Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

For ever!

Der Raum, vor dem Nicolo Wache hielt, und der die Form eines runden Gemaches hatte, wurde durch eine oben offene Felsenhöhlung gebildet und hatte nur den einen Aus- und Eingang, so daß durch die hohen senkrechten Felsenwände jede Möglichkeit der Flucht versperrt war. Der Ort mußte gewöhnlich den Räubern zur Aufbewahrung ihrer Beute und ihrer Vorräte dienen, jetzt aber hatte ihn Mamiani zum Aufenthalt seiner schönen Gefangenen bestimmt. Aus Laub und Kleidungsstücken war in einem Winkel des Gemaches ein Lager bereitet worden; ein roh aus Baumstämmen gezimmerter Tisch und ein Stuhl dienten zum Gebrauch der Bewohnerin.

An dem Tisch saß, das schöne Haupt in die Hand gestützt, Lady Adelaide. Becher und Schüssel waren zur Seite geschoben, von letzterer hatte sie nur etwas Brot und Früchte genossen, den Wein unberührt stehen lassen. Hellbraunes Haar umgab in langen Locken das blasse ernste Gesicht. Die Züge mit den klassischen Linien der Nase, des Mundes und schöngeformten Kinns trugen jenen Stempel aristokratischer Kälte und Eleganz, der die vornehmen Frauen der normannischen Familien Englands auszuzeichnen pflegt. Nur in dem klaren, ruhigen blauen Auge zeigte sich ein Seelenleben von geregelten hohen Empfindungen, neben bewußter Würde; Festigkeit des Charakters und Entschlossenheit lag um den schmalen feingeschnittenen Mund. Ihre Gestalt war hoch, schlank und von zarter Fülle.

Über dem blassen Gesicht lag jetzt düstere Schwermut und die großen von langen Wimpern beschatteten Augen, jetzt gerötet von der Aufregung, der Angst und der Anstrengung des nächtlichen Wachens, hoben sich zuweilen vom Boden und wandten sich mit einem Ausdruck des Flehens und des Vertrauens hinauf nach dem blauen Himmel, der die majestätische Decke ihres Kerkers bildete.

Bald stand sie auf und durchmaß das enge Felsengemach, wie mit einem Entschluß kämpfend. Ihre Augen durchirrten wiederholt den Raum, als suchten sie ein Mittel der Flucht oder einen Gegenstand, der ihr Schutz gewähren könne gegen den angedrohten Besuch des Banditenhäuptlings. Aber dieser hatte sorgfältig jede Waffe und jedes einer solchen ähnliche Gerät aus dem Gefängnis seiner schönen Gefangenen entfernt. Plötzlich – sie stand an der entgegengesetzten Wand – fielen ihre Augen auf den verschmähten Wein, und durch die optische Täuschung, die in einer gewissen Entfernung und bei einem gewissen Licht einen am Boden eines Gefäßes liegenden Gegenstand auf der Oberfläche der Flüssigkeit erscheinen läßt, die dieses füllt, sah sie einen glänzenden Schimmer darin leuchten. Sie trat hinzu und schüttete den Wein auf den Boden aus – der Ring Grimaldis fiel in ihre Hand.

Das blasse Gesicht wurde noch bleicher, dann überschoß es eine hohe Röte der Erregung und Freude, als sie den Reif vor die Augen hielt, die mit Staunen und Zärtlichkeit an dem Kleinod hingen, gleich als ob sie ihrem Zeugnis noch nicht traue und als erwecke der Ring süße, längst entschwundene Erinnerungen in ihrem Herzen.

»Es ist mein Ring und er – er sendet mir ihn,« sagte sie endlich leise, mit tief bewegter Stimme vor sich hin, indem sie den kleinen goldenen, nur mit einer dunklen Perle gezierten Reif unwillkürlich an die Brust drückte. »Gewiß, er sendet mir ihn, denn selbst im Tode hätte er sich nicht von ihm getrennt! Fünf lange Jahre war er mir tot und verloren und nur in meinem innersten Herzen lebte sein Bild und sein Gedächtnis und das Glück, daß ich ihn retten durfte aus den Kerkern der Citadelle Korfus und warnen vor der drohenden Gefahr! Und jetzt in meiner größten Not ist er mir nah und sendet mir ein Zeichen! Das ist Gottes Stimme, daß ich dieser Schmach nicht erliegen soll. – Aber wie kommt er hierher, wie hat er Kenntnis von meinem Hiersein, meiner Gefahr?«

Tausend Gedanken durchkreuzten ihren Kopf. Ihr Herz schlug ruhiger, der ewigen Vorsehung vertrauender. – Da störte sie ein leichtes Geräusch, die Thür in ihrem Rücken hatte sich geöffnet, sie wandte sich um, und vor ihr stand Pepe Mamiani, der gefürchtete Banditenhäuptling, mit erhitztem Gesicht, mit lüsternen leidenschaftlichen Blicken seine schöne Beute betrachtend.

Mit einem leichten Schrei des Schreckens sank Lady Adelaide auf den Holzsessel und verbarg das Gesicht. Ihr Herz hatte einen willkommeneren Gast erwartet.

»Madonna,« sagte der Bandit und trat frech auf sie zu, »es ist Zeit, daß wir wissen, woran wir beide mit einander sind, und daß Ihre Sprödigkeit aufhört. Pepe Mamiani hat Sie nicht aus der Villa Sorrenti geholt, um lange den schmachtenden Liebhaber zu spielen. Ich bin in Dich vernarrt, Täubchen, und Du sollst eine Banditenbraut werden, noch ehe wir heute Nacht den Monte Vittore verlassen.«

Er wollte die Dame umarmen, doch entrüstet stieß sie ihn von sich.

»Verächtlicher Bösewicht,« rief sie, und ihre Augen flammten im Stolz der Tugend und ihres edlen Geschlechts, »eher wollte ich mein Haupt an diesem Felsen zerschmettern als Deine unsaubere Berührung dulden. Um was kann es einem Manne wie Dir zu thun sein, als um Geld? Meine Freunde in Rom werden Dir das geforderte Lösegeld zahlen und jeden Augenblick kann der Bote zurückkehren, den Du dahin gesandt.«

Der Bandit lachte hämisch auf. »Schöne Donna, mit dem Lösegeld ist es nichts. Ich habe Sie getäuscht, wenn Sie es noch nicht gemerkt haben sollten, kein Bote ist abgegangen, und daher auch nichts zu erwarten. Später läßt sich vielleicht von dem Vorschlag eines guten Lösegeldes reden, jetzt aber hat Sie Pepe Mamiani für sein Vergnügen geholt und der Teufel soll mich zerreißen, wenn ich es nicht haben will!«

Er ging wieder auf sie los und suchte sie zu fassen, aber sie entwich ihm gewandt. » Cospetto Diana di Baccho! mach' keine Umstände, Täubchen,« rief er wild. »Wenn Dir's auf Pfaffensegen ankommt, verspreche ich Dir auf meinen Dolch, sobald wir in Sicherheit sind, einen Mönch holen zu lassen. Ich weiß ein schönes Häuschen im Aquiler Gebirge, da wollen wir die Flitterwochen zubringen und einstweilen den Eifer der Sbirren etwas verdampfen lassen. Und nun laß uns zusammen die Siesta halten – kein Heiliger des Kalenders, und wenn der heilige Vater selbst sie anriefe, kann Dir davon helfen.«

Die Lady war an der Felsenwand niedergesunken und hatte ihre Hände flehend zum Himmel erhoben. Verzweifelnd irrte ihr Auge umher, die durch den Ring versprochene Hilfe zu suchen. Schon war der Bandit an ihr und umfaßte sie mit roher Gewalt. Mit dem Ruf: »Barmherziger Himmel!« rang sie mit ihm, aber des Banditen riesige Kräfte brachen leicht ihren Widerstand. Da fühlte ihre Hand in seinem Gürtel den Griff einer Pistole. Sie entriß sie ihm, und glücklich aus seinen Armen schlüpfend, flüchtete sie an die andere Seite der Felsen und streckte ihm drohend die Waffe entgegen. »Bösewicht!« rief sie, »Gott hat Dich in meine Macht gegeben. Hoffe nicht, daß ich von dieser Waffe keinen Gebrauch zu machen weiß, weil ich ein Weib bin! Ihr Ziel wird es Dir zeigen. Flieh', oder Du fällst von der Hand eines Weibes!« Mit der gespannten Pistole trieb sie den knirschenden Banditen durch den Raum nach dem Eingang zurück, da ließ eine von außen tönende Stimme, deren Klang fünf Jahre der Trennung in ihrem Herzen nicht zu verwischen vermocht, sie einen Augenblick die Vorsicht vergessen, die Waffe senkte sich unwillkürlich, und im Nu sprang der Bandit auf sie los, entwandte ihr die Pistole und schleuderte sie in die Ecke. Mit dem Ruf »Markos! Zu Hilfe!« wand sie sich aufs neue in den Armen des Bösewichts.

Da riß eine kräftige Hand den Banditen zurück und stieß ihn nach der Felsenwand. Die Lady schaute empor – der Kapitän Grimaldi stand zwischen ihr und dem Banditen.

Der Hauptmann ermannte sich; er knirschte vor Wut, als er emporsprang. »Verwegener!« schrie er mit heiserer Stimme, »wie kannst Du es wagen, hier einzudringen? fort im Augenblick oder fürchte Pepe Mamiani!«

»Ich Dich fürchten, Bandit?« sagte der Grieche verächtlich. »Eher müßten die Sterne von ihrer Bahn weichen. – Diese Dame ist mir bekannt und steht unter meinem Schutz. Wage es nicht, sie zu beleidigen.« Er stellte sich schützend vor die Lady.

»Verräter!« schäumte der Bandit, »Spion! Du sollst Deiner Strafe nicht entgehen!« und mit der Schnelligkeit eines Tigers sprang er nach dem Ort zurück, wohin er das Pistol geschleudert, raffte es auf und schlug es auf den Gegner an. »Im Augenblick laß das Weib!«

»Niemals!«

»So stirb!« Der Schuß krachte, aber der Arm des Wütenden war zu gleicher Zeit von zwei Händen zur Seite geschlagen worden und die Kugel plattete sich unschädlich an der Felswand ab.

Oberst Berger und Danilos Petrowitsch, der vor wenig Augenblicken erst das Lager betreten, waren zusammen herbeigesprungen, hatten den Schuß von dem Griechen abgewendet und rangen jetzt dem Wütenden das Pistol aus der Hand.

»Bei der Panagia,« drohte der Uskoke, – »seid Ihr toll geworden, Pepe Mamiani, daß Ihr auf einen Mann zu schießen wagt, der besser ist als hundert Euresgleichen? Wagt ihm ein Haar zu krümmen, und ich schlage Euch den Schädel ein!«

Durch den Schuß und den Lärm geweckt und herbeigerufen, drängten sich die Banditen am Eingang der Felsengrotte.

Der Trotz Mamianis wuchs beim Anblick seiner Leute. »Ist das der Dank für die Gastfreundschaft, mit der ich die fremde Brut aufgenommen, daß sie mein Ansehen verhöhnt auf meinem eigenen Gebiet? Herbei, Ihr Leute, entwaffnet das Gezücht und macht es unschädlich!«

Es wäre sicher zu einem Kampf gekommen, denn Danilos mit seinem Matrosen, der sich durch die Menge drängte und Oberst Berger griffen nach ihren Waffen, während mehrere der Banditen vorsprangen und Miene machten sich aus sie zu stürzen, andere aber und darunter Nicolo und der alte Luigi sich zurückhielten, wenn nicht Kapitän Grimaldi, der furchtlos der Wut des Häuptlings getrotzt, dazwischen getreten wäre. Seine hohe Gestalt richtete sich gebietend aus, und sein befehlendes Auge, unterstützt durch die Erinnerung an seine vorhergegangene Geschicklichkeit und seinen großen militärischen Ruf, verfehlten ihre Wirkung nicht auf die wilden Söhne des Gebirges. »Zurück, Männer,« sagte er, »ich habe einige Worte mit Eurem Hauptmann zu reden.«

Dann wandte er sich zu diesem, der noch immer in drohender Haltung vor ihm stand. »Sie sagten mit Unrecht, Capitano, daß ich Ihre Gastfreundschaft verraten! Erinnern Sie sich wohl, daß zwischen uns weder Salz noch Brot genommen worden ist, und daß ich Ihnen mit gleichem Recht gegenüberstehe. Ich kam freiwillig hierher, mit diesem Herrn hier zu verhandeln und zu einem zweiten Zweck, wie ich Ihnen sagte. Er bestand darin, diese Dame, die Sie schändlich geraubt und der ich hoch verpflichtet bin, gegen Sie zu schützen, bis sie ihrem natürlichen Beschützer zurückgegeben werden kann.«

»Bei meinem Bart, das soll niemals geschehen!« schrie der Hauptmann.

»Eine höhere Macht als die Ihre ist mit uns – die Gottes. Sie gab Ihnen selbst den Gedanken ein, gegen mich Ihr Glück zu versuchen. Beim Kreuz von Spoleto gelobten Sie, daß ich das Recht habe, jeden beliebigen Teil Ihrer Beute zu fordern! – Wohlan denn – die Beute, die ich wähle, ist diese Dame! Wagen Sie es, mir mein Recht zu verweigern?«

Einen Augenblick zauderte, verdutzt über die unerwartete Wendung, der Bandit. Dann riß er sein Stilett aus dem Gürtel und mit dem Ruf: »Pepe hält seinen Eid, Du sollst sie haben, aber nicht lebendig!« stürzte er auf die zitternde Lady zu und führte einen Stoß nach ihrem Herzen. Aber schneller noch als Wut und Eifersucht war das Auge und die Hand der Liebe: der tapfere Kapitän schleuderte ihn zurück.

In seinen Händen blitzten die Pistolen. »Feiger Schurke,« sagte er, »nicht an Weibern, sondern an Männern übe Deine Wut! Komm an, wenn Du Mut hast! Und Ihr Männer, die Ihr zum Teil auf den Wällen Roms im Kampfe gestanden, werdet Ihr es dulden, daß dieser Meuchelmörder Eure und seine Ehre schändet, indem er den Eid bricht, der jedem von Euch heilig?«

»Der Signor Straniero hat Recht, und das Weib gehört ihm, wenn er es fordert! Es gehört zur Beute, und er hat es ehrlich erworben!« Die Stimmen schrieen wild durcheinander und selbst der wüste verkommene deutsche Maler, der willige Diener des wilden Banditenhäuptlings bei allen seinen Missethaten, wagte nicht, seine Sache zu vertreten.

»Das Wort des Hauptmanns muß gelöst werden,« erklärte der älteste der Räuber. »Wir wollen mit unserem Leben Dich gegen jeden Verrat und jede Gefahr schützen nach unserem Eid, Hauptmann – aber keiner soll sagen, daß wir beim Kreuz von Spoleto wortbrüchig geworden! Laß sie schwören, Hauptmann, daß sie nichts von unseren Geheimnissen verraten wollen, und dann schicke die Fremden und das Weib fort; ihre Anwesenheit hetzt uns nur die Soldaten auf den Hals, statt uns ein tüchtiges Lösegeld einzubringen.«

Die Meinung des Veteranen fand die allgemeine Zustimmung der Bande, und Pepe Mamiani, auf diese Weise zwischen zwei Gegnern, sah ein, daß er jetzt nachgeben müsse, um seine Autorität nicht aufs Spiel zu setzen.

»So nehmt die Dirne,« sagte er barsch, »und der Teufel segne es Euch. Ich löse mein Wort, obschon es mir durch Trug abgelistet. Aber fort mit Euch – zwei Stunden geb' ich Euch Zeit, dann wird Pepe Mamiani mit seinen Leuten hinter Euch sein, allen Soldaten und Sbirren zum Trotz, und wehe Euch, wenn er Euch erreicht!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Felsengemach und befahl seinen Leuten ihm zu folgen und ihren eigenen Aufbruch vorzubereiten. Der Kapitän mit seinen Freunden hatte genug von dem wilden veränderlichen Charakter des Banditen gesehen, um nicht zu wissen, daß ihre Rettung davon abhing, so bald als möglich den Berg zu verlassen, ehe Pepe und seine Leute einen anderen Entschluß fassen möchten, und so trafen sie rasch ihre Maßregeln. Der alte Luigi führte ihnen einen der Esel des Bauern zu, wofür der Oberst Berger ihn reichlich beschenkte, und rasch war ein Kissen herbeigeschafft und eine Art Damensattel für die Lady improvisiert.

In finsterem Schweigen, auf ihre Büchsen gelehnt, zum Kampf und zur Flucht bereit, standen die Banditen umher und schauten dem Aufbruch der kleinen Gesellschaft zu. Kapitän Grimaldi hatte den Zügel des Tieres in der Hand, während die beiden Seiten desselben der russische Offizier und der albanesische Matrose deckten, als Danilos Petrowitsch zu dem Häuptling trat, der wenige Schritte zur Seite mit Grimm und Hohn die Anstalten der vier kühnen Männer betrachtete. »Laß uns in Frieden scheiden, Pepe Mamiani,« sagte der Uskoke, »und höre eine Warnung. Ich verlasse ungern die Junaks in der Stunde der Gefahr, aber Markos Grimaldi ist mein Milchbruder und dem Krieger des schwarzen Zaren habe ich mein Wort verpfändet. Rufe Deine Tapferen und begleite uns, denn die Stunde, die Ihr länger hier verweilt, mehrt die Gefahr für Euch. Daß Antonio Pescare von den Soldaten erschlagen worden ist, weißt Du bereits, wie ich von Luigi höre. Aber der Teufel ist los in den Thälern. Die Soldaten haben sich an zehn Punkten versammelt und wollen den Monte Vittore einschließen. Ich wäre schon heute Morgen hier gewesen, wenn ich nicht genaue Kundschaft hätte einziehen wollen und dabei selbst von ihnen gejagt worden wäre. Noch ist der Weg durch die Schluchten des Monte della Sybilla frei – schließt Euch uns an, und wenn es zum Kampf kommt, wollen wir Schulter an Schulter stehen, wie es den Tapferen ziemt.«

»Halt den Verräter, Oheim Pepe,« schrie plötzlich eine jugendliche Stimme, und der Knabe Peppino sprang in den Kreis, gefolgt von dem Bauern, der am Morgen Kundschaft gebracht und zweien der Banditen, die den Posten am Fuß des Berges inne gehabt. »Nieder mit dem albanesischen Schelm, der uns alle verraten und meinen Vater gemordet hat. Ich war dabei, als die Offiziere der Welschen davon sprachen, und hätte Euch längst Nachricht gebracht, wenn er mich nicht mit diesem Strick geknebelt und in das Gebüsch geworfen hätte!«

Der Albanese war bei dem Anblick des Knaben, wie von einer Natter gestochen, zurückgefahren, aber ehe er noch seine Waffen gebrauchen konnte, hatten sich die beiden mit dem Knaben gekommenen Banditen, die von dem Verrat durch diesen unterrichtet waren, auf ihn geworfen und ihn entwaffnet. Dem Matrosen und Grimaldi ging es ebenso, indem auf den Wink des Hauptmanns die meisten anderen Banditen über sie herfielen, und nur der Russe mit seiner kalten gleichgültigen Haltung blieb unangetastet und der einzige übrige Schutz der Lady, die mit aller Kraft ihres Gemüts gegen die neuen Schrecken kämpfte.

Der Hauptmann blickte mit grimmiger Freude auf die drei Gefangenen, deren Hände man auf den Rücken geschnürt. »Mir ahnte,« sagte er giftig, »daß unsere Rechnung noch nicht abgeschlossen sei, Signor Grimaldi! – Die Verräter sollen ihren Lohn haben, und wenn im nächsten Augenblick die welschen Schergen hier zur Stelle sein sollten. Bildet einen Kreis, Männer, und Sie, schöne Signora, machen Sie sich bereit, Ihren Weg in anderer Gesellschaft anzutreten.«

»Die Dame steht unter meinem Schutz, Oberst Mamiani,« sagte der Russe, »und ich werde jede Beleidigung als mir angethan ansehen.«

»Das wird sich finden, Signor,« murrte der Bandit. »Einstweilen habe ich es mit diesen da zu thun. Tritt her, Peppino, und sage, was Du weißt.«

Kapitän Grimaldi stand auch in seinen Banden mit ungebeugter Haltung und begegnete mit Verachtung dem boshaften Triumph seines Rivalen. Nur wenn sein Auge hinüberschweifte zu der Dame, die er bereits so glücklich gerettet glaubte, trübte tiefer Schmerz und bange Besorgnis seine Züge. Der sonst so kühne, jeder Gefahr trotzende Uskoke aber stand gebeugt und finster. Das Gewissen des einfachen Natursohnes machte ihm Vorwürfe, daß er nach den Grundsätzen seiner Nation allerdings einen Verrat an der Gastfreundschaft, und sei es auch der eines Räubers und Verbrechers, begangen, indem er seinen Feinden gedient, und nur der Gedanke an die noch heiligere Pflicht gegen den Milchbruder hielt seinen Mut aufrecht.

Unterdessen hatte Peppino erzählt, daß der Uskoke von seinem Vater nach dem Turm gesandt worden, den unglücklichen Ausgang des Gefechts und das, was er von der Unterredung des Vikars und des österreichischen Offiziers über den bevorstehenden Angriff des Militärs erlauscht hatte. Auf dem Wege nach dem Vittore war er zufällig auf Danilos gestoßen, hatte diesem in der Erbitterung seine Absicht verraten und war von ihm gebunden, geknebelt und in ein verstecktes Dickicht am Fuße des Berges geworfen worden, wo ihn am Nachmittag der spionierend umherschweifende Bauer gefunden und befreit hatte. Sie waren auf die äußersten Wachen der Bande gestoßen und brachten die Nachricht, daß bereits österreichische Husaren und päpstliche Karabiniers den Fuß des Berges besetzt hatten und aus allen Orten von Süden und Westen her starke Soldaten- und Gendarmen-Patrouillen gegen die Stellung der Räuber heranzögen.

»Wir wollen auch die Verräter nicht ungehört verurteilen,« sagte der Hauptmann mit finsterm Hohn. »Sprechen Sie, Kapitän Grimaldi, was haben Sie zu Ihrer Rechtfertigung anzuführen; unsere Zeit ist kostbar!«

»Sie wissen so gut wie ich, Pepe Mamiani,« sagte der Offizier verächtlich, »daß ich Ihnen keine Verpflichtung schulde. Der Schurke Pescare griff meine Freunde an, die er verräterisch in die Falle gelockt, und ich freue mich, daß sie durch meine Hilfe gerettet worden. Als Ihr Feind kam ich hierher, diese Dame zu befreien; ich bin in Ihrer Hand – morden Sie mich, wenn Sie wollen, aber lassen Sie die Dame ungekränkt ziehen und diesen Mann, der nur auf meinen Befehl gehandelt.«

Der Hauptmann wandte sich, ohne ihm zu antworten, zu dem Seekapitän. »Und Du, Danilos Petrowitsch, der Du manches gute Geschäft mit uns gemacht und mein Brot und mein Salz gegessen hast, was hast Du zu sagen für Deinen Verrat?«

»Der Teufel hat Dich getrieben, das Weib da zu rauben, Pepe Mamiani,« sagte der Uskoke, »und davon kommt alles Unheil. Das Wort des Kapitäns ist Gesetz für mich, und deshalb thu' mit mir, was Du willst. Wenn Du der bist, als welchen ich Dich stets gekannt, wird es Dir ein Leichtes sein, den Soldaten zu entwischen oder sie im ehrlichen Kampf zurückzuwerfen.«

»Es ist gut,« erwiderte der Banditenhäuptling, »dem Verräter muß sein Lohn werden. Ihr habt gehört, Männer, was sie zu sagen hatten. Jetzt entscheidet selbst nach unserm Gesetz, was sie verdienen!«

Es fand eine kurze, aber heftige Beratung statt, bei der namentlich Nicolo sich eifrig dem Willen des Hauptmanns widersetzte, dessen Haß und Grimm sich steigerte, als die Mehrzahl der Bande auch diesmal der Ansicht Zacchas beitrat. Mit wildem Fluch stieß er den Dolch in die Scheide zurück und wandte sich zu den Gefangenen.

»Sie sind frei, Kapitän Grimaldi,« sagte er mit finsterm Haß, »nach dem Willen dieser Narren und sollen mit uns ziehen, bis wir der Gefahr entgangen. Doch unter einer Bedingung und merken Sie wohl, es ist die meine! Dieser Mann muß sterben, noch ehe wir fortziehen, denn er hat Verrat geübt an denen, die ihm vertraut. Sie aber, Kapitän Grimaldi, der Sie ein so vortrefflicher Schütze sind, Sie sollen selbst das Urteil an dem Verräter vollstrecken, oder – beim Kreuz von Spoleto, mit dem Sie mich überlistet, sei es geschworen: Sie alle fünf sollen sterben und dieses Weib zuerst!«

Der Kapitän, dessen Arme die Banditen bereits wieder frei gemacht, bebte zurück. »Nimmermehr! Wagen Sie es, einem Mann von Ehre solchen Vorschlag zu machen? – Wenn Ihrem Haß und Ihrer Rache ein Opfer fallen soll, so lassen Sie es mich sein und ungehindert jene ziehen!«

»Ich habe es geschworen – merken Sie wohl! – beim Kreuz von Spoleto. Der Verbrecher durch Ihre Hand, oder Sie alle!«

»Hören Sie mich, Pepe Mamiani und Ihr alle,« rief der Kapitän, indem er einen Gegenstand aus seiner Brusttasche zog und enthüllte. »Raub ist Euer Gewerbe und Gold für Blut Eure Losung. Dies Kleinod ist der einzige Schatz, der mir von dem Reichtum meiner Familie geblieben. Jeder Juwelier in Rom oder Neapel wird Euch mit Freuden fünftausend Zechinen für diese Steine geben! Nehmt es und laßt jenen Mann mit uns gehen!«

»Ich habe geschworen,« sagte der Bandit mit drohendem Blick auf die Bande, deren Habsucht sich bei dem Vorschlag zu regen begann. »Ohnehin, Signor Grimaldi, wird Deine Habe unser Erbe, wenn Du Dich weigerst!«

Danilos Petrowitsch hatte bisher stumm der Verhandlung zugehört, die sein Leben betraf.

»Markos Grimaldi,« sprach er jetzt, »ich will nicht fallen von der Hand eines Hundes, sondern von der eines Junaks. Die Männer meines Volkes werden nicht sagen können, Danilos Petrowitsch, der Uskoke, sei von Gott, dem großen Mörder, getötet. Od boga' starog krvnika! Die Redensart für den Ausdruck: eines natürlichen Todes gestorben, was bei den wilden albanesischen Stämmen fast einer Schmach gleichkommt. Du sollst mein Leichenmahl halten, wenn Du auf dem Verdeck meiner schnellen Tartane oder in den Felsenklüften Schamuriens stehst! Der Tod von der Hand eines Bruders ist süß, wenn es uns bestimmt ist, zu sterben! Bei dem Altar der geldlosen Heiligen, Markos, sei ein Junak und handle als solcher.«

Er schritt selbst nach dem Feigenbaum, der vor wenig Stunden das Ziel getragen und kehrte todesmutig die offene Brust seinen Gegnern zu. »Bindet mir den Arm los, Männer,« sagte er zu diesen, »damit ein Tapferer nicht wie ein Sklave sterbe, wenn er seinen Blutpreis bezahlt!«

Luigi band ihm die Hände frei. »Du dauerst mich, Danilos, aber der Hauptmann ist ein Teufel und muß wenigstens ein Opfer haben.«

Pepe Mamiani hatte eine der drei goldenen Uhren, die prahlend an seinem roten Brustlatz hingen, in die Hand genommen. »Fünf Minuten gebe ich Ihnen Zeit, Capitano Grimaldi. Sind Sie entschlossen?«

»Ich bin es!« Der Offizier untersuchte eine seiner Pistolen und spannte den Hahn.

Selbst Nicolo der Bandit trat erschrocken von dem Griechen zurück, als er sah, daß derselbe gesonnen sei, dem grausamen Verlangen des Banditenhäuptlings zu willfahren und, um sein Leben zu retten, sich zum Henker des eigenen Freundes und Milchbruders zu machen.

Die Lady war von ihrem Sitz herabgesprungen und flog durch die Gruppen der Banditen auf den Freund zu. »Bei allem was uns heilig ist, Markos – opfern Sie Ihre Ehre nicht, um ein Wesen zu retten, das längst mit dem Glück abgeschlossen! Lassen Sie uns zusammen sterben und dort oben vereint sein, da uns hier das Schicksal getrennt hat!«

Sie umklammerte seinen Arm, er aber machte sich sanft los und übergab sie dem russischen Obersten.

Zwischen seinen dunklen Brauen unter der blassen hohen Stirn lag eine drohende Falte.

»Die Zeit ist um, Signor,« sagte höhnisch der Hauptmann, indem er die Uhr zeigte.

»Schieß, Markos!« rief der Uskoke, »und mögen die Paganias einst seine verfluchte Seele jagen! Grüße meine Taube und die schwarzen Berge des Hochlandes! Danilos hat sein Totenlied gesungen und ist zu sterben bereit!«

Der Grieche erhob das Pistol. »Diese Männer also sind Zeugen, daß jene dort frei ausgehen, wenn ich das blutige Gericht vollstrecke?«

»Zum Teufel! schießen Sie, oder …«

Der wilde Bandit hatte nicht Zeit, auszusprechen; der Schuß fiel.

Aber das Ziel war ein anderes, war er selbst, und mit zerschmettertem Haupt stürzte er in dem Kreise der Seinen zu Boden.

Mehrere Augenblicke standen die Banditen erstarrt, entsetzt vor der unerwarteten That, kaum begreifend, was geschehen! Erst der Schrei des Knaben, der sich über die blutige noch zuckende Leiche des Oheims warf, weckte sie aus ihrer Betäubung und ließ sie mit wildem Geschrei zu den Waffen greifen. Der Kapitän war schützend vor die Lady gesprungen, die ohnmächtig niedergesunken. An seiner Seite standen bereits der russische Offizier und die beiden Albanesen, Danilos, in wildem Jubel über die kühne That, die rote Mütze über dem Haupte schwenkend.

Die Hähne der Büchsen knackten, Messer und Dolche funkelten in den Fäusten der Räuber, und das wilde Rachegeschrei drohte augenblickliche Vernichtung dem Griechen und seinen Freunden, als Nicolo Zaccha und Luigi sich zwischen die Gegner stürzten. Der junge Bandit schwang mit dem Ausdruck triumphierender Rache seine Büchse. »Zurück, Brüder,« rief er, »wer eine Hand gegen diesen Mann hebt, der uns von dem schändlichen Tyrannen befreit, hat es mit mir zu thun. Nieder mit allen, die es mit Mamiani halten! Hurra für den Capitano!«

Obschon der Männer an zwanzig waren, gegen die sechs, wollte doch keiner den Kampf beginnen, denn der Erschossene bewahrte sein Ansehen unter ihnen nur durch seine Kühnheit und Grausamkeit. Während aber beide Parteien noch zögerten, trat ein Ereignis ein, das sofort allem Hader ein Ende machte und den Tod Mamianis vergessen ließ.

Entfernte Flintenschüsse trug das Echo aus der Tiefe herauf, und bald konnte kein Zweifel mehr herrschen, daß die Vorposten des Banditenlagers angegriffen worden und mit den Soldaten im Kampf waren.

Die Verwirrung, die dadurch entstand, war groß. Die Räuber stürzten hierhin und dorthin, Waffen zu holen oder ihr Eigentum zu bergen, und die beiden Unteranführer waren vergeblich bemüht, Ordnung herzustellen und Gehorsam zu finden.

Jetzt zeigte sich die überwiegende geistige Herrschaft des Ioniers. Grimaldi sprang auf einen nahe liegenden Stein, und seine kräftige Stimme donnerte über die ganze Rundung des Felsenkessels: »Hierher, Männer – her zu mir! Hab' ich Euch des Führers beraubt, so will ich Euch führen im Kampf gegen die Schergen der Gewalt, die meine Feinde so gut sind, wie die Euren! – Ruhe und Gehorsam, Männer, und mutig der Gefahr ins Auge gesehen, dann seid Ihr die Herren derselben!«

Sein ruhiger Befehl gab allen die Bestimmtheit und Energie zurück, und sie scharten sich um so williger um ihn, als der Ruf seiner Kühnheit und Tapferkeit ihnen allen bekannt war. Selbst Federigo, der Leutnant Mamianis, fügte sich willig seinem Kommando.

Das nächste, was der Kapitän that, war, zehn der Banditen, unter seinem Milchbruder Danilos, eilig den im Kampf begriffenen Posten zu Hilfe zu senden, um so lange als möglich den Felsenpaß zu halten, an dessen Eingang er am Morgen Nicolo getroffen, mit dem Befehl, alsbald Nachricht zu schicken von dem Stande der Dinge.

Dann hielt er mit den beiden Unteranführern, Nicolo und dem alten Luigi, eine kurze Beratung über die zu ergreifenden Maßregeln. Zu seiner Freude erfuhr er, daß am Ende des Felsenkessels, zwischen den Klippen verborgen, ein Ausweg nach der entgegengesetzten Seite führte, der durch die für alle vorbereitete leichte Sprengung der überhängenden Felsenmassen hinter ihrer Flucht zu schließen war. Der nur den Vertrautesten bekannte Pfad führte an wilden Abgründen vorbei unter hundert Gefahren in die Wildnisse des Gebirges und konnte unmöglich von den Soldaten und Gendarmen schon entdeckt und versperrt sein.

Während die Räuber ihre beste Habe auf das zweite Saumtier luden und sich selbst damit bepackten, sandte der Kapitän Luigi und einen anderen voraus, den Weg zu rekognoscieren und gab Nicolo den Auftrag, alles zur Sprengung der Felsen bereit zu halten.

Oberst Berger hatte sich unterdes mit der Lady beschäftigt, sie wieder zu sich selbst gebracht und in den Sattel gehoben. Sie sah jetzt gefaßt und ruhig den Maßregeln zu, die der Mann ihrer Jugendliebe mit Umsicht und Entschlossenheit traf.

Ein Signal des Rückzuges wurde verabredet, dann verschwanden die Gewandtesten der zurückgebliebenen Räuber auf den Stufen, die zu der Höhle des Felsenwalls führten und legten sich dort in Hinterhalt.

Erst jetzt trat der Grieche zu der Dame. »Ihre Freunde und Befreier nahen früher, als ich gedacht, Adelaide,« sagte er, »in einer halben Stunde werden sie hier sein, denn ich denke ihnen nur so lange den Weg streitig zu machen, als zu unserer Rettung nötig ist. Wenn Sie hier zurückbleiben wollen, werden Sie bald in Sicherheit sein. Bei jenen Truppen ist Richard Hunter, Ihr Verlobter, und gewiß unter den Vordersten. Sagen Sie ihm, daß ich mein Wort gehalten: leben Sie wohl, und die heilige Jungfrau segne Sie!«

Ihre Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn zurück. »Und wohin gehen Sie, Markos?«

»Ich bin ein gehetztes Wild, Adelaide, ausgestoßen von den Menschen, wie diese Männer hier befleckt mit Raub und Mord. Mein Bleiben wäre der Tod oder ewiger Kerker, der schlimmer ist als jener. In Ripatransone erwartet mich die schnelle Tartane meines Milchbruders – sie wird mich zu einer anderen Küste führen, zu einem heiligeren Kampf für die Freiheit meines Glaubens und meines Volkes.«

»Ich verlasse Sie nicht, Markos,« sagte das Mädchen ernst und entschlossen, »bis ich Sie in Sicherheit weiß. Ich begleite Sie an das Meer – es sei die letzte Pflicht und das letzte Glück meines Herzens!«

Er küßte mit trauriger Freude ihre Hand, dann rief er den Russen und bat ihn, unter Federigos Beistand den Rückzug mit der Dame und dem Gepäck anzutreten.

Der Kampf hatte sich unterdes näher und näher den Berg heraufgezogen und aus dem Knall der Büchsen und den Hornsignalen des Militärs konnte man deutlich hören, daß er jetzt um den Felsenpaß wogte, der die Hauptverteidigung des Bergzugangs bildete.

Kapitän Grimaldi verließ den Lagerplatz und eilte zu den kämpfenden Banditen, die er, trotz der großen Überzahl der Gendarmen und Soldaten, noch im Besitz des Passes fand. Der Abend begann sich auf die Thäler niederzusenken, während die Berghöhen noch in den Strahlen der scheidenden Sonne leuchteten. Der Kapitän sah ein, daß, wenn die Verteidigung nur bis zur Dämmerung hingezogen werden konnte, ihre Flucht gesichert war. Drei von den Banditen waren bereits gefallen, denn die Gendarmen drangen mit ungewöhnlicher Kühnheit vor und wurden durch die Karabiner der abgelegenen Husaren unterstützt. In ihren vordersten Reihen befand sich ein Mann in Civil, den linken Arm in einer Binde tragend, der fortwährend die Soldaten zum Vordringen ermunterte.

» Maladetta bestia!« fluchte Tancredi, als der Civilist mit der leichten Flinte, die er trug, über den verwundeten Arm hin eine wohlgezielte Kugel nach seinem Versteck gesandt hatte, die dicht über dem Kopf des Banditen an dem Felsen sich plattete, »es soll Deine letzte sein, so wahr ich ein Kalabrese bin!« Damit rammte er die Kugel in den Lauf, schlug über einen Stein hin an, der ihn verbarg und zielte auf den Mann.

Der Stoß einer fremden Hand gab jedoch dem Schuß eine andere Richtung, und die Kugel traf einen der Husaren, der die Arme in die Luft warf und zu Boden stürzte.

»Es ist Zeit, daß wir unsern Rückzug antreten,« flüsterte neben ihm die Stimme des Kapitäns; »mache Dich fort nach dem Eingang des Lagers.«

Der Bandit verschwand, und der Offizier sah einen Augenblick mit einem Sturm kämpfender Gefühle in seiner Brust nach dem glücklichen Rivalen seiner Liebe, dessen Leben er eben zum drittenmale gerettet hatte; dann eilte auch er zurück. Ein schneidender Pfiff, und die Banditen glitten wie Schatten in dem Zwielicht zwischen den Felsquadern und Klippen hin, dem durch die Epheuwand verborgenen Eingang des Kraters zu und verschwanden in diesem. Als ihre Gegner raschen Sprunges ihnen folgen wollten, empfing sie eine Salve der auf der Höhe des Walls postierten Räuber und trieb sie zurück.

Nur noch einige Schüsse wurden gewechselt, dann sammelte der österreichische Rittmeister, der den Angriff leitete, seine Leute zu einem gemeinschaftlichen Ansturm. Der Trompeter gab das Signal, die Soldaten stürzten mutig gegen den Wall und die Felsenöffnung und begannen emporzuklimmen und einzudringen.

Aber sie fanden keinen Widerstand mehr.

Als die ersten, unter ihnen Richard Hunter, der Vikar, und sein Vetter, Graf Sternberg, den Lagerplatz betraten, war er leer und, ihre Büchsen mit wildern Mordio! schwenkend, verschwanden eben die dunklen Gestalten der letzten Banditen, wie von der Erde verschlungen, zwischen den Felsenwänden der gegenüberliegenden Seite.

Auf das Kommando des Rittmeisters eilten seine Leute den Flüchtenden nach und sahen bereits den hinter einer vorspringenden Klippenwand sich öffnenden thorartigen Felseneinschnitt vor sich, durch welchen jene entkamen. Da flammte und blitzte es plötzlich oben auf der Höhe der Klippenmauer, eine Explosion erfolgte, und gewaltige Fels- und Steintrümmer stürzten herab, jeden Ausgang versperrend.

Als nach kurzem Zögern die kühnen Tirailleure über Wall und Trümmer kletterten, sahen sie einen jähen Abgrund vor sich, dessen früherer brückenartiger Übergang durch die Explosion in die Tiefe geschleudert war, so daß jede fernere Verfolgung nach dem gegenüberliegenden Felsenlabyrinthe unmöglich wurde.

Mit angezündeten Kienfackeln wurde jetzt der Lagerplatz der Banditen sorgfältig untersucht. Er war leer und öde; was man fand, war wertlose, zerstreute Beute.

Nur in der Mitte des Raumes, nahe dem wilden Feigenbaum, lag, auf den Boden gestreckt, eine dunkle Männergestalt in phantastisch reichem Kostüm – die blutige Leiche Pepe Mamianis, und auf ihrer Brust ein weißes Blatt, auf dem mit Bleistift die Worte geschrieben waren:

»Gerichtet für den Raub der Lady Adelaide Seymour!«

Richard Hunter, der Bräutigam der edlen Britin erkannte die Hand, die dies geschrieben!


In der Locanda des Wirtes an der Straße von Spoleto nach Ascoli, unterhalb des Monte Vittore, herrschte am andern Vormittag ein reges Leben. Die Gendarmen und Soldaten biwakierten ringsum und kamen und gingen in Patrouillen nach allen Richtungen des Gebirges, die Schenke selbst war zum fliegenden Lazarett für die beim Kampf an dem alten Jagdkastell und auf dem Monte Vittore Verwundeten eingerichtet, und unwirsch schritt der Husaren-Rittmeister mit einem Gendarmerie-Offizier vor dem Hause auf und ab, wo am Tisch unter dem großen Kastanienbaum sinnend der Vikar auf der Rasenbank saß, während die jungen Engländer, Köpfe und Arme in Bandagen gehüllt, mit einem Husaren-Kornett, so gut es ihre beiderseitigen Sprachkenntnisse erlaubten, sich unterhielten.

»Es ist, als ob die Erde sie verschlungen hätte,« sagte ärgerlich der Graf, indem er mit der Säbelscheide klirrend auf den Boden stieß. »Von Castelluccio bis Monaco haben meine Patrouillen das Gebirge noch in der Nacht durchstreift und auf allen Wegen stehen starke Wachen, ohne daß eine Spur der Banditen bis jetzt zu finden war. Ich muß gestehen, Sie haben ein seltsames Vertrauen, Vetter, in Ihren seltsamen Freund, diesen neapoletanischen Conte, daß Sie, seit wir den Lagerplatz der Banditen erstürmt und den Leichnam ihres Führers gefunden, keine Besorgnis mehr zu hegen scheinen um Ihre schöne Braut.«

»Sie steht in Gottes Hand,« sagte der Geistliche. »Ich glaubte bestimmt, hätten wir nach seiner Anweisung bis um Mitternacht mit dem Angriff gezögert, wir würden weitere Nachricht von ihm erhalten haben. Jetzt ist er vielleicht genötigt gewesen, die Banditen zu begleiten und sich mit ihnen zu verbergen.«

Der Vikar sprach nicht näher aus, welche Umstände ihm diese Annahme sehr wahrscheinlich machten, der Graf aber gab dem sich ihm immer mehr aufdrängenden Bedenken Worte. »Nur ein Wahnsinniger oder ein Mann, der mit den Räubern in geheimer Verbindung steht, konnte es wagen, in ihren Schlupfwinkel einzudringen. Die Geschichte, die Sie mir erzählt, von dem Erkennen eines früheren Dieners in der Person des Banditen, der als Spion kam und das Räubernest auf dem Vittore verraten haben soll, ist gleichfalls auffällig. Ebenso die Zurückhaltung, die Sie alle über die Person dieses – neapolitanischen Grafen beobachten.«

»Ich glaube selbst, daß wir länger keine Rücksicht gegen den Menschen bewahren dürfen,« sagte der junge Ward, der dem Gespräch zugehört, »und ich weiß überhaupt nicht, ob sie sich mit der Pflicht gegen meinen Vater und unser Land verträgt!«

»Gegen Ihr Land?«

Der Vikar sah den vorlauten Sprecher mit einem strengen Blick an. »Hüten Sie sich, James, eine Handlung zu begehen, die eines Gentleman unwürdig wäre. Bedenken Sie wohl, daß wir alle ihm allein unsere Rettung verdanken.«

In diesem Augenblick unterbrach der Wirt das immer gefährlicher werdende Gespräch. Er nahte sich der Gesellschaft mit vielen Verbeugungen, hielt einen Brief in der Hand und sagte zu dem Vikar: »Excellenza, hier ist ein Brief an Sie, wenigstens glaube ich, daß er an Sie adressiert ist, Signore Hunter, in meiner Locanda abzugeben.«

»Einen Brief an mich? – gieb rasch her, Mensch! Gott sei Dank, es ist eine Nachricht von ihm selbst!«

Während sich alle neugierig um ihn her gruppierten, trat der Rittmeister hastig zu dem Wirt.

»Wer brachte den Brief?«

»Ein Bauer aus dem Gebirge, Signor.«

»Wo ist der Mann? Führt mich sogleich zu ihm!«

»Verzeihung, Excellenza! der Mann ist schon seit einer halben Stunde wieder fort, ich kannte ihn nicht. Ich habe nur nicht gewagt, das Gespräch der illustrissimi Signori zu unterbrechen!«

Der Offizier warf ihm einen finstern Blick zu und überzeugt, daß er von dem schlauen Italiener nichts erfahren werde, wandte er sich wieder zu der Gruppe der Engländer, in der unterdes der Vikar den Brief still gelesen hatte. Derselbe lautete:

 

»Mein Freund!

Des Allmächtigen Hilfe ist mit mir gewesen. Lady Adelaide, Ihre Braut ist gerettet und ungekränkt in Sicherheit; ihr schändlicher Räuber von meiner Hand gefallen.

Gestern, als Sie an der Spitze der Soldaten den Vittore stürmten, war ich Ihnen nahe; das Schicksal, das so viel zwischen uns getürmt, hatte mich auch hier Ihnen gegenüber gestellt. Der Angriff hat uns zur Flucht gezwungen und verhindert, daß Lady Adelaide schon jetzt bei Ihnen ist. Sie selbst, in allzugroßem Dank für das Wenige, das ich gethan, besteht darauf, mich bis zur Küste zu begleiten. Sie werden die Lady morgen früh um die dreizehnte Stunde in der Locanda des Dorfes Casoli auf der Straße von Ripatransone nach Grottamare finden. Bringen Sie eine Dienerin und Kleidung für sie mit.

Wir, mein Freund, sehen uns nicht wieder. Zu welcher Küste mich auch die Woge morgen trägt – ich werde der Feind Englands sein und der Freund derer, die seinen Namen tragen. Wenn uns Meere und Welten trennen, vergessen Sie mich nicht in Ihrem Glück an ihrer Seite!

G.«

 

»Sie ist frei! sie ist gerettet!« rief der Vikar, »und wird morgen in unserer Mitte sein! – Der Bandit ist von seiner eigenen Hand gefallen!«

»Er ist ein wackerer Soldat und es kümmert mich nicht, was Ihrer Majestät Regierung gegen ihn haben mag,« rief Kornett Pond, einen Becher Wein vom Tisch nehmend. »Ein Hurra, Bursche, für den Kapitän Grimaldi und seine wackere That!«

Er schwang den Becher, im nächsten Moment aber wurde er bleich, denn sein Auge begegnete dem forschenden, fragenden Blick des österreichischen Offiziers und er fühlte, welche Unvorsichtigkeit er begangen.

Noch ehe der Vikar irgend einen Ausweg finden konnte, den Fehler wieder gut zu machen, hatte sich der Rittmeister an den Unvorsichtigen gewandt.

»Kapitän Grimaldi, sagten Sie, ein ionischer Insurgent und einer der Rebellenführer von Venedig? Die Regierung meines Kaisers und die Ihrige haben einen Preis auf seinen Kopf gesetzt …«

Entschuldigen Sie, Sir,« entgegnete der Kornett unwillig, »das, was ich sagte, galt für mich und diese Herren und ich bin Ihnen über die Namen, die es mir zu nennen beliebt, keine Rechenschaft schuldig.«

»Sehr wohl, mein Herr,« sagte der Graf stolz, »obschon ich Sie daran erinnern möchte, daß ich der kommandierende Offizier bin und daher jedes Recht der Nachfrage habe. Doch werden Sie, Vetter Hunter, mir die Auskunft nicht verweigern und vielleicht mitteilen, was dieser Brief enthält.«

Der Vikar war verlegen – endlich entschloß er sich dafür, daß eine offene Erklärung seiner am würdigsten sei. »Verzeihen Sie, Vetter,« sagte er, »daß ich bei allem Dank, den wir Ihnen schuldig sind, doch Ihrem Verlangen nicht entsprechen kann. Dieser Brief enthält nur die Mitteilung, daß Lady Seymour in Sicherheit ist und ferner die Aufforderung, sie zu treffen.«

»Aber das Wie und Wo?«

Der Vikar schwieg.

»Sie weigern sich sogar, mir zu sagen, wo die Dame und ihr Ritter Sie treffen wollen?«

»Ich bin gezwungen, durch jedes Gefühl der Ehre und Pflicht, dies wenigstens für die nächsten zwei Tage selbst Ihnen zu verschweigen. Sie sollen alles erfahren, aber nur jetzt nicht, und Sie werden mir Recht geben, daß, da wir auf der Stelle unsere Weiterreise antreten müssen, einzig die Pflicht …«

»Die erste Pflicht, die ich kenne,« sagte der Offizier, ist die gegen meinen Kaiser. Ich bin Soldat und kein Polizeibeamter, deshalb habe ich Ihnen nur glückliche Reise zu wünschen.« Er verbeugte sich kalt, ohne die ihm von dem Vikar versöhnend entgegengestreckte Hand anzunehmen und entfernte sich mit dem Offizier der päpstlichen Gendarmen.

Während die Engländer Anstalten zu eiligem Aufbruch trafen, ohne daß der Vikar selbst diesen seinen jungen Freunden etwas näheres über den Zweck desselben mitgeteilt hätte, hatte sich der österreichische Offizier mit seinem Begleiter in eifrigem Gespräch von der Osteria entfernt und war eine Strecke auf dem Gebirgsweg fortgegangen, als er sich plötzlich an der Uniform gezogen fühlte. Er blickte sich um, neben ihm stand der Knabe Peppino und blickte ihn mit boshaft funkelnden Augen an.

Der Offizier erinnerte sich seiner sonnverbrannten Physiognomie nicht sogleich, glaubte vielmehr, der Bursche wolle ihn anbetteln und reichte ihm eine kleine Münze, mit dem Befehl, sich zu packen.

Aber der Knabe wies das Geldstück zurück. »Bist Du der Offizier über alle jene Soldaten?«

»Ich bin's. Was willst Du von mir?«

»Höre, Signor Uffiziale, ich will Dir etwas vertrauen,« sagte der Knabe. »Suchst Du niemand in diesen Bergen?«

»O ja, Leute Deiner Familie, denn Du scheinst mir ebenso zu dem Gesindel zu gehören, welches das Land unsicher macht, und jetzt erinnere ich mich, daß Du der Sohn des erschlagenen Räubers bist, und ich Dich kenne. Nicht von der Stelle, Bursche! Ich glaube, Du kannst mir die beste Kunde von Deinen Genossen geben!«

Der Knabe sah den Rittmeister trotzig an. »Du kannst mich nicht zwingen, ich werde kein Wort sprechen. Ich bin kein Verräter wie der verfluchte Albanese, aber ich habe ihm Rache geschworen, ihm und dem fremden Mann, der meinen Oheim erschossen, und der ganzen Bande, von der keiner den Mut hatte, seinen Hauptmann zu rächen.«

»Von welchem Mann sprichst Du? warst Du auf dem Vittore, Knabe?«

»Gewiß!« antwortete Peppino stolz. »Meinst Du, ich hätte meinem Oheim nicht Kunde bringen sollen von Eurer Absicht? Hätte mich der verdammte Seeschmuggler nicht gebunden, und hätte Oheim Pepe die Banditen geführt, statt des fremden Capitano, auf dessen Kopf ein Preis von hundert Scudi steht, Ihr wäret nicht so leicht auf den Vittore gekommen!«

»Höll' und Teufel! so wäre meine Vermutung richtig? Weißt Du, wie der Mann heißt, von dem Du sprichst?«

»Freilich! Capitano Grimaldi nannte die Dame ihn. Ich hörte es selbst, wie er sagte, er müsse mit den Banditen flüchten, weil ein Preis auf seinen Kopf gesetzt wäre. Es war noch ein anderer Mann bei ihnen, den Danilos zu meinem Ohm gebracht, aber ich kenne ihn nicht.«

»Und jener Fremde, der sich Grimaldi nennt, leitete die Verteidigung der Banditen gegen uns? Kannst Du mir seine Person beschreiben?«

»Er gab ihnen die Befehle und die Feiglinge gehorchten ihm. Er ist ein großer Mann mit dunklem Haar und hat auf der Stirn eine Narbe.«

Der Rittmeister hatte in seiner Brieftasche nach einem Signalement gesucht. »Es ist Kapitän Grimaldi, der Rebell von Korfu und Venedig – es kann kein Zweifel sein.«

»Höre, Signor Offizier, giebst Du mir die hundert Scudi, wenn ich ihn und die Bande in Deine Hände liefere?« fragte der Knabe.

»Du sollst sie haben, Bursche! aber Deine Banditen und Straßenräuber kümmern mich wenig, wenn ich auf der Spur dieses Mannes bin! Also das, mein kluger Herr Vetter, ist die Ursache Deines Schweigens. Es ist klar, daß Hunter ihn von Korfu her kennt, das erklärt alles; aber es kann mich nicht hindern, meine Pflicht zu thun. Schnell, Knabe, sprich: wo ist der Kapitän, wie können wir uns seiner bemächtigen?«

»So höre,« sagte der Kleine, »ich will Dir vertrauen. Die Bande hat sich nach dem Monte della Sybilla gewandt, statt, wie Ihr vermutet, nach der neapolitanischen Grenze. Sie ziehen nach der adriatischen Küste und wollen sich dort für einige Zeit trennen, um der Verfolgung der Soldaten zu entgehen. Der Capitano Grimaldi geht mit der Signora nach Ripatransone, weshalb, weiß ich nicht. Aber ich habe erlauscht, daß übermorgen früh, eine Stunde nach Sonnenaufgang, der Capitano zwei Miglien jenseits Grottamare, wo das Gebirge ins Meer stößt, sich auf der Tartane des Schurken Petrowitsch mit dem Fremden einschiffen wird, die dort in einer Bucht vor Anker liegt.«

»Wie weit ist Grottamare von hier?«

»Fünfunddreißig Miglien, Etwa 8½ deutsche Meilen. Eccellenza! Aber Du mußt mich mit Dir nehmen, damit ich es sehe, wenn der verdammte Schmuggler und der Capitano gehenkt werden.«

»Du sollst mit mir, Bursche, und sollst bei meiner Offiziersparole die ausgesetzte Belohnung empfangen, wenn jene Männer in unsere Hände fallen. Jetzt gilt es Eile und Vorsicht, daß die Engländer nichts von unserer Absicht merken und den Rebellen warnen, ehe wir uns seiner bemächtigen können. Schnell, Knabe, verbirg Dich wieder im Gebüsch, damit Dich niemand bemerkt. Ich hole Dich ab, wenn wir bereit sind.«

Mit eiligen Schritten kehrte der Rittmeister zu der Osteria zurück. Hier fand er zu seiner Freude den Vikar bereits im Begriff, mit seinen drei Begleitern und denjenigen seiner Diener, deren Wunden das Reiten gestatteten, aufzubrechen.

Hunter nahm mit einiger Verlegenheit Abschied von dem Grafen, doch half ihm dieser wider Erwarten über den unangenehmen Augenblick hinweg, indem er, ihm die Hand schüttelnd, mit leichter Ironie sagte: »Meine Fragen sollen Sie nicht weiter inkommodieren, Vetter. Es freut mich, daß ich imstande gewesen bin, Ihnen einen kleinen Dienst zu leisten. Drücken Sie Ihrer schönen Braut mein Bedauern aus, daß ich ihre Rettung einem anderen überlassen mußte und nicht selbst sie in Ihre Arme führen konnte. Vielleicht, daß sich noch einmal im Leben Gelegenheit findet, die Heldin so romantischer Abenteuer persönlich zu bewundern!«

Er grüßte kühl die jungen britischen Offiziere und wandte sich zur Osteria. Hunter aber gab das Zeichen zum Aufbruch. Bald war die Gesellschaft in den Felsenwegen verschwunden.

Kaum war dies geschehen, als der Rittmeister die nötigen Befehle erteilte, um die ausgestellten Wachen des Streifkorps zurückzurufen. Ehe eine Stunde vergangen war, schlug er mit einer Abteilung seiner Husaren und einigen berittenen römischen Gendarmen den Weg nach seiner Station ein. Nur er und der Offizier der Gendarmen kannten den Zweck des hastigen Aufbruchs.

Neben dem Pferde des österreichischen Offiziers lief rüstig der kleine Verräter.


Auf der Straße, die dicht am Ufer des adriatischen Meeres – von der peitschenden Brandung nur durch den Felsenwall getrennt – von Grottamare nach Norden führt, zogen in früher Morgenstunde zwei Reisende, ein Mann und eine Frau, Lady Adelaide und Kapitän Grimaldi. Sie hatten bei Sonnenaufgang die kleine Osteria verlassen, die von dem Kapitän dem Vikar als der Ort bezeichnet worden war, in dem er die Lady am Morgen desselben Tages treffen würde.

Vergeblich hatte Grimaldi in Ripatransone seinen alten Diener und eine Nachricht von der französischen Handelsbrigg erwartet. So blieb ihm nur übrig, sich der Schmuggler-Tartane seines wilden Milchbruders zu vertrauen und von dem Anerbieten des russischen Agenten Gebrauch zu machen. Dieser war mit Danilos schon am Abend aufgebrochen, um die in den Felsenbuchten verborgene Tartane aufzusuchen und nach der Stelle der Küste zu bringen, die man zur Einschiffung des Kapitäns verabredet hatte, da Lady Adelaide darauf bestanden, ihn bis zum Strande des Meeres zu begleiten. Von den Banditen hatte man sich getrennt, schon ehe man Ripatransone erreichte und Grimaldi hatte ihnen ein fürstliches Lösegeld gezahlt für die Dame, indem er den kostbaren Schmuck zerbrach, der sein einziges Erbe geblieben und die Hälfte den Räubern gab. Der Matrose der Tartane, der Danilos in die Gebirge begleitet, war bei ihm zurückgeblieben, um den Kapitän zu der Bucht zwischen den Felsen zu führen, wo das Boot ihn erwarten sollte. Er folgte jetzt in einiger Entfernung dem Paar.

Der Verbannte schritt neben dem Maultier der Lady her, die Hand auf die Lehne des Sattels gestützt.

»Es wird Theodores, meinem alten Diener, leicht sein, nachdem er die Sorge um mich los ist, die albanesische Küste zu erreichen und mich in Cettinje aufzusuchen. Sagen Sie ihm, Mylady, da Sie Ihre Güte so weit treiben wollen, den Verlassenen in Ripatransone zu erwarten und zu sorgen, daß die Summe, die ich bei dem griechischen Kaufmann für ihn niedergelegt, ihm ausgehändigt werde, – sagen Sie ihm, daß ich nur mit Widerstreben ihn hier zurückgelassen. Die Treue ist so selten im Leben, daß, wo man sie findet, man sie teuer halten und wahren muß.«

»Dort ist die See!« fuhr der Grieche fort, mit der Hand auf die glänzende Fläche deutend, »und dort, sehen Sie dort, Adelaide, jener von dunklem Baumwuchs und Gebüsch umgebene Felsenvorsprung ist der Ort, wo wir scheiden müssen, denn dort seh' ich die Tanne neben der Klippe ihre dunklen Äste breiten, und hier ist das Kreuz am Wege, von dem Stephanos uns gesagt. Sehen Sie, er winkt uns hinüber. Dort ist das Cap meiner neuen Hoffnung! – Aber die Hoffnung ist nur ein neuer Kampf, ein neues Ringen um diese Spanne von Leben. Unter den Freiheitskämpfen meines Volkes, unter den Strömen von Blut werde ich an Sie denken. O, könnte ich mit Ihnen ziehen in eine andere Zone – könnte jenes Schiff, das mich erwartet, uns vereint zu einem Lande des Glücks und der Ruhe tragen, zu einer Freiheit, fern von den Vorurteilen der Welt, wo die Träume der Liebe zur Wirklichkeit werden!«

»Es kann nicht sein, Markos! Unser Glaube, der ganze Haß und Stolz zweier Völker und mehr als das, das freie Wort, das ich dem Manne gab, der meine Jugend beschützt, als ich Ihre Freiheit forderte aus den Felsenkerkern der Citadelle von Korfu – das alles trennt uns für immer. Der erbitterte Kampf, den Sie gegen England führen, duldet keine Versöhnung, und Englands Tochter kann nicht das Weib seines Feindes sein. Einst, Freund, in den Tagen unserer schönen Jugend, träumte ich von Glück, aber die kalte herzlose Politik der Völker griff in unser bescheidenes Leben und trennte die, die Gott sich zu lieben bestimmt hatte.«

Markos ergriff den Zügel ihres Tieres und lenkte es schweigend von der Heerstraße ab, nach den Felsen zu, die Stephanos, der Matrose, ihnen andeutete. Stumm setzten beide den Weg hinter dem Matrosen fort, der jetzt voran schritt, hinauf zu der Höhe der Wand, wo aus dem Dickicht niederer Tannen und wilder Rankengewächse eine mächtige Felsplatte sich weit hinüber ins Meer streckte.

Der Albanese sandte seine scharfen spähenden Augen rings umher und richtete sie dann hinaus auf die See, wo die Morgennebel mehr und mehr sich senkten.

Die Hand der Lady faßte krampfhaft die ihres Freundes, während die andere sich hinaus streckte nach dem Meer.

»Dort! Dort! – O mein Gott!«

Aus den weißen Nebelmassen sah man in der Ferne die Spitzen zweier Masten ragen.

Mit Staunen betrachtete sie der Uskoke. »Bei den blutigen Heiligen von Ostrog! diese Masten gehören nicht zur ›Meerschwalbe‹ der gesegneten Tartane!«

»So liegt sie noch im Nebel verborgen, oder Du irrst Dich! Wenn Du gewiß weißt, daß dies der richtige Ort ist, wo das Boot landen soll, können wir es jeden Augenblick erwarten. Der Nebel verhindert uns, das Signal zu zeigen, drum geh' an den Fuß der Klippe und gieb ein Zeichen, wenn Du sie nahen hörst.«

Der Uskoke gehorchte schweigend, indem er nochmals kopfschüttelnd nach den fernen flaggenlosen Spieren blickte; denn er erwartete unten am Strand der engen Buchtung, in der die Brandung unter dem überhängenden Felsen schäumte, noch etwas anderes zu finden, das er dem Kapitän bis jetzt verschwiegen.

Der Kapitän war mit der Lady wieder allein.

Sie zeigte ihm den Ring an ihrem Finger, denselben, den er ihr im Weinbecher, als Zeichen seiner Nähe, gesandt. »Lassen Sie mich ihn zurücknehmen und tragen zu Ihrem Andenken und zum Gedächtnis der Liebe, die sich in Blut und Tod bewährt. Nehmen Sie dies Medaillon dafür, das außer Ihrer Erinnerung das einzige enthält, was Adelaide Seymour von ihrer armen Person Ihnen geben könnte!«

Er preßte das Medaillon mit der Locke und dem Bild, das sie aus ihrem Busen genommen, an seine Lippen.

Dann wies er nach der Straße von Grottamare hin, die auf weite Entfernung hin das Auge von hier aus beherrschte.

»Und jetzt, Adelaide, lassen Sie uns scheiden!«

Sie verstand ihn im ersten Augenblicke nicht und fragte verwundert, warum?

Zwei Reitergruppen näherten, von einander entfernt, sich eilig auf dem sonnenbeschienenen Wege.

Die erste, nähere, bestand aus vier Reitern – das scharfe Auge des Gebirgssohnes hatte sie erkannt oder vielmehr erraten.

Die zweite waren zwei noch wie dunkle Punkte sich bewegende Gestalten.

»Richard Hunter mit seinen Freunden naht dort, Adelaide, er hat die Zeit nicht erwarten können. Sie zu sehen! Wollen Sie, daß ich der Zeuge werde seines Glückes?«

Sie trieb ihr Maultier unwillkürlich an – aber nach den ersten Schritten hielt sie es zurück.

»Adelaide – for ever!«

Aus ihren großen Augen tropften die Thränen, und dennoch weinte ihr blasses Antlitz nicht.

Sie kehrte zurück zu ihm, neigte sich herab aus dem Sattel und küßte seine Stirn und die Narbe, die sie zierte.

» For ever!«

Dann galoppierte ihr Tier den Klippenabhang hinab nach der Straße zu und auf dieser zurück.

Der Ionier stand, die Arme über die Brust gekreuzt, mit starrem Auge die fliehende Gestalt verfolgend, auf derselben Stelle, wo sie ihm den Abschiedskuß gegeben.

Über dem Leben ballten sich die Wolken des Schmerzes wie dort zu seinen Füßen die Wolken des Nebels über dem rastlosen Element.

Und die Brandung schlug donnernd an den Felsen.

»Das ist der Capitano Grimaldi, Signor Uffiziale, und ich habe mein Geld verdient!«

Er zuckte empor – neben ihm stand ein zerlumpter Knabe und ein österreichischer Husaren-Offizier. Der eine Peppino, der andere der Rittmeister Graf Sternberg.

»Mein Herr,« sagte dieser, »ich bedauere einen tapferen Soldaten, aber die Pflicht ist gebieterisch. Im Namen Seiner Majestät des Kaisers – Sie sind mein Gefangener!«

Ein entschlossener rascher Sprung rückwärts auf den Felsengrat, der sich tafelförmig über die Brandung hinaus streckte, brachte den Griechen aus dem Bereich der Hand seines Feindes. Seine schwarzen Augen blitzten, er war im Nu wieder der kühne, zu allem entschlossene Krieger.

»Noch nicht, Signor! ich gebe meine Freiheit nicht so leichten Kaufs!«

Seine Hände hielten bereits die Pistolen.

»Vergießen Sie nicht unnütz Blut, Signor, und tragen Sie das Unabänderliche wie ein Mann,« sagte der Offizier. »Sie sehen,« er deutete nach dem Fuß der Klippe, wo bereits Husaren zu Fuß und Gendarmen, aus ihrem Versteck in den Büschen auftauchend, eine Chaine bildeten, »jeder Ausweg ist Ihnen hier versperrt und hinter Ihnen dehnt sich das Meer.«

» Cospetto – auch eine Anzahl alter Freunde ist da, die den Capitano nicht im Stich lassen!« Ein Flintenschuß knallte gleich hinter der unbekannten Stimme her aus den wilden Myrtenbüschen der Felsspalten und die Kugel riß das Kaskett des Offiziers ab. »Herbei, Kameraden, und zu Hilfe dem tapferen Capitano, der Pepe erschoß!«

Nicolo, die abgeschossene Flinte in der Hand, sprang im Rücken des Bedrängten auf die Felsenspalte; ihm folgten vier andere Banditen, darunter Federigo und der alte Luigi.

»Wundern Sie sich nicht, Capitano, uns hier zu sehen,« sagte der Alte. »Wir haben's mit Stephano, dem Matrosen, abgemacht, daß er uns mitnimmt auf der Tartane, denn der Boden ist für einige Zeit zu heiß für uns in den Legationen, durch die verdammten Soldaten. Bis das Boot kommt, Capitano, wollen wir Sie schützen.«

»Sie sehen, mein Herr,« sprach der Grieche, »die unerwartete Hilfe, die mir Gott sendet. Ziehen Sie sich zurück und lassen Sie mich und diese Männer ungehindert den Boden Italiens verlassen, den mein Fuß nie wieder betreten soll!«

Der Rittmeister wandte sich verächtlich ab. »Ich bin nicht gewohnt, mit einem Genossen von Räubern und Mördern zu unterhandeln! Schreiben Sie es sich selbst zu, wenn Sie als solcher behandelt werden!«

Er verließ mit festem, unbesorgtem Schritt den Felsengrat und zog sich zu seinen Leuten zurück.

Grimaldi verhinderte die Banditen, auf ihn zu schießen.

Dann, die gefährliche Lage, in der sie sich alle befanden, überschauend, traf er rasch Anstalten zur Verteidigung des Felsplateaus, bis es dem Boote der Tartane, die der Schuß aufmerksam gemacht haben mußte, gelingen konnte, heranzukommen.

Auch der österreichische Offizier gab seine Befehle und während Husaren zu Pferde, eine Chaine bildend, jede Flucht nach der Landseite hin verhinderten, drang, den Karabiner schußbereit, eine Abteilung Soldaten und Gendarmen zu Fuß auf dem Aufgang der Klippe langsam vor.

Ein Blick nach der Straße hin belehrte den Kapitän, daß Lady Adelaide mit ihren Freunden zusammengetroffen war. Aber anstatt umzukehren auf den Weg nach Grottamare, kam die ganze Gruppe, durch den Schuß aufmerksam gemacht und den Angriff der Soldaten entdeckend, hastig näher.

Auch die zwei entfernten Reiter näherten sich eilig.

Indes blieb dem Griechen nicht viel Zeit zu Beobachtungen; denn die dringende Gefahr nahm alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Banditen hatten auf der Höhe der Klippe, die den Zugang beherrschte, Deckung gesucht und lagen hinter Felsstücken und verkrüppelten Baumstämmen. Die Nebel begannen sich rasch aufzuklären und von den Strahlen der Sonne in die Tiefen der Bucht niedergedrängt zu werden. Die Aufmerksamkeit war jetzt zu sehr nach dem Lande zu beschäftigt, als daß man sie nach der entgegengesetzten Seite hin hätte richten können.

Der von dem Schicksal so grausam Verfolgte und an der letzten Stufe zur Rettung noch Getäuschte stand auf der Höhe der Felsplatte frei und allein, den Kugeln der Soldaten sich bloßstellend. Es war ersichtlich, daß er, trotz des warnenden Zurufs seiner unerwarteten Verteidiger, sich der Gefahr bloßstellte und – müde der Verfolgungen und des Kampfes – sein Leben preisgab. Konnte er auch einen schöneren und lieberen Tod sterben, als mit den Waffen in der Hand, im Angesicht des Weibes, das er liebte und das ihm im Leben verloren war?

Aber dieser Tod schien ihm nicht werden zu sollen. Denn als jetzt das Feuer begann und auf den ersten Schuß Nicolos einer der Gendarmen zusammenbrach, schienen die erwidernden Salven der Soldaten auf den Befehl des kommandierenden Offiziers absichtlich nicht gegen ihn, vielmehr nur gegen die versteckten Banditen gerichtet.

Der Ionier sah, wie die Briten heranjagten bis an die Postenkette der Husaren und von diesen gehindert wurden, sich weiter zu nähern. Er sah, wie Richard Hunter, sein Freund, wiederholt versuchte, zu dem österreichischen Offizier zu dringen und wie seine lebhaften Vorstellungen und Bitten kalt und energisch von diesem zurückgewiesen wurden. Er sah, wie ihm zum Zeichen Lady Adelaide ihr Tuch wehen ließ und hob die Hand mit dem Säbel, den Nicolo, der Bandit, ihm gereicht.

Aber um ihn krachten die Schüsse der Verfolger und Schritt um Schritt, Sprung um Sprung drangen die Soldaten und Gendarmen vor, die Fechtweise der Banditen jetzt selbst nachahmend. Und während die gesetzlosen aber kühnen Männer für seine Verteidigung die Erde mit ihrem Blut tränkten, konnte er selbst nicht das Geringste dafür thun.

Zwei der Banditen waren bereits erschossen, ein dritter verwundet, und nur noch die Büchsen Nicolos und des alten Luigi trennten ihn von den Feinden. Langsam hatte die kleine Schar sich weiter und weiter an dem Felsenplateau hinauf gezogen. Die beiden Banditen, die hier keine Deckung mehr fanden, hielten am Zugang der Felsenplatte, die über das Meer hinausreichte, entschlossen, nicht lebendig in die Hände der Sbirren zu fallen.

Die Gegner standen einander, etwa zehn Schritte weit, gegenüber, einen Augenblick ruhte das Feuer, und man bereitete sich zu dem Handgemenge vor. Der Grieche, in der Linken das Pistol, in der Rechten den Stahl, war bereit zum letzten Kampf, als dieser plötzlich durch einen unerwarteten Zwischenfall verzögert wurde.

Von der Seite her, über die zackige Felswand, schwang sich der Matrose Stephanos auf das Plateau, mit wildem Jubelruf das Nahen eines Bootes verkündend; durch die Soldaten und Gendarmen brachen sich mit Gewalt zwei Männer Bahn und sprangen zwischen die Kämpfenden.

Der eine von ihnen – fast ein Greis, stürzte mit Jubelruf zu den Füßen des Kapitäns und umfaßte sie. »Der heiligen Panagia sei Dank, wir kommen noch zur rechten Zeit, Dich zu retten, Herr!«

Der Kapitän drückte Theodores, den treuen Diener, dankend an sich, doch blieb ihm keine Zeit zu fragen, denn die Ereignisse drängten jetzt mit Gedankenschnelle.

Die Gestalt des Fremden, der mit Theodores gekommen, war hoch und kräftig, sein Gesicht, von einem dunkeln Bart umschattet, von kühnem Schnitt, zugleich eine gewisse rastlose Beweglichkeit und Verschlagenheit zeigend. Er mochte etwa fünfundvierzig Jahre alt sein und trug die volle Uniform eines französischen Infanterie-Majors.

»Fort da, Männer! Halten Sie Ihre Leute zurück, mein Herr!« sagte er ziemlich heftig zu dem kommandierenden Offizier; »ich mache Sie verantwortlich für alles, was gegen jenen Mann geschieht, der französischer Unterthan ist!« Damit stellte er sich schützend vor den Kapitän.

Die unerwartete Dazwischenkunft hielt die Soldaten in ihrem Vordringen auf. »Mit welchem Recht, Herr,« fragte der Rittmeister drohend, »wagen Sie es, meine Soldaten in ihrer Pflicht zu hindern? – Ich kenne Sie nicht und dieser Mann da ist kein französischer, sondern ein englischer Unterthan, ein gefährlicher Rebell gegen seine Regierung und ein Feind der meinen, zu dessen Festnahme alle Behörden angewiesen sind!«

»Einen Augenblick, Herr,« sagte der Franzose, als er bemerkte, daß der Rittmeister aufs neue seinen Leuten das Zeichen zum Angriff geben wollte, »dieser Herr ist doch der ehemalige Kapitän Grimaldi von der albanesischen Leibwache des heiligen Vaters?«

»So ist es, ein Rebell von Korfu und Venedig, in die Amnestie nicht eingeschlossen und deshalb …«

»Was Signor Grimaldi früher gewesen, kümmert mich nicht. Er ist gegenwärtig Franzose, Kapitän im ersten Bataillon der Fremdenlegion von Algerien und hier ist das Patent, von Seiner Hoheit, dem Prinz-Präsidenten selbst unterzeichnet und vom General Gemeau in Rom kontrasigniert.«

Er präsentierte das Dokument, das dem Flüchtling so unerwartet die Rettung bringen sollte, dem verdutzten österreichischen Offizier, der es nahm und sorgfältig prüfte.

»Ich muß Ihnen wiederholen,« sagte er, »daß ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen!«

»Ich bin französischer Offizier, wie Ihnen meine Uniform zeigt,« entgegnete der Fremde stolz, »der Kommandant Dugonier, im Generalstab des Generals Gemeau. Wenn Sie gefälligst Ihren Blick dorthin wenden wollen, werden Sie unsere Flagge sehen, unter deren Schutz ich hierher gekommen.«

Aller Augen wandten sich nach der See. In einiger Entfernung schaukelte sich auf ihrem Anker eine stattliche Kauffahrer-Brigg, von deren Masten jetzt lustig die dreifarbige Flagge im Morgenwind wehte, ein Boot arbeitete auf halbem Wege von der Brigg zum Ufer, und als der Offizier jetzt sein Kaskett erhob und nach dem Schiff hinüber winkte, donnerte von dessen Bord ein Signalschuß, zum Zeichen, daß man ihn bemerkt. – Weiter hinaus und bereits mehrere Meilen entfernt, sah man zwei Fahrzeuge, mit einem Berg von Segeln beladen, von denen das größere das andere, das Stephanos seegeübtes Auge alsbald erkannte, eifrig zu verfolgen schien.

Der Grieche faßte den Arm seines unverhofften Retters. »Aber erklären Sie mir …«

»Still!« flüsterte dieser, »ich kam leider zu spät diese Nacht in Ripatransone an und verfolgte Ihre Spur. Es bleibt Ihnen keine Wahl, das griechische Schiff, das Sie aufnehmen wollte, mußte gestern seine Anker kappen und wird dort von einem englischen Kriegsschooner gejagt«

Der Rittmeister reichte das Patent zurück. »Es hat allerdings seine Richtigkeit, Herr Kamerad,« sagte er entschlossen, »und ich bedauere deshalb um so mehr, darauf keine Rücksicht nehmen und von meiner Instruktion nicht abgehen zu können. Sie befinden sich hier auf dem Boden der Legation von Ancona, die nicht von französischen, sondern von österreichischen Truppen besetzt ist. Dieser Herr dort ist in Gesellschaft von Banditen im Kampfe gegen die gesetzmäßige Obrigkeit betroffen worden und noch darin begriffen. Sie sehen selbst die Genossen, mit denen er sich umgeben! Meine Pflicht verlangt, ihn wenigstens als den Gefährten von Räubern und Banditen zu verhaften und in Gewahrsam zu bringen. Ihre Regierung mag ihn alsdann reklamieren, wenn sie das Recht zu haben glaubt, die Entscheidung darüber muß ich meinen Vorgesetzten überlassen.«

Der Kommandant warf einen ärgerlichen Blick auf die trotzigen Gestalten der drei Banditen, die zum neuen Kampf bereit, vor den Soldaten standen. »Was kümmert das Gesindel uns, nehmen Sie es und hängen Sie es an den nächsten Galgen, aber legen Sie Ihre Hand nicht an einen französischen Offizier!«

»Ich habe nichts gemein mit diesen Männern,« sagte der Kapitän, »aber ich werde die nicht verlassen, die in dem Augenblick der Gefahr willig ihr Leben und ihr Blut für meine Rettung gegeben, gleichviel ob es Räuber und Mörder sind!«

Der weiteren Erörterung wurde dadurch ein Ende gemacht, daß Nicolo vorstürzte und einen Dolchstoß nach der Brust des österreichischen Offiziers führte. »Wenn wir sterben sollen,« schrie der Geliebte der armen Maritana, »soll es im Kampf gegen die Schergen sein und ihr Blut soll zuerst die Erde tränken!« Aber der Stoß des Rasenden wurde durch eine glückliche Bewegung des Rittmeisters vereitelt und streifte nur seinen Arm. Im nächsten Augenblick wälzte sich der wilde Knäuel des Kampfes auf und nieder, denn die beiden anderen Banditen hatten sich gleichfalls mit dem Mute der Verzweiflung auf ihre Gegner geworfen und fochten, schon von Wunden bedeckt, noch wie Rasende. Der Ionier wollte ihnen zu Hilfe eilen, doch der französische Offizier drängte ihn zurück und wies nach der Seite der Felsen. »Dort hinab!« rief er ihm zu – »suchen Sie das Ufer zu gewinnen – in wenigen Minuten muß das Boot der Brigg am Strande sein – ich decke Ihren Rückzug!« Stephanos, der Matrose, aber faßte ihn am Arm und zog ihn mit Gewalt zum Abhang hin. Schon hatte er sich über den Rand der Felsen geschwungen, Grimaldi noch immer festhaltend, und wollte sich mit ihm in das Buschwerk werfen, das unten die Seitenwand der Klippe bedeckte, als ihnen auch hier Bajonette entgegenblitzten. Der Gendarmen-Offizier hatte die Zeit der Verhandlung auf der Felsklippe benutzt, um eine Anzahl seiner Leute durch die Schlange Peppino dahin beordern und so dem Verfolgten jeden Ausweg zur Flucht abschneiden zu lassen; der Sohn Pescares sprang ihnen, ein Pistol in der Hand, mit wildem Geschrei vor den Soldaten herlaufend, entgegen. Wahrscheinlich mochte er in der Aufregung des Kampfes oder von der ähnlichen Kleidung getäuscht, den albanesischen Matrosen für Danilos, den Herrn der Tartane, selbst halten, der die Engländer vor dem Überfall der Räuber gerettet und so den Tod seines Erzeugers veranlaßt hatte; denn er hob sofort, als er seiner ansichtig wurde, die Waffe, die man ihm gegeben, und schoß sie mit dem wilden Geschrei: »Blut für den Vater und Pepe!« auf den Albanesen ab, der mit dem Kapitän beschäftigt, ihm den Rücken zukehrte. Die Kugel durchbohrte das Herz, so daß der Uskoke die Arme in die Luft warf, und tot den Klippenabhang hinunter rollte.

Mit zwei Säbelhieben brach sich der Kapitän Bahn vor den andrängenden Gendarmen und schwang sich auf die Höhe der Klippe zurück. Vergeblich suchte hier der französische Offizier mit ausgebreiteten Armen die Soldaten zurückzuhalten, die über die Leichname der Banditen, erbittert durch den Tod manches der Ihren, nur durch den strengen Kommandoruf ihres Offiziers abgehalten wurden, von ihren Karabinern gegen den Flüchtling Gebrauch zu machen. Der Franzose wurde zur Seite gedrängt, eine Mauer seiner Feinde begann sich um Grimaldi zu schließen.

»Ergeben Sie sich, Kapitän Grimaldi!« tönte der Ruf des Rittmeisters, »jeder Ausweg ist abgeschnitten – legen Sie die Waffen nieder – Sie sind in unserer Gewalt!«

Grimaldi preßte mit der Linken das Medaillon an die Lippen, das die Britin ihm beim Scheiden gegeben und schwang den Säbel in gewaltigen Kreisen.

»Niemals, so lange ein Mann zu sterben vermag!«

Mit einem Sprung rückwärts befand er sich am äußersten Rande der Klippe, die über die kochende Brandung hinaushing.

Das Blitzen seines Säbels im Sonnenschein, wie dieser voran durch die Luft flog, ein Sprung – ein Schrei des Erstaunens und Entsetzens aus dem Munde kampf- und blutgewöhnter Männer – – –

Die Klippe war leer!

Einen Augenblick standen alle erstarrt, erschreckt vor der entschlossenen That, dann stürzten sie vor an den Rand der Klippe, in das tosende Grab zu schauen, das sich der Tapfere gewählt.

Die enge und tiefe Bucht, von hohen Felsenwänden eingeschlossen, über welche die Klippe weit hinausging, war auf dem Grunde noch bedeckt von Nebeln. Kein Zeichen, ob der Leib des tapferen Kriegers sich an den Steinen zerschellt, ob er in den Wellen den schweren Todeskampf ringe, tönte herauf, nur das Kochen und Schäumen der Brandung, die sich mit wütender Gewalt an den Felsenwänden brach, toste wild und gab die Überzeugung, daß es unmöglich sei, ihrer Wut zu entrinnen.

Das Boot der französischen Brigg näherte sich noch immer dem Ufer und war etwa fünfzig Faden 300 Fuß. von dem Eingang der Bucht entfernt.

Noch standen alle schweigend und beklommen, als plötzlich ein Schrei von mehreren Lippen die allgemeine Erstarrung löste, und viele Hände nach der Stelle wiesen, wo die Nebel des Felsenkessels endeten.

Aus den Wellen hob sich dort eine dunkle Gestalt, ein Kopf tauchte aus den Wogen auf, kräftige Arme teilten das Wasser, gegen die anstürmenden Wogen tauchend und jede rückprallende Welle geschickt benutzend, um das freie Meer zu gewinnen!

Der französische Offizier jubelte laut auf: » Vive la République! Vive la fortune! – er wird entkommen, er wird das Boot erreichen!« Seine Hand schwang das Kaskett über dem Kopf, den Matrosen zur Eile winkend, die von dem Gipfel einer Welle den Schwimmer gesehen und sich mit verdoppelter Anstrengung in die Riemen warfen.

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an! – Feuer auf den Rebellen!« Die harte Stimme des österreichischen Offiziers donnerte das Kommando, noch ehe der Franzose sich schützend vor die Mündungen werfen konnte, krachte die Salve.

»Fluch der feigen That! Ein Barbar nur kann so handeln!«

Als der Pulverdampf sich verzogen, sah man den Schwimmer mit halbem Leib aus den Wellen tauchen, ein dunkler Strom rötete das Wasser um ihn, das Boot der Brigg war kaum dreißig Schritt von ihm noch entfernt – wie in zorniger Verachtung des Hasses, der ihn in die Tiefen des Meeres verfolgte, schwang er den Arm – dann versank er!

In diesem Augenblick fegte ein Windstoß vom Lande her die Nebel aus der Bucht hinaus auf die offene See und sie bedeckten das Boot und die Stelle, wo der kühne Streiter für die Freiheit seines Volkes in Meer und Blick versunken war.

Der österreichische Offizier faßte den Arm des Franzosen. »Sie werden mir Rechenschaft geben, Herr, für Ihre beleidigende Rede. Was ich gethan, war meine Pflicht!«

Der Kommandant machte sich los von ihm. »Die Pflicht des Soldaten, mein Herr,« sagte er streng, »geht nicht bis zum Morde, und wo Gott selbst so schützend die Hand über den Verfolgten ausstreckt, da ist Beharren auf seinem Verderben nichts anderes als Mord! Keine Politik der Welt kann solche Thaten rechtfertigen. Wenn Sie Genugthuung für meine Worte und meine Meinung wünschen, so werden Sie mich zu jeder Zeit in der Umgebung des Generals Gemeau in Rom finden. Für jetzt ruft mich die Pflicht an Bord jenes Schiffes!«

Er wandte ihm stolz den Rücken und schritt durch die Reihe der Soldaten nach dem Fuß der Klippen und zu dem zurückgelassenen Pferd.

Indem er an der Gruppe der Engländer vorüber kam, sah er die bleiche Marmorgestalt der Lady bewußtlos auf dem Rasen in den Armen ihres Bräutigams liegen. Kein Laut – kein Schrei war ihrer Brust entschlüpft – starr und gefaßt hatte sie den Todessprung des Teuren gesehen, doch bei der Salve der Gewehre hatte das Bewußtsein sie verlassen.

Durch die letzten sich zerstreuenden Nebel konnte man von der Höhe der Klippe das französische Boot zu seinem Schiff zurückkehren sehen.



 << zurück weiter >>