Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Fünftes Kapitel.

Die erste Gemeinde von Jerusalem; sie ist ganz klösterlich.

Die Gewohnheit, in demselben Glauben und in demselben Erwarten zusammen zu leben, schuf notwendigerweise viele gemeinschaftliche Gewohnheiten. Sehr bald begründeten sich Regeln und gaben dieser primitiven Gemeinde eine gewisse Ähnlichkeit mit den Anstalten eines Klosterlebens, wie es das Christentum später kennen lernte. Viele der Vorschriften Jesu führten dahin; das wahre Ideal eines evangelischen Lebens ist das Kloster, nicht ein mit Gittern umschlossenes Kloster, ein Gefängnis, nach der Art des Mittelalters, mit der Absonderung der beiden Geschlechter, sondern ein Asyl inmitten in der Welt, ein für das Geistesleben abgeschiedener Raum, eine freie Verbindung, oder eine kleine, vertraute Brüderschaft, die eine Grenze um sich zieht, die Sorge abzuhalten, welche der Freiheit des Reiches Gottes schaden könnte.

Alle lebten daher gemeinschaftlich, ein Herz und eine Seele (Apostelg. II, 42-47, IV, 32-37, V, 1-11, VI, 1 etc.). Keiner besaß ein persönliches Eigentum. Indem man sich zum Jünger Jesu machte, verkaufte man seine Güter und gab den Ertrag der Gesellschaft. Die Häupter der Gemeinde verteilten dann den Besitz je nach Bedarf an die einzelnen. Sie bewohnten ein einziges Viertel (Apostelg. II, 44, 46, 47). Sie nahmen die Mahlzeiten gemeinschaftlich und verbanden damit den von Jesus vorgeschriebenen mystischen Sinn, (Apostelg. II, 46, XX, 7, 11). Lange Stunden vergingen im Gebete. Dieses wurde zuweilen laut improvisiert, gewöhnlich jedoch schweigend gedacht. Die Ekstasen waren häufig, und jeder wähnte unaufhörlich von göttlichen Inspirationen begünstigt zu sein. Die Eintracht war vollkommen, kein dogmatischer Streit, kein Zanken um den Vorrang. Das zarte Angedenken an Jesus verlöschte alle Zwistigkeiten. Eine lebhafte und innige Freude herrschte in allen Herzen.Nie hat eine Litteratur das Wort »Freude« so oft wiederholt, wie die des Neuen Testaments. S. 1. Thess. I, 6, V, 16; Röm. XIV, 17, XV, 13; Galat. V, 22; Philip. I, 25, III, 1, IV, 4; 1. Joh. I, 4 etc. Die Moral war streng, jedoch von einem zarten und sanften Gefühl durchdrungen. Man gruppierte sich den Häusern nach, um zu beten und sich den ekstatischen Übungen hinzugeben (Apostelg. XII, 12). Die Erinnerung an diese ersten zwei, drei Jahre war wie die eines irdischen Paradieses, welches das Christentum nunmehr in allen seinen Träumen verfolgen, und wohin es vergeblich zurückzukehren versuchen wird. In der That, wer erkennt nicht, daß eine derartige Organisation nur bei einer sehr kleinen Gemeinde nützlich ist! Später jedoch soll das Mönchsleben dieses ursprüngliche Ideal wieder aufnehmen, das die allgemeine Kirche kaum je zu verwirklichen beabsichtigen mag.

Sicherlich ist es möglich, daß der Verfasser der Apostelgeschichte, dem wir das Bild dieser ersten Christenheit von Jerusalem verdanken, die Farben zu stark aufgetragen hat und besonders die Gütergemeinschaft, die dort geherrscht, übertrieben hat. Der Verfasser der Apostelgeschichte ist derselbe des dritten Evangeliums, der, was das Leben Jesu betrifft, die Gewohnheit hatte, die Thatsachen nach seiner Theorie zu formen (s. »Leben Jesu«, Seite 28 ect.), und bei dem die Tendenz zu den Lehren des Ebionismus, d. h. zur absoluten Armut, oft sehr fühlbar ist.Ebionim heißt »Arme.« S. »Leben Jesu« S. 148. Nichtsdestoweniger kann der Erzählung der Apostelgeschichte hier eine gewisse Begründung nicht abgesprochen werden. Wenn auch Jesus keinen der kommunistischen Grundsätze ausgesprochen haben mag, die im dritten Evangelium zu finden sind, so ist es doch gewiß, daß das Verzichten auf die Güter dieser Welt und die bis zur Entblößung getriebene Almosenspende mit dem Geist seiner Verkündungen vollständig übereinstimmen.Man gedenke des Jahres 1000. Alle Urkunden, die mit der Formel beginnen: »Adventante mundi vespera« oder mit andern ähnlichen Ausdrücken sind Vermächtnisse an die Klöster. Der Glaube an das Ende der Welt hat stets die Verachtung der Güter dieser Welt und das gemeinschaftliche Leben hervorgebracht. Die Darstellung der Apostelgeschichte stimmt übrigens vollkommen mit dem überein, was wir von dem Ursprung anderer asketischer Religionen wissen, z. B. des Buddhaismus. Derartige Religionen beginnen stets mit einem Klosterleben. Ihre ersten Anhänger sind eine Art Bettelmönche. Der Laie erscheint hier erst später und dann erst, wenn diese Religionen ganze Gesellschaften erobert haben, wo das Mönchsleben nur als Ausnahme bestehen kann.

Wir nehmen also in der Kirchengemeinde von Jerusalem eine Periode klösterlichen Lebens an. Zwei Jahrhunderte später noch machte das Christentum auf die Heiden den Eindruck einer kommunistischen Sekte (Lucian, Tod des Peregrinus, S. 13). Man darf nicht außer acht lassen, daß die Essäer oder Therapeuten bereits das Muster dieser Lebensweise gegeben hatten, die in höchst berechtigter Weise aus dem Mosaismus hervorging. Da die mosaische Gesetzgebung wesentlich moralisch und nicht politisch war, so war ihr natürliches Produkt die soziale Utopie, die Gemeinde, die Synagoge, das Kloster, und nicht der bürgerliche Staat, die Nation, die Stadt. Egypten hatte durch Jahrhunderte unter Schloß und Riegel, im Serapeum von Memphis auf Staatskosten Männer und Frauen ernährt, wahrscheinlich damit ein mildthätiges Vermächtnis erfüllend (Papyrus von Turin, London, Paris, zusammengestellt von Brunet de Presle. Mem. sur le Sérapéum de Memphis , Paris 1852; Egger, Mem. d'hist. anc. et de philologie , S. 151 und Notices et extraits, Hodgson im »Jurnal Asiat. Soc. of Bengal.« Bd. V, S. 33 etc. Eugène Burnouf »Introd. à l'histoire du buddhisme indien« I, Seite 278 etc. Bd. XVIII, Teil 2, S. 264-359. Man beachte, daß das christliche Einsiedlerleben in Egypten entstand. Erinnert sei, daß ein derartiges Leben im Orient keineswegs das ist, was es in unserm Occident war. Im Orient kann man sich recht gut der Natur und des Daseins freuen ohne etwas zu besitzen. In diesen Landen ist der Mensch stets frei, weil er wenig Bedürfnisse hat; die Sklaverei der Arbeit ist dort unbekannt. Wir wollen zugestehen, daß der Kommunismus der ursprünglichen Kirchengemeinde nicht so streng und allgemein war, wie ihn der Verfasser der Apostelgeschichte darstellt. Gewiß ist, daß es in Jerusalem eine große Gemeinde von Armen gab, die von den Aposteln geleitet wurde und der Spenden von allen Punkten der Christenheit übersendet wurden (Apostelg. XI, 29, 30, XXIV 17; Galat. II, 10; Röm. XV, 26 etc; 1. Kor. XVI, 1-4; 2. Kor. VIII, IX). Diese Gemeinde war zweifellos verpflichtet, ziemlich strenge Regeln festzustellen, und einige Jahre später mußte man, um sie leiten zu können, sogar den Schrecken walten lassen. Entsetzliche Legenden waren im Schwang; nach diesen galt es als ein mit dem Tod zu bestrafendes Hauptverbrechen etwas zurückzubehalten, was der Gemeinde gewidmet war (Apostelg. V, 1-11).

Die Tempelhallen, besonders die Halle Salomos, welche das Thal Kidron beherrschte, war der Ort, wo sich die Jünger tagüber gewöhnlich zu versammeln pflegten (Apostelg. II, 46, V, 12). Sie fanden hier die Erinnerung an die Stunden, die Jesus daselbst verbracht hatte. Inmitten der lebhaften Thätigkeit, die um den Tempel herum herrschte, mochte man sie nur wenig beachten. Die Galerien, die einen Teil dieses Gebäudes bildeten, waren der Sitz zahlreicher Schulen und Sekten, der Schauplatz endloser Dispute. Die Getreuen Jesu mochten übrigens als Strenggläubige gelten, denn sie beobachteten noch gewissenhaft die jüdischen Bräuche, beteten zu den bestimmten Stunden (Apostelg. III, 1) und beobachteten alle Vorschriften des Gesetzes. Sie waren Juden, die sich von den anderen nur durch den Glauben, der Messias sei schon gekommen, unterschieden. Leute, die nicht mit der Sache vertraut waren (und das war der größte Teil nicht), hielten sie für eine Sekte der Hassidim oder fromme Leute. Sich mit ihnen zu verbinden, galt weder als schismatisch noch als ketzerisch (Jakobus z. B. blieb sein Lebelang ein echter Jude), ebensowenig, wie ein Schüler Spencers aufhören sollte, als Protestant zu gelten, oder einer vom Orden der Franziskaner oder des heiligen Bruno, Katholik zu sein. Das Volk liebt sie ihrer Frömmigkeit, Einfachheit, Sanftmut wegen (Apostelg. II, 47, IV, 33, V, 13, 26). Die Tempel-Großen sahen sie sicherlich nur ungern. Indes erregte diese Sekte nur wenig Aufsehen; sie war ruhig, dank ihrer Verborgenheit.

Abends kehrten die Brüder in ihre Quartiere zurück und nahmen in Gruppen geteilt das Abendmahl (Apostelg. II, 46), ein Zeichen der Brüderlichkeit und zur Erinnerung an Jesus, den sie stets in ihrer Mitte wähnten. Der Tischälteste brach das Brot, segnete den Becher (1. Kor. X, 16; Justin, Apol. I, 65-67) und ließ ihn, als Symbol der Vereinigung mit Jesus, kreisen. Die allgemeinste Handlung im Leben wurde dermaßen zur hehrsten und heiligsten. Diese Familienmahlzeiten, welche die Juden immer liebten (Συνδετπνα. Joseph, Antiq. XIV, 10, 8, 12 ), waren von Gebeten und frommer Begeisterung begleitet und von einer sanften Heiterkeit erfüllt. Man wähnte sich noch in der Zeit, wo Jesus sie durch seine Anwesenheit beseelte; man bildete sich ein ihn zu sehen, und bald hatte sich das Gerücht verbreitet, Jesus habe gesagt: »So oft ihr das Brot brechet, thut es zu meinem Gedächtnis« (Luk. XXII, 19; 1. Kor. XI, 24 etc.; Justin. loc. cit. ). Das Brot selbst wurde gewissermaßen Jesus, der von jenen, die ihn geliebt hatten und noch durch ihn lebten, als einzige Quelle aller Kraft betrachtet wurde. Diese Mahlzeiten, die stets das Hauptsymbol des Christentums und die Seele seiner Mysterien waren,Im Jahre 57 ist das Abendmahl bereits eine Einrichtung voller Mißbräuche und folglich veraltet (1. Kor. XI, 17 etc.). fanden anfangs allabendlich statt. Bald jedoch beschränkte man den Gebrauch auf Sonntag Abend. Der Ausdruck, um die Verbindung der Gläubigen zu bezeichnen, war das hebräische »Kahal«, was man mit dem wesentlich demokratischen Worte έϰϰλησία. Später wurde das mystische Mahl auf den Morgen verlegt. Es ist wahrscheinlich, daß in dem historischen Moment, von dem hier die Rede ist, die Christen den Feiertag noch am Samstag hatten (Joh. XX, 26 genügt nicht, um das Gegenteil zu beweisen. Die Ebioniten feierten stets den Sabbath. Hieronym., in Matth. XII Anf.).

Die von Jesus erwählten Apostel, von denen man annahm, sie hätten von ihm den besonderen Auftrag erhalten, das Reich Gottes zu verkünden, hatten in der kleinen Gemeinde einen unbestreitbaren Vorrang. Eine der ersten Bemühungen, nachdem die Sekte in Jerusalem sich ruhig niedergelassen hatte, galt die Lücke auszufüllen, die Judas Ischarioth in ihrem Schoße gelassen hatte (Apostelg. I, 15–26). Die Meinung, er habe seinen Meister verraten und sei die Ursache seines Todes gewesen, wurde immer allgemeiner. Die Legende trat dazu und mit jedem Tage wurde ein neuer Umstand laut, der die Niederträchtigkeit seines Thuns noch erhöhte. Er hatte sich einen Acker in der Nähe der alten Totenstadt Hakeldama, südlich von Jerusalem, gekauft und lebte dort zurückgezogen (s. »Leben Jesu«, S. 306). Die kleine Gemeinde befand sich dermaßen in einem Zustand naiver Exaltation, daß man, um ihn zu ersetzen, das Los entscheiden ließ. Bei den großen religiösen Bewegungen liebt man im allgemeinen ein solches Entscheidungsmittel, denn man nimmt grundsätzlich an, nichts geschähe zufällig, man sei der Hauptgegenstand göttlicher Aufmerksamkeit, und daß der Anteil Gottes an einer Thatsache um so größer sei, je schwächer der des Menschen ist. Man hielt nur daran fest, die Kandidaten aus der Gruppe der ältesten Jünger zu nehmen, die Zeugen der ganzen Reihe von Geschehnissen, von der Taufe des Johannes an, waren. Dies verminderte beträchtlich die Zahl der Wählbaren. Nur zwei hatten diesen Rang: Joseph Bar-Saba, der den Namen Justus führte (vgl. Euseb. H. E . III, 39; nach Papias) und Matthias. Das Los fiel auf Matthias, der von jetzt an der Zahl der Zwölf zugerechnet wurde. Indes war das nur das einzige Beispiel einer solchen Wiederbesetzuug. Die Apostel wurden fortan ein für allemal als von Jesus ernannt betrachtet, die keine Nachfolger haben konnten. Die Gefahr eines permanenten Kollegiums, das für sich das ganze Leben und die ganze Kraft der Verbindung behielt, wurde mit tiefem Instinkt für eine Zeitlang beseitigt. Die Centralisation der Kirche zu einer Oligarchie erfolgte erst viel später.

Man muß sich übrigens vor dem Mißverständnis hüten, das die Bezeichnung »Apostel« hervorrufen kann, wozu sie auch tatsächlich Anlaß zu geben nicht ermangelt hat. Schon sehr frühzeitig wurde man von einigen Stellen der Evangelien und besonders durch die Analogie des Lebens Pauli verleitet, die Apostel als Missionäre zu betrachten, die hauptsächlich umherzogen, sich gewissermaßen die Welt im Vorhinein teilten und als Eroberer alle Reiche der Welt durcheilten (Justin, Apol . I, 39, 50). Eine Reihe von Legenden bildete sich auf diese Annahme hin und drängte sich der Kirchengeschichte auf (Pseudo-Abdias etc.). Nichts ist mehr der Wahrheit entgegen (vgl. 1. Kor. XV, 10 und Röm. XV, 19). Die Körperschaft der Zwölf war gewöhnlich, etwa bis zum Jahre 60, in Jerusalem seßhaft; die Apostel verließen die heilige Stadt nur zu gelegentlichen Missionen. Daher erklärt sich das Dunkel, das über den meisten Mitgliedern des Hauptrates liegt. Sehr wenige von ihnen spielten eine Rolle. Es war eine Art heiliges Kollegium oder Senat (Gal. I, 17-19), einzig nur bestimmt, die Tradition und den erhaltenden Geist darzustellen. Endlich wurde auch beschlossen, sie von jeder wirksamen Thätigkeit zu befreien, so daß sie nur zu predigen und zu beten brauchten (Apost. VI, 4); noch war ihnen die glänzende Rolle des Verkündens nicht zuerteilt. Außerhalb Jerusalems waren ihre Namen kaum bekannt und um das Jahr 70 oder 80 stimmten die Namensverzeichnisse, die es über diese ursprünglichen zwölf Erwählten gab, nur in den Hauptnamen überein (vgl. Matth. X, 2–4; Mark. III, 16–19; Luk. VI, 14–16; Apostelg. I, 13).

Die »Brüder des Herrn« erschienen oft an der Seite der »Apostel«, obgleich sie sich von ihnen unterschieden (Apostelg. I, 14; Gal. I, 19; 1. Kor. IX, 5). Ihre Autorität war mindestens der der Apostel gleich. Diese zwei Gruppen bildeten in der werdenden Kirche eine Art Aristokratie, die einzig nur auf den mehr oder minder intimen Verkehr begründet war, den die Mitglieder mit dem Meister hatten. Das waren die Männer, die Paulus »die Säulen« (Gal. II, 9) der Kirche von Jerusalem nannte. Wir sehen übrigens, daß damals die Unterschiede der kirchlichen Hierarchie noch nicht existierten. Der Titel war nichts, die persönliche Bedeutung alles. Der Grundsatz des kirchlichen Cölibats war allerdings schon festgestellt (s. »Leben Jesu«, 18. Kap.), aber es brauchte Zeit, um alle diese Keime vollständig zu entwickeln. Petrus und Philippus waren verheiratet und hatten Söhne und Töchter (s. »Leben Jesu«, S. 128. Vgl. Papias in Euseb. H. E. III, 39; Polykrates ebend.; Clemens von Alex. Strom . III, 6; VII, 11), Ecclesia , wiedergab, d. h. die Einberufung des Volkes in den alten griechischen Städten, der Ruf zum Pnyx oder zur Agora. Vom zweiten oder dritten Jahrhundert vor Chr. an wurden die Worte der atheniensischen Demokratie in der griechischen Sprache sozusagen Gemeingut, mehrere dieser Ausdrücke gingen zufolge des Gebrauchs, den die griechischen Brüderschaften davon machten, in die christliche Sprache über (z. B. ἐπίσκοπος, vielleicht κλῆρος. Vgl. Wescher in der Revue archéol. April 1866 und unten Kap. 18). In der That nahm das seit Jahrhunderten beschränkte Volksleben seinen Lauf in ganz verschiedenen Formen wieder auf. Die ursprüngliche Kirche war in ihrer Art eine kleine Demokratie. Selbst die Wahl durch das Los, ein Mittel, das den alten Republiken so wert war, kam hier zuweilen vor (Apostelg. I, 26; s. auch Kap. XIV). Weniger streng und weniger mißtrauisch indessen, als die alten Städte, übertrug die Gemeinde freiwillig ihre Autorität auf einige; wie jede theokratische Gesellschaft, neigte sie sich dahin, ihre Macht in die Hände eines Klerus niederzulegen und es war leicht vorauszusehen, daß vor Ablauf von ein oder zwei Jahrhunderten diese ganze Demokratie in eine Oligarchie sich verwandelt haben werde.

Die Macht, die der vereinten Kirche und ihren Häuptern verliehen wurde, war gewaltig. Die Kirche übertrug jede Mission und ließ sich bei ihrer Wahl einzig nur durch die von dem heiligen Geist gegebenen Zeichen lenken (Apostelg. XIII, 1 etc.; Clem. v. Alex. in Euseb. H. E. III, 23). Ihre Macht ging selbst bis zum Fällen von Todesurteilen. Man erzählte, daß beim Vernehmen der Stimme Petrus mehrere Verurteilte rücklings gefallen und sofort verschieden (Apostelg. V, 1-11). Paulus nimmt etwas später keinen Anstand, einen der Blutschande Bezichtigten zu exkommunicieren »ihn dem Satan auszuliefern zum Verderben seines Fleisches, damit sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn« (1. Kor. V, 1 etc.). Die Exkommunikation wurde einem Todesurteil gleich erachtet. Man bezweifelte nicht, daß eine Person, die von den Aposteln oder Gemeindehäuptern aus der Gemeinschaft der Heiligen ausgestoßen und der Macht des Bösen überantwortet wurde, verloren sei (1. Tim. I, 20). Satan galt als der Urheber der Krankheiten; ihm ein verderbtes Mitglied übergeben, war daher so viel, wie dasselbe dem natürlichen Urteilsvollzieher auszuliefern. Ein vorzeitiger Tod wurde daher gewöhnlich als das Ergebnis eines dieser düstern Befehle betrachtet, womit, nach dem strengen hebräischen Ausdruck »eine Seele aus Israel ausgerottet« wurde.Gen. XVII, 14 und andere Stellen im mosaischen Gesetz; Mischna, Kerithouth I, 1; Talm. von Bab., Moëd katon 28 a. Vgl. Tertullian, De anima 57. Die Apostel wähnten, es seien ihnen übernatürliche Rechte verliehen worden. Und indem sie solche Verdammnisse fällten, dachten sie, daß ihre Flüche nicht ohne Wirkung bleiben würden.

Der fürchterliche Eindruck, den die Exkommunikationen machten, und der Haß aller Mitbrüder gegen die derart ausgeschlossenen Glieder, konnten in vielen Fällen tatsächlich den Tod herbeiführen, oder den Verurteilten wenigstens nötigen, die Heimat zu verlassen. Dieselbe fürchterliche Zweideutigkeit fand sich im alten Gesetze. Die »Ausrottung«S. in den hebr. und rabbinischen Wörterbüchern das Wort כרת Vgl. das Wort exterminare. enthielt in gleicher Weise den Tod, die Verbannung aus der Gemeinde, das Exil und ein einsames, mysteriöses Sterben, den Abtrünnigen, den Gotteslästerer töten, den Leib vernichten, um die Seele zu retten, schien ganz berechtigt zu sein. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß wir uns hier in einer Zeit der Zeloten befinden, die es als tugendhafte Handlung betrachteten, jemand, der gegen das Gesetz gefehlt hat, zu erdolchen, ferner, daß gewisse Christen Zeloten waren oder gewesen sind (Luk. VI, 15; Apostelg. I, 13; vgl. Matth. X, 4; Mark. III, 18). Erzählungen, wie die des Todes von Ananias und von Sapphira verursachten keine Skrupel (Apostelg. V, 1-11. Vgl. a. XIII, 9-11). Die Vorstellung von der weltlichen Macht war dieser außerhalb des römischen Rechts stehenden Welt so fremd; man war dermaßen überzeugt, die Gemeinde sei eine vollständige Gesellschaft für sich, sich selbst genügend, daß niemand in einem Wunder, welches den Tod oder die Verstümmlung einer Person im Gefolge hatte, ein vor dem bürgerlichen Recht sträfliches Attentat sah. Begeisterung und glühender Glaube bedeckten alles, entschuldigten alles. Die schreckliche Gefahr, die derartige theokratische Grundsätze für die Zukunft enthielten, ist leicht zu erkennen. Die Kirche wird mit einem Schwert bewaffnet, die Exkommunikation wird ein Todesurteil sein. Es soll fortan eine Macht in der Welt geben, die außerhalb des Staates stehend über das Leben der Bürger verfügt. Wenn die römischen Behörden sich darauf beschränkt hätten bei den Juden und Christen derartige verdammenswerte Grundsätze zu unterdrücken, so hätten sie sicherlich tausendmal recht gehabt. In ihrer Brutalität jedoch verwechselten sie die berechtigtste aller Freiheiten, die, in eigener Weise zu beten, mit den Mißbräuchen, die keine Gesellschaft je unbestraft ertragen konnte.

Petrus hatte unter den Aposteln einen gewissen Vorrang, der besonders auf seinen Eifer und seine Thätigkeit sich stützte.Apostelg. I, 15, II, 14, 37, V, 3, 29; Gal. I, 18, II, 8. Während dieser ersten Jahre trennte er sich kaum von Johannes, dem Sohne des Zebedäus; sie wanderten fast immer selbanderApostelg. III, 1 etc., VIII, 14; Gal. II, 9; vgl. Joh. XX, 2 etc., XXI, 20 etc. und ihre Eintracht war zweifellos ein Eckstein des neuen Glaubens. Jakobus, Bruder des Herrn, kam ihnen, wenigstens bei einem Teil der Gemeinde, an Ansehn fast gleich. Was gewisse intime Freunde Jesu betrifft, wie die galiläischen Frauen, die Familie von Bethanien, war, wie schon bemerkt wurde, von ihnen nicht mehr die Rede. Weniger bedacht zu organisieren und zu gründen, begnügten sich die treuen Genossen Jesu den auch im Tode zu lieben, den sie, als er noch lebte, geliebt hatten. In ihre Erwartung vertieft, waren die edlen Frauen, die den Glauben der Welt geschaffen hatten, den bedeutenden Männern zu Jerusalem fast unbekannt. Als sie starben, wurden die wichtigsten Züge des werdenden Christentums mit ihnen zu Grabe getragen. Nur die Bethätigung schafft den Ruhm; sie, die sich begnügt hatten, im Stillen zu lieben, blieben im Dunkel, aber sicherlich haben sie dabei den besseren Teil erworben.

Es ist unnötig zu sagen, daß diese kleine Gruppe schlichter Leute keine spekulative Theologie besaß. Jesus hatte sich weise fern von jeder Metaphysik gehalten. Er hatte nur ein Dogma: seine eigene göttliche Sohnschaft und die Göttlichkeit seiner Mission. Das ganze Symbol der ursprünglichen Kirche könnte mit einem Satze ausgedrückt werden: »Jesus ist der Messias, Sohn Gottes.« Dieser Glaube beruhte auf einem peremtorischen Argument, der Thatsache der Auferstehung, für deren Zeugen sich die Jünger hielten. Eigentlich sagte niemand (selbst die galiläischen Frauen nicht), die Auferstehung gesehen zu haben;Nach Matth. XXVIII, 1 etc. waren die Wächter Zeugen des Herabsteigens des Engels, der den Stein fortgerückt hatte. Diese höchst verfängliche Erzählung ließe auch annehmen, die Frauen seien Zeugen derselben Thatsache gewesen, aber sie sagten es nicht ausdrücklich. Immerhin wäre das, was die Frauen und die Wächter gesehen haben sollten, nicht der auferstandene Jesus, sondern der Engel gewesen. Eine solche vereinzelte, unzusammenhängende Redaktion ist sicherlich die neueste von allen. aber die Abwesenheit des Leibes und die nachfolgenden Erscheinungen schienen mit der Thatsache selbst gleichbedeutend zu sein. Die Auferstehung Jesu bezeugen, war die Aufgabe, die alle als ihre besondere Pflicht betrachteten (Luk. XXIV, 48; Apostelg. I, 22, II, 32, III, 15, IV, 33, V, 32, X, 41, XIII, 30, 31). Man bildete sich übrigens bald auch ein, der Meister habe dieses Ereignis vorausgesagt. Man erinnerte sich vieler seiner Äußerungen, die man früher nicht richtig verstanden zu haben meinte und die jetzt als eine Verkündung der Auferstehung galten (s. S. 49 Anmerk.). Der Glaube an eine künftige glorreiche Offenbarung Jesu war allgemein (s. »Leben Jesu«, Seite 304). Das geheime Losungswort, das die Genossen, um sich zu erkennen und zu stärken, einander zuriefen, war: Maran atha , »der Herr wird kommen«.1. Kor. XVI, 22. Diese zwei Worte sind syrisch-chaldäisch. Man glaubte sich einer Erklärung Jesu zu entsinnen, wonach die Verkündung nicht Zeit genug haben werde, alle Städte Israels zu erreichen, bevor der Menschensohn in seiner Majestät erscheinen werde (Matth. X, 23). In Erwartung dessen sitze Jesus zur Rechten seines Vaters. Hier ruhe er bis zu dem feierlichen Tage, an welchem er auf Wolken thronend nahen wird, um Lebende und Tote zu richten (Apostelg. II, 33 etc., X, 42).

Der Begriff, welchen sie von Jesus hatten, war der, den Jesus selbst ihnen beigebracht hatte. Jesus war ein Prophet, mächtig in Werk und Wort (Luk. XXIV, 19), ein Gotterwählter, der eine besondere Mission für die Menschheit erhalten hatte (Apostelg. II, 22), eine Mission, die er durch seine Wunder und mehr noch durch seine Auferstehung bekundete. Gott hatte ihn mit dem heiligen Geist gesalbt und ihm Kraft verliehen; er ging vorüber, indem er Gutes that und diejenigen heilte, die in der Gewalt des Teufels standen (die Krankheiten galten allgemein als ein Werk des Bösen), denn Gott war mit ihm (Apostelg. X, 38). Er ist der Sohn Gottes, das heißt, ein vor Gott vollkommener Mensch, ein Vertreter Gottes auf Erden; er ist der Messias, der Retter Israels, angekündigt von den Propheten (Apostelg. II, 36, VIII, 37, IX, 22, XVII, 3 etc.) Das Lesen der Bücher des Alten Testaments, hauptsächlich der Psalmen und der Propheten, war in der Sekte Brauch. Man trug in dieses Lesen eine fixe Idee hinein: überall den Typus Jesu zu finden. Man war überzeugt, daß die alten hebräischen Bücher voll von ihm waren, und in den ersten Jahren bildete sich eine Textsammlung, die aus den Propheten, Psalmen und gewissen apokryphischen Büchern gezogen wurde, woselbst, wie man sich überzeugt fühlte, das Leben Jesu vorhergesagt und vorher beschrieben wurde (Apostelg. II, 14 etc., III, 12 etc., IV, 8 etc., 25 etc.. VII, 2 etc., X, 43 und die ganze dem Barnabas zugeschriebene Epistel). Diese willkürliche Erklärungsmethode war damals in allen jüdischen Schulen zu finden. Die messianischen Anspielungen waren eine Art Geistesspiel, ähnlich dem Gebrauche, den die alten Verkünder mit den Bibelstellen machten, die fern von ihrem natürlichen Sinn liegen und als einfache Ausschmückung einer heiligen Rhetorik gelten.

Jesus, mit seinem Feingefühl für religiöse Dinge, hatte kein neues Ritual festgesetzt. Die neue Sekte hatte noch keine besonderen Ceremonien (Jak. I, 26, 27). Die frommen Übungen waren jüdische Übungen. Die Versammlungen hatten, genau genommen, nichts Lithurgisches; es waren Zusammenkünfte der Brüderschaften, wo man sich den Gebeten, Übungen der Glossolalie, der Prophezeiung (später nannte man dies λείτουργείν, Apostelg. XIII, 3) und dem Lesen der Briefschaften hingab. Noch gab es nichts Priesterliches. Es giebt keine Priester ( cohen oder ίερεύς; der Presbyteros ist der »Älteste« der Gemeinde, nichts anderes. Der einzige Priester ist Jesus (Hebr. V, 6, VI, 20, VIII, 4, X, 11). In einem anderen Sinne sind es alle Gläubigen (Offenb. I, 6, V, 10, XX, 6). Die Taufe war das Zeichen des Eintritts in die Sekte. Das Fasten galt als eine sehr verdienstvolle Übung (Röm. VI, 4. – Apostelg. XIII, 2; Luk. II, 37). Der Ritus der Taufe war derselbe, wie der des Johannes, nur erfolgte sie im Namen Jesu (Apostelg. VIII, 12,16, X, 48). Die Taufe galt jedoch immer nur als eine ungenügende Weihe. Ihr mußte die Verleihung der Gaben des heiligen Geistes folgen (Apostelg. VIII, 16, X, 47), was mittelst eines von den Aposteln gesprochenen Gebetes über dem Haupte des Neophyten und Auflegung der Hände geschah.

Dieses Händeauflegen, bei Jesus schon so üblich (Matth. IX, 18, XIX, 13,15; Mark. V, 23, VI, 5, VII, 32, VIII, 23, 25, X, 16; Luk. IV, 40, XIII, 13), war ein sakramentaler Akt von höchster Bedeutung. Er schuf die Inspiration, die innere Erleuchtung, die Macht Wunder zu verrichten, zu prophezeien, in Zungen zu reden. Es war dies, was man die Geistestaufe nannte. Man meinte sich der Worte Jesu zu entsinnen: »Johannes hat euch mit Wasser getauft, ihr aber sollt durch den heiligen Geist getauft werden« (Matth. III, 11; Mark. I, 8; Luk. III, 16; Ioh. I, 26; Apostelg. I, 5, XI, 16, XIX, 4). Nach und nach verschmolz man alle diese Ideen und die Taufe erfolgte »im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes« (Matth. XXVIII, 19). Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß diese Formel in den ersten Tagen, bei welchen wir uns nun befinden, schon gebraucht wurde. Man sieht die Einfachheit des ursprünglichen christlichen Kultus. Weder Jesus noch die Apostel hatten ihn erfunden. Gewisse jüdische Sekten hatten vor ihnen diese ernsten und feierlichen Ceremonien angenommen, die teilweise aus Chaldäa zu kommen schienen, wo sie noch mit besonderer (Liturgie durch die Sabier oder Mendaiten ausgeübt werden s. die Cholasté, Sabinische Handschriften in der Staatsbibliothek, Nr. 8, 10, 11, 13). Auch die Religion der Perser enthielt viele derartige Bräuche ( Vendidad Sade VIII, 296 etc., IX, 1–145, XVI, 18,19. Spiegel, Avesta II, S. LXXXIII etc.). Die Gläubigkeit an die populäre Heilkunst, die einen Teil von Jesu Kraft bildete, pflanzte sich bei seinen Jüngern fort. Die Macht der Heilung war eine der wundervollen Gaben des heiligen Geistes (1. Kor. XII, 9, 28, 30). Die ersten Christen, wie beinahe alle Juden jener Zeit, sahen in der Krankheit die Strafe eines Fehlers oder das Werk eines bösen Dämons.Matth. IX, 2; Mark. II, 5; Joh. V, 14, IX, 2; Jak. V, 15. Mischna Schabbath II, 6; Talm. von Bab. Nedarim 41a. – Matth. IX, 35, XII, 22; Mark. IX, 16, 24; Luk. IX, 14: Apostelg. XIX, 12; Tertullian, Apol . 22; Adv. Marc. IV, 8. Die Apostel galten daher gleich Jesus für gewaltige Exorcisten (Apostelg. V, 16, XIX, 12–16). Man bildete sich ein, daß ihre Öleinreibungen, verbunden mit ihrer Händeauflegung und Anrufen des Namens Jesu allmächtig die Sünden fortwaschen und die Kranken heilen konnten (Jak. V, 14, 15; Mark. VI, 13). Öl hat stets im Orient als vorzügliches Heilmittel gegolten (Luk. X, 34). Übrigens wurde schon das Händeauflegen der Apostel als ebenso wirksam betrachtet (Mark. XVI, 18; Apostelg. XXVIII, 8). Dieses Auflegen erfolgte durch unmittelbare Berührung. Es ist nicht unmöglich, daß in gewissen Fällen die Wärme der Hände sich lebhaft dem Kopf mitteilte und dadurch dem Kranken eine kleine Erleichterung verschaffte.

Die Sekte war jung und nicht sehr zahlreich; die Frage über die Toten trat ihnen erst später näher. Die durch die ersten Todesfälle, welche in den Reihen der Mitbrüder vorkamen, verursachte Wirkung war recht sonderbar (1. Thess. IV, 13 etc.; 1. Kor. XV, 12 etc.). Man beunruhigte sich über das Los der Verschiedenen; man fragte sich, ob sie weniger begünstigt sein möchten, als die, welche bestimmt waren mit eigenen Augen die Ankunft des Menschensohnes zu sehen. Man gelangte im allgemeinen dazu, den Zwischenraum zwischen Tod und Auferstehung als eine Art Lücke im Bewußtsein des Hingeschiedenen zu betrachten (Phil. I, 23 scheint eine etwas verschiedene Färbung zu haben. Indessen vgl. 1. Thess. IV, 14–17; s. besonders Offenb. XX, 4-6). Die im »Phädon« entwickelte Idee, daß die Seele vor und nach dem Tode existiere, daß der Tod ein Gutes sei, daß er selbst der vorzüglichste philosophische Zustand sei, weil die Seele dann völlig frei und entfesselt – diese Idee, sage ich, galt noch keineswegs bei den ersten Christen. Am häufigsten scheint es, daß für sie der Mensch ohne Leib nicht existiert. Diese Auffassung währte lange und wich erst, als die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, im Sinne griechischer Philosophie, Eintritt in die Kirche gewann und sich schlecht und recht mit dem christlichen Dogma der Auferstehung und der allgemeinen Erneuerung vermengte. In der Stunde, in welcher wir uns nun befinden, war der Glaube an die Auferstehung fast allein herrschend.Paulus in den vorhin citierten Stellen und Phil. IN, 11; Offenb. XX ganz; Papias bei Euseb. H. E. III, 39. Man sieht zuweilen die entgegengesetzte Ansicht auftauchen, besonders bei Lukas (Evang. XVI, Der Begräbnisritus war zweifellos der jüdische. Man maß dem keine Bedeutung zu; keine Aufschrift bekundete den Namen des Toten. Die große Auferstehung war nahe; der Leib des Gläubigen sollte in dem Felsengrab einen nur kurzen Aufenthalt haben. Man legte keinen Wert darauf, sich über die Frage zu verständigen, ob die Auferstehung eine allgemeine sein werde, d. h. ob sie die Guten wie die Bösen umfassen oder ob sie nur auf einzelne Erwählte angewendet werde (vgl. Apostelg. XXIV, 15 mit 1. Thess. IV, 13 etc.; Phil. III,11; Offenb. XX, 5. S. Leblant, Inscr. chrét. de la Gaule , II, 81 etc.

Eine der merkwürdigsten Erscheinungen in dieser neuen Religion war das Wiederauftreten des Prophetentums. Seit langem sprach man nicht mehr von den Propheten Israels. Diese besondere Art der Begeisterung scheint in der kleinen Sekte wieder erstanden zu sein. Die ursprüngliche Kirche hatte mehrere Propheten und Prophetinnen,Apostelg. XI, 27 etc., XIII, 1, XV, 32, XXI, 9, 10 etc.; 1. Kor. XII, 28, XIV, 29–37; Eph. III, 5, IV, 11; Offenb. I, 3; XVI, 6, XVIII, 20, 24, XXII, 9. ähnlich denen des Alten Testaments. Auch die Psalmisten erschienen wieder. Muster christlicher Psalmen bieten uns sicherlich die Gesänge, die Lukas in sein Evangelium einzustreuen liebt (I, 46 etc., 68 etc., II, 29 etc.), und die den Gesängen des Alten Testaments nachgebildet sind. Diese Psalmen, diese Prophezeiungen haben hinsichtlich der Form nichts Ursprüngliches, aber ein bewundernswerter Geist der Sanftmut und Frommheit beseelt und durchdringt sie. Sie sind wie ein leises Echo der letzten Produktionen der heiligen Lyrik Israels. Das Buch der Psalmen war gewissermaßen der Blumenkelch, aus dem die christliche Biene ihren ersten Honig sog. Der Pentateuch dagegen scheint wenig gelesen und überdacht worden zu sein; man setzte an dessen Stelle Allegorien von der Art der jüdischen Midraschim, worin der ganze historische Sinn der Bücher unterdrückt wurde.

Der Gesang, womit die neuen Hymnen begleitet wurden (Apostelg. XVI, 25: 1. Kor. XIV, 5; Kol. III, 16; Eph. V, 19; Jak. V, 13), dürfte wohl jene Art Schluchzen ohne bestimmte Noten gewesen sein, wie es heute noch der Kirchengesang der Griechen, der Maroniten, überhaupt der orientalischen Christen ist.Die Identität dieses Gesanges bei den religiösen, seit den ersten Jahrhunderten getrennten Gemeinden beweist, daß er sehr alt ist. Es ist weniger eine musikalische Modulation, als eine Art, die Stimme zu zwingen und durch die Nase ein gewisses Wimmern hören zu lassen, wodurch alle Beugungen mit einer Raschheit aufeinander folgen. Diese seltsame Gesangsweise wird stehend, mit starrem Blick, gerunzelter Stirne, zusammengezogenen Augenbrauen und gespannter Miene ausgeführt. Besonders das Wort Amen wird mit zögernder, zitternder Stimme ausgesprochen. Dieses Wort spielt eine große Rolle in der Lithurgie. Den Juden nachahmend (4. Mos. XV, 22; 5. XXVII, 15; 106. Psalm 48; 1. Chron., XVI, 36; Nehem. V, 13, VIII, 6), wandten es die neuen Gläubigen an, um die Zustimmung der Menge mit dem Wort des Propheten oder Vorsängers auszudrücken (1. Kor. XIV, 16; Justin. Apol . I, 65, 67). Man sprach ihm vielleicht schon eine geheime Kraft zu und drückte es mit einer gewissen Emphase aus. Wir wissen nicht, ob dieser ursprüngliche Kirchengesang von Instrumenten begleitet wurdet.1. Kor. XIV, 7, 8, beweist dies nicht. Die Anwendung des Wortes ψΰλλω will es auch nicht beweisen. Dieses Verbum schloß ursprünglich den Gebrauch von Saiteninstrumenten in sich, aber mit der Zeit wurde es gleichbedeutend mit »Psalmen singen.« Was den vertraulichen Gesang betrifft, welchen die Gläubigen »in ihrem Herzen sangen« (Kol. III, 16; Eph. V, 19), und der nur die Überfülle dieser zarten, glühenden und träumerischen Seelen war, so wurde er zweifellos, wie die Kantilenen der Lollarden des Mittelalters mit halblauter Stimme ausgeführt (s. du Cange unter dem Wort Lollardi Ausgabe Didot. Vgl. die Kantilenen der Cevenolen, Avert. prophét. d'Elie Marion , London 1707, S. 10. 12, 14 etc.). Im allgemeinen drückte sich die Freude durch diese Hymnen aus. Eine weise Maxime der Sekte lautete: »Bist du traurig, bete, bist du lustig, singe« (Jak. V, 13).

Da übrigens diese erste christliche Litteratur nur zur Erbauung der versammelten Brüder bestimmt war, wurde sie nicht niedergeschrieben. Bücher zu verfassen war ein Gedanke, der niemandem beikam. Jesus hatte gesprochen; man gedachte seiner Worte. Hatte er nicht versprochen, daß das Geschlecht seiner Zuhörer nicht vergehen soll bevor er wieder erscheinen würde? (Matth. XVI. 28. XXIV, 34; Mark. VIII, 39, XIII, 30; Luk. IX, 27. XXI, 32).


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