, »fassen, glaube ich, Ihr Verhältnis zu uns irrig auf. Wir sind Offiziere und Ihnen Achtung, aber keinen Gehorsam schuldig. Diese beiden Leute werden uns morgen als Gefangene begleiten.«

»Und wissen Sie so gewiß, Sir, daß Sie und Ihre trotzigen Kameraden morgen dies Haus wieder verlassen werden?«

»Wie meinen Sie das?«

»In zwei Stunden,« sagte der Vikar ernst, »wird Ihnen die Ankunft einer Bande von Mördern, die es auf uns abgesehen, die Antwort geben. Wir sind hier in der Höhle der Banditen, denen wir entkommen wollten.«

»Dann hat uns der verräterische Grieche hinein gelockt!« schrie der Fähnrich. »Zu Boden mit ihm und seinem Spießgesellen!«

»Schämen Sie sich, Sir!« zürnte der Geistliche. »Wenn uns etwas retten kann, so ist es seine Hilfe, und ich bürge mit meinem Leben für seine Ehre.«

Die strengen Worte verfehlten ihren Eindruck nicht auf die jungen Männer, und die Verkündigung der nahen furchtbaren Gefahr machte sie betroffen.

»Aber was sollen wir thun? – Wir müssen das Haus verlassen! Wir müssen uns durchschlagen!«

»Ich fürchte, das würde ein vergeblicher Versuch sein und uns sichererem Verderben aussetzen, als uns hier droht. Kapitän Grimaldi, auf Ihren Rat ist unsere einzige Hoffnung gebaut. Sie sind ein Mann von Ehre, und werden vergessen, was diese jungen Leute gegen Sie gefehlt.«

Der Kapitän, welcher schweigend und anscheinend gleichgültig gegen den Ausgang bisher dem Gespräch zugehört, wandte sich an den Seemann und fragte ihn in italienischer Sprache:

»Wie zahlreich ist die Bande des Pepe Mamiani?«

»An fünfzig Mann. Die Hälfte ist jedoch um seinen Leutnant Pescare versammelt, der sich an die Fersen dieser Inglesi geheftet.«

»Also führt Mamiani nicht selbst unsere Gegner?«

»Der Hauptmann hat sich auf den Monte Vittore geflüchtet, nachdem er einen Weiberraub im Neapolitanischen ausgeführt.«

»Ist es möglich, ungefährdet von hier zu entkommen?«

» Demonio! Was kümmerst Du Dich um diese Engländer? Pescare selbst wird nicht wagen, Dir auch nur ein Haar zu krümmen.«

»Antworte auf meine Frage, Danilos. Bei dem heiligen Kreuz von Missolunghi, in dessen Kampf mein Vater starb – das Schicksal dieser Männer wird auch das meine sein!«

Der Korsar sah mürrisch vor sich hin. »Dies alte Gemäuer ist keine drei Büchsenschuß von der Straße nach Monaco und Amandola entfernt, aber Pescare versteht sein Handwerk und hat alle Ausgänge besetzt. Ehe Ihr zwei Miglien gemacht, würde er Euch auf den Fersen sein.«

»Monaco?« fragte der Vikar – »der Name ist mir nicht unbekannt. Ist ein solcher Ort in der Nähe?«

»Ein Flecken von kaum fünfzig Häusern, fünf Miglien von hier.«

Der Vikar suchte eifrig in seinem Portefeuille, während der Kapitän seine Fragen fortsetzte.

»So habe ich mich nicht darin getäuscht, daß Führer und Vetturins mit den Banditen im Bunde waren?«

»Der Führer war Pescare selbst. Er schäumte vor Wut, denn der Schuß eines von Euch hat ihm den linken Arm für lange Zeit gelähmt. Nur der plötzliche Ausbruch des Ungewitters hat Euch gerettet und die Bande zerstreut. Vergeblich suchten wir seit einer Stunde die verlorene Spur, als die kleine Schlange, Antonios Knabe, die Botschaft brachte, daß die Inglesi ihnen gerade ins Netz gelaufen, und in die Hände des Feindes gekommen waren. Ich übernahm es, während Pescare die Bursche sammelt, Botschaft hierher an den alten Jacopo zu bringen denn ich hasse die Engländer so blutig wie Du, Capitano.«

»Endlich! gefunden!« rief der Vikar, einen Brief hastig entfaltend. »Es ist der nämliche Ort und sie müssen bereits dort sein! Wenn es gelingt, sind wir gerettet.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß ein Verwandter von mir Offizier in österreichischen Diensten ist. Er schrieb mir nach Rom, daß er mit seinem Kommando Husaren nach Monaco an der neapolitanischen Grenze kommandiert sei. Es muß der nämliche Ort sein, den dieser Mann nannte.«

»Eine Abteilung der Schwabi ist gestern in den Flecken eingezogen, wie ich hörte.«

»So ist es richtig. Wenn es uns gelänge, Botschaft dahin zu senden, wären wir gerettet. Aber wer von uns vermag den Weg in der Nacht, durch das Gebirge und die Wachen der Banditen zu finden!«

Ein allgemeines Schweigen erfolgte; alle sahen sich niedergeschlagen an – sie alle empfanden, daß das Unternehmen unmöglich war.

Der Kapitän Markos Grimaldi erhob sich. Einen Moment lang streifte sein ernster Blick mit bitterm Ausdruck über die Gruppe der Engländer, die noch vor kurzem sich als seine Verfolger gezeigt; – dann wandte er sich zu dem Uskoken und sagte ruhig:

»Danilos Petrowitsch, lege alle Deine Waffen ab!«

Ohne eine Frage zu thun, ohne ein Wort der Gegenrede legte sie der Albanese auf den Fußboden neben sich.

»Jetzt, Sir Richard,« fuhr der Kapitän fort, »bitte ich Sie, einen aus Ihrer Gesellschaft auszuwählen, der, wohl bewaffnet, diesen waffenlosen Mann begleitet. Er wird ihn bis zum Eingang des von den Österreichern besetzten Ortes führen, dort mag Ihr Bote die erwünschte Hilfe erbitten. – Kein unnützes Mißtrauen, keine Zögerung, Freund. Es ist die einzige Rettung, die Ihnen bleibt!«

Die Überzeugung lag zu nahe, als daß nicht alle Bedenklichkeiten selbst bei den früheren Gegnern hätten schweigen müssen. Aber eben so wenig mochte einer sich freiwillig zu dem gefährlichen Gange entschließen, auf dem, selbst wenn der Korsar sich treu erwies, doch hundert Gefahren lauern mußten.

Eine lange Pause, ein leises Flüstern der Männer untereinander folgte, während der Vikar ein Blatt aus seinem Taschenbuch riß und sich niedersetzte, um einige Zeilen zu schreiben.

»Hier auf dem Kamin steht ein altes Schreibzeug,« sagte Kornett Pond, »bedienen Sie sich seiner, wenn die Tinte nicht vertrocknet ist.«

Er nahm es herunter und stellte es vor den Vikar. Dieser begann eilig zu schreiben, während alle ihn umstanden und mit einer gewissen Ängstlichkeit den flüchtigen Zügen folgten.

»Da liegt ein Blatt eingeklemmt unter dem Tintefaß, das wie ein Brief gefaltet ist,« bemerkte der junge Ward, indem er den Gegenstand hervorzog und an das Licht der Lampe hielt. »Wahrhaftig, ein wirklicher Brief, und – Gott verdamm' meine Augen, das Blatt ist an Sie adressiert, Vetter Hunter, und mir ist, als kenne ich die Hand.«

Alle sprangen erschrocken und erstaunt herbei. Der Vikar riß dem jungen Mann das Blatt fort und warf einen einzigen Blick auf die Handschrift. Wie vom Blitz getroffen, sank er auf den Sessel zurück, Totenblässe überzog sein Gesicht, das seine linke verhüllte, und der Name »Adelaide« war alles, was er mit entsetztem Tone zu stammeln vermochte.

»Um aller Heiligen willen, was ist Ihnen, Freund? Was wollen Sie mit diesem Namen sagen?«

Der Vikar reichte ihnen das Blatt. »Lesen Sie!«

Der junge Ward hatte es ergriffen. »Gott verdamm' mich, es ist meiner Cousine Adelaide Hand. Ihr Name ist unterzeichnet!«

»Lesen Sie, Sir!«

Die Stimme des Kapitäns klang heiser, rauh, als er die Worte befehlend herausstieß. Eine nervöse Bewegung schien alle Fibern des starken Mannes zu erschüttern. Der junge Mann las die verhängnisvollen Worte vor. Sie lauteten:

 

»Mein Freund!

Banditen sind diese Nacht in die Villa des Marchese Sorrenti eingebrochen, wo ich mich seit drei Wochen aufhalte und Sie erwarte. Man hat mich fortgeführt – wie ich fürchte, nicht bloß eines Lösegeldes willen, denn der Anführer der Räuber verfolgt mich schon jetzt mit seiner Zudringlichkeit. In diesem Hause gönnte man mir einige Stunden Ruhe, und ich benutzte sie, um diese Zeilen zu schreiben. Vielleicht fallen sie in die Hände eines, der um der Belohnung willen sie abgiebt. Wenigstens können sie – wenn es zu spät ist, mich zu retten – Kunde von meinem Schicksal geben. Man führt mich auf den Monte Vittore, wie ich aus den Gesprächen der Räuber vernommen. Leben Sie wohl – ich weiß, wenn es sein muß, zu sterben.

Adelaide Seymour

 

Adressiert war der Brief an den Vikar Hunter, abzugeben im englischen Generalkonsulat zu Rom, gegen eine Belohnung von hundert Lires.

Alle standen verstummt von dem neuen Schlage, der sie betroffen – keiner wußte Rat.

»Es ist hart für ihn,« sagte endlich der Kornett Pond, auf den Vikar deutend, »im Augenblick, wo er seine Braut zu finden hofft, sie zu verlieren.«

»Seine Braut? Lady Adelaide die Braut dieses Mannes?«

Die Stimme klang noch heiserer und rauher als vorhin; die Hand des Kapitäns hatte sich wie eine Eisenschraube um den Arm des jungen Mannes gelegt.

»Ist Ihnen denn dies unbekannt, Sir?« fragte der junge Ward. »Meine Verwandten sind mit der Einwilligung meines Vaters verlobt, und Master Hunter machte den Weg mit uns, sich die Gattin zu holen.«

»Seine Braut! – So sei es denn, auch das letzte ist verloren!«

»Wir müssen dem österreichischen Detachement zuerst von dem Raube Nachricht geben,« sagte mit ritterlicher Aufwallung Fähnrich Sanders, »die Dame bedarf der nächsten Hilfe, und sind wir selbst erst aus dieser Klemme heraus, müssen wir aufbrechen, sie zu befreien.«

Die letzten Worte des Kapitäns – der leise Schmerzensruf eines gebrochenen Herzens, waren von keinem fremden Ohr verstanden worden. Einige Augenblicke hatten für ihn hingereicht, des Wehes Herr zu werden und alle seine Manneskraft wiederzufinden.

»Sie haben recht, Sir,« sagte er mit dem Tone eines, der von der Notwendigkeit der bestimmten Entscheidung und des Gehorsams überzeugt ist, – »aber das Mittel allein würde hier wenig helfen; die Lady würde bis dahin ohne Schutz in den Händen der Räuber bleiben, und sie möchten leicht ihre Beute in die Abbruzzen führen, ehe die Soldaten sie erreichen können. Nur List und ein kühnes Wagnis können hier helfen. Ermannen Sie sich, mein Freund. Die Schläge des Schicksals dürfen den Mann und den Diener Gottes nicht zu Boden werfen. Es gilt, alle Kräfte der Seele aufrecht zu erhalten und dem Unglück die Stirn zu bieten. Fassen Sie sich, Richard, und geben Sie diesen Herren ein Beispiel. Nicht Sie allein sind beteiligt, auch andere hat dieser Schlag betroffen, härter, gewaltiger, als Sie zu ahnen vermögen.«

Der Vikar warf sich an seine Brust; Grimaldi führte ihn in das Nebengemach. »Ein Wort mit Ihnen allein,« sagte er ernst, »ehe wir weiter handeln. Wie ich höre, ist Lady Adelaide, Ihre Verwandte, jetzt Ihre Braut? Sie nannten mir früher den Namen der Dame nicht, und das Verhältnis war mir auch unbekannt. Gewiß, Freund, lieben Sie die Lady, wie es einer Dame von ihrem Werte gebührt?«

»Von ganzer Seele, mein Freund! Aber ich begreife nicht …«

»Noch eine Frage,« unterbrach ihn der Grieche. »Lady Seymour hat sich selbst Ihnen verlobt und erwidert Ihre Liebe?«

»Die unsere ist auf gegenseitige Achtung und Neigung gebaut. Die meine gehörte ihr schon früher, als ich in Korfu lebte, doch fand ich keine Gelegenheit, sie auszusprechen. Jetzt hat mein Oheim selbst gegen mich den Wunsch geäußert, und als ich Adelaide meine Hand antrug, nahm sie dieselbe an. Sie selbst wünschte, daß ich die Stellung in Indien annehmen möchte. Sie kennen ja ihren ernsten, bestimmten Charakter. Doch erklären Sie mir …«

»Später, mein Freund!« sprach der Kapitän, während seine Hand einen Augenblick die verdüsterte Stirn bedeckte. »Jetzt aber lassen Sie uns ans Handeln denken, und, bei der Asche meines Vaters! wenn mit dem Opfer eines Lebens die Rettung Ihrer Braut erkauft werden kann, so soll sie frei sein, bevor die Sonne noch einmal untersinkt! – Lassen Sie uns zu den andern gehen – jede Minute ist kostbar.« Er ging in die Halle zurück. »Danilos Petrowitsch,« sagte er hier – »Du sprachst vorhin von dem Raube einer Frau, den Mamiani jenseits der Grenze verübt hat. Erzähle mir geschwind, was Dir davon bekannt ist!«

»Laß den Schurken Jacopo herführen, Markos,« sagte der Korsar, »er weiß mehr als ich von der Geschichte und kann Dir alle Auskunft geben, wenn Du nur die richtigen Mittel anwendest. – Mamiani beabsichtigte einen Zug ins Neapolitanische, als wir sein Lager verließen. Er wollte das Haus eines Nobile, unfern Civitella, überfallen. Er ist ein Junak, Ein Tapferer. aber er liebt die Weiber zu sehr, und sprach viel von der Schönheit einer Frau, die er bei der Panagia gelobt hat, zu entführen. Ich sagte Dir bereits, daß die Hälfte der Bande mit ihm ist. – Da bringen sie den Schurken. Mögen seine Väter verdammt sein! Jage ihm Furcht für sein elendes Leben ein, Capitano, und er verrät seine Seele zehnmal in einem Odemzuge den Unterirdischen!«

Auf einen Wink des Griechen hatten Mac-Allan, der Diener des Geistlichen, und ein anderer den geknebelten Wirt herbeigeschleppt. Der Vikar stürzte ihm entgegen.

»Mann,« schrie er, »rede, sprich! was ist aus meiner Braut geworden, die ihr Teufel diesen Morgen hier gefangen gehalten?«

»Heilige Madonna,« wimmerte der Alte, mit ungewissen Blicken umherschauend – »ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Eccellenza! Wenn dieser Verräter Euch eine Unwahrheit aufgebunden,« er deutete auf den Uskoken, »so glaubt ihm nicht. Er ist ein lügnerischer Grieche, ein Seeräuber!«

Grimaldi schob den Geistlichen sanft beiseite. »Lassen Sie mich ihm die Fragen vorlegen, die Zeit drängt.« Er hielt dem Wirt den Brief der Lady vor. »Gottes Fügung,« sagte er mit ernstem Ton, »hat dies Blatt, das die Dame hier zu verbergen gewußt, in unsere Hände gebracht. Wir sind von dem Raube Mamianis unterrichtet. – Wann ist die Signora durch die Banditen von hier fortgeführt worden?«

»Eccellenza fragen mich unbekannte Dinge. Bei der Madonna, ich weiß von keiner Frau hier, als von dem alten Drachen, meinem eigenen Weibe!«

Der Kapitän zog ruhig sein Terzerol aus der Brusttasche, spannte den Hahn und legte die Mündung des Laufs fast dicht an die Schläfe des Alten. »Treten Sie einen Augenblick zurück, meine Herren,« sagte er kalt, »daß Sie das Blut dieses Elenden nicht beschmutzt. Antwort! Wenn ich drei gezählt, zerschmettert die Kugel Dein Gehirn! – Eins –«

»Eccellenza,« stotterte der Bösewicht – »halten Sie ein, ich will sagen, was ich weiß! – aber bei der Jungfrau und allen Heiligen, ich bin unschuldig! Heute Morgen, um die dreizehnte Stunde –«

»Wohin ist die Signora gebracht, und war sie die einzige Gefangene?«

»Ganz allein, Signor – die Männer haben sie nach dem Monte Vittore geführt, diesseits Castelluccio. Aus den Fenstern des Ortes können Sie die unzugänglichen Felsen sehen.«

»Weißt Du sonst noch etwas? – Wurde die Lady in Deiner Gegenwart von den Bösewichtern beleidigt?«

»Ach Eccellenza verzeihen, die Signora hat eine Art zu sprechen, daß auch die wildesten von der Bande vor ihr Respekt hatten. Selbst Pepe begegnete ihr mit Höflichkeit. Hätte ich nur gewußt, daß die schöne Dame Eccellenzas Braut ist …«

Der Kapitän unterbrach ihn.

»Stopfen Sie dem Wicht den Knebel wieder in den Mund und werfen Sie ihn zu seinem Weibe!«

Trotz Jacopos Bitten und Sträuben wurde der Befehl sogleich vollzogen, und Grimaldi wandte sich zu dem Freunde.

»Einer von uns muß in das Gebirge und den Spuren der Räuber bis zum Vittore folgen. Er muß sich unter irgend einem Vorwande an die Bande schließen, um Lady Adelaide einstweilen Schutz gewähren zu können. Dann muß er versuchen, ihre Flucht möglich zu machen, oder die Banditen wenigstens an Orte zu locken, wo sie leicht angegriffen werden können. Wollen Sie mir, Richard, diesen Gang vertrauen? Sie selbst würden die Rettung nur erschweren, selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, bis zu Ihrer Braut zu dringen!«

»Wie, Sie allein – Sie wollten …«

»Sie kennen mich und wissen, daß nur der Tod mich von der Erreichung dessen abhalten wird, was ich mir vorgenommen. Merken Sie jetzt auf jedes meiner Worte – Sie und diese Herren, die mich in diesem Augenblick wohl nicht mehr zurückhalten werden. Wenn es Ihnen gelingt mit Hilfe des Militärs der drohenden Gefahr zu entrinnen, so setzen Sie den kommandierenden Offizier, im Fall er von dem frechen Streich Mamianis noch keine Kunde hat, sofort von dem Raube in Kenntnis, und fordern ihn auf, auch die päpstlichen Detachements in der Nähe aufzubieten, um den Fuß des Vittore von allen Seiten einzuschließen. Begeben Sie sich mit den Soldaten in die Osterie, in der wir uns heute Nachmittag getroffen, und teilen Sie dem Wirt alles mit, was vorgefallen. Er ist ein alter Soldat, diente in Rom unter meiner Kompagnie und kennt alle Schleichwege des Gebirges und wird Ihnen die beste Anweisung geben, die Pässe und Zugänge des Vittore zu besetzen, wenn Sie ihm sagen, ich verlangte diesen letzten Dienst von ihm. Gelingt uns die Flucht, so bringe ich Lady Adelaide bis zur Osterie. Hören Sie dagegen bis morgen um Mitternacht nichts von mir, so ist mir ein Unglück begegnet, und die Gewalt der Waffen ist das einzige, was Sie zur Rettung der Dame noch versuchen können. Jetzt beendigen Sie rasch den Brief, denn dieser muß fort nach Monaco, wenn Sie nicht alle Hoffnung auf Beistand aufgeben wollen.«

Der Vikar reichte ihm die Hand. »Gott segne Sie, Freund,« sagte er tief bewegt, »Sie retten mein Leben zum zweitenmal! Jetzt bin ich wieder Herr meiner selbst und werde Ihnen beweisen, daß Sie sich nicht in mir geirrt!« Er setzte sich zum Schreiben.

»Aber wer bringt die Botschaft nach Monaco?« fragte der Fähnrich Sanders.

»Sie thun recht, mich daran zu erinnern,« bemerkte der Kapitän. »Es ist wahrlich nicht die gefahrloseste Aufgabe, und erfordert Besonnenheit und Mut. Wer von Ihnen getraut sich, sie zu übernehmen?« Er blickte auffordernd umher – aber alle schwiegen zögernd, keiner mochte gern den wenn auch geringen Schutz des Hauses und der Gesellschaft verlassen.

»So gehe ich selbst!« sprach entschlossen der Vikar und faltete das Billet. »Instruieren Sie meinen Begleiter – vor ein Uhr bin ich zurück.«

Mac-Allan, sein schottischer Diener, trat ihm entgegen. »Nein, Hochwürden,« sagte der Mann entschlossen, »Sie dürfen diese jungen Herren nicht allein lassen, auf Ihre Ruhe und Vorsicht allein ist ihre Hoffnung gebaut. Begegnete Ihnen ein Unglück, so wären wir alle verloren. Geben Sie mir den Brief; wenn es der Mensch da ehrlich mit uns meint und das Wort dieses Herrn erfüllt, soll er richtig überliefert werden.«

Alle dankten dem Mann und sahen jetzt mahnend auf den Kapitän.

Dieser wandte sich zu dem Korsaren, der mürrisch und stumm der Scene beigewohnt.

»Danilos Petrowitsch!«

»Was willst Du von mir?«

»Übergieb dem Mann hier Deine Waffen.«

»Wozu, Markos?«

»Du wirst es erfahren. Willst Du das Wort Deines Bruders zum Odem der Winde, zum Spott der Engländer machen?«

»Verflucht seien sie! – Nie soll ein Inglese zu sagen wagen, daß Markos Grimaldi unter den Uskoken der See oder der Gebirge keinen gefunden, der sein Wort lösen wollte.« Er stieß den Yatagan und die Pistolen mit dem Fuß nach Mac-Allan hin.

»Nehmt sie an Euch, Freund,« fuhr der Kapitän zu dem Schotten fort. – »Danilos ist jetzt unbewaffnet und in Eurer Gewalt, wenn Ihr Verrat fürchtet. Ihr werdet sie ihm zurückgeben, wenn er Euch bis zum ersten Posten der Soldaten geleitet hat.«

Er wandte sich wieder an den Albanesen. »Du hast gehört, Danilos, daß ich diesen Fremden mein Versprechen verpfändet habe, ihren Boten sicher nach Monaco zu schaffen. Du hast auch vernommen, wohin ich meine Schritte wende. Hast Du Deinen Auftrag erfüllt, so eile nach dem Monte Vittore, mich dort zu treffen, ich könnte Deines Beistandes bedürfen. Der Schutz der heiligen Jungfrau möge uns auf unseren Wegen begleiten.«

»Dieser Mann,« sagte der Korsar, »wird nach Monaco kommen, oder Danilos wird ein Toter sein!«

Er beschrieb hierauf möglichst deutlich dem Kapitän den Weg nach dem Vittore und den Zugang des Schlupfwinkels, den die Banditen dort hatten. Er nannte ihm die Namen seiner beiden Begleiter, die er in der Gesellschaft des russischen Offiziers dort zurückgelassen, und das Paßwort der Banditen. Dann machten sich alle drei fertig, den gefährlichen Weg anzutreten. Der Kapitän steckte seine Pistolen und ein Messer zu sich, Mac-Allan nahm die Waffen des Uskoken – sie waren bereit. Stillschweigend, mit ernsten, besorgten Mienen umgab sie die Gesellschaft, als der edle Flüchtling jetzt in ihre Mitte trat.

»Meine Herren,« sagte er mit der stolzen Würde des Unglücks – »der Zufall hat Sie zu Mitwissern meines Geheimnisses gemacht, ich bitte Sie – da Sie in mir nur den Feind sehen – wenigstens so lange darüber zu schweigen, bis ich die Pflicht, die ich übernommen, gelöst habe. In zwei Tagen trennt uns dann hoffentlich das Meer oder – der Tod.« Er wies nach einer großen hölzernen Uhr, die unfern des Kamins an der Wand hing. »Sie haben noch volle anderthalb Stunden Zeit. – Die Husaren können noch vor ein Uhr hier sein und Sie sind dann gerettet. Gebe es der Himmel, daß sie zur rechten Zeit eintreffen. Dennoch rate ich Ihnen, auch vorher keine Maßregel zu Ihrer Sicherheit zu versäumen und sich zum Kampfe bereit zu machen. Munition und Waffen finden Sie in den Kellern dieses Hauses in Überfluß, wie mir Danilos sagt. Thüren und Fenster sind bald verrammelt. Mit einigem Mut und Glück können Sie sich gewiß bis zum Morgen halten – jedenfalls verkaufen Sie Ihr Leben teuer, denn die Banditen der Appenninen geben keinen Pardon! – Sir Richard, leben Sie wohl! – Folgen Sie genau meinen Worten, und der Himmel, dessen Auge über alles wacht, wird gnädig sein und Ihre schöne Braut gerettet in Ihre Arme führen. Machen Sie dieselbe glücklich im fernen Lande – recht glücklich. Sie wissen nicht, wie innig ich es wünsche. In diesem Leben sehen wir uns wahrscheinlich nicht wieder, – drum nochmals – leben Sie wohl! – Und nun – Danilos – vorwärts!«

Er umarmte den Vikar, der ihn schweigend an die Brust drückte. Dann winkte der Kapitän allen, bis auf einen der Diener, zurückzubleiben, und die drei dem kühnen Unternehmen Geweihten stiegen durch die Fallthür zu der Pforte hinab, die ihnen an der hintern Grundmauer des Hauses einen unbelauschten Ausgang in die Gebirge öffnete.

Der Mond warf sein helles bleiches Licht über Felsen und Thal, und zeichnete den Schatten des alten Raubnestes in dunkler, gigantischer Masse bis zu dem nächsten Buschwerk. In seinem Schutz erreichten die drei, mit der Vorsicht von auf der Verfolgung begriffenen Jägern, den Wald. Dort drückte der Kapitän dem Korsaren die Hand, dann trennten sie sich und schlugen verschiedene Richtungen in das wilde Gebirge ein. Aus dem Hause aber schaute manch bleiches Gesicht ihnen nach.

Die Uhr schlug drei Viertel auf Mitternacht! – Wenig über eine Stunde noch – dann entschied sich das Schicksal der Zurückbleibenden.

Der Vikar ermunterte seine Gefährten, dem Rat des Kapitäns zu folgen. Er selbst zeigte die unermüdlichste Thätigkeit, erteilte die umsichtigsten Befehle und legte überall selbst mit Hand ans Werk. Zunächst wurden die kleine Pforte an der Hinterwand und das äußere Hofthor aufs sorgfältigste verschlossen, und vor letzterem Holzblöcke und allerlei Gerät, wie es sich in dem kleinen Hofe vorfand, aufgehäuft. Dann verrammelte man die Fenster des Erdgeschosses, so gut es sich thun ließ, mit Möbeln und Holz, während die beiden Offiziere nochmals durch Todesdrohungen den Wirt Jacopo zwangen, ihnen den Zugang der Keller zu zeigen und sie zu öffnen. Hier fanden sie denn auch eine Menge der verschiedenartigsten Gegenstände vorrätig: Beute der Banditen von ihren Raubzügen, die ihnen die Habsucht ihres Hehlers abgenommen. Auch Waffen und Pulver fand sich vor, und bald war jeder aus der Gesellschaft mit einem Gewehr oder mit Pistolen und Säbel versehen. Alle zeigten Eifer und Mut, die beiden italienischen Diener ausgenommen, die in ihrer Herzensangst ein Ave um das andere beteten und die nächtliche Reise verwünschten.

Währenddem war die Zeit verflossen; – als der Vikar in der Küchenhalle seine kleine Schar von neun Männern musterte, schlug die Uhr schon die erste Viertelstunde nach Mitternacht.

Aller Gesichter wurden bleicher bei dem einfachen Ton. »Noch eine halbe Stunde,« sagte Hunter, »dann können unsere Freunde hier sein! – Mut und Besonnenheit, meine Lieben! – Wir wollen indes unsere Posten verteilen.«

Die beiden jungen Soldaten, die ihre Patente erst gekauft und kaum das nötige Exerzierreglement inne hatten, konnten – obschon es ihnen nicht an Mut fehlte – hier wenig helfen; die Anordnungen blieben dem älteren besonneneren Manne allein, und er traf sie mit Umsicht für den Fall, daß irgend ein Hindernis die Ankunft der Soldaten verzögern sollte, und es zum Kampfe kommen müßte. Die beiden Italiener, einen der Bedienten und den Kornett Pond postierte er in dem obern Stock mit der Anempfehlung, von dort aus ein stetes Feuer auf die Angreifenden zu unterhalten und langsam, aber wohlgezielt zu schießen. Die drei anderen Diener und seine Reisegefährten wurden in dem Erdgeschoß des Hauses, von wo man die Mauer und das Thor bestreichen konnte, mit gleichen Befehlen aufgestellt. Die Thüren der Zellen wurden ausgehoben oder eingeschlagen, um nirgends behindert zu sein; der Vikar selbst ging von Ort zu Ort, um alles aufs sorgfältigste zu untersuchen. Darüber war mehr als eine Viertelstunde vergangen – die Uhr schlug dreimal – drei Viertel nach Mitternacht.

Mit gespannten Nerven lauschten alle auf das Geräusch der nahenden Hilfe! – Der Wind strich durch die Berge – die Felsen und Bäume warfen ihre Schatten; klar und deutlich ließen die Mondstrahlen die ganze Umgebung des Hauses erkennen – aber kein Laut ließ sich von der Richtung her vernehmen, in der die Straße nach Monaco liegen sollte.

Die Gesichter wurden bleicher, heftiger pochten die Herzen, jede Hand faßte krampfhaft die Waffe; nur der Pendel der Uhr surrte ruhig fort seinen Takt, Minute auf Minute verschwand – kein Ton, keine Fanfare schmetternder Trompeten verkündete das Nahen der Ersehnten.

Der Vikar rief die Gesellschaft noch einmal um sich zusammen, auf allen Gesichtern malte sich die gespannte, ängstliche Erwartung.

»Meine Freunde,« sprach Hunter mit ruhiger Fassung, – »es ist kein Zweifel mehr, daß irgend ein unglücklicher Zufall unsern Boten verhindert oder mindestens verspätet hat. Verlieren wir die Hoffnung nicht, noch kann die Hilfe zu rechter Zeit eintreffen, aber laßt uns auch vorbereitet sein auf alles und zeigen, daß wir Männer und Briten sind. Das Haus ist fest, und thut nur ein jeder seine Schuldigkeit, so können wir im schlimmsten Fall einen Angriff abschlagen. Vor allem aber laßt uns auf Gott den Allmächtigen vertrauen und seinen Beistand erbitten, der besser ist, als aller irdischer.«

Nieder auf den Boden der Halle, der vielleicht bald von ihrem Blute getränkt sein sollte, kniete der junge Geistliche, und ein kurzes, inniges Gebet stieg von seinen Lippen zum Throne des Allmächtigen.

Dann sich erhebend, nahm er seine Waffen; der Diener der Kirche hatte nunmehr ganz dem tapferen unerschrockenen Kämpfer Platz gemacht. »Jetzt auf unsere Posten, meine Freunde, und haltet Euch wie Männer!«

Die Lampe in der Halle war ausgelöscht worden, aber der klare, weiße Schein des jetzt hochstehenden Mondes verbreitete Helle genug, und ließ auch in der Umgebung des Hauses jeden Gegenstand deutlich genug erkennen. Den Fähnrich Sanders und seinen Vetter behielt der Vikar in seiner Nähe, um mit ihrer Hilfe die Verteidigung zu leiten. Die übrigen begaben sich auf ihre Plätze. – Tiefer, stiller Friede ruhte anscheinend auf dem Gebirge.

Da schlug die Uhr voll – in hellen Schlägen! und jedes Herz zählte pochend die einzelnen Klänge!

Kein Laut! – – –



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