Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Höhle des Wolfes.

Selbst der Atem stockte – man hätte ein Blatt fallen hören können in dem alten Turm, der in diesem Augenblick der Gesellschaft des Vikars Aufenthalt und Schutz gewährte.

Horch! – ein Pfeifen, – entfernt, aber deutlich.

Eine Minute, lang und bang, dann wiederholte sich der Ton näher, es konnte kein Zweifel mehr sein.

An dem Rande des Waldes – von den Felsenschluchten her – regten sich dunkle Gestalten im Dämmerschein des Mondes.

Der Vikar drückte den Freunden die Hand. »Sie sind da und die Hilfe bleibt aus!« sprach er mit leiser aber fester Stimme. »Jetzt gilt es, uns selbst zu retten, oder wenigstens das Leben teuer zu verkaufen, und Gott möge uns beistehen.«

Immer mehr der finsteren Schatten tauchten, Gespenstern gleich, zwischen den Felsen und Bäumen auf und sammelten sich zu einem Haufen.

Jetzt sah man den Haufen vorsichtig näher und näher kommen – nach dem Hause, in dem sie ihre Opfer sorglos wähnten.

Schon konnte man die einzelnen Männer erkennen, wie sie lauschend näher schlichen und um das Thor des Hofes sich sammelten. Der Vikar zählte sie; es waren sechsundzwanzig Mann, wie sie der Felucken-Kapitän angegeben hatte, lauter kräftige, wilde Gestalten, bis an die Zähne bewaffnet.

Nun sah man einen der Banditen von dem Haufen sich trennen, um die Hofmauer nach der Hinterseite des Hauses zu dem Pförtchen schleichen und hörte ihn das verabredete Zeichen, einen Rabenschrei, geben.

Dreimal wiederholte es sich, ungeduldiger und lauter, aber die Pforte blieb verschlossen. Nichts regte sich im Turm, auch das leise Klopfen an der Thür blieb unbeachtet.

Verdutzt und zweifelnd schlich der Bandit zurück und berichtete den Erfolg seinen Gefährten. Man bemerkte deutlich, wie der Haufe sich um den Anführer sammelte und eine eifrige Beratung stattfand. An der hohen Gestalt, den wilden Geberden und dem Tuch, in dem er den linken Arm trug, konnte der Vikar leicht ihren verräterischen Führer wieder erkennen.

Der Vikar winkte seinen Gefährten, sich bereit zu halten. »Warten Sie alle,« sagte er leise, »bis ich oben das Signal zum Feuern gebe. Die Salve muß allgemein sein.« Darauf eilte er nach dem oberen Stock, wo Kornett Pond kaum seine Ungeduld zu zügeln vermochte, in den dichtgedrängten Haufen der Banditen einen Schuß zu thun.

Diese schienen mit ihrer Beratung jetzt zu Ende gekommen, und Pietro, der Führer, trat an das Thor.

Die Büchsen und Flinten der Briten legten sich vorsichtig in die Öffnungen der Fenster.

Lauter und lauter klopfte der Bandit und donnerte endlich mit Macht an das Hofthor. Zwanzig Fäuste halfen.

» Pitoccone!« Schurke. fluchte laut die Stimme des Banditenführers, »wo steckt der Kerl, daß er nicht öffnet! Die Brut ist ausgeflogen oder der Schuft von Wirt hat uns verraten. Über die Mauer, Kameraden – schlagt die Thür ein, damit wir sehen, was geschehen ist!«

Die Büchsenkolben donnerten gegen das Thor. Über die Hofmauer hoben sich dunkle Gestalten.

Zweimal legte der Vikar die Flinte an und zielte auf den Banditen, und jedesmal setzte er sie wieder ab; so furchtbar und gefährlich die Lage war, er konnte es noch nicht über sich gewinnen, auf einen Menschen zu schießen.

Jetzt sprang einer der Räuber von der Mauer in den Hof – fünf andere saßen bereits auf derselben.

Sir Richard fühlte, daß es Verbrechen gegen das eigene und der Freunde Leben sei, einen Moment noch zu zögern, und laut und deutlich, auch im unteren Raume hörbar, erscholl das Kommandowort: »Feuer!«

Neun Gewehre sprühten ihre Kugeln auf die Banditen – der Kerl im Hofraum stürzte zusammen, Fähnrich Sanders hatte ihn durch den Kopf geschossen. Ein anderer warf die Arme in die Luft und fiel tot von der Mauer nach außen. Zwei waren verwundet und sprangen mit ihren Gefährten eilig herunter, sich in den Schutz der Wand zu flüchten.

Ein wildes Geschrei der Banditen antwortete dieser ersten glücklichen Salve der Bedrohten, Pescare stieß die wildesten Flüche aus und ermunterte seine Leute zum Angriff. Flintenkugeln krachten darauf gegen das Gemäuer des Turmes und in die Verrammelung der Fenster und machten die Posten gefährlich genug. Aber da sie alle nur aufs Geratewohl gefeuert wurden, verfehlten sie ihr Ziel.

Mehrere der Banditen stürzten jetzt um die Mauer nach der Pforte in der Hinterseite des Turmes und versuchten, diese zu sprengen. Aber die Riegel und Querbalken spotteten aller Anstrengungen, und die Schüsse der Belagerten aus den oberen Fenstern jagten sie zurück.

Es entspann sich nun ein unregelmäßiges Feuern, bei dem sich die Banditen so gut als möglich zu decken suchten, obschon sie natürlich weit gefährdeter blieben, als ihre Gegner im Schutz des Turms. Wo ein Schuß aus einem der Fenster blitzte, schlugen im Augenblick die Kugeln der Banditen ein.

Hunter eilte von einem zum andern, alle durch seinen Zuspruch ermunternd und die Verteidigung leitend, indem er ihnen riet, langsam und ruhig zu schießen und jeden aufs Korn zu nehmen, der sich der Hofmauer nahte, oder ihren Schutz verließ.

Es zeigte sich jetzt, daß gerade die beiden Italiener, auf deren Mut und Hilfe man am wenigsten vertraut hatte, am glücklichsten durch ihre Schüsse aus den obersten Fenstern wirkten. Man konnte deutlich bemerken, daß noch mehrere der Banditen verwundet waren, und auch eine dritte Leiche auf dem vom Mond beschienenen Grunde lag.

Aber auch der Banditenführer ließ es an Thätigkeit nicht fehlen; er stand gedeckt durch das Thor und war bisher allen Kugeln glücklich entgangen, welche die beiden jungen Offiziere gegen ihn gerichtet hatten. Seine Wut über die Vereitelung ihres Unternehmens steigerte sich mit jedem Schuß, aber bei alledem vergaß er nicht, seinen Leuten die nötige Vorsicht anzubefehlen und ihr Feuer zu leiten, das binnen kurzem auch bereits zwei der Briten leicht verwundete.

Während einige der Banditen von vorn das Schießen unterhielten, zeigte plötzlich der Hilferuf der im Parterregeschoß postierten Verteidiger, daß jene eine neue Art des Angriffs gewählt. Der Vikar, nur die beiden Italiener an den oberen Fenstern zurücklassend, stürzte in das untere Geschoß, wo er sogleich zu seinem Entsetzen sah, daß die Räuber bereits Faust an Faust mit den Seinen an den Seitenfenstern kämpften. Einer auf des anderen Schultern, versuchten sie den Eingang zu erzwingen, mit den Kolben die Verbarrikadierung zertrümmernd, mit langen Dolchen und Messern hineinstoßend in die Öffnungen oder Pistolenschüsse mit den Engländern wechselnd.

Diese wehrten sich wie die Löwen, mit dem unerschütterlichen verbissenen Mut, der ihre Nation stets in verzweifelten Kämpfen ausgezeichnet hat. Niemand achtete der Wunden, wenn es nur gelang, dem Gegner sie zu vergelten; die Pistolenschüsse knallten, der dichte Pulverdampf erhöhte noch die Dunkelheit im Innern, in der man rang und die emporklimmenden Banditen zurückzuwerfen suchte. Dem Vikar gelang es, durch einen kräftigen Kolbenstoß einen der Räuber, der bereits auf dem Fensterbrett kniete, herabzustürzen, als ein röchelnder Ton durch den Lärm des Kampfes und ein frohlockender Ruf in italienischer Sprache zu ihm drang. Er sprang von der Öffnung weg, die er verteidigt, und nach der Kammer, woher der Laut zu kommen schien. Ein furchtbarer Anblick machte hier sein Blut erstarren. Der Strahl des Mondes fiel leuchtend durch das offene Fenster, dessen Barrikaden niedergerissen und eingestoßen waren. Am Boden lag in Todeszuckungen der junge Flinton, von Blut überströmt aus einer breiten klaffenden Wunde quer über der Gurgel. Ein kräftiger Bandit stand bereits in dem Gemach, nach dem Fenster gebückt und eben bemüht, einem seiner Kameraden herein zu helfen.

Der Schreckensruf des Vikars veranlaßte ihn sich umzuwenden; im Nu stürzte er sich auf ihn und stieß mit dem Dolchmesser nach seiner Brust. Hunter fühlte einen scharfen, schneidenden Schmerz an der linken Seite zwischen Brust und Arm durchgleiten, aber auch, daß der Stoß ihn nicht gefährlich verwundet, stieß den Banditen mit aller Kraft von sich und sprang zurück. In demselben Augenblick auch war die Flinte, mit der er sich bewaffnet, an seiner Wange und der Schuß krachte fast unmittelbar dem Räuber ins Gesicht, der mit zerschmettertem Kopf schwer auf sein Opfer niederstürzte. Ein Schlag mit dem Kolben traf die am Fenster sich festklammernde Hand des zweiten Banditen – daß dieser losließ und hinunterstürzte. Dann warf sich, unbekümmert um die Gefahr, der Vikar neben dem jungen Engländer auf die Knie, indem er versuchte, ihm beizustehen und das Blut zu stillen.

Aber es war vergeblich, und die Wunde zu gräßlich, als daß menschliche Macht vermocht hätte, das fliehende Leben zu halten. Mit jedem Röcheln des Sterbenden quollen Ströme von Blut aus der durchschnittenen Kehle, – der jugendliche Körper zuckte noch einige Mal und streckte sich dann.

In seinen Jammer jubelte der Siegesruf seiner Gefährten; die Banditen waren auf allen Punkten glücklich zurückgeworfen und flohen, heulend vor Wut, ihre Verwundeten mit sich schleppend, nach dem Rande des Waldes zurück, aus der Schußweite der kleinen Garnison.

Tief ergriffen verkündete der Vikar jetzt den Seinen, von denen mehrere, zum Glück nur leicht, verwundet waren, den Fall ihres Gefährten. Dann traf er, die Entmutigung der Räuber und die eingetretene Pause im Kampfe benutzend, sofort alle Anstalten, um die zerstörten Verteidigungsmittel aufs neue herzustellen und zu verstärken. Die Gewehre wurden wieder geladen, und dann durch einen der Diener, der früher in England längere Zeit bei einem Wundarzt in Dienst gestanden und einige Handgriffe der Heilkunst erlernt hatte, die Wunden der einzelnen verbunden. Erst zuletzt litt es der Vikar mit der seinen, die schmerzhaft, aber durchaus nicht gefährlich war. Der Stoß des Banditen war an den Rippen abgeglitten, und hatte nur das Fleisch der Brustwand und des linken Oberarms zerschnitten.

Eine Stunde fast war seit dem ersten Angriff vergangen – niemand rechnete jetzt noch auf die Hilfe des Militärs, aber der Vikar sprach die Hoffnung aus, daß die Banditen durch den starken Verlust, den sie bereits erlitten, von jedem weiteren Versuch abgeschreckt sein möchten und daß, selbst wenn sie den Angriff zu erneuern wagen sollten, es ihnen gelingen würde, sich bis zum Anbruch des Tages, der nicht mehr fern sein konnte, zu verteidigen. Dagegen machte Fähnrich Sanders auf die Gefahr aufmerksam, die ihnen das jetzt in wenigen Minuten bevorstehende Untergehen des Mondes hinter den Bäumen und Felsen nach Westen und die dadurch wieder eintretende Dunkelheit bringen konnte.

Diesen Augenblick schienen in der That auch die Banditen abgewartet zu haben. Der Vikar, welcher die Lage wohl erkannt, hatte alle wieder an ihre Posten gewiesen und namentlich den Wachen an den oberen Fenstern verdoppelte Aufmerksamkeit anempfohlen. Bald nachdem der letzte Strahl des Mondes hinter den hohen Fichten verschwunden war, verkündete der Ruf eines der luchsäugigen Italiener, daß ein neuer Angriff bevorstehe.

Im Sternenschimmer sah der Vikar, der auf den Ruf in das obere Geschoß gestiegen war, eine dunkle Masse sich über den Thalgrund bewegen, in ihrer Mitte einen großen. Gegenstand schleppend.

Etwa in Flintenschußweite trennte sich der Haufe – die Mehrzahl der auf etwa achtzehn Mann geschmolzenen Banditen blieb um den dunklen Gegenstand in ihrer Mitte versammelt, die anderen zerstreuten sich rings um den Turm her.

»Ich bin neugierig, was die Schurken mit dem Manöver beabsichtigen?« sagte der Fähnrich.

»Ich sehe glimmende Funken, wie Lunten,« erwiderte der Vikar, – »sie scheinen Feuer zu schlagen.«

» Goddam – die Burschen zünden sich Fackeln an, damit wir besser auf sie zielen können,« rief der junge Mann, indem er sein Gewehr aus der Öffnung des Fensters streckte.

»Um Gotteswillen – langsam und vorsichtig, Stuart,« warnte der Vikar – »schießen Sie nicht eher, bis sie näher kommen und Sie Ihres Schusses gewiß sind. Die Sache kommt mir unheimlich vor. – Vetter Ward, kommen Sie eilig mit dem Kornet hier herauf, wir werden alle guten Schützen hier brauchen!«

Noch ehe die jungen Männer ihre neuen Posten eingenommen, krachten verschiedene Flintenschüsse gegen die Fensteröffnungen des Gebäudes, und mehrere der Verteidiger ließen sich verleiten, das Feuer zu erwidern. Zugleich sprangen die einzelnen Banditen, ihre Fackeln schwingend, auf das Hans zu. Die Wachen, die ihre Schüsse aufgespart, feuerten, und einer der Fackelträger stürzte, die [Wort fehlt im Druck. Re] gelangten glücklich in die Nähe des Turmes und schleuderten ihre Brände, große Kienäste mit Zeuglappen umwickelt, gegen das alte moosbewachsene Schindeldach des Gebäudes.

»Schießt, schießt auf die Mordbrenner!« schrie der Vikar. »Freunde, es gilt Euer Leben!«

Aber das Manöver des Feindes war sehr richtig berechnet gewesen, das Feuer der Verteidiger bereits zerstreut und unsicher durch die Trennung und die raschen Bewegungen der Angreifer, und während alle Aufmerksamkeit der Engländer auf die Männer mit den Zündfackeln gerichtet gewesen war, gelang es dem größeren Haufen der Banditen, mit ihrer Last, die, wie sich jetzt erwies, ein schwerer Baumstamm war, in den Schutz des Thorwegs zu kommen.

»Die Halunken! Gott verdamm' ihre Augen!« rief der Kornett, »haben uns den Vorteil abgewonnen, aber ich hoffe, es nützt ihnen wenig; denn widersteht auch das Thor nicht, so sind sie in dem Hof unseren Kugeln frei ausgesetzt, und wir können sie niederschießen, wie ein Volk Hühner!«

»Aber das Dach – wenn es Feuer fängt!« erwiderte besorgt der ältere Freund, »wir können nicht hinauf, um zu löschen!«

»Bah! Das Hundewetter von gestern Abend muß es durch und durch getränkt haben. Ihre Brände müssen verlöschen!«

Leider aber täuschte die Hoffnung. Der Wolkenbruch hatte die Gegend des Turmes nur wenig berührt oder der scharfe Gebirgswind die Nässe längst wieder ausgetrocknet. Das Dach bestand aus Fichtenbalken und Brettern, die in der warmen italienischen Sonne längst bis zum Springen zusammengetrocknet waren und deren Moosbekleidung wie Schwamm jeden Funken der geworfenen Brände aufzog und nährte.

Schon nach wenigen Minuten verbreitete sich ein mit jedem Moment sich verdichtender Rauch durch das obere Geschoß und bald knisterte und loderte es über ihren Köpfen, da das hölzerne Dach unmittelbar die im oberen Stock kein Gewölbe mehr bildenden Umfassungsmauern deckte.

»Allmächtiger Gott!« rief der Vikar – »das Dach ist wirklich in Brand geraten! Die Mordbrenner haben ihren Zweck erreicht, und wir sind verloren!«

An einer Stelle brannte das Holzwerk bereits lichterloh, und das wilde Jubelgeschrei, das von außen her ertönte, überzeugte sie, wie wohl die Banditen wußten, daß sie jetzt, trotz aller tapferen Gegenwehr, ihre Beute werden mußten. Sicher des Erfolges, hatten sie in den Schutz der Hofmauer sich zurückgezogen, und bald erdröhnten die Stöße des Baumstammes gegen das Thor.

Verzweiflung malte sich auf den Gesichtern der Bedrängten, und achtlos ließen die meisten ihre Waffen sinken, des unvermeidlichen Verderbens gewiß. Bald krachten im oberen Stock die Balken und der niederstürzende Feuerregen und der erstickende Dampf nötigte alle, sich in den unteren Raum zurückzuziehen. Aber obschon sie hier vorerst durch die starken Gewölbe vor den einstürzenden Balken gesichert waren, füllten der Qualm und die Hitze bald auch diese Räume, da die Thüren von ihnen zu dem Gefecht vorhin ausgebrochen und eingeschlagen worden; und sie waren genötigt, selbst die Verbarrikadierung der Fenster abzureißen und diese einzustoßen, um dem Dampf einen Ausweg zu gewähren.

Die Hand des Vikars umfaßte krampfhaft den Griff seines Säbels. Vergebens sandte er seinen Rettung suchenden Blick umher; überall drohte Tod und Verderben! Er fühlte, daß es jetzt zu sterben galt, und seine Gedanken flohen noch einen Augenblick hinüber zu der vielleicht von ähnlichen Gefahren bedrängten Braut. Ein kurzes Gebet stieg aus seinem Herzen empor, daß der Himmel nur sie erretten möge, wenn er selbst auch unterliegen müßte. »Freunde,« sprach er dann zu den sich um ihn Drängenden, »sterben müssen wir, wenn Gott nicht ein Wunder thut. Gnade von den Banditen zu hoffen, wäre nach dem Widerstand, den wir ihnen geleistet, Thorheit. Also keine Ergebung! Laßt uns bis zum letzten Augenblick den Mut nicht verlieren und kämpfen und fallen wie Männer. Eine einzige Aussicht noch bleibt uns. In dieser Glut können wir nicht länger atmen, wir müssen den Turm verlassen und uns im Hofe zu halten suchen. Laßt uns den Schuppen gewinnen, wo die Pferde und Maultiere stehen, diese besteigen und, wenn das Thor zusammenbricht, uns mit dem Säbel in der Faust durch unsere Verfolger schlagen. Ihre Zahl ist geschwächt, und vielleicht gelingt es wenigstens einigen von uns, sich zu retten.«

Die anderen stimmten dem Entschluß bei – niemand wußte ohnehin besserem Rat in der verzweifelten Lage. Der eine der italienischen Diener mußte die Leiche des jungen Flinton, die sie nicht den Flammen überlassen wollten, auf den Rücken laden. »Haltet fest zusammen,« mahnte der Vikar, »und braucht die Pistolen nur, wenn Ihr nahe an den Banditen seid!« So, dicht an einander gedrängt, Pistole und Säbel in der Faust, eilten sie zur Hausthür. Die Riegel wurden zurückgestoßen, die Thür flog auf, – Hunter voran, stürzten sie in den Hof.

Aber in demselben Augenblick krachte auch das Thor ein, das so lange den Stößen der Banditen widerstanden, und brach zusammen. Über die Trümmer hinweg stürzte der jubelnde wilde Haufe der Räuber in den Hof, an ihrer Spitze, seine Büchse schwingend mit wütendem Rachegeheul, der wilde Pescare.

»Drauf, meine Braven, und Gott helfe uns!« schrie Hunter, und sprang, den Säbel hoch, auf den Banditenführer zu. Pistolenschüsse knallten auf beiden Seiten, Hiebe klirrten, wildes Geschrei mischte sich mit dem Wiehern und den Angstlauten der angebundenen Tiere, und über dem Gewirr des Kampfes schlug die Feuerglut zum Nachthimmel empor und beleuchtete die furchtbare Scene mit ihrem roten Schein.

Mit einem wilden Fluch erwartete der Banditenhäuptling den Vikar und ließ den Kolben seiner schweren Büchse mit zerschmetterndem Schlage auf ihn niederfallen. Hunter parierte den Hieb glücklich mit dem Säbel, aber die Klinge zersplitterte bis zum Griff von der gewaltigen Wucht des Schlages, und waffenlos stand er nun in der Mitte des Kampfgetümmels. Mit teuflischem Lachen hob der Bandit noch einmal die Büchse zum Schlage, als Hunter, rasch entschlossen, ihn unterlief und seinen Gegner nach Ringerart mit beiden Armen umfaßte. Durch diesen Coup machtlos geworden, ließ der Räuber das Gewehr fallen und packte gleichfalls seinen Feind. Ein wildes Ringen erfolgte, bei welchem beide Gegner ungefähr in gleichem Vorteil sich befanden, da beiden der linke Arm verwundet war und, da der leichte Verband sich löste, das fließende Blut sich vermischte. Sie stießen und drängten sich, während rings umher das Handgemenge in voller Wut tobte, und jeder mit sich selbst genug zu thun hatte. Hunter bot alle Künste des englischen Ringers auf, als er über den Körper eines Erschossenen strauchelte und fiel. Aber noch im Stürzen klammerte er sich fest an den Gegner und riß ihn mit sich zu Boden. Auf der Erde sich über einander wälzend, setzten sie den erbitterten Kampf fort, jeder bemüht, den anderen zu würgen, oder sich von ihm zu befreien. Doch die Kräfte des Vikars schwanden vor dem eisernen Griff des Banditen, dem es gelungen, die rechte Faust an seine Kehle zu bringen. Er lag unter dem Räuber, dessen Knie seine Brust drückte – dunkel flimmerte es vor seinen Augen und er wehrte nur noch machtlos sich mit der rechten, als seine linke an dem Gürtel des Feindes etwas Hartes fühlte – den Griff eines Messers! Im Nu hatte er es erfaßt und stieß die scharfe, dreischneidige Klinge zweimal in die Seite des Banditen, daß der warme Blutstrom über ihn wegspritzte. Mit einem wilden Schmerzgeheul brach der Räuber zusammen, die Augen rollten wild – die gespannten Muskeln der Faust öffneten sich von dem Halse des Gegners und mit einem grausigen Fluch auf den Lippen wälzte er sich in seinem Blute.

Der Vikar raffte sich auf von der blutigen Last und sprang empor, aber ihm entgegen einer der Banditen, der seinen Anführer stürzen gesehen und jetzt über dem Haupt des Taumelnden, Halbohnmächtigen die Büchse zum gewaltigen Schlage schwang. Hunter erkannte, daß er keinen Widerstand mehr leisten konnte, daß er verloren sei! Schon – – – da – da – allmächtiger Gott! Rettung! Rettung! Trompeten schmetterten, der Hurraruf deutscher Reiter klang zu ihm herüber, Kommandoruf! und gleich den rächenden Blitzstrahlen funkelten die Säbel der braven Husaren im Flammenschein zwischen den nach allen Seiten flüchtenden Räubern.

Mit dem Arm hatte der Vikar den vom plötzlichen Schreck geschwächten und abgleitenden Hieb seines Gegners aufgefangen, aber betäubt davon und von dem Blutverlust stürzte er zugleich ohnmächtig zu Boden, und wie aus weiter Ferne nur hallte der Siegesruf seiner braven Gefährten und das letzte Kampfgeschrei der Banditen an seine Ohren.


Als Hunter wieder zu sich kam, lag der Sonnenschein bereits hell und freundlich über dem wilden Thal. Neben ihm, seinen Kopf im Schoß haltend und bemüht, ihn zum Bewußtsein zurückzubringen, kniete Mac Allan, sein schottischer Diener. Seine Wunden waren sorgfältig verbunden, um sich her sah er die Gefährten der Mordnacht gelagert, zum großen Teil mit verbundenen Köpfen und Armen, nur Hugh Flinton und einer der italienischen Diener fehlten – ihre Leichen lagen jetzt friedlich im Hof neben denen der gefallenen Räuber. Der Turm war gänzlich ausgebrannt, nur die leeren Mauern standen noch. Das zusammenstürzende Gebälk, unter dem auch der spitzbübische Wirt und sein Weib einen qualvollen Tod gefunden, dampfte und qualmte zum frischen Morgenhimmel auf. Rings umher aber standen Wachen und Posten von österreichischen Husaren und päpstlichen Gendarmen und umgaben in einiger Entfernung sechs trotzig-blickende Banditen, welche, die Hände auf den Rücken geschnürt, dort des Transports und der Strafe am Galgen oder der Garotte harrten.

Auf den Ruf Allans versammelten sich eilig die Engländer um ihren Landsmann und begrüßten mit Jubel seine Rückkehr ins Leben. Zugleich kam der Rittmeister Graf Sternberg, der das Kommando befehligte, ein entschlossener und strenger Soldat, herbei, den geretteten Verwandten zu begrüßen, den er in Mailand kennen gelernt, als dieser Korfu verlassen. Er sprach seine Freude aus, daß er gerade noch zu rechter Zeit gekommen, um die kleine Schar der Engländer zu retten, und seine Erzählung, wie die des Schotten, klärte bald alle Umstände der Verzögerung auf.

Mac Allan hatte mit seinem wilden Begleiter den Weg glücklich, obwohl langsam, zurückgelegt, da einerseits die Fleischwunde, die der Uskoke von dem Vikar erhalten, unterwegs wieder aufging und von Allan verbunden werden mußte, andererseits aber beide große Umwege machen mußten, um nicht auf die Bande Pescares zu stoßen. So hatte man weit über die veranschlagte Zeit auf dem Wege zugebracht, und als nahe an dem Eingang des Fleckens Monaco, wo sie die erste österreichische Schildwache im Mondlicht halten sahen, der Uskoke seinen Begleiter verlassen hatte, um in das Gebirge zurückzukehren, hatte dieser das Unglück gehabt, auf einen ungarischen Reiter zu stoßen, mit dem er sich durchaus nicht verständigen konnte, und der ihn nicht vom Platz liest, bis die Runde zur Ablösung kam, zum Glück mit ihr der Rittmeister selbst, um die Posten zu revidieren. Ihm übergab Mac Allan den Brief und erzählte mit fliegenden Worten ihre Not. Nun mußte alles auf die Beine, das Alarmsignal schmetterte durch die Straße des kleinen Ortes, Pferde wurden gesattelt, Wegweiser gesucht, Waffen klirrten, und ehe eine halbe Stunde verging, sprengte der Rittmeister an der Spitze der Hälfte seiner Leute, den schottischen Diener an seiner Seite, durch das Thor, seine Leute zur steten Eile ermunternd, obschon man auf dem steilen Gebirgsweg und in der Nacht nicht so eilig vorrücken konnte, wie es die kampflustigen Husaren gern gethan hätten.

Nachdem man eine halbe Stunde geritten, hörte man bereits in der Ferne das Knallen der Büchsen, und dies Zeichen, daß die Reisenden bereits im Kampf mit den Banditen seien, feuerte alle zur Verdoppelung der Eile an. Kaum eine Viertelstunde waren sie nach der Angabe der Wegweiser noch von dem alten Turm entfernt, als man am dunklen Nachthimmel die rote Glut der Feuersbrunst emporlodern sah.

Im halsbrecherischen Galopp ging es jetzt auf den Befehl des Offiziers vorwärts auf dem beschwerlichen Wege und glücklich langte die Schar noch im rechten Augenblick auf dem Kampfplatz an. Da die Banditen keine Wachen in ihrem Rücken zurückgelassen hatten und durch das Getümmel des Gefechts verhindert wurden, das Nahen der Reiter zu hören, wurden sie vollständig überrascht, und der Rittmeister hatte seine Befehle so umsichtig erteilt, daß kein einziger entrann, und alle niedergehauen wurden, bis auf jene sechs Gefangenen, die knirschend an den Banden zerrten, mit denen die Soldaten sie an einander geschnürt.

Die Betäubung, in die Hunter durch den Kolbenschlag versetzt worden, war bald gewichen, die wohlverbundene Arm- und Seitenwunde hatte sich als gänzlich gefahrlos erwiesen und ihn nur durch den Blutverlust erschöpft, so daß er jetzt mit seinem Vetter ohne Mühe die Stätte des Kampfes beschreiten konnte. Auf dem Platz, wo die Husaren eingehauen, und die Banditen von den Kugeln der ausfallenden Engländer begrüßt worden waren, lagen die zwölf Leichen, alle mit wilden verzerrten Mienen, wie sie fluchend dem Tode Trotz geboten. Unfern des eingestürzten Thores sah man den riesigen Leib des erstochenen Führers; ein Knabe saß neben ihm und hielt das Haupt des Toten in seinem Schoß; es war Peppino, der zu der Bande die Botschaft von der Ankunft der Engländer im Turm gebracht hatte und nun, mit zornigen Blicken die Nahenden empfangend, die Leiche seines Erzeugers bewachte. Schon seit dem Morgen hatte er so gesessen, ohne Thränen, ohne Klage, nur mit wildem, stierem Blick die verhaßten Feinde betrachtend. Die Soldaten hatten auf das Kind wenig geachtet oder es nicht der Mühe wert gehalten, sich seiner zu bemächtigen.

Der Vikar näherte sich ihm mit dem Rittmeister, dem er – was ihm zunächst am Herzen lag – die Entführung der jungen Lady, ihre seltsame Entdeckung durch die Fügung des Himmels, und was bereits zu ihrer Befreiung geschehen sei, in italienischer Sprache erzählte. Er beschwor ihn, seine Mannschaft gleich aufbrechen zu lassen, um das kühne Unternehmen des Griechen zu unterstützen, den er jedoch nur als seinen Freund und mit dem angenommenen Namen bezeichnete.

»Ich habe bereits gestern Abend Kunde bekommen von dem Überfall der Villa Sorrenti durch das Gesindel. Es ist für morgen ein allgemeiner Streifzug sowohl im Neapolitanischen, als in sämtlichen Legationen an der Grenze angeordnet. Deshalb war auch bereits eine Abteilung Gendarmen und päpstlicher Karabinieri zu mir gestoßen. Die Nachricht, daß die geraubte Dame Ihnen so nahe steht, kann natürlich meinen Eifer nur verdoppeln, und ich glaube, daß wir am besten thun, dem Rat Ihres kühnen und umsichtigen Freundes, des Conte de Griffeo zu folgen. Denn die Nachricht, daß die Bande Mamianis auf dem Monte Vittore lagert, ist mir neu und von größter Wichtigkeit. Fünf meiner Leute sollen die gefangenen Banditen nach Monaco transportieren und zugleich meine Befehle dahinbringen. Ich werde Ordonnanzen nachsenden und die Führer der Truppen-Kommandos und der Gendarmen benachrichtigen lassen. Sobald Sie mit Ihren Freunden sich etwas erholt, wollen wir sogleich nach der Osteria aufbrechen, die der Conte Ihnen bezeichnet, und die wir zum Ausgangspunkt unserer Operationen machen müssen. Dort können wir leicht die Verwundeten unterbringen oder sie nachschaffen. Wir wollen den Rest der Bande dieses alten Rebellen Mamiani vernichten, so wahr ich Sternberg heiße, und kein einziger der Schurken soll mir entgehen.«

Ein kurzes Hohngeschrei unterbrach seine Beteuerung. Als beide sich umblickten, sahen sie den Knaben Peppino, der, in ihrer Nähe zusammengekauert, die Worte gehört hatte, mit tückischer und triumphierender Geberde nach ihnen hin drohen. Der Rittmeister rief die Schildwache, aber wie der Blitz war der Junge zwischen den Soldaten hindurchgeschlüpft und rannte über den Thalgrund den Felsen zu, an denen er wie eine Ziege emporkletterte. Der Offizier schämte sich im ersten Augenblick, den Befehl zum Feuern zu geben, und als er die Wichtigkeit überlegte, die das Entkommen des Buben haben konnte und der Wache den Karabiner zu brauchen befahl, war der Bursche bereits so weit entfernt, daß die Kugel ihr Ziel verfehlte. Oben auf der Höhe einer der Felsklippen sah man ihn nochmals stillstehen, mit der Hand herunter nach den Soldaten drohen und dann eilig verschwinden.

Das kleine Ereignis bewog den Offizier nur, desto rascher die beschlossenen Maßregeln auszuführen, damit ihr Plan durch den jungen Spion nicht etwa zu frühzeitig den Banditen verraten und es ihnen möglich gemacht werden möchte, ihre Schlupfwinkel zu verlassen, ehe das Netz um sie geschlossen war. Der Abzug wurde daher eilig betrieben, und eine Wache auf der Brandstätte zurückgelassen, da man aus den Kellern des alten Turmes noch vieles der dort aufgehäuften Beute zu retten hoffte. Eine andere Abteilung brach mit den an die Steigbügel der Pferde gebundenen gefangenen Banditen nach Monaco auf. Der Rest des Kommandos war alsbald zum Aufsitzen bereit, und während der Rittmeister die Ordonnanzen abfertigte, wurde die Leiche des jungen Flinton auf dem Sattel seines Maultieres befestigt und für zwei der am schwersten Verwundeten leichte Tragbahren aus Ästen bereitet. Die Trompete gab das Signal zum Aufsitzen, der Zug setzte sich in Bewegung und verließ das Thal auf einem von den Wegweisern angezeigten Waldweg in der Richtung nach Norcia, wo die Osteria lag, in der am Nachmittag vorher die Gesellschaft angehalten.

Die Soldaten der Wache aber gruben ein weites Grab für die Erschlagenen.


Der Mond, der dem Kampf der Engländer mit den Banditen geleuchtet, beschien acht Miglien davon entfernt auf der Höhe des Monte Vittore ein anderes, fast ebenso wildes Bild.

Der Ort, den die Banditen zu ihrem Schlupfwinkel gemacht, und der nur den vertrautesten Helfershelfern der Bande bekannt war, konnte gar nicht vorzüglicher und vorteilhafter gewählt sein. Er war offenbar durch vulkanische Eruptionen gebildet, wahrscheinlich der Krater eines Vulkans selbst, der vielleicht vor ein paar tausend Jahren in Thätigkeit gewesen, denn der Kessel, aus dem er bestand, war ringsum mit Kalkfelsen, gleich Wänden, umgeben, die, so weit sichtbar, nur an einer Stelle einen Durchbruch zeigten. Dieser diente als Zugang. Große Höhlen und Risse bildeten rings umher förmliche Gemächer und waren durch leichte Holzbauten zu Wohnungen umgeschaffen. Von der Höhle des Felsenwalles, zu der aus dem Kessel teils natürliche Wege, teils in den weichen Stein gehauene Stufen führten, hatte das Auge eine weite Aussicht auf Castelluccio, Norcia und Fogliani, während das Versteck und selbst der Schein seiner Feuer durch die große Höhe und die Lage der Felsen vor aller Beobachtung aus der Ebene und den Thälern geschützt war.

Das Gewitter, das die Engländer aus dem Wege nach Ascoli betroffen, hatte auf der Höhe des Monte Vittore nur wenig Schaden angerichtet, da es in den Thalkesseln zwischen den Bergwänden vertobte und die geringen Spuren der Regengüsse hatte der Boden und der scharfe Luftzug der Höhen längst aufgetrocknet.

Der Bergkessel bot um etwa die Zeit einen ebenso merkwürdigen als bunten Anblick dar, als Grimaldi mit seinen Gefährten den einsamen Turm im Gebirge auffand. Zwei Feuer brannten vor den Felshütten und die wilden Gestalten der Männer lagerten in ihrem phantastischen Aufputz um sie her, manche ihre Waffen putzend, andere lang ausgestreckt auf dem Boden und auf Steinen und Holzkloben sitzend, mit Karten und Würfelspiel beschäftigt; eine dritte Gruppe hörte den prahlerischen Geschichten eines Erzählers zu, während ein langer Kalabrese mit aufgeschlagenen Hemdärmeln die Stelle der Hexenmutter vertrat und einen großen Kessel auf dem Feuer umrührte, aus dem köstlicher Brodem von Fleisch und Zwiebeln emporstieg. Am anderen Feuer wurde an dem Ladestock einer Flinte ein Hammel gebraten, den einer der Burschen im Thale gestohlen hatte. Gelächter, Gezänk, Geschrei erklang mit italienischer Lebhaftigkeit von allen Seiten: Branntweinflaschen machten die Runde, und aus einem auf einem Felsblock ruhenden Schlauch von Ziegenfell wurden nur allzuhäufig mit dem roten Wein von Velletri die Becher gefüllt, die unter der Hauptgruppe die Runde machten.

Diese bestand aus Pepe Mamiani, dem Banditenhäuptling, zwei seiner Unteranführer und dem russischen Agenten. Der letztere war ein großer, entschlossen aussehender Mann mit schlauen Augen und einem dicken Knebelbart. Er trug albanesische Tracht, Fez und Fustanella, und im Gürtel schöne, mit Silber ausgelegte Pistolen. Pepe Mamiani selbst war eine mittelgroße, kraftvolle Gestalt mit breiten Schultern. Er mochte etwa 40 Jahre all sein; der untere Teil seines Gesichts war von einem krausen kurzen schwarzen Bart bedeckt, der zugleich die vortretende tierische Bildung seines Unterkiefers milderte und verhüllte. Eine schmale Adlernase sprang aus dem Gesicht vor zwischen blitzenden Augen und eine breite Stirn überwölbte die buschigen Augenbrauen. Er trug einen halb militärischen, halb kalabresischen Anzug, lange Beinkleider mit Goldtressen, eine Art Halbuniform und darunter den Latz und die mit Pistolen und Dolchen gespickte Leibbinde nebst dem hohen spitzen Banditenhut. In dem Augenblick, wo unsere Erzählung uns in die wüste Gruppe führt, glühte sein Gesicht bereits vom Velletri-Wein und von der Aufregung des Würfelspiels, das er mit dem russischen Offizier trieb, und bei dem er wiederholt verloren hatte.

Der eine seiner Unterführer, die an dem Gelag teil nahmen, war ein gewöhnlicher italienischer Bandit, der andere offenbar der Sohn einer nördlichen Heimat. Ausschweifungen oder Leiden hatten sein noch junges Gesicht abgemagert und seinen Blick getrübt und unstät gemacht Er trug langgelocktes blondes Haar nach der damaligem Mode der deutschen Maler in Rom und einen fadenscheinigen polnischen Schnürrock.

» Cospetto! – Hundert Lire auf einen Wurf!« fluchte der Häuptling; – »halt, Signore, ich verdopple den Satz, wenn's Euch genehm!«

»Wie's Ihnen gefällt, Oberst,« sagte der Russe, höflich ihm den Titel gebend, den er in der Revolutionsarmee geführt. »Aber dann keinen Bajocchi mehr, Ihr habt Unglück heute im Spiel und in einem solchen Fall darf man es nicht forcieren.«

Man sah an dem Benehmen des verkappten Offiziers, als er die zehn Imperials zu dem Gelde der Banditen warf, daß er einst gewohnt gewesen, andere Summen am grünen Tisch aufs Spiel zu setzen, als diese Bagatelle in der Banditenwirtschaft auf dem Monte Vittore.

»Das Sprichwort sagt mit Recht: Unglück im Spiel, Glück in der Liebe,« fuhr der Russe fort, indem er mit ironischem Lachen die weißen Zähne unter dem Schnurrbart zeigte, »die Beute, die Sie diesen Morgen hier eingebracht, ist der Mühe wert.«

Die Augen des Banditen funkelten eifersüchtig nach ihm hinüber, doch überbot die Leidenschaft des Spiels jede andere.

In diesem Augenblick kam mit leichtem, zierlichem Tritt ein junges, etwa sechzehnjähriges Mädchen in der Tracht der abruzzesischen Gebirgsbewohnern heran und verweilte auf dem Wege zu dem anderen Feuer einige Augenblicke, um neugierig dem Spiel zuzusehen und eine Frage zu thun. Ihr braunfrisches Gesicht hatte die edlen römischen Formen; das weiße Kopftuch bedeckte ihr in bläulichem Schwarz glänzendes Haar, und die dunklen Augen waren heiter und glücklich.

» Iop foce mat!« sagte der Russe lustig, »da steht die hübsche Kammerjungfer Ihrer Eroberung gerade hinter Ihnen, Oberst, und wird Ihnen Glück bringen. Ktschortu! Zum Henker! – Der erste, scandalöser Weise selbst in der vornehmen russischen Gesellschaft sehr gebräuchliche Fluch, ist Anstands halber unmöglich zu übersetzen. ich wüßte nicht, welche von beiden ich vorziehen würde.«

Mamiani warf einen zornigen Blick hinter sich auf die Störerin, vor dessen Ausdruck des Mädchen unwillkürlich zurückbebte. Dann hob er den Becher und warf.

» Demonio! Endlich!« frohlockte er. »Vierzehn, Signor Bergero, es dürfte Euch schwer werden, mehr zu werfen! – Reich' Deinen Becher her, Federigo – Du siehst, der meine ist anders beschäftigt!«

Er stürzte den großen Becher vergnügt hinunter, den ihm der ehemalige Maler reichte.

»Sechzehn, Oberst – Sie haben dennoch verloren!«

Der Bandit fuhr empor, als hätte ihn eine Natter gestochen. » Maladetto! – Es kann nicht sein – es gilt nicht – der Wurf ist falsch!«

Die Hand des Offiziers fuhr an den Pistolengriff » Szukin szuin! Wagen Sie zu denken, ich hätte falsch gespielt?«

Mamiani hatte zum Glück die Beleidigung nicht recht verstanden, und sein Vorteil blieb zu sehr im Spiel, als daß er nicht mit Gewalt seinen Ärger hätte unterdrücken sollen. »Verzeiht, Signor,« sagte er, »die Hitze riß mich hin und ich verband die Bedeutung mit den Worten nicht, die Ihr darin findet. – Was willst Du hier?« fuhr er das Mädchen an, das noch immer in der Nähe stand. »Seine verfluchte Larve ist schuld, daß ich verloren!«

»Die Signora,« sagte zitternd die Dirne, »sendet mich, zu fragen, ob der Bote, den Ihr wegen des Lösegeldes nach Civitella zu senden versprochen, noch nicht zurück ist?«

Der Banditenhäuptling lachte hell auf. » Cospetto di Bacco! hat das Täubchen immer noch die thörichten Gedanken? Es ist Zeit, daß ein Ende damit gemacht wird und sie zur Einsicht kommt. Vorerst wollen mir mit Dir den Anfang machen, cara mia! und dann kannst Du ihr sagen, was der Gebrauch der Freischaren der Apenninen ist und was sie zu erwarten hat, wenn sie sich nicht gutwillig fügt!«

Seine rohe Faust erhaschte den kurzen faltigen Rock des Mädchens, zog sie mit Gewalt heran und warf sie mit wüstem Gelächter quer über seinen Schoß.

Das Mädchen schrie laut auf und sträubte sich in den Armen des starken Mannes. »Heilige Madonna – laßt mich! laßt mich! – Nicolo, zu Hilfe! zu Hilfe!«

»Sträube Dich nicht, Närrin!« zürnte der Bandit, »oder Du machst mich wild! Hast Du mir Unglück gebracht im Spiel, wie der Kavalier dort sagt, sollst Du mir's wenigstens mit Deinen Küssen vergelten!«

Er preßte mit Gewalt das sich sträubende Mädchen an sich und seine rohe Hand berührte sie frech, als er plötzlich heftig zurückgestoßen, und das Mädchen aus seinen Armen gerissen wurde.

Ein junger Mann, von dem zweiten Feuer bei dem Lärm und dem Hilferuf herbeigeeilt, stand schützend vor dem Mädchen, das sich ängstlich an seinen Arm klammerte; seine Augen sprühten Feuer gegen den Banditenhäuptling.

Dieser war vom Boden aufgesprungen. »Bist Du verrückt, Nicolo Zaccha, daß Du es wagst, Hand an mich zu regen?«

»Maritana ist meine Sposa, Verlobte. Hauptmann – Ihr wißt es!« keuchte der junge Bandit.

»Zum Teufel mit Deiner Sposa, Schurke, und mit allen Bräuten des Kirchenstaats! Weißt Du nicht, was Gesetz ist bei den freien Männern der Gebirge, und kennst Du nicht den Eid, den Du geschworen?«

»Ihr werdet nicht unmenschlich sein, Pepe Mamiani,« sagte der junge Mann, seine leidenschaftliche Erregung unterdrückend. »Ihr wißt, daß ich auf Euren Befehl Maritanas Liebe suchte, um durch sie die Gelegenheit zu finden, die Villa ihres Herrn auszuspähen.«

»Narr, befahl ich Dir, Dich im Ernst in das Affengesicht zu verlieben?«

»Wer kann für das Herz,« sagte mit dem poetischen Schwung italienischer Leidenschaft der Bandit. »Ich sprach mit Maritana und liebte sie; sie sollte mein Weib werden und in einem der Dörfer wohnen, – ich habe genug erspart, ihr ein Häuschen zu kaufen.«

Der Hauptmann lachte laut auf. »Schaut, der kecke Nicolo ein verliebter Schäfer! Thu' es, mein Bursche, aber nicht eher, bis wir unser Recht gehabt. Du hast das Gesetz durch Deine Frechheit herausgefordert, und es soll nach ihm verfahren werden!«

Die ganze Bande hatte sich um die Streitenden bereits versammelt. Es waren ihrer, außer den Männern, die in den Zugängen der Schlupfwinkel auf Posten standen, fünfundzwanzig Köpfe.

»Ich berufe mich auf meine Kameraden und auf mein Recht,« rief der junge Bandit. »Maritana ist mir freiwillig hierher gefolgt und also mein alleiniges Eigentum.«

»Das lügst Du, Bursche,« sagte der Hauptmann. »Eben weil dies nicht der Fall ist, verfällt sie der Bande und ihrem Gesetz. Pietro Rusconi und Ugo Spinola, tretet vor und sagt auf Euren Dolcheid, wo Ihr das Mädchen fandet!«

»Wir trafen sie, als wir uns von der Plünderung der Villa Sorrenti zurückgezogen,« berichtete der eine Bandit, »im Garten derselben. Sie floh vor uns, aber es gelang uns, sie zu ergreifen, und wir schleppten sie fort, bis wir wieder zum großen Haufen stießen, und Du befahlst, sie mitzunehmen nach dem Monte Vittore, um die Signora zu bedienen, die Du aus der Villa geholt. Erst auf dem Weg hierher kam Nicolo, den ein Auftrag von Dir zum Spähen in die Dörfer gesandt, wieder zu uns und nahm sie als seine Sposa in Anspruch.«

»Aber ich suchte sie vergeblich bei dem Überfall des Hauses,« sagte der unglückliche Liebhaber, – »es war verabredet, daß sie mich begleiten sollte, und nur ihre thörichte Furcht verleitete sie zur Flucht.«

»Das thut mir Leid um Deinetwillen, mein Bursche,« meinte der Hauptmann, der fortwährend durch Trinken sich erhitzte. »Du hast mich beleidigt, indem Du es gewagt, die Dirne von meinem Schoß zu reißen, und Dir soll Dein Recht werden. Bildet einen Kreis um uns, Kameraden!«

Die Banditen stellten sich um das Feuer her, neben dem, ruhig und aufmerksam die Scene betrachtend, der Russe seine Cigarre rauchte, und, dem Häuptling gegenüber, der junge Mann stand, das zitternde, von furchtbarer Ahnung ergriffene Mädchen unterstützend.

»Ihr habt Nicolo gehört und die beiden Zeugen,« sprach Pepe – »entscheidet jetzt, Kameraden, ob diese Dirne als Gefangene der Bande zu betrachten ist, oder als das Eigentum Nicolos?«

» Per dio! sie ist unsere Gefangene!« heulte der Haufe. Nur wenige schwiegen.

»Gut! ich stelle ihr Lösegeld auf fünfhundert römische Thaler. Hast Du Verwandte, Mädchen, die das Geld zahlen können!«

»Nicht hundert Bajocchi, Signor, meine Mutter ist eine arme Witwe!«

»Hier sind zwanzig Zechinen,« rief ihr Liebhaber, »und diese Uhr. Nehmt meinen Anteil an dem Lösegeld der Signora dazu!«

» Babuasso!« lachte der Hauptmann. »Behalte Dein Gold, es reicht nicht; und was die Signora betrifft, so mag ich kein Lösegeld, und wenn Du hübsch warten willst, sollst Du Deinen Anteil an ihr haben, so gut wie ich jetzt an Deiner Sposa! Sprich Luigi Schiavo – Du bist der Älteste der Bande – was besagt unser Eid über das Weib?«

»Sie gehört zunächst Dir, Hauptmann, und dann uns der Reihe nach, als Frau, wie das Spielerglück es entscheidet, jedem auf vierundzwanzig Stunden!«

»So nehmt die Dirne fort und bringt sie in meine Kammer für diese Nacht!«

Zehn Hände langten nach dem Mädchen, aber sie klammerte sich fest an den jungen Mann, auf dessen Verlockung sie ihren Herrn verraten und den Räubern den Überfall der Villa möglich gemacht hatte. »Heilige Jungfrau, habt Erbarmen mit mir! Nicolo, mein Geliebter, schütze mich!«

Der Bandit stieß mit zornglühendem Gesicht die rohen Fäuste seiner Kameraden fort und schwang sein Stilet. »Zurück, Schurken, ich stoße dem das Messer in die Brust, der sie anzurühren wagt.«

Pepe trat langsam auf den Wütenden zu und seine zornsprühenden Augen lähmten die Energie des Gegners. »Bist Du wahnsinnig, Bursche, oder des eigenen Lebens müde,« sagte er kalt, »daß Du meinen Befehlen zu trotzen wagst?« Er faßte das Mädchen, das vor seinem furchtbaren Anblick wie ein stummes Opfer zusammenbrach, an den Schultern und stieß sie den Banditen zu, während die Arme des unglücklichen Liebhabers wie erschlafft an seinem Körper niedersanken und nur sein keuchender Atem von dem Sturm seines Innern Kunde gab. »Bringt sie fort, wie ich befohlen! Und Du, Nicolo Zaccha, denk' an Deinen Eid, und hüte Dich, daß ich Dich nicht zum zweiten Mal ungehorsam finde! Du kennst Pepe Mamiani! – Jetzt macht das Weitere unter Euch ab, Bursche, und wer der Glückliche ist, mag die Dirne in einer Stunde bei mir sich holen!«

Er trat gleichgültig, als ob sein empörender Befehl nicht eben das Glück zweier Menschen vernichtet hätte, zu dem russischen Offizier, während die Banditen sich lärmend und in lästerlichen Scherzen zu dem zweiten Feuer zurückzogen, wohin sie ihren willenlosen jungen Kameraden mit sich schleppten und Federigo und der andere Unteranführer ihnen folgten, nachdem Pepe dem erstern noch befohlen hatte, eine Wache vor den Zugang seiner Felsenhütte zu stellen, damit das Mädchen nicht entwischen möge.

»Noch einen Trunk, Signor,« sagte der Häuptling, »Ihr habt gesehen, daß ich unerwartet Gesellschaft bekommen habe, und ich mag die Burschen auf ihren Anteil nicht warten lassen. Die freien Gesellen der Gebirge, Signor, haben nicht Zeit, die girrenden Schäfer zu spielen, und müssen die Liebe nehmen, wo ihr gutes Glück sie ihnen in die Hände führt. Es ist immer noch besser, als daß diese verfluchten Franzosen unsere Weiber verführen, die ihnen wie Kletten nachlaufen.«

Der Russe drehte sich behaglich eine andere Cigarette. Die dem Menschenrecht Hohn sprechende Sitte der eigenen Heimat, wo damals noch der Grundherr Gebieter war über Leib und Seele seiner Leibeigenen und die Töchter des Dorfes oft zum Vergnügen seiner eben so grausamen Gäste aufs Schloß entbieten läßt, machte ihn völlig gleichgültig gegen das Schicksal des armen niedrig geborenen Mädchens, während er keinen Augenblick gezögert haben würde, die vornehme Gefangene ritterlich in Schutz zu nehmen. »Lassen Sie sich nicht stören, Oberst,« sagte er, die Cigarette in Brand setzend. »Ich bin nicht gewohnt, so zeitig mich niederzulegen und werde noch ein Stündchen am Feuer sitzen bleiben. Mein Lager weiß ich zu finden.«

Damit nickte er vertraulich dem Banditenhäuptling gute Nacht und zog eine Brieftafel aus der Tasche, deren Notizen er zu studieren begann.

Der ehemalige Oberst der römischen Republik, dessen weingerötetes Gesicht im Schein des Feuers und der Gier der entflammten tierischen Leidenschaften glühte, taumelte davon.

Das wüste Gelag, das die Banditen am anderen Feuer begonnen, schien ein Bacchanal der Höllengeister zu sein. Lautlos vor sich hinstarrend, die Zähne fest auf einander gepreßt, hatte sich der junge Bandit, der Jüngste der Bande und noch in der Ausübung der Schandthaten nicht abgestorben gegen jedes bessere Gefühl, in den Kreis seiner Genossen zerren lassen, wo zwei starke Männer neben ihm saßen, um ihn nötigenfalls mit Gewalt festzuhalten.

»Bei Sanct Jacob von Compostella!« schwor der eine, »die Dirne ist hübsch, aber ich sage Dir, Bursche, es giebt ihrer tausend gleich schöne in den Legationen, und wenn sie erst alt geworden, ist sie ebenso häßlich wie die Hexe Jacopos im Turm von Monaco!«

»Schlag' sie Dir aus dem Sinn, Nicolo,« ermahnte ihn ein anderer, »und sei froh, daß Pescara mit seinen Bravos nicht hier ist; die Chancen für Deine Nummer wären dann noch schlechter als jetzt!«

»Trink, Bursche! Irgend ein gutmütiger Pfaffe thut ein übriges und kopuliert Euch noch für ein Stück Geld, als wär' der Dirne nichts geschehen und sie trüge den Kranz mit Ehren wie eine Nonne von Santa Clara!«

»Bah – die heiligen Schwestern würden sich freuen, wenn sie manchmal eine so gute Gelegenheit hätten, ihrem Gelübde ein Schnippchen zu schlagen! Der Teufel hole die Weiber und die Pfaffen, sie haben die Männer betrogen, so lange der Lateran steht und noch darüber hinaus!«

»Deine historische Kenntnis, Pecchino,« sagte lachend der ehemalige Maler, »reicht nicht weit hinauf. Aber munter, mein Bursche, Du, der Kühnste und Tollste sonst von uns allen, oder ich bekomme wahrhaftig Lust, die traurige Fratze, die Du schneidest, abzuzeichnen, um sie der Nachwelt zu erhalten, oder doch wenigstens an die Staubsäule in Fogliano als Steckbrief für Dich annageln zu lassen. Hier sind die Lose – fünfundzwanzig – der Uskoke zählt nicht mit. Du sollst das Recht haben, zuerst zu ziehen, weil Du doch einmal ihr Amoroso bist und das Vögelchen uns in die Falle gelockt hast.«

Ein schriller, fürchterlicher Schrei unterbrach den frechen Spötter – zwei- – dreimal durchgellte er – schwächer und schwächer werdend, das Dunkel der Nacht.

Nicolo Zaccha fuhr empor wie von einer Kugel getroffen, sein Gesicht war todesbleich, seine Augen rollten fürchterlich.

Aber die Freunde an seiner Seite drückten ihn unter dem rohen Gelächter der übrigen wieder zu Boden.

»Sei ein Mann,« raunte ihm der alte Luigi zu, derselbe, der auf die Frage des Hauptmanns ausgesprochen, was das fürchterliche Gesetz der Bande bestimmte, der aber den Jüngling wohl leiden mochte und Mitleid mit ihm empfand. »Sei ein Mann, Nicolo Zaccha, und trage das Unvermeidliche – der Eid muß gehalten werden! Aber es giebt einen Gedanken, der Dich trösten mag – das ist« – er sah sich scheu um und flüsterte ihm ins Ohr: »die Rache!«

Der junge Mann sah ihn starr an – ihre Blicke begegneten sich, und der Alte nickte ihm vertraulich zu, die Hand an den Griff seines Dolches legend. Nicolo wußte jetzt, daß er wenigstens einen Freund haben werde; der alte Luigi grollte mit dem Hauptmann, der ihn bei der Verteilung von Beute einmal in seiner wilden Hitze ins Gesicht geschlagen.

Von diesem Augenblick an schien Nicolo Zaccha ruhig, ergeben, entschlossen. Nicht einen Blick mehr warf er nach der Gegend, wo längst jeder Klagelaut verstummt war, wo das Weib, das er mit der leidenschaftlichen Glut des Italieners liebte, in den Armen eines anderen ruhte!

»Willst Du jetzt Dein Los nehmen, Bursche!« sagte Federigo, der Unteranführer, »oder verzichtest Du darauf?«

»Gebt her!«

Der Bandit griff entschlossen nach dem Kartenspiel, das man ihm vorhielt, und zog eine derselben.

Jeder der anderen that das Nämliche.

Dann deckten alle zugleich ihre Karten auf – nach dem alten Gebrauch machte Herzen den Anfang, dann folgte Careau, Treff und Pique.

Vor Nicolo lag die Herzen Zwei.

»Verflucht!« schrie einer der Banditen; »der Hauptmann hat uns erlaubt, schon diese Nacht das Ehegespons für vierundzwanzig Stunden zu holen, und nun habe ich die Nachtwache im Felsenpaß am Fuß des Vittore. Da ist Herzen Eins!«

Er warf die Karte in den Kreis.

»Tausch' mit Nicolo!« riefen mehrere. »Er wird Dir's noch Dank wissen!«

Der Verhöhnte war noch immer sehr bleich, aber in seinem dunkeln Auge schien ein finsteres Geheimnis, ein ruhiger, fester Entschluß zu glühen. Er nahm den ledernen Beutel aus seinem Gürtel, den er vorhin dem Hauptmann angeboten, und warf ihn dem Vordermann zu. »Es sind zwanzig venetianische Zechinen darin, Tancredi,« sagte er. »Ich weiß, Du liebst das Geld, nimm sie und laß mir Deine Stelle bis zum Sonnenaufgang. So wahr die Heiligen mir gnädig sein mögen in meiner Todesstunde, ich komme dann, Dich abzulösen von der Wache, und magst Maritana behalten für die Zeit, die unser Gesetz Dir bestimmt.«

»Eingeschlagen!« rief der Bandit und steckte das Geld in die Tasche seiner Sammet-Beinkleider. »Du bist ein nobler Kamerad, Nicolo, und man kann Dir etwas zu Gefallen thun!« Er reichte ihm die Karte, nahm die Büchse über die Schulter und noch einen tüchtigen Schluck aus der kreisenden Branntweinflasche und machte sich dann auf, den Berg hinab zu steigen, um seinen Posten einzunehmen.

Nicolo blieb ruhig und teilnahmlos sitzen, während die Banditen unter wüsten Liedern, Trinken und rohen Späßen ihr Abendessen verzehrten.

Es war gegen Mitternacht, als der Hauptmann wieder in ihren Kreis trat. »Schafft mir die heulende Närrin fort,« sagte er barsch, »die nichts thut als weinen und jammern. – Wem gehört sie für morgen?«

Nicolo stand auf. »Mir, Hauptmann!« sagte er kalt.

Mamiani fuhr zurück – die seltsame Fügung berührte ihn einen Augenblick wie ein Finger der Vergeltung, doch scheuchte er das unbehagliche Gefühl sogleich mit Trotz zurück. »Nimm sie,« sagte er höhnisch, »und geh' zum Teufel!«

»Daher hole ich sie, Pepe Mamiani!« sagte ruhig der junge Mann und ging nach der Felsenhöhle des Häuptlings.

Pepe warf sich, in seinen Mantel gehüllt, an dem Feuer neben dem russischen Offizier nieder, der dort bereits in sorglosem Schlaf lag.

Einige Augenblicke nachher sah man Nicolo Zaccha von der Hütte des Hauptmanns herkommen, das Mädchen führend, das ihr Kopftuch über das Gesicht gezogen hatte. Man konnte ihr unterdrücktes Schluchzen hören, als er mit ihr, mehr sie tragend als führend und den Schein der Feuer vermeidend, nach dem dunklen Hintergrund der Felsen ging.

Keiner der Banditen wagte es mehr, dem unglücklichen Paare eine rohe Verhöhnung nachzurufen.

Es wurde stiller und stiller um die verlöschenden Feuer; die einen schlenderten nach den Hütten und Höhlen, die ihnen zum Nachtlager dienten; die anderen streckten sich auf dem Boden aus, wo sie gesessen, und bald bewegte sich nur im bleichen gespenstigen Mondlicht der Schatten der Schildwache, die eben auf dem Rande des Kraters ihren einsamen Gesang hielt.


Auf die Schulter des Banditen, der, auf einem Steine sitzend, das Haupt an den Fels gelehnt und die Flinte zwischen den Knieen, eingeschlummert war im Felsenpaß, der zum Gipfel des Vittore führte, legte sich eine Männerhand.

»Steh' auf, Tancredi – Deine Zeit ist gekommen!«

Der Schlummernde fuhr empor und griff nach seinem Gewehr. Als er jedoch Nicolo Zaccha vor sich stehen sah, setzte er es nieder. »Zum Henker, Kamerad! Du hast mich erschreckt. Der verfluchte Branntwein ist Schuld, daß ich eingenickt bin. Nun ich will hoffen, Du hast eine angenehmere Nacht zugebracht, als ich.«

Der andere sah ihn finster an.

»In einer Viertelstunde geht die Sonne auf,« sagte er eintönig und mit starrem Blick ins Leere. »Ich komme, mein Wort zu halten. Geh' und nimm sie!«

» Diavolo, Bursche, wie siehst Du aus?« fragte mitleidig der ältere Räuber. »Höre, so viel liegt mir gerade nicht daran; es gießt Weiber genug in der Welt, und ich kann auch etwas thun für einen braven Kameraden, der treulich neben mir gestanden, als wir uns neulich gegen die Carabinieri schlugen. Wenn Du's nicht ertragen kannst, will ich mein Recht an dem Mädchen aufgeben und mit den anderen sprechen. Ich glaube, es war so nicht ganz gut gethan von dem Hauptmann!«

Nicolo winkte ihm ungeduldig. »Geh'. Ich will allein sein! – Sie ist die Eure!«

Tancredi warf die Flinte über. » Andiamo, mir kann's recht sein! Also leb' wohl! Um Mittag wirst Du abgelöst.«

Er schlug den kaum erkennbaren und nur für Ziegen und den Fuß kühner Gebirgsbewohner beschreitbaren Felsenpfad bergan ein und verschwand bald hinter dem nächsten Vorsprung.

Nicolo Zaccha setzte sich und lehnte sein Gewehr neben sich. Dann stützte er das bleiche Haupt in die linke Hand, zog den Dolch aus dem Gürtel und legte ihn auf sein Knie, nachdem er ihn von der Scheide befreit hatte.

An der glänzenden Klinge, auf der der erste Sonnenblick zitterte, waren dunkle klebrige Flecken. Als er ihn emporhob, sammelte sich an der Spitze ein Tropfen dicker roter Feuchtigkeit.

Plötzlich lachte der Bandit grell und wild auf und steckte das Stilett empor gegen den Morgenhimmel, an dem zwischen rosigen Wolken die Nebel der Nacht schwanden vor den Strahlen des emporsteigenden Tagesgestirns.

Die Flecken auf der Klinge, die Tropfen an der Spitze – es war Blut, warmes, rotes Blut.

Der leere, tote Blick des jungen Mannes, dessen Stilet schon so manches unschuldige Blut vergossen, dessen Kugel vielleicht manches kräftige Leben zerrissen hatte ohne Reue, starrte auf die erwachende Landschaft. Zu seinen Füßen weitete sich ein prachtvolles Rundgemälde, nach Süden hin von den fernen Felsenwänden der neapolitanischen Abruzzen begrenzt, während zur Rechten der Blick über Norcia und Fogliano bis Spoleto und Terni schweifte, zwischen denen der Monte Fionchi sein Riesenhaupt hoch über die niederen Gebirgszüge streckte. Durch die Pässe des Monte Gatto nach Osten hin konnte das Auge die fernen Türme von Ascoli erkennen und darüber hinaus zwischen den Höhenrücken den lichtweißen Schimmer der Adria, während im Rücken der Monte Vittore seine gigantischen Massen hoch über die anderen Berge der römischen Apenninen emportürmte.

Nicolo küßte den Dolch und das Blut auf seiner Klinge. Dann legte er ihn neben sich auf das Moos des Steins und zog ein Pistol.

Sorgfältig prüfte er das Schloß und spannte den Hahn. Wie zum Gebet faltete er die Hände über den Kolben, dann, mit der Linken das kleine silberne, in Loretto geweihte Kreuz, das an einer Schnur um seine Brust hing, an seine Lippen pressend, setzte er die Waffe an die Stirn.

Ein Augenblick – –

Das Pistol entlud sich, zur Seite geschleudert von der Hand eines Mannes.

»Nur Feiglinge suchen dem Kampfe des Lebens durch Selbstmord zu entfliehen,« sagte die ernste Stimme des Fremden, »nicht Männer, die dem Schmerz die Stirn bieten! Lebe, um zu kämpfen, bis Gott Deine Zeit bestimmt hat!«

Der Bandit sah verwirrt, bestürzt auf den Unbekannten. Dann, der Gewohnheit der Pflicht unwillkürlich nachgebend, sprang er nach seiner Flinte und schlug auf den Fremden an: »Wer seid Ihr? gebt die Losung, oder ich schieße!«

»Thor,« sagte mit ruhigem Lächeln der Unbekannte, »etwa zum Dank dafür, daß ich Dich eben verhinderte, Dir selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen? Wär' ich ein Feind, so hätte ich bloß eine Minute zu warten brauchen, um den Weg frei zu finden. Aber nimm die Losung: ›Sorrenti und die Brüder vom Dolch!‹«

Der Bandit setzte die Flinte nieder. »Aber wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier auf dem Vittore?«

»Ich bin ein Unglücklicher wie Du, dem das Schicksal seine teuerste, seine einzige Hoffnung genommen, aber ich bin ein Mann und Christ, und trage darum die Schickung Gottes! – Was ich will? – ich will zu Pepe Mamiani und Sicherheit bei ihm suchen, denn ich bin wie Du ein Geächteter.«

»Sicherheit? Schutz?« sagte höhnisch der Bandit. »Sicherheit in der Höhle des Wolfes? Fremder, ich weiß nicht, ob ich Euch danken soll dafür, daß Ihr mich verhindert, dies verhaßte Leben noch einige Stunden fortzuschleppen; aber warnen will ich Euch: geht nicht zu Pepe Mamiani, denn die Teufel fühlen menschlicher als sein schwarzes und verruchtes Herz!«

Kapitän Grimaldi – denn der kühne Grieche war der Fremde – fühlte teils Teilnahme für die düstere Verzweiflung des jungen Mannes, teils eröffnete der bittere Haß, der sich in den Worten desselben gegen den Banditenhäuptling zeigte, die Aussicht, einen Bundesgenossen bei seinem verwegenen Unternehmen zu gewinnen und wenigstens sichere Kunde von ihm über den Stand der Dinge und die Möglichkeit einer Flucht einzuziehen. Er redete deshalb freundlich mit ihm und fragte ihn, wie er zu dem Lager der Bande gelangen könne.

»Ich darf Euch, trotz der Losung, nicht vorüber lassen, Fremder,« sagte finster der Bandit, »da Ihr mir unbekannt seid. Wartet hier! Ich glaube, es wird nur kurze Zeit vergehen, bis man kommt, nachzuschauen, ob ich diesen Posten verlassen habe. Sie sollen sehen, daß ich meinen Eid zu halten verstehe und Nicolo Zaccha Furcht nicht kennt!«

Der Kapitän ließ sich auf dem Felsstück neben dem Räuber nieder. Seinen freundlichen Worten gelang es endlich, die starre Schranke um das Herz des Mannes zu lösen, das sich nach einer Mitteilung seiner Leiden sehnte und jetzt im ausbrechenden Schmerz überflutete. Mit erregten Worten schilderte Nicolo dem Fremden seine rasch entstandene Liebe zu dem Mädchen der Villa Sorrenti, den Überfall und den schändlichen Mißbrauch, den der Hauptmann von seiner Macht gemacht hatte. Jedes seiner Worte atmete den tiefsten Haß gegen den Tyrannen und den glühenden Wunsch, sich zu rächen.

»Und die Unglückliche? – Was ist mir ihr geschehen? Ist es Dir gelungen, sie vor weiterer Schmach zu retten?«

»Ich habe sie befreit,« sagte der Bandit mit dumpfem Ton, das Gesicht abwendend. »Fragt mich nicht mehr. Fremder, Ihr werdet das weitere auf dem Vittore vernehmen.«

Der Kapitän nahm seine Hand. »Höre mich an, junger Mann,« sagte er ernst. »Du hast mir Dein Vertrauen geschenkt, so will ich Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich komme nicht, um Sicherheit bei Mamiani zu suchen, sondern um ihm die Beute zu entreißen, eben die Dame, die durch Deine Hilfe aus der Villa Sorrenti geraubt worden.«

Der Bandit schaute ihn verwundert an. »Aber sprecht – wer seid Ihr?«

»Kein Spion, kein Sbirre, sondern ein Ausgestoßener wie Du – ich wiederhole es. Aber ich liebe jene Dame, wie Du Maritana geliebt hast, und will sie retten aus den Händen dieses Schurken oder mein Leben lassen dabei. Willst Du mir helfen. Dich auf würdige Weise an Pepe Mamiani rächen und Deine Schuld an dem Weiberraube gut machen?«

Nicolo Zaccha hob das Kreuz von Loretto in die Höhe. »So wahr die heilige Jungfrau für meine Sünden bitten möge, so wahr ich an die Dreieinigkeit und die Heiligen glaube – ich will Euch beistehen mit dem letzten Blutstropfen meines Herzens! Aber still! ich höre Schritte – man kommt, mich zu holen! Was Ihr mir entdeckt, ist verschwiegen in dieser Brust, bis die Stunde der Rache gekommen. Hüte Dich, Pepe Mamiani!«

Er stützte sich ruhig und entschlossen auf seine Flinte und erwartete mit finstrer Stirn die Nahenden.

Die von der Höhe des Berges Herkommenden waren der deutsche Leutnant des Banditenführers, Frederigo oder Friedrich, und einer der Banditen. Der letztere sah ernst und düster aus, der erste zeigte Spuren großer Aufregung, beide waren aber offenbar verwundert, den jungen Mann ruhig auf fernem Posten zu finden.

» Veramente!« rief der Leutnant – »das hätte ich nicht gedacht! Dir wäre besser, Bursche, Du hättest das Weite gesucht, denn Pepes Wut über den Streich, den Du ihm gespielt, ist unbeschreiblich!«

»Warum sollte ich entweichen?« fragte Nicolo trotzig. »Der Hauptmann hält seinen Eid und ich den meinigen. Was ich gethan, werde ich verantworten.«

»Nun, es ist Deine Sache! Kein Mensch glaubte Dich noch hier zu finden und deshalb sollte Pietro Deinen Posten einnehmen. Tancredi hat einen verteufelten Schreck gehabt, und die ganze Bande ist in Aufregung. Aber – wen haben wir da?« rief er, als er den Kapitän bemerkte.

»Der Mann hat die Losung,« sagte Nicolo rasch, »und will den Hauptmann sprechen. Da ich ihn nicht kannte, hielt ich ihn zurück.«

»Das war gut, amico!« meinte der Leutnant – »ich sehe, Du bist ein Mann streng nach der Ordre. Es ist kein übler Bursche! Wollen Sie vielleicht bei uns eintreten, Signor?«

»Ich bin ein Freund von Danilos Petrowitsch, dem Uskoken,« sagte Grimaldi. »Er hat mir diesen Ort bezeichnet, um seine Rückkehr zu erwarten, und das Losungswort genannt, da er weiß, daß Sie mir vertrauen können.«

»Der Schmuggler ist wahrhaftig zu unvorsichtig,« brummte der Leutnant, »und wird noch unser bestes Versteck verraten. Wir haben bereits einen Fremden bei uns, den er uns zugeführt. Aber es ist des Hauptmanns Sache, darüber zu entscheiden. Also kommen Sie; und Du, Nicolo – corraggio! Pietro wird an Deiner Stelle bleiben.«

Der junge Bandit warf mit verächtlicher Miene die Flinte über die Schulter. »Ich bedarf Ihres Wunsches nicht, Signor Federigo,« sagte er. »Wer that, was ich gethan, dem ist der Zorn eines Mannes gleichgültig, und wäre es auch Pepe Mamiani.« Er ging trotzig den beiden voran, die ihm auf dem steilen, kaum sichtbaren Weg durch die Felsen folgten, während der Kapitän auf die Erkundigungen des ehemaligen Malers bemüht war, ausweichende Antworten zu geben, ohne sich dabei einer direkten Unwahrheit schuldig zu machen.

Nachdem sie eine halbe Stunde fortgestiegen, wobei der Offizier sorgfältig sich alle Windungen des Weges einzuprägen suchte, hörten sie wiederholt Schüsse. Sie näherten sich dem Felsenwall, der den Schlupfwinkel der Banditen verbarg.

» Diavolo!« sagte der Unteranführer – »der Hauptmann ist wieder bei seinem Lieblingsspiel, und ich glaube, er übt seine Hand. Nimm Dich in acht, Nicolo, daß es nicht Dir gilt!«

Der Bandit zuckte die Achseln und schob ruhig die Epheuwand auseinander, welche die, den Eingang zum Krater bildende Felsspalte schloß. »Hier herein, Signor,« sagte er, »und der Teufel segne Euren Eingang.«

An der Seite des Leutnants, hinter dem wieder voranschreitenden Banditen, betrat der Grieche den Platz.

Der Anblick, der sich den Eintretenden bot, war nach dem Vorangegangenen eigentümlich genug.

Die Banditen standen um eine Gruppe versammelt, die aus dem Hauptmann, seinem zweiten Leutnant und dem russischen Offizier bestand und sich im Pistolenschießen nach einem an den Ast eines Kastanienbaums aufgehängten alten Hut übte.

Der Hauptmann war bei dem Spiel lärmend und laut, während seine Umgebung fast durchgängig in finsterm, mißmutigen Schweigen verharrte. Das Scheibenschießen war offenbar von ihm begonnen, um die Gedanken der Menge von einem Gegenstand, der sie beschäftigt hatte, abzuleiten.

Der Eintritt der drei nahm sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden in Anspruch. Die Adern in Pepes Stirn begannen zu schwellen, als er sah, wie Nicolo Zaccha mit trotziger Miene den Platz betrat und, ohne zu zaudern, auf ihn zuschritt. Seine Finger spielten verdächtig mit dem Kolben des Pistols, das er in der Hand hielt.

» Per Dio, Bursche! Dein Mut ist nicht von gestern, daß Du es wagst, vor mir zu erscheinen!«

Nicolo sah ihm ruhig ins Auge. »Warum sollte ich nicht? Ich gehorche dem Gesetz unsrer Genossenschaft und kümmere mich um weiteres nicht. Ihr habt mich holen lassen vom Posten, Hauptmann, und hier bin ich!«

Der Häuptling schien einen Augenblick stumm vor Zorn und Überraschung, dann winkte er gebieterisch dem jungen Mann, zu folgen, und schritt, von der ganzen Schar begleitet, über den Platz weg nach einer der offenen Einhöhlungen.

Am Eingang derselben lag, von einem alten Mantel bedeckt, ein langgestreckter Gegenstand. Eine Pfütze von Blut hatte unter der verhüllenden Decke den weißen Kalkboden gefärbt.

Der Hauptmann zog den Mantel zur Seite und enthüllte das blasse Antlitz Maritanas, der unglücklichen Geliebten Nicolos. Ihre Züge waren sanft und ruhig, obschon das Haar wirr und aufgelöst um ihren Kopf hing und ein oder zwei rotblaue Flecken im Gesicht die Spuren kurz vorhergegangener Mißhandlungen zeigten.

Aus dem zerrissenen Mieder des armen Mädchens quoll der junge, feste Marmorbusen, die linke Brust zeigte dicht unter der vollen Wölbung eine breite, klaffende Wunde.

»Kennst Du dies, Nicolo Zaccha?« fragte der Hauptmann mit heiserer Stimme.

Der Bandit sah die Tote ruhig an, – keine Muskel zuckte mehr in seinem bleichen Gesicht.

»Es ist Maritana, meine schöne Sposa! Die blasse Totenfarbe steht ihr gut zu dem dunklen Haar.«

»Und weißt Du, wer das Weib getötet?«

» Gracie a Dio, Hauptmann! ich war es selbst!«

»Was kannst Du sagen zu Deiner Rechtfertigung für die verfluchte That?« schrie Mamiani, indem er drohend das Pistol hob.

Der Bandit lachte spöttisch auf. »Zu meiner Rechtfertigung? – Was habe ich mich zu rechtfertigen, wo unser Gesetz für mich ist? Es besagt, daß Euch, Pepe Mamiani, der Körper dieses Mädchens für vierundzwanzig Stunden gehört, und Ihr habt von diesem Rechte Gebrauch gemacht – oder habt Ihr nicht, Hauptmann? – dann kam durch das Glück der Würfel und durch redlichen Kauf das Recht über ihren Leib an mich, und ich hab' es geübt nach meiner Art! Jeder nach seinem Vergnügen, Hauptmann! Die nach mir kommen, mögen meine Sposa nehmen und mit ihr thun, was ihnen beliebt!«

Er stieß die Leiche mit dem Fuß in den Kreis.

So sehr diese Männer an Mord und Verbrechen auch gewöhnt waren, der gräßliche Auftritt, dem sie beiwohnten, machte ihre wilden Gesichter erbleichen und ihre Herzen beben.

»Verfluchter!« schrie der Hauptmann. »Fahr' zur Hölle dafür!«

Aber in den gehobenen Arm fiel ihm der alte Luigi.

»Halt! Hauptmann Mamiani – Nicolo ist in seinem Recht. Er kann nur für ein Vergehen gegen unser Gesetz die Strafe von Eurer Hand erleiden! Das besagt aber, daß Leib und Leben der Weiber jedem auf vierundzwanzig Stunden gehören. Es ist schrecklich, allein ich glaube – er hat recht gethan!«

»Nicolo hat wie ein Mann gehandelt! Wir dulden nicht, daß ihm Unrecht geschieht!« schrieen wilde Stimmen aus dem umgebenden Haufen.

Der Hauptmann sah einen Augenblick grimmig um sich, wie zur raschen That gegen einen der Wortführer entschlossen, aber die Mienen der Umstehenden zeigten ihm, daß er auf keinen Beistand rechnen dürfe und wenigstens für jetzt nachgeben und seinen seit dem Auftritt am Abend lodernden Haß gegen Nicolo bis zu einer günstigeren Gelegenheit unterdrücken müsse.

»Deine Kameraden haben entschieden über Dich und diesen Leichnam,« sagte er zu dem jungen Banditen – »aber hüte Dich, Nicolo Zaccha, denn mein Auge ist über Dir!«

Er wandte sich, um nach dem vorigen Platz zurückzukehren und sein Spiel fortzusetzen. »Bringt das Weib fort!« befahl er. »Wer ist dieser da? – Wie kommt der Fremde in unsere Mitte?«

Der Leutnant, der ihn hierher geführt, beeilte sich, ihm Bericht zu erstatten.

Während dessen hob Nicolo, der bei der Todesdrohung des Hauptmanns kalt und unerschüttert seinem Blick begegnet war, den blutigen Leichnam seiner Geliebten auf, und die Thränen, die jetzt erst aus seinem starren Auge auf die blutige Brust der Geliebten niederfielen, zeigten, wie tief der Schmerz unter der ehernen Decke des Männertrotzes wütete.

Zwanzig Hände streckten sich aus, ihm die blutige Last tragen zu helfen, er aber winkte alle zurück bis auf den alten Luigi und trug sie mit diesem nach dem Ausgang der Felsenrotunde, den Bergabhang hinab bis zur nächsten Stelle, wo wilder Oleander und Myrte in dem lockern Boden einer Vertiefung wucherten. Dort unter den grünen Zweigen, hoch über den Häuptern der Thalbewohner, in der sonnigen, frischen Bergluft gruben sie das Grab des Mädchens.

Mamiani betrachtete mißtrauisch den Fremden. »Sie sind ein kühner Mann,« sagte er, »daß Sie es auf das bloße Wort des Schmugglers wagten, hierher zu kommen. Es sind nicht viele, die den Ort wieder verlassen, ohne für ihre Verschwiegenheit Bürgschaft zu geben mit ihrem Leben. Wie ist Ihr Name und was die Ursache, die Sie hierher bringt?«

»Was meinen Namen betrifft, Oberst Pepe,« erwiderte der Grieche mit einer Ruhe und einem Stolz, die ihren Eindruck auf das wilde Gemüt des Banditen nicht verfehlten, »so werde ich ihn später nennen, wenn es dann noch notwendig ist. Die Bürgschaft von Danilos Petrowitsch kann Ihnen Sicherheit geben für meine Person, die ohnehin in Ihrer Gewalt ist. Der Albanese wird in wenig Stunden hier sein. Mein Kommen betrifft diesen Herrn – wenn derselbe Oberst Berger, in Diensten Seiner Majestät des Zaren Nicolaus ist, wie ich vermute.«

»Wenn Sie ein Recht haben, meinen Namen zu fordern, Signor,« sagte der Agent, »so steht er Ihnen zu Diensten. Ich bin Oberst Berger.«

Der Grieche verneigte sich höflich. »Danilos Petrowitsch gab mir Nachricht, daß Sie den Kapitän Grimaldi aus Korfu in diesen Gebirgen suchen. Ich bin sein Freund und habe das Recht, Ihnen jede Auskunft über seine Person zu geben.«

Der Russe reichte ihm eilig die Hand. »Seien Sie mir willkommen, Signor, wer Sie auch sein mögen. Ich gab bereits alle Hoffnung auf, den tapfern Kapitän zu finden, und glaubte, daß er Italien schon verlassen habe. Um so lieber ist mir die Nachricht, die Sie mir bringen. Wo kann ich ihn treffen, und wann ihn sprechen?«

»Der Kapitän,« sagte Grimaldi ausweichend, »hat Zuflucht in einem Kloster gefunden; die österreichische Polizei und das britische Gouvernement haben einen Preis auf seinen Kopf gesetzt, und er muß sich streng und sorgfältig verborgen halten. Ich bin bevollmächtigt, ihn zu vertreten, und alles zu hören, was Sie ihm mitzuteilen haben. Dies möge als Beweis dafür dienen.«

Er legte einen Brief in die Hände des Agenten.

»Es hat seine Richtigkeit – es ist ein Schreiben, das ich von Athen aus an den Kapitän nach Zante gerichtet. – Aber Sie werden angegriffen sein, mein Herr, von dem weiten Weg, und Oberst Mamiani wird gewiß die Güte haben, das Frühstück Ihretwegen zu wiederholen. Wir können dann später über unsere Geschäfte reden.«

Es war offenbar, daß der diplomatische Agent diese nicht in der Gegenwart des Banditen-Chefs verhandeln wollte.

»Wo haben Sie den Albanesen verlassen, Signor?« fragte dieser, nachdem er Befehl gegeben, Wein, Kaffee und Brot zu bringen.

»In der Gegend von Monaco.«

»Haben Sie nichts von den Österreichern und Franzosen gehört? Man sagt, daß ihre Wachtposten im Gebirge verstärkt werden sollen.«

»Sie sind es bereits, Capitano,« berichtete der Grieche. »Ihr kühner Streich gegen die Villa Sorrenti ist bereits bekannt und die ganze Grenze alarmiert. Sie werden einen schlimmen Stand haben gegen die streifenden Soldaten.«

»Bah – ich bin hier sicher auf dem Vittore. Dieser Platz ist nur wenig Leuten in der Gegend bekannt, und es giebt keinen Verräter unter ihnen. Wenn Antonio Pescare mit seinen Leuten zu mir gestoßen, kann ich den Zugang des Vittore gegen eine Division Soldaten verteidigen. Der Schurke, der allzugern auf eigene Faust plündert, müßte längst hier sein!«

»Rechnen Sie nicht auf die Hilfe Pescares,« sagte ruhig der Kapitän. »Der Mann hat gestern Abend eine Gesellschaft reisender Engländer angegriffen und ist wahrscheinlich dabei mit den österreichischen Pikets in Kampf geraten. Danilos, der sich von ihnen getrennt, sendet die Nachricht!«

»Verflucht sei Pescare! Mögen sie ihn an die nächste Fichte hängen, obschon er mein Schwager ist! Was läßt sich thun? Wir müssen nähere Nachricht von ihm oder einem unserer Freunde abwarten. Einstweilen sind wir sicher auf dem Vittore. Federigo, verdoppele die Posten auf dem Weg und stelle einen Späher an der verfallenen Kapelle am Fuße des Berges auf! Und nun, Burschen, kümmert Euch nicht um die Sbirren und die Österreicher, und fahrt fort in Eurem Spiel. – Wer ist am Schuß?«

Tancredi meldete sich. Er zielte bedächtig mit der Pistole, feuerte und streifte den Rand des Hutes.

Ein zweiter Bandit fehlte das Ziel ganz.

Der Hauptmann hatte das eigentümliche Lächeln bemerkt, das den Mund des Fremden umzog, und eifersüchtig auf den Ruf eines Schützen stieß er den nächsten an der Reihe zurück.

»Was gilt die Wette, Signor Bergero, daß ich die Mitte des Hutes treffe?«

»Fünf Imperials, Oberst Pepe!«

» Ebbene! es gilt.« – Der Bandit zielte und schoß. Ein Evviva der Bande begrüßte den Schuß, die Kugel hatte die Spitze des Hutes durchbohrt.

Mamiani steckte mit habsüchtiger Befriedigung das Gold in die Tasche, das ihm der Russe reichte. »Nun, Signor,« sagte er triumphierend zu dem Griechen, »Sie tragen da sehr schöne Pistolen im Gürtel. Hoffentlich sind Sie auch ein guter Schütze?«

»Sie haben es erraten, Capitano. Nur pflege ich mein Ziel etwas schwieriger zu wählen.«

» Cospetto oiò! Wir wollen das Citronenspiel nehmen. Bringe einer eine Frucht!«

Einer der Männer holte eine Orange und hielt sie zum Wurf bereit. Der Banditenführer hob das Pistol.

»Auf!«

Der Mann warf die Frucht in die Luft. Als sie niederfiel, schoß der Hauptmann. Im Triumph wurde die Orange von den Leuten herbeigebracht – die Kugel hatte in der That die eine Seite der Schale gestreift.

»Nun, Signor?« sagte der Schütze mit einem gewissen Hohn.

Der Grieche hatte die eine Pistole aus seinem Gürtel gezogen und das Schloß geprüft. »Wollen Sie die Frucht noch einmal werfen lassen, Signor Capitano?«

Die Orange flog in die Höhe.

Der Fremde folgte ihr mit den Augen, bis sie, auf dem Höhepunkt des Wurfs angekommen, einen Moment in der Luft zu schweben schien, dann erst hob er blitzschnell das Pistol und feuerte. Die Stücke der Orange flogen durch die Luft.

Ein allgemeines Schweigen der Banditen feierte den Erfolg. Nur der Russe klatschte in die Hände.

» Per Dio! ein guter Schuß!« sagte der Hauptmann; »ich glaubte, es gäbe nur einen Mann in Italien, der sich mit mir im Pistolenschießen messen könne!«

»Und wer ist das, Signor?«

»Sie kennen ihn ja – Ihr Freund – der ehemalige Kapitän der päpstlichen Leibgarde, derselbe, von dem Sie die Botschaft an Signor Bergero bringen. Ich dachte, Sie hätten das Kunststück von ihm gelernt?«

»Ich habe den Kapitän Grimaldi nie schießen sehen, wohl aber von seiner Geschicklichkeit gehört.«

»Er soll die Büchse eben so vortrefflich handhaben, wie die Pistole,« meinte der Russe.

»Bah – er hat viel Glück, aber ich glaube nicht, daß er, wo es gilt, seines Schusses so sicher ist wie ich. Verstehen Sie auch mit der Büchse so sicher umzugehen, wie mit dem Pistol, Signor Straniero?« Fremder.

»Ich darf mir einige Geschicklichkeit zutrauen.«

»Wohlan, wir wollen eine kleine Probe machen – um einen Einsatz, der lohnt. Was gilt die Wette, Signor?«

»Ich kann auf einen Schuß nicht rechnen, Signor Capitano,« sagte der Grieche kalt, »ehe ich nicht das Gewehr erprobt habe. Auch fürchte ich, daß der stärkere Knall der Büchsen unten in den Thälern gehört werde und den Soldaten unsern Aufenthalt verraten könnte.«

Der Banditenchef, der in der Weigerung des Fremden nur den Versuch eines Rückzuges sah und durch die Niederlage im Pistolenschießen ohnehin eifersüchtig und aufgeregt war, beharrte jedoch eigensinnig auf seinem Vorsatz. »Beunruhigen Sie sich nicht, Signor,« sagte er spöttisch, – »der Schall des Schusses wird von diesen Bergwänden aufgefangen, geht in die Höhe und ist tausend Fuß tiefer schon nicht mehr zu hören. Wir sind hier vollkommen sicher, und was das Gewehr betrifft, so wählen Sie und machen Sie einen Probeschuß.«

Mehrere der Banditen, nach der Weise solcher rohen Naturen und bei der Leidenschaft der Italiener für jedes Glücksspiel entzückt durch den Vorschlag ihres Hauptmanns und seiner Geschicklichkeit sicher, boten ihre Büchsen an.

»Wenn Sie Ihres Schusses einigermaßen gewiß sind,« sagte der Russe auf Englisch, »so geben Sie dem Schurken doch eine Lektion!«

»Ich habe wenig bei mir, Kapitän Mamiani,« sprach der Offizier, »was ich gegen Sie setzen könnte.«

»Ich halte den Einsatz für Sie,« erbot sich Oberst Berger.

»Nicht doch, Signor, – der Signor Straniero hat etwas, das ich wohl zu gewinnen wünschte. Seine Pistolen scheinen mir sehr schön und vorzüglich. Wir wollen um sie schießen, und er mag selbst den Gegenwert bestimmen.«

Der Grieche hatte von den dargereichten Gewehren die Büchse Nicolos genommen und untersuchte Schloß und Kaliber, während der Eigentümer ihm die Eigenschaften seiner Waffe pries.

Bei dem Anerbieten des Hauptmanns zuckte ein Gedanke durch seine Seele.

»Ich möchte mein Glück wagen,« sagte er mit absichtlichem Zögern. »Die Pistolen habe ich zum Geschenk erhalten und mag daher ihren Wert in Geld nicht setzen. Aber lassen Sie mich zum Andenken an unsere Begegnung, Signor Capitano, ein beliebiges Stück Ihrer Beute auswählen, das mir gefallen wird, wenn das Glück sich für mich entscheidet. Auch muß ich selbst das Ziel bestimmen können.«

Der Hauptmann sah in der letzteren Bedingung wieder nur den Wunsch, sich möglichst gut aus der Affäre zu ziehen. »Es gilt, Signor Straniero, ich nehme den Vorschlag an!«

Der Offizier trat, von Nicolo gefolgt, der ihm noch einige Winke über die Büchse gab, einige Schritte vor, um anzuschlagen.

Indem er das Gewehr hob, hörte er die flüsternde Stimme des Banditen:

»Ich habe Ihre Absicht begriffen, Excellenza. Lassen Sie ihm beim Kreuz von Spoleto schwören, es ist der einzige Eid, den diese Männer halten!«

Der Schuß fiel gegen die Felsenwand, ohne daß man wußte, nach welchem Punkte der Schütze gehalten hatte. Sein scharfes Auge versicherte ihn jedoch des Erfolges, und er kehrte sich, Gleichgültigkeit erheuchelnd, nach der Versammlung der Banditen.

»Das Gewehr scheint mir ziemlich gut,« sagte er unschlüssig, »nur verlangt es ein sehr feines Korn.«

»Nicolos Büchse ist berühmt,« erwiderte der Hauptmann. »Aber Sie haben die Wette bereits angenommen, Signor, wie diese alle es bezeugen müssen.«

»Ich bin auch gewohnt, mein Wort zu halten, Capitano,« sagte der Offizier, indem er die Pistolen aus dem Gürtel nahm und auf den Boden legte. »Ich werde mein Glück gegen Sie versuchen und, bei dem Kreuz von Spoleto! diese Pistolen sind die Ihrigen, wenn Sie den Sieg davon tragen!«

Einen Augenblick betrachtete ihn der Banditenhäuptling mißtrauisch, als er die Beteuerung hörte, aber recht gut wissend, daß die mit Gold eingelegten Pistolen einen bedeutenden Wert hatten, der jedem noch vorhandenen Beutestück der Bande an Uhren und anderen Kleinodien mindestens gleichkam, zögerte er nicht, sein Erbieten spöttisch zu wiederholen. »Bei dem Kreuz von Spoleto, Signor – obschon das Wort Pepe Mamianis hinreichen sollte – Sie haben freie Wahl unter allem, was von Beute noch im Lager ist, wenn Sie mir den Rang abgewinnen.«

Ein tiefer Atemzug hob die Brust des ungekannten Offiziers; es war, als wenn mit den Worten des Banditen eine schwere Last von ihm abgewälzt sei, und sein Auge blickte von diesem Moment an stolz und sicher.

»Hat einer von Euch, meine Freunde, eine dünne, aber feste Schnur?«

Die Banditen suchten in ihren Taschen, Nicolo aber nahm die Schnur von seinem Nacken, an der er das geweihte Amulett von Loretto trug, öffnete sie und reichte sie dem Griechen mit den Worten: »Möge sie Euch Glück bringen!«

Ein zorniger Blick des Hauptmanns belohnte den Wunsch.

Alle sahen mit großem Interesse dem Vorhaben des Offiziers zu. Er prüfte die Schnur, die von festem geteertem Hanf war, und ließ sich dann von Nicolo mehrere Büchsenkugeln reichen, von denen er die glatteste wählte. Dann zog er von seinem Finger einen einfachen, aber starken goldenen Reif und probierte die Kugel an seiner Höhlung. Sie füllte dieselbe genau aus.

»Zum Henker!« sagte der Hauptmann ungeduldig, »was sollen alle diese Schnurrpfeifereien, Signor? Wollen Sie etwa mit gefeieten Kugeln schießen? Wählen Sie das Ziel und lassen Sie uns anfangen.«

»Einen Augenblick Geduld, Signor Capitano. Ich bin eben dabei. Wird die Entfernung jener niederen Kork-Eiche dort genügen?«

»Ich sollte meinen. Sie wird achtzig bis neunzig Schritt entfernt sein und gewährt einen schönen Schuß.«

Der Grieche band jetzt den Ring an das eine Ende der Schnur fest. »Darf ich Sie bitten, mich zu begleiten?« Er ging allen voran nach der Kork-Eiche hin und blieb vor einem weit hinaus gestreckten verdorrten Seitenast derselben stehen.

»Hier ist ein Fünf-Lirestück,« sagte er, »für den, der den Baum besteigt und das zweite Ende der Schnur fest um den Ast wickelt – dort – an dieser Stelle.«

Er wies mit dem Büchsenlauf nach einer Stelle des Astes, die ganz frei von Zweigen und überhängendem Laubwerk war. Einer der Banditen befand sich bereits auf dem Baum und knüpfte die ihm zugereichte Schnur nach der Anweisung des Fremden um den Ast, so daß der Ring etwa fünf Fuß hoch vom Boden frei in der Luft hing.

»Aber was soll dies alles?«

»Wir wollen versuchen, Signor Capitano, wer von uns beiden seine Kugel in diesen Ring schießt.«

Ein allgemeines Schweigen des Erstaunens folgte diesem Vorschlag. Dann schlug der Hauptmann ein lautes Gelächter auf. »Sind Sie toll, Signor Straniero? – Ihr Ring ist auf die Entfernung von achtzig Schritt kaum zu sehen, viel weniger zu treffen!«

»Lassen Sie uns zur Sache kommen, wie Sie selbst sagten,« antwortete der Offizier ruhig, indem er, von der erstaunten Menge gefolgt, nach der Stelle zurückging, von wo er zuvor geschossen.

Der Ring, der, von keinem Luftzug bewegt, an der Schnur hing, erschien von hier aus auf dem weißen Hintergrund der Felsen bloß wie ein Punkt, und nur ein sehr scharfes Auge vermochte seine Öffnung zu erkennen.

»Es ist Tollheit, nach einem solchen Ziel zu schießen,« wiederholte Mamiani. »Wir werden beide unser Pulver verlieren und die Wette aufgeben, oder ein anderes Ziel wählen müssen.«

»Es kommt darauf an!« bemerkte der Russe, der schweigend dem Auftritt beigewohnt, aber seither den Fremden scharf beobachtet hatte.

»Signor Mamiani,« sagte der Grieche höflich, »Sie haben den Ruf des besten Schützen für sich und den ersten Schuß.«

Der Hauptmann fühlte, daß er, obgleich ihn jetzt bei dem ruhigen und sichern Benehmen seines Gegners die Herausforderung zu reuen begann, unmöglich zurücktreten konnte. Er nahm deshalb die Stelle ein, zielte mit großer Bedächtigkeit und gab dann Feuer.

Man sah, als der Pulverdampf sich verzogen, den Ring hin und her schwanken von dem Luftdruck der Kugel, die demnach dicht bei ihm vorbeigegangen sein mußte.

Ein Bravo der Banditen begrüßte den unstreitig guten Schuß.

Der Grieche hatte ruhig den Erfolg beobachtet, während er zugleich mit äußerster Sorgfalt die Büchse Nicolos selbst lud und genau das Pulver abmaß.

Dann trat er an die Stelle des Hauptmanns.

Sein Gesicht war bleich, seine Miene aber ruhig und entschlossen. Von allen Anwesenden ahnte der junge Bandit allein, welche Wichtigkeit der Erfolg für ihn hatte.

Atemlose Stille herrschte, während der Offizier im Anschlage lag. Seine Gestalt schien aus Stein gemeißelt, so regungslos stand er da.

Der Schuß knallte, und der Rauch wirbelte in die Höhe.

Ein Ausruf des Erstaunens, dann ein wildes Hohnlachen brach rings umher aus.

Der Ring war verschwunden, mit ihm die Schnur.

»Die Kugel hat die Schnur zerrissen, es ist ein Fehlschuß so gut wie der meine!« schrie der Hauptmann.

Der Offizier stand, auf die Büchse gelehnt, nach dem Schuß ruhig da, sein Gesicht war von dem Stolz des Erfolges und von innerer Freude gerötet.

»Sie irren, Signor Capitano – Sie haben verloren. Sehen Sie selbst nach.«

Zehn Männer waren nach dem Abfeuern der Büchse nach dem Ziel gesprungen. Plötzlich tönte von dort lautes Geschrei der Verwunderung.

Der Hauptmann eilte selbst nach dem Baume, während der Schütze und der russische Offizier langsam folgten.

Jetzt zeigte sich der Erfolg des Schusses.

Die Schnur war in vielen Schlingen fest um den Ast gewickelt, an ihrem Ende den Ring tragend, in dessen Öffnung die Kugel wie hineingekeilt steckte.

Der Banditenhäuptling sah mit Erstaunen den Ring an, während die Räuber dem Schützen ein Evviva! nach dem andern riefen und sich bewundernd um den Baum drängten. Dann sprang Pepe auf den Griechen zu und faßte ihn am Arm. »Sie sind der Teufel in Person, Signor, oder der Kapitän Grimaldi! Es giebt außer ihm keinen solchen Schützen in Italien.«

»Ich bin der Kapitän Grimaldi,« sagte gelassen der Offizier und verneigte sich höflich gegen den russischen Agenten. »Verzeihen Sie, mein Oberst, daß ich Sie kurze Zeit darüber in Zweifel ließ; persönliche Zwecke jedoch erforderten es. Signor Capitano, ich hoffe, Sie werden mir auch unter meinem wirklichen Namen das Verfolgen dieser Zwecke und einen kurzen Aufenthalt in Ihrem Lager nicht versagen. Ich verpflichte mich mit meinem Ehrenwort, daß, wenn ich es verlasse, nichts von dem, was ich hier sehe und höre, über meine Lippen kommen wird.«

»Seien Sie willkommen, Herr Kamerad,« schrie Pepe Mamiani entzückt und zudringlich, indem er dem ehemaligen Offizier die Hand schüttelte, ehe dieser es hindern konnte. »Es ist keine Schande, von dem besten Schützen Italiens besiegt zu werden! Werden Sie der Unsere, Kapitän, und wir wollen zusammen den Canaillen von Sbirren, Franzosen und Österreichern etwas zu thun geben, daß man von Venedig bis Reggio davon reden soll!«

»Ich bedaure, Signor,« sagte der Offizier kühl, »daß mein Schicksal mich zwingt, Italien zu verlassen. Ich hoffe, ich werde Sie nur wenige Stunden belästigen und wünsche, daß bei dem Angriff, der Ihnen, wie ich nochmals wiederhole, wahrscheinlich bevorsteht, Sie allen Gefahren glücklich entkommen mögen. Wenn es Ihnen gefällig ist, Oberst Berger, so stehe ich Ihnen, mit Erlaubnis unseres Wirtes, zu Diensten.«

»Thun Sie ganz nach Ihrem Gefallen, Kamerad,« murrte der Banditenhäuptling ziemlich verletzt. » Cospetto Diana di Baccho! Mamianis Freundschaft und Schutz soll keinem aufgedrängt werden, auch wenn seine Vorfahren zu den Krämerfürsten Venedigs zählten und im goldenen Buch einer Republik standen!«

Die stolze Antwort Grimaldis hätte vielleicht einen Streit hervorgerufen, wenn in diesem Augenblick nicht der Ruf der Wache von der Höhe des Felsenwalls die Ankunft eines Fremden angezeigt hätte. Es war ein Bauer aus der Gegend von Monaco, einer jener Helfershelfer und Spione der Banditen, die durch das ganze Landvolk verbreitet sind und deren Hilfe so oft alle Maßregeln der Regierung unnütz macht. Er trieb zwei mit Weinschläuchen und Fleisch, Früchten und Brot beladene Esel zur Verproviantierung der Bande und brachte zugleich wichtige Neuigkeiten mit herauf. Die Nachricht von der Niederlage der Abteilung Pescares und dem Brande des Turms war mit der wunderbaren Schnelligkeit des Gerüchts im Gebirge bekannt geworden. Er selbst hatte die sechs gefangenen Banditen, an die Steigbügel der Husaren gebunden, auf der Straße nach Monaco vorüber führen sehen und sich eilig aufgemacht, diese Kunde und die Nachricht von dem Aufbruch der Soldaten auf Schleichwegen nach dem Lager auf dem Vittore zu bringen. Die Nachrichten des Spions nahmen alle Aufmerksamkeit des Hauptmanns in Anspruch und wendete sie von Grimaldi und dem russischen Offizier ab. Noch immer nicht wollte er an eine wirkliche Gefahr für die Bande glauben und verließ sich auf die Heimlichkeit und oft bewährte Sicherheit ihres Schlupfwinkels. Die getroffenen Vorsichtsmaßregeln wurden daher nur dadurch verstärkt, daß die Tiere des Bauern im Lager zurückbehalten wurden und ihm aufgegeben ward, auf verborgenen Pfaden sich wieder zurück in die Nähe der Militärposten zu schleichen, um weitere Kundschaft zu erforschen.

Der Proviant wurde sogleich verteilt, und da unterdes die Mittagszeit herangekommen, loderte wieder ein mächtiges Feuer, um das Mahl zu bereiten.

Oberst Berger und Grimaldi waren die Stufen hinangestiegen, die zu dem umgebenden Wall des Kraters führten und saßen hier, von einem überhängenden Felsen gegen jede Beobachtung geschützt.

»Sie sehen, Kapitän,« sagte der russische Agent nach einer längeren Erörterung, »daß das Terrain überall sorgfältig sondiert und vorbereitet ist. Ich weiß, daß ich zu einem Manne von Ehre spreche und habe Ihnen daher offen die Absichten meines Gebieters enthüllt. Rußlands politische Zukunft, sein Welteinfluß liegen am Bosporus. Die türkische Wirtschaft kann unmöglich länger in Europa geduldet werden; sie ist krank bis in die Wurzeln, und nur das Messer des Operateurs kann diese Krankheit beseitigen. Seit vier Jahrhunderten ist die griechische Kirche, sind mehr als fünfzehn Millionen griechischer Christen von drei Millionen Türken geknechtet und auf das Abscheulichste tyrannisiert worden. Man wirft Rußland die Strafe der Knute und Sibiriens gegen seine Verbrecher vor, und läßt die eigenen Glaubensgenossen durch den Türken pfählen und martern! – Unser Herr, der Zar, ist entschlossen, dem ein Ende zu machen. Die religiösen Bedrückungen können in jedem Augenblick nach dem Traktat von Unghiar-Skelessi die Gelegenheit zum Abbruch der diplomatischen Verbindungen und zum Einrücken unserer Armee geben. In demselben Augenblick, wo das geschieht, oder besser noch vorher, muß ein Aufstand der Christen in den griechisch-türkischen Provinzen, in Albanien, Epirus, Thessalien, Macedonien und selbst in Bulgarien ausbrechen – die ganze griechische Christenheit muß energisch Befreiung von dem türkischen Joch fordern. Das giebt dem Zaren, als dem natürlichen Schutzherrn der griechischen Kirche, Veranlassung, diese Forderung vor den Mächten Europas zu vertreten und die Wiederherstellung des alten byzantinischen Kaisertums vorzuschlagen.«

»Und wer soll dessen Herrscher werden?«

»Natürlich vorerst König Otto. Die Königin ist eine energische Frau und mit dem Plan vollkommen einverstanden. Durch europäische Akte wird, da König Otto keine Leibeserben hat, Seine Kaiserliche Hoheit der Großfürst Constantin zum Erben des Thrones bestimmt werden.«

»Aber die Mächte Europas – werden sie in die Vergrößerung der Macht Rußlands willigen?«

»Das ist die Sache unserer Diplomatie. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir uns mit England leicht darüber verständigen werden. England bedarf des Überlandweges nach Indien, und die Abtretung von Kandia, Cypern und Suez wird ihm unendliche Vorteile bieten und zu seinen Stationen in Gibraltar, Malta und Korfu die letzten und wichtigsten fügen.«

Der Grieche erschrak über den selbstsüchtigen Vorschlag des Russen. »Aber die ionischen Inseln, denen schon jetzt der englische Druck unerträglich und deren Name eines freien Staates ein Hohn ist, Kandia, Cypern, die unter dem türkischen Joch verbluten, sie gehören so gut zu dem einigen Griechenland, wie Athen und Euböa, und ihr ganzes Hoffen ist auf die politische Vereinigung mit ihm gesetzt!«

»Es wird sich schwerlich anders machen lassen!« sagte gleichgültig der Russe; »der Pariser Traktat vom 5. November 1815, durch den wir das Protektorat über die sieben Inseln an England abtraten, war ein Meisterstreich Castlereaghs und allerdings ein großer Fehler von uns, aber er läßt sich gegenwärtig nicht ungeschehen machen, und wir müssen England bedeutende Vorteile gewähren, um uns seine Zustimmung und Allianz in dieser Sache zu sichern. Österreich wird sich leicht durch eine Abteilung an der Donau beruhigen lassen.«

»Aber Frankreich, Herr Oberst?«

»Frankreich kann Tunis und Algerien nehmen, wir wehren es ihm nicht. Ohnehin ist es sehr zweifelhaft, was aus der gegenwärtigen französischen Republik und ihrem Präsidenten werden wird. Sind die englischen Interessen mit den unseren verbunden, so brauchen wir nach Frankreich nicht weiter zu fragen!«

Kapitän Grimaldi war seit der Enthüllung über die selbstsüchtige russische Politik, die sein eigenes Vaterland Ionien der Unterdrückung preisgab, nachdenkend und zurückhaltender geworden.

»Und welche Rolle, Herr Oberst, bestimmen Sie demnach mir in der großen politischen Agitation zu Gunsten Rußlands?«

Der Agent sah ihn stutzend von der Seite an; indes er fühlte, daß er zu weit gegangen, um mit seinem Vertrauen zurückhalten zu können und war überdies der Überzeugung, daß dem griechischen Offizier keine anderen Aussichten blieben, als die unbedingte Hingebung an die russischen Pläne. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, Kapitän, daß ich in Montenegro bleiben werde, um die Bewegungen und die Rolle der tapferen uns gänzlich ergebenen Bergvölker zu leiten und nötigenfalls Omer Pascha einen Riegel vorzuschieben, wenn er die bereits aufgestandenen wackeren Bosniaken zu stark bedrängen sollte. Ihr Name, Ihre Familie sind in Griechenland und bei den albanesischen Stämmen gekannt und geachtet. Ich weiß, daß Sie zur Hetärie Hetärie, ein 1814 in Odessa entstandener Geheimbund, der Griechenlands Befreiung vom türkischen Joch bezweckte. D. H. gehören. Sie werden, mit reichen Mitteln versehen, das griechische Festland und den Archipel bereisen, die Verbindungen der Hetärie überall erneuern und organisieren und die verschiedenen Gegenden für den Aufstand vorbereiten. Wir haben in der griechischen Armee zwar ganz ergebene Männer, die nur darauf warten, das blauweiße Banner gegen den Halbmond zu entfalten, indes werden diese am Hofe von Athen scharf durch den englischen und französischen Einfluß beobachtet. Den letzteren vertritt namentlich Kalergis und wir dürfen selbst das Kabinett von St. James nicht eher mit den Absichten und Hilfsmitteln vertraut machen, als bis die Bombe zu springen bereit ist. Der Zar sichert Ihnen den Rang eines Obersten in der russischen Armee, und ich werde für die Zeit der Agitation jede Summe zu Ihrer Verfügung stellen. Dies Portefeuille, das die Gastfreundschaft unseres höchst ehrenwerten Wirtes, wenn er darum wüßte, wahrscheinlich stark in Versuchung führen würde, enthält zwanzigtausend Rubel in englischen Banknoten und mag für die Kosten Ihrer Ausrüstung dienen.«

Grimaldi wies mit einer höflichen Bewegung das reiche Werbegeld zurück. »Wir werden uns darüber später verständigen, mein Herr,« sagte er, »wenn ich selbst mit mir über die Aufgabe einig bin, die Sie mir anbieten. Sie werden es billig und verständig finden, wenn ich um eine kurze Bedenkzeit bitte, bevor ich meinen Entschluß ausspreche. Überdies habe ich erst eine persönliche Aufgabe hier zu lösen, deren Ausgang leicht alle unsere Verabredungen über den Haufen werfen könnte. Es ist sehr freundlich von Ihnen gewesen, um meiner Person willen sich in diese Gebirge und diese Gesellschaft zu wagen, aber ich wünschte wirklich, Sie glücklich wieder auf der Feluke Danilos oder wenigstens an der Küste zu wissen. Ehe wir nicht beide frei sind, kann ich Ihnen keine Antwort geben.«

»Sie hegen Besorgnis wegen dieses Schurken von Banditen, der sich Oberst der römischen Republik schelten läßt?« lachte der Russe. »Er wird es nicht wagen, uns ein Haar zu krümmen, denn er weiß, daß er sich im Römischen nicht halten kann, und daß ich ihn jeden Augenblick im Neapolitanischen hängen lassen könnte, wenn es mir beliebte.«

»Sie kennen die verzweifelte Leidenschaftlichkeit dieser Männer nicht, mein Herr, die nichts fürchtet in ihren Ausbrüchen. Überdies habe ich mit Pepe Mamiani mein eigenes Geschäft und muß den Tiger reizen in seinem eigenen Lager.«

»Ich glaubte so etwas zu bemerken! – Was auch Ihre Absicht sein mag, Kapitän, es kann immer nur eine Handlung der Ehre sein gegenüber diesem Schurken; bitte, zählen Sie auf mich. Doch sehen Sie – wir müssen die Fortsetzung unserer Unterredung auf eine andere Gelegenheit verschieben, denn dort unten winkt Mamiani, daß die Mahlzeit bereit sei, und ich muß gestehen, die frische Bergluft macht Appetit.«

Der Grieche hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Sagen Sie mir, Oberst Berger, warum verbindet sich Rußland nicht lieber mit Frankreich zu der großen Aufgabe, die der Kaiser sich gestellt? Eine solche Allianz würde uns Griechen weit natürlicher und lieber sein und wäre jeder englischen Einmischung gewachsen.«

»Viele meiner Landsleute sind derselben Meinung,« sagte der Russe, – »aber der Kaiser hat einmal eine Vorliebe für England und haßt alles, was Napoleon heißt. So lange Kaiser Nicolaus lebt, ist an eine Gemeinsamkeit der russischen und französischen Interessen nicht zu denken.«

»So denken Sie an mich und an meine Prophezeiung. England ist falsch bis in sein innerstes Herz und wird das Vertrauen des Kaisers, Ihres Herrn, seinen eigenen Interessen opfern. Seine Eifersucht, die alles unterjocht auf dem Erdball, wird nie die Vergrößerung Rußlands dulden, denn Rußland ist sein gefährlicher Feind in Asien! Nie wird England ohne Kampf zugeben, daß Rußland sich am Bosporus festsetzt, und sollte es sich mit Frankreich zu diesem Kampfe verbinden! Glauben Sie, der Zar rechnet falsch, und das griechische Blut wird vergebens fließen, wenn man auf englische Hilfe baut!«

Der Russe erwiderte nichts, denn viele Russen dachten ebenso, und nur die Selbsttäuschung des Kaisers und die deutsch-russische Partei am Hofe vertrauten blindlings dem englischen Kabinett. Er ging dem Kapitän voran die Stufen hinunter zu dem Platz am Feuer, wo die Anstalten zur Mahlzeit getroffen waren.

Mamiani schien den früheren drohenden Zwiespalt vergessen und ein tüchtiges Gelag im Sinn zu haben, denn einer der Weinschläuche war geöffnet und Krüge und Becher standen umher. Die Vorrichtungen der Küche waren ziemlich einfach, der große gebratene Hammelrücken neben Brot und Früchten auf einem Brett serviert, und jeder bediente sich seines Dolchmessers bei der Zerstückelung. Die Becher kreisten lebhaft und der Hauptmann verhandelte mit dem russischen Offizier über die Vorgänge in Rom, über die französische Herrschaft und den Weg, den sie nehmen wollten, um den Militärposten zu entgehen, woran alle gleiches Interesse hatten. Der Hauptmann hatte neue Kundschafter ausgesandt und beschlossen, nach deren Auskunft während der Nacht den Vittore zu verlassen und sich nach der adriatischen Küste zurückzuziehen.

Es fiel Oberst Berger auf, daß Kapitän Grimaldi unter dem Vorwande eines Unwohlseins ablehnte, an dem Mahl teil zu nehmen und sich mit einem Becher Wein begnügte, den Nicolo ihm reichte. Sein Wesen war trotz des Bestrebens, ruhig zu scheinen, aufgeregt, und er beobachtete einen Blick, den der Grieche mit dem jungen Banditen tauschte und der nach einer entfernten, durch eine hölzerne Thür geschlossenen Felsspalte zeigte, vor welcher ein Mann Wache stand.

Der Räuberchef war lärmend und brutal wie gewöhnlich und kümmerte sich wenig um die Stimmung seiner Gäste. Plötzlich schien er sich auf etwas zu besinnen, denn er forderte reines Geschirr, legte Fleisch und Früchte in die Schüssel und schenkte einen silbernen Becher voll Wein.

»Nicolo Zaccha,« sagte er zu diesem – »Du scheinst so wenig Appetit zu haben wie der Signor Capitano hier. Also nimm die Schüssel und den Wein, löse Deinen Kameraden an meiner Hochzeitskammer ab und bringe der stolzen Signora mit dem kalten Auge ihr Mahl. Sage ihr, daß Pepe Mamiani seine Siesta bei ihr halten will, und seine Geduld jetzt zu Ende ist. Du hast die beste Gelegenheit dabei,« fügte er roh hinzu, »der Dame Deine Entschuldigung zu machen, daß Du sie ihrer Cameriera beraubt hast.«

Der Bandit erheb sich aus dem Kreis seiner Kameraden mit einem finsteren Blick auf den Hauptmann, der zugleich bedeutsam nach dem Griechen hinüberschweifte, und nahm die Schüssel und den Becher. Grimaldi aber stieß wie zufällig an seinen Arm, daß er den Wein verschüttete.

»Verzeihung meiner Ungeschicklichkeit, Signor Capitano,« sagte er, indem er rasch den Becher ergriff und selbst aus dem Schlauch wieder füllte, indem er dabei den Ring, der kurz vorher die Entscheidung des Spiels herbeigeführt hatte, auf den Boden des Bechers gleiten ließ. »Möge der frische Wein der Person Mut und Glück bringen, die ihn trinkt!«

Er reichte den Becher wieder dem Banditen, der ihn forttrug, und setzte sich zu den anderen. Mamiani erzählte von der Verteidigung Roms gegen die Franzosen unter Garibaldi und seinem eigenen tapferen Bruder, dem Volkstribun. Der Gegenstand des Gesprächs riß ihn hin, und der Grieche bemühte sich, ihn durch immer neue Erinnerungen an den Gegenstand zu fesseln, so daß die Stunde der gewöhnlichen Siesta fast vorüber war und bis auf den Russen und den Kapitän alle anderen sich in den Schatten der Felsen zur Ruhe hingestreckt hatten und im Schlaf lagen, als Mamiani plötzlich aufsprang.

» Fermate, Signori!« rief er, »das Plaudern hat uns fast um die Siesta gebracht und mich alles vergessen lassen! Suchen Sie sich einen schattigen Fleck aus und lassen Sie sich nicht stören, wenn Sie ein kleines Weibergekreisch hören sollten. Der Oberst ist überdies bereits daran gewöhnt.«

Der Grieche hatte sich bald erhoben. Sein Auge funkelte drohend, ohne daß jedoch der Räuber auf ihn achtete.

»Wohin wollen Sie, Signor Capitano?«

»Sie haben Ihre Geschäfte, und ich die meinen, Signori! also leben Sie wohl, und ruhen Sie im voraus für unseren Nachtmarsch.«

Sein Gesicht war gerötet von Wein und Aufregung, als er, ohne weiter auf die beiden Offiziere zu achten, davonging und seinen Weg nach der Stelle nahm, wo Nicolo, an einen Stein gelehnt, quer vor dem Eingang des Felsengemachs lag.

»Schlafe nicht,« sagte er, indem er ihn mit dem Fuß anstieß, »und sorge dafür, daß ich nicht gestört werde, was auch geschehen mag!«

Dann öffnete er die Holzthür und verschwand.

Kapitän Grimaldi stand aufrecht; seine Hand lag an dem Kolben der Pistolen, während sein Auge dem Banditen folgte.

» Ktschortu! Wo wollen Sie hin, Freund? Was kümmert uns das Treiben des Schurken!«

»Ein Wesen schützen,« sagte der Grieche heftig, »das mir tausendmal teurer ist, als das eigene Leben. Wenn Sie ein Mann von Ehre sind, so folgen Sie mir.«



 << zurück weiter >>