Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Achtzehntes Kapitel.

Religiöse Gesetzgebung dieser Zeit

Das Kaiserreich des ersten Jahrhunderts, wie feindlich es sich auch den aus dem Orient kommenden Neuerungen gegenüber zeigte, bekämpfte sie doch nicht in dauernder Weise. Das Prinzip der Staatsreligion wurde ziemlich lau unterstützt. Unter der Republik hatte man bei verschiedenen Anlässen die fremden Kulten geächtet, besonders die des Sabazius, der Isis und des Serapis.Val. Max. I, 3; Tit. Livius, XXXIX. 8-18; Cic. De legibus II, 8; Denys d'Halic . II, 20; Dio Cass. XL, 47, XLII, 26; Tertul. Apol . 6; Adv. nationes I, 10 Es war vergeblich. Das Volk fühlte sich zu diesen Kulten unwiderstehlich hingezogen.Properz IV, 1, 17; Lucian VIII, 831; Dio Cass. XLVII, 15; Arnobius II, 73. Als man im Jahre 535 der Erbauung Roms die Zerstörung des Tempels der Isis und des Serapis verordnete, fand sich auch nicht ein Arbeiter dazu, und der Konsul war genötigt, selbst mit Beilschlägen die Pforte zu zertrümmern (Val. Maximus I, 3, 3). Es ist klar, daß der lateinische Kultus der Menge nicht mehr genügen mochte. Nicht ohne Grund wird angenommen, daß nur, um den Volksinstikten zu schmeicheln, Cäsar die Kulten der Isis und des Serapis wieder eingesetzt habe (Dio Cass. XLVII, 15).

Mit der tiefen und liberalen Intuition, die ihn charakterisiert, hat dieser große Mann einer vollständigen Gewissensfreiheit sich günstig gezeigt (Jos. XIV, 10; vgl. Cic. Pro Flacco 28). Augustus war der nationalen Religion anhänglicher (Suet. Aug. 31, 93; Dio Cass. LII, 36). Er hatte einen Widerwillen gegen die orientalischen Kulten (Suet. Aug. 93); er untersagte selbst die Verbreitung der egyptischen Ceremonien in Italien (Dio Cass. LIV, 6); aber er wollte, daß jeder Kultus, besonders der jüdische, Herr im eigenen Hause sei (Jos. Ant. XVI, 6). Er befreite die Juden von allem, was ihr religiöses Gefühl verletzen konnte, besonders von jeder bürgerlichen Thätigkeit am Sabbath (Jos. Ant. XVI, 6, 2). Einige Leute seiner Umgebung zeigten weniger Toleranz und hätten gern aus ihm zu gunsten des lateinischen Kultus einen Religionsverfolger gemacht (Dio Cass. LII, 36). Er scheint aber diesen traurigen Ratschlägen kein Gehör geschenkt zu haben. Josephus, der hier allerdings der Übertreibung verdächtig ist, bemerkt, er habe dem Tempel von Jerusalem heilige Gefäße geschenkt (Jos. B. J. V, 13, 6; vgl. Suet. Aug. 93).

Tiberius war es, der als erster das Prinzip der Staatsreligion deutlich aufstellte und gegen die jüdische und orientalische Propaganda ernste Vorkehrungen traf.Suet. Tib. 36; Tac. Ann. II, 85; Jos. Ant. XVIII, 3, 4, 5; Philo, In Flaccum § 1; Leg. ad Caium § 24; Seneca, Epist. CVIII 22. Die Behauptung Tertullians ( Apolog. 5) – die von andern Kirchenschriftstellern wiederholt wurde – über die Absicht des Tiberius, Jesus Christus unter die Götter zu versetzen, verdient keine Erörterung. Erinnert sei, daß der Kaiser auch »Großpontifex« war, daß er daher mit der Beschützung des alten römischen Kultus nur die Pflicht seines Amtes zu erfüllen schien. Caligula zog die Verordnungen des Tiberius zurück (Dio Cass. LX, 6), aber sein Wahnsinn ließ sonst nichts folgen. Claudius scheint die Politik des Augustus nachgeahmt zu haben. In Rom befestigte er den lateinischen Kultus, zeigte sich von dem Fortschritt, den die fremden Religionen machten, unangenehm berührt (Tacit. Ann. XI, 15), gebrauchte Strenge gegen die Juden (Dio Cass. LX, 6; Suet. Claud. 25; Apostelg. XVIII, 2) und verfolgte eifrig die Brüderschaften (Dio Cass. LX, 6). In Judäa dagegen zeigte er sich den Eingeborenen wohlwollend (Jos. Ant. XIX, 5, 2, XX, 6, 3; B. J. II, 12, 7). Die Gunst, welche die Agrippinen in Rom unter diesen zwei letzteren Regierungen genossen hatten, sicherte ihren Religionsgenossen einen mächtigen Schutz zu, Fälle ausgenommen, wo die römische Polizei Sicherheitsmaßregeln ergreifen mußte.

Was Nero betrifft, so beschäftigte er sich wenig mit Religion (Suet. Nero 56). Seine an den Christen verübten Scheußlichkeiten waren Akte der Wildheit und nicht gesetzliche Verfügungen (Tacit. Ann. XV, 44; Suet. Nero 16. Dies soll später entwickelt werden). Beispiele der Verfolgung seitens der römischen Gesellschaft dieser Zeit, die angeführt werden, waren mehr Ergebnisse der Autorität der Familie, als der Öffentlichkeit (Tacit. Ann. XIII, 32). Auch kam dergleichen nur in den Häusern des römischen Adels vor, der die alten Traditionen wahrte.Vgl. Dio Cassius (Xiphilin) Domit. , Schluß; Sueton, Domit. 15. Dieser Unterschied ist formell ausgedrückt in den Digesten, Buch XLVII, Tit. XXII, de Coll. et Corp. 1 und 3. Die Provinzen waren in ihren Religionsübungen völlig frei, unter der einzigen Bedingung, daß sie nicht die Kulten anderer Länder beleidigten (Cic. Pro Flacco 28). Die ProvinzialenDieser Unterschied ist angedeutet Apostelg. XVI, 20, 21. Vgl XVIII, 13. in Rom hatten dasselbe Recht, vorausgesetzt, daß sie kein öffentliches Ärgernis erregten. Die einzigen zwei Religionen, denen das Kaiserreich im ersten Jahrhundert den Krieg erklärte, das Druidentum und das Judentum, waren Festungen, in denen sich Nationalitäten verteidigten. Jedermann war überzeugt, daß das Bekenntnis des Judentums die Verachtung der bürgerlichen Gesetze und die Gleichgültigkeit gegen das Staatswohl umfasse (Cic. Pro Flacco 28; Juv. XIV, 100 etc.; Tacit. Hist. V, 4, 5: Plin. Epist. X, 97; Dio Cass. LII, 36). Wo das Judentum nichts weiter als eine einfache Religion sein wollte, wurde es nicht verfolgt (Jos. B. J. VII, 5, 2). Die Strenge gegen den Kultus des Serapis kam vielleicht von dessen monotheistischem Charakter her, wodurch er bereits mit dem jüdischen und mit dem christlichen Kultus verwechselt wurde (Älius Aristides, Pro Serapide 53; Julian, Orat. IV, S. 136 der Ausgabe von Spanheim, und die von M. Leblant gesammelten gravierten Steine in Bulletin de 1a Soc. des Anutiqu. de Fr. 1859, S. 191-195. – Tacit. Ann. II, 85; Suet. Tib. 36; Jos. Ant. XVIII, 3, 4, 5; Brief Hadrians in Bopiscus, Vita Saturnini 8).

Kein festes Gesetz untersagte daher zur Zeit der Apostel das Bekenntnis der monotheistischen Religionen (Dio Cass. XXXVII, 17). Diese Religionen werden zwar bis zur Erhebung der syrischen Kaiser stets überwacht, aber erst von Trajan an werden sie vom Reich systematisch verfolgt, als Feinde der andern, als unduldsam, als eine Verneinung des Staates in sich schließend. Kurz, das Einzige, dem in Religionssachen das römische Reich den Krieg erklärte, war die Theokratie. Das Prinzip des Reiches war das eines Laienstaates; es gestattete nicht, daß eine Religion irgend welche politische oder bürgerliche Konsequenzen mit sich führe; es gestattete überhaupt keine Verbindung im Staat, die außerhalb desselben stehen wollte. Dieser letztere Punkt ist wesentlich; er ist die eigentliche Wurzel aller Verfolgung. Das Gesetz über die Brüderschaften und minder religiöse Intoleranz war die verhängnisvolle Ursache der Gewaltthaten, welche selbst die Regierung der besten Kaiser entehrten.

Die griechischen Länder waren mit den Verbindungen, wie mit allen guten und angenehmen Sachen, den Römern voraus. Die griechischen »Eranen« und »Thiasen« zu Athen, Rhodus, auf den Inseln des Archipels waren schöne Vereinigungen zur gegenseitigen Hilfe, Kreditgewährung, Feuerversicherung, Wohlthätigkeit und rechtschaffene Vergnügungen.S. die Inschriften, die veröffentlicht oder verbessert wurden in: Revue arch. Nov. 1864, S. 397 etc., Dez. 1864, S. 460 etc., Juni 1865, S. 451, 452, 497 etc., Sept. 1865, S. 214 etc., April 1866; Roß, Inscr. graec. ined. Heft II, Nr. 282, 291, 292; Hamilton, Reasearches in Asia Minor II, Nr. 301; Corp. inscr. graec. Nr. 120, 126, 2525 b, 2562; Rhangabé, Antiq. hellén. Nr. 811; Henzen Nr. 6082; Virgil, Ecl. V, 30; vgl. Harpokration, Lex. , Wort griechisch eranistês;Festus, Wort Thiasitas ; Digesten XLVII, 22, de Coll. et Corp. 4; Plin. Epist. X, 93, 94. Jede Erane hatte ihre in Stein gegrabenen Satzungen, ihre Archive, ihre durch Schenkungen und Beiträge unterstützte gemeinschaftliche Kasse. Die Eranisten oder Thiasisten feierten vereint gewisse Feste, versammelten sich zu Festmahlen, wo die größte Herzlichkeit herrschte (Arist. Nor. ad Nicom. VIII, 9, 5; Plut. Quest. graec. 44). In Geldverlegenheit konnte der Gesellschafter eine rückzahlbare Anleihe machen. Die Frauen beteiligten sich an diesen Eranen; sie hatten ihre eigene Präsidentin (Proeranistria). Die Versammlungen waren absolut geheim; ein strenges Reglement hielt hier die Ordnung aufrecht. Wie es scheint, fanden sie in geschlossenen, von Säulenreihen oder kleinen Baulichkeiten umgebenen Gärten statt, in deren Mitte sich der Opferaltar erhob.Wescher in » Archives des missions scientif. « II, Serie II, 432 und Rev. arch. Sept. 1865, S. 221, 222. Vgl. Aristot. Oeconom. II, 3; Strabo IX, 1, 15; Corp. inscr. gr. Nr. 2271, Zeile 13, 14. Schließlich hatte jede Vereinigung eine Körperschaft von Würdenträgern, die nach dem altgriechischen demokratischen Brauch für die Dauer eines Jahres ausgelost wurden (Kleroten, griechisch Klerotoí), woher auch der christliche »Klerus« seinen Namen haben dürfte.griechisch Kleros. Die kirchliche Etymologie dieses Wortes ist verschieden und enthält eine Anspielung auf die Stellung des Stammes Levi in Israel. Es ist jedoch nicht unmöglich, daß das Wort ursprünglich den griechischen Brüderschaften (vgl. Apostelg. I, 25, 26; 1. Petri V, 3; Clem. v. Alex. in Euseb. H. E. III, 23) entnommen wurde. Wescher fand unter den Würdenträgern dieser Brüderschaften einen ἐπίσκοπος ( Revue arch. April 1866). S. oben Seite 107. Die Versammlung nannte sich zuweilen συναγωγή ( Revue arch. Septbr. 1865, S. 216; Pollux IX, 8,143).

Einzig nur der Präsident wurde gewählt. Die Beamten unterwarfen den zur Aufnahme sich Meldenden einer Art Prüfung, wonach sie ihm bescheinigten, daß er »heilig, fromm und gut« sei ( Corp. inscr. gr. Nr. 126. Vgl. Revue arch. Sept. 1865, S. 216). Während der zwei bis drei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung gab es in diesen kleinen Brüderschaften eine fast so mannigfaltige Bewegung wie die, welche im Mittelalter so viel religiöse Orden und Unterabteilungen dieser Orden hervorgerufen haben. Auf der Insel Rhodus allein zählte man deren bis neunzehn (Wescher, Rev. arch. Dez. 1864, S. 460 etc.), von denen viele die Namen ihrer Gründer oder ihrer Erneuerer trugen. Einige dieser Thiasen, hauptsächlich die des Bacchus (s. S. 279), hatten erhabene Lehrsätze und versuchten den gutgesinnten Menschen einigen Trost zu geben. Wenn in der griechischen Welt noch etwas Liebe, Frömmigkeit, religiöse Sittlichkeit übrig blieb, so war es Dank der Freiheit solcher Privatkulten. Sie machten gewissermaßen der offiziellen Religion Konkurrenz, deren Vernachlässigung mit jedem Tag fühlbarer wurde.

In Rom fanden derartige Verbindungen größere Schwierigkeiten,Die griechischen Brüderschaften waren nicht völlig ausgenommen. Inschriften in » Revue arch. « Dez. 1864, S. 462 etc. aber desto beliebter waren sie in der Klasse der Enterbten. Das Prinzip der römischen Verwaltung gegenüber den Brüderschaften war zum erstenmale unter der Republik (186 v. Chr.) gelegentlich der Bacchanalien promulgiert worden. Die Römer hatten eine angeborene Neigung für Verbindungen (Digesten XLVII, 12, de Coll. et Corp. 4), besonders für religiöse Verbindungen (Tit. Liv. XXIX, 10 etc.; Orelli und Henzen, Inscr. lat. V, § 21). Aber diese Art permanente Vereinigungen mißfielen den Patriziern (Dio Cass. LII, 36, LX, 6), den Hütern der öffentlichen Macht, die in ihrer trockenen und beschränkten Auffassung des Lebens nur die Familie und den Staat als sociale Gruppen zulassen wollten. Die genauesten Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen: die Notwendigkeit einer vorgängigen Bewilligung, die Beschränkung der Zahl der Beisitzer, das Verbot, einen permanenten magister sacrorum zu halten und mittelst Subskription einen gemeinschaftlichen Fond zu bilden (Tit. Liv. XXXIX, 8-18. Vgl. das epigraphische Dekret in Corp. inscr. lat. I, 43, 44. Vgl. Cic. De legib. II, 8). Dieselbe Ängstlichkeit offenbarte sich bei verschiedenen Anlässen in der Geschichte des Reiches. Das Arsenal der Gesetzgebung enthielt Waffen für alle Unterdrückungen.Cic. pro Sext. 25: In Pis. 4; Asconius, In Cornelianam 75 (Ausg. Orelli); In Pisonianam S. 7, 8; Dio Cass. XXXVIII, 13,14; Digesten III, 4; Quod cujusc. I; XLVII, 22; de Coll. et Corp. ganz Es hing nur von der Regierungsgewalt ab, ob sie sie benutzen wollte oder nicht. Die geächteten Kulten erschienen oft schon wenige Jahre nach ihrer Ächtung wieder.Sueton, Domit. 1; Dio Cass. XLVII, 15, LX, 6, LXVI, 24; früher citierte Stellen von Tertullian und Arnobius. Übrigens erneuerte die Einwanderung Fremder, besonders Syrier, unaufhörlich die Fonds, aus denen die Bekenntnisse, die man vergeblich auszumerzen strebte, stets neue Nahrung schöpften.

Man muß erstaunt sein, zu sehen, in welchem Grade ein dem Anscheine nach untergeordneter Gegenstand die tüchtigsten Köpfe beschäftigte. Eine der Hauptaufgaben Cäsars und Augustus war, die Bildung neuer Genossenschaften zu verhindern und die bereits bestehenden zu vernichten.Suet. Caesar 42, Aug. 32; Jos. Ant. XIV, 10, 8; Dio Cass. LII, 36. Ein wie es scheint unter Augustus erlassenes Dekret versuchte mit großer Deutlichkeit die Grenzen des Rechts der Versammlung und Verbindung festzustellen. Diese Grenzen waren äußerst beschränkt. Die »Kollegien« sollten einzig nur dem Begräbniswesen dienen. Es war ihnen nicht gestattet, sich mehr als einmal im Monat zu versammeln. Sie durften sich nur mit der Bestattung verstorbener Mitglieder beschäftigen. Unter gar keinem Vorwand konnten sie ihren Wirkungskreis erweitern. (» Kaput ex S. C. P. R. Quibus coïre, convenire, collegiumque habere liceat. Qui stipem menstruam conferre volent in funera, ii in collegium coeant, neque sub specie ejus collegi nisi semel in mense coeant conferendi causa unde defuncti sepeliantur. « Inschrift von Lanuvium, Reihe 1, Zeile 10-13 in Mommsen, De collegiis et sodaliciis Romanorum (Kiel 1843) S. 81, 82 und Schluß. Vgl. Digesten XLVII, 22, de Coll. et Corp. 1; Tertull. Apol. 39.) Das Kaiserreich beharrte auf dem Unmöglichen. Es wollte zufolge seiner übertriebenen Ansicht vom Staat das Individuum isolieren, das moralische Band zwischen Menschen zerreißen, ein berechtigtes Verlangen der Armen, sich in einem kleinen Raum aneinander zu drängen, um sich zu wärmen, bekämpfen. Im alten Griechenland war der Magistrat sehr tyrannisch; aber er gab als Ersatz für diese Belästigungen so viel Vergnügen, so viel Licht, so viel Ruhm, daß niemand sich beklagen mochte. Man starb freudig für die Heimat; man unterwarf sich ohne Empörung seinen ungerechten Launen. Das römische Reich aber war zu groß, um ein Vaterland zu sein. Es bot allen große materielle Vorteile, es bot ihnen aber nichts zur Liebe. Die unerträgliche Öde, die mit einem solchen Leben verbunden war, schien ärger als der Tod zu sein.

Trotz aller Bemühungen der Staatsmänner aber entwickelten sich die Brüderschaften ganz gewaltig. Es war etwas Ähnliches wie unsere Brüderschaften im Mittelalter, mit ihren Schutzpatronen und ihren gemeinschaftlichen Mahlzeiten. Die Familien der Großen hatten die Sorge für ihren Namen, ihr Vaterland, für die Tradition; aber die Niedrigen, die Kleinen hatten nur das »Kollegium«. Auf dieses vereinigte sich ihre ganze Zuneigung. Alle Schriften zeigen uns, daß diese collegia oder coetus aus Sklaven, Veteranen und kleinen Leuten ( tenuiores ) bestanden.Inschrift von Lanuvium, 2. Reihe, Zeile 3, 7; Digesten XLVII, 22, de Coll. et Corp. 3. – Digesten XLVII, 11, de Etxr. crim. V, 2. – Ebend. 22, de Coll. et Corp. 1 und 3.. Hier herrschte Gleichheit zwischen Freien, Freigelassenen und Dienenden (Heuzey, Mission en Macéd. S. 71 etc.; Orelli, lnscr. Nr. 4093). Hier befanden sich zahlreiche Frauen (Orelli 2409; Melchiorri und P. Visconti, Silloge d'iscrezione antich. S. 6). Auf die Gefahr hin, tausend Widerwärtigkeiten ausgesetzt zu sein, manchmal sogar den strengsten Strafen, strebte man darnach, Mitglied eines dieser Kollegia zu werden, wo man in der angenehmsten Verbrüderung lebte, wo man gegenseitige Hilfe fand, wo man Bande knüpfte, die über den Tod hinaus währten.S. die auf die Kollegien des Äsculap und der Hygiea, des Jupiter Cernenus, der Diana und des Antonous bezüglichen Stellen in Mommsen, op. cit. S. 93 etc. Vgl. Orelli, Inscr. lat. Nr. 1710 etc., 2394, 2395, 2413, 4075, 4079, 4107, 4207, 4938, 5044. Mommsen op. cit. S. 96, 113, 114; de Rossi, Bullet. di arch. crist. 2. Jahrg., Nr. 8. Der Versammlungsort, schola collegii hatte gewöhnlich ein Tetrastylon (viersäuligen Porticus), wo die Satzungen des Kollegiums angeschlagen waren;Inschr. von Lanuvium, R. 1., Z. 6, 7; Orelli 2270; de Rossi, wie oben. daneben ein Altar des Schutzgottes und ein Triklinium für die Mahlzeiten. Diese wurden in der That mit Ungeduld erwartet; sie fanden an Patronalfesten statt oder an den Jahrestagen gewisser Genossen, die Stiftungen errichtet hatten (Inschr. von Lanuvium, 2. Reihe, Zeile 11 – 13; Orelli 4420). Jeder brachte hiezu seinen Anteil; einer der Mitbrüder lieferte das Zubehör: Sitze, Tafelgeräte, Brot, Wein, Sardinen, warmes Wasser.Inschr. von Lanuvium, R. 1, Z. 3 – 9, 21, R. 2, Z. 7 –17; Mommsen, Inscr. regni Neap. 2559; Marini, Atti S. 398; Muratori, 491, 7; Mommsen, De Coll. et sod. S. 109 – 113. Vgl. 1. Kor. XI, 20 etc. Der Vorsteher der christlichen Gemeinde wurde von den Heiden ϑιασάρχης genannt. Lucian, Peregrinus 11. Ein Sklave, der freigelassen wurde, schuldete seinen Genossen eine Amphore guten Weins (Inschr. von Lanuvium, 2. R., Z. 7). Eine sanfte Fröhlichkeit beseelte das Fest; es war eine ausdrückliche Bestimmung, daß hierbei keine auf das Kollegium sich beziehende Angelegenheit besprochen werden durfte, daß nichts das Stündchen der Freude und Ruhe störe, das diese armen Leute sich gönnten (Inschr. von Lavinium, R. 2, Z. 24 – 25). Jeder Lärm und jedes unangenehme Wort wurde mit einer Geldbuße belegt (ebend. R. 2, Z. 26 – 29; Corp. inscr. gr. Nr. 126).

Nach dem Äußeren zu urteilen, waren die Kollegien nur Begräbnisgesellschaften.Orelli, Inscr. lat. Nr. 2399, 2400, 2405, 4093, 4103; Mommsen, De coll. et sod. Rom. S. 79; Heuzey, in der angeführten Stelle. Vgl. noch heute die kleinen Kirchhöfe der Brüderschaften in Rom. Aber auch nur das hätte schon genügt, um ihnen einen sittlichen Charakter zu geben. Zur römischen Zeit, wie auch heute und zu allen Zeiten, in denen die Religion geschwächt ist, war die Pietät für die Gräber fast das Einzige, was das Volk bewahrte. Man verweilte gern bei dem Gedanken, daß man nicht in die entsetzlichen gemeinschaftlichen Gruben geworfen werde (Horaz, Sat. I, VIII, 8 etc.), daß die Kollegien für das Begräbnis Sorge tragen werden, daß die Mitbrüder, die zu Fuß zu dem Scheiterhaufen kommen werden, eine kleine Ehrengabe von etwa fünfzehn Pfennigen erhalten werden ( Funeraticium. Inschr. von Lanuvium, R. 1, Z. 24, 25, 32). Besonders die Sklaven hatten das Bedürfnis, zu glauben, daß, wenn ihr Herr ihren Leichnam auf den Anger werfen lassen werde, einige Freunde kommen würden, um ihnen eine »imaginäre Leichenbestattung« zu veranstalten (Inschr. v. Lanuv., R. 2, Z. 3 – 5). Der Arme legte monatlich fünf Pfennig in den gemeinschaftlichen Opferstock, um nach seinem Tode eine kleine Urne mit einer Marmorplatte darauf, auf der sein Name stehe, im Columbarium zu haben. Die Grabstätte hatte bei den Römern, da sie mit den sacra gentilitia eng verbunden war – den religiösen Familienbräuchen – eine besondere Wichtigkeit. Die vereint begrabenen Personen bildeten eine Art inniger und verwandtschaftlicher Brüderschaft.Cicero, De offic. 1, 17; Schol. Bobb. ad cic., Pro Archia X, 1; vgl. Plutarch, De frat. amore 7; Digesten XLVII, 22, de Coll. et Corp. 4. In einer Inschrift von Rom setzt der Gründer einer Begräbnisstelle fest, daß alle, die dort beigesetzt werden, seiner Religion angehören müssen, ad religionem pertinentes meam (Rossi, Bulletino di arch. crist. Jahrg. III, Nr. 7, S. 54.

Das ist es, warum das Christentum in Rom sich lange Zeit als eine Art Begräbniskollegium darstellte und warum die ersten christlichen Heiligtümer die Gräber der Märtyrer waren (Tertull. Ad Scapulam 3; Rossi, Bulletino , Jahrg. III, Nr. 12). Wäre das Christentum nichts als das gewesen, so hätte es nicht diese Strenge hervorgerufen. Aber es war noch etwas anderes; es hatte gemeinschaftliche Kassen (Justin, Apol. I, 67; Tertull. Apolog. 39), es rühmte sich, eine vollständige Stadt zu sein; es glaubte sich der Zukunft versichert zu haben. Wenn man Samstag Abend das Innere einer griechischen Kirche in der Türkei betritt, z. B. die St. Photiniuskirche in Smyrna, so wird man überrascht von der Macht solcher Komitee-Religionen inmitten einer verfolgungssüchtigen oder übelwollenden Gesellschaft. Diese unregelmäßige Bautenanhäufung – Kirche, Presbyterium, Schulen, Gefängnis – diese in ihrer kleinen geschlossenen Stadt kommenden und gehenden Gläubigen, diese frischgeöffneten Gräber, auf denen brennende Lampen sich befinden, dieser Leichengeruch, diese dumpfe Feuchtigkeit, dieses Gebetmurmeln, Almosenflehen – sie alle bilden eine weiche und warme Atmosphäre, welche der Fremde im ersten Moment ziemlich unerträglich finden mag, die aber für den Vertrauten etwas recht Angenehmes hat.

Einmal von der Behörde zugelassen, hatten diese Gesellschaften in Rom alle Rechte bürgerlicher Personen. Ulpian, Fragm. XXII, 6; Digest. III, 4; quod cujusc. 1; XLVI, 1, de fid. et Mand. 22; XLVII, 2, de Furtis 31; XLVII, 22, de Coll. et Corp. 1, 3; Gruter 322, 3, 4, 424, 12; Orelli 4080; Marini, Atti 95; Muratori 516, 1; Mém. de la Soc. des Ant. de Fr. XX, 78. Aber diese Autorisation wurde nur mit unendlich vielen Vorbehalten erteilt, sobald die Gesellschaft eine Kasse führte, und wenn es sich um andre Dinge als das Begraben handelte. Digesten LXVII, 22, de Coll. et Corp. ganz; Inschr. von Lanuv. I, 10-13; Marini, Atti 552; Muratori 520, 3; Orelli 4075, 4115, 1567, 2797, 3140, 3913; Henzen 6633, 6645; Mommsen, op. cit. 80. Der Vorwand der Religion oder gemeinschaftlicher Erfüllung von Gelübden war vom Gesetz vorgesehen worden und unter den Umständen angeführt, die einer Verbindung den verbrecherischen Charakter gaben (Digesten XLVII, 11, de Extr. crim. 2); und dieses Verbrechen war nichts anderes als Hochverrat, wenigstens so weit es die Gründer der Verbindung betrifft (Digesten XLVII, 22, de Coll. et Corp. 2; XLVIII, 4, ad Leg. Jul. majest. 1). Claudius ging gar so weit, die Wirtshäuser zu schließen, wo die Verbrüderten sich versammelten, und die kleinen Gasthäuser zu verbieten, wo die armen Leute für ein Geringes warmes Wasser und gesottenes Fleisch erhielten (Dio Cass. LX, 6; vgl. Sueton, Nero 16). Trajan und die besseren Kaiser sahen auf alle Verbindungen mit Mißtrauen (s. den administrativen Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan, Plin. Epist. X, 43, 93, 94, 97, 98). Die völligste Demut war eine wesentliche Bedingung für Leute, welchen das Recht zu religiösen Verbindungen gewährt werden sollte; und selbst dann noch war die Bewilligung von vielen Bedingungen abhängig. »Permittitur tenuioribus stipem menstruam conferre, dum tamen semel in mense coeant, ne sub pretextu hujusmodi illicitum collegium coeant« (Dig. XLVII, 22, de Coll. et Corp. 1). »Servos quoque licet in collegio tenuiorum recipi volentibus dominis« (ibid. 3). Vgl. Plinius, Epist. X, 94; Tertull. Apol. 39.

oder kindischen Maßregeln einzuschränken versuchten. Die Gesetzgeber, welche das römische Recht geschaffen haben, so vorzügliche Juristen sie auch waren, gaben einen Beweis ihrer Unkenntnis der menschlichen Natur, indem sie ein ewiges Bedürfnis der Seele in jeder Weise verfolgten, selbst mit der Todesstrafe bedrohten und es durch alle möglichen gehässigenDigesten, I, 12, de Off. praef. urbi 1, § 14 (s. Mommsen, op. cit. 127); III, 4, Quod cujusc. 1; XLVII, 20, de Coll. et Corp. 3. Bemerkt sei, daß der treffliche Mark Aurel das Recht der Verbindungen, so weit er es konnte, erweiterte. Digest. XXXIV, 5, de Rebus dubiis, 20; XL, 3, de Manumissionibus 1, und selbst XLVII, 22, de Col. et Corp. I. Wie der Verfasser des französischen »Code civil« betrachteten sie das Leben mit einer tötlichen Kälte. Wenn das Leben darin bestände, sich auf höheren Befehl zu belustigen, sein Brot zu essen, seine Vergnügungen und seinen Rang unter den Augen des Vorgesetzten zu genießen, so wäre dies alles sehr begreiflich. Aber die Strafe für die Gesellschaft, welche sich in diese falsche und beschränkte Richtung verliert, ist anfangs die Langweile und dann der gewaltsame Sieg der religiösen Parteien. Niemals wird der Mensch in dieser eisigen Luft atmen können; er braucht den kleinen Kreis, die Brüderschaft, wo man gemeinschaftlich lebt und stirbt. Unsere großen abstrakten Gesellschaften können nicht allen geselligen Instinkten genügen, die der Mensch fühlt. Laßt sein Herz an etwas hängen, seinen Trost suchen, wo er ihn findet, sich Brüder schaffen, die Bande des Herzens verknüpfen! Laßt die kalte Hand des Staates nicht in dieses Seelenreich eingreifen, welches das Reich der Freiheit ist! Das Leben, die Freude werden in der Welt nicht wieder erstehen, ehe unser Mißtrauen gegen die Kollegia, ein trauriges Erbteil des römischen Rechts, verschwunden ist. Die Verbindung außerhalb des Staates, ohne denselben zu schädigen, das ist die Hauptfrage der Zukunft. Das künftige Vereinsgesetz soll entscheiden, ob die moderne Gesellschaft dasselbe Schicksal haben wird wie die alte. Ein Beispiel möge genügen: Das römische Reich hatte sein Geschick mit dem Gesetze über die coetus illiciti und illicita collegia verbunden. Das Werk menschlichen Bewußtseins erfüllend, zerbrachen die Christen und die Barbaren dieses Gesetz, und das Reich, das sich daran geklammert hatte, ging damit unter.

Die griechische und römische Welt, eine Laienwelt, eine profane Welt, die nicht wußte, was ein Priester ist, die weder ein göttliches Gebot noch ein geoffenbartes Buch hatte, berührte hiermit ein Problem, das sie nicht lösen konnte. Fügen wir hinzu: wenn sie Priester, eine strenge Theologie, eine stark entwickelte Religion gehabt hätte, so hätte sie nicht einen Laienstaat geschaffen, nicht das Prinzip einer rationellen Gesellschaft eingeführt, einer Gesellschaft, die auf die einfachen menschlichen Bedürfnisse und auf die natürlichen Beziehungen der Individuen begründet ist. Die religiöse Inferiorität der Griechen und Römer war die Folge ihrer politischen und intellektuellen Superiorität. Die religiöse Superiorität des jüdischen Volkes dagegen war die Ursache seiner politischen und philosophischen Inferiorität. Das Judentum und das ursprüngliche Christentum schlossen die Verleugnung oder vielmehr die Bevormundung des bürgerlichen Staates in sich. Wie der Mohammedanismus errichteten sie die Gesellschaft auf der Religion. Nimmt man die menschlichen Angelegenheiten von dieser Seite, so gründet man große allgemeine Bekehrungsanstalten, man hat Apostel, welche die Welt bekehrend von einem Ende zum andern durchziehen. Aber damit gründet man keine politischen Institutionen, keine nationale Unabhängigkeit, keine Dynastie, keine Gesetze, kein Volk.


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