Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Vierzehntes Kapitel.

Verfolgung durch Herodes Agrippa I.

Barnabas fand die Gemeinde von Jerusalem in großer Betrübnis. Das Jahr 44 war für sie sehr stürmisch. Abgesehen von der Hungersnot, sah sie das Feuer der Verfolgung, das seit dem Tode des Stephanus nachgelassen hatte, von neuem auflodern.

Herodes Agrippa, Enkel Herodes des Großen, war seit 41 erfolgreich bemüht, das Reich seines Ahnen wieder herzustellen. Dank der Gunst Caligulas gelang es ihm, Batama, Trachonitides, einen Teil von Hauran, Abilena, Galiläa und PereaDie Inschriften dieser Gegenden bestätigen vollkommen die Angaben des Josephus. (Comptes rendus de l'Acad. des Inscr. et B.-L. 1865, S. 106-109. unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Die unedle Rolle, die er in der Tragikomödie, welche Claudius auf den Thron brachte, gespielt hatte, vermehrte sein Glück (Jos. Ant. XIX, 4; B. J. II, 11). Als Belohnung für die Beweise seiner Niedertracht und Treulosigkeit, die er Rom geliefert hatte, erhielt dieser gemeine Orientale für sich Samarien und Judäa und für seinen Bruder Herodes das kleine Königreich Chalcis (Jos. Ant. XIX, 5, 1, 6, 1; B. J. II, 11, 5; Dio Cassius LX, 8). Er ließ in Rom das schlechteste Angedenken zurück und man schrieb teilweise seinen Ratschlägen die Grausamkeiten des Caligula zu (Dio Cassius LIX, 24). Sein Heer und die heidnischen Städte Sebaste und Cäsarea, die er Jerusalem opferte, liebten ihn nicht (Jos. Ant. XIX, 9, 1). Aber die Juden fanden in ihm einen großmütigen, prachtliebenden, ihren Leiden Teilnahme widmenden Mann. Er versuchte sich bei ihnen populär zu machen und schien eine Politik zu verfolgen, welche von der des großen Herodes ganz verschieden war. Dieser zog weit mehr die griechische und römische Welt in Betracht, als die Juden. Herodes Agrippa dagegen liebte Jerusalem, beobachtete streng die jüdische Religion, äußerte eine Skrupulosität und ließ keinen Tag vergehen, ohne seine Andacht verrichtet zu haben (Jos. Ant. XIX, 6, 1, 3 , 7, 3, 4 , 8, 2 , 9, 1 ). Er ging selbst so weit, die Ratschläge der Strenggläubigen anzunehmen und sich ihren Vorwürfen gegenüber zu rechtfertigen (ebd. XIX, 7, 4 ). Er erließ den Jerusalemitern die Steuer, die jedes Haus ihm entrichten mußte (ebd. XIX, 6, 3 ). Kurz, die Orthodoxen hatten an ihm einen König nach ihrem Herzen.

Es war unvermeidlich, daß ein Fürst mit solcher Denkungsart die Christen verfolgte. Aufrichtig oder nicht – Herodes Agrippa war ein jüdischer Fürst in des Wortes vollster Bedeutung (Juv. Sat. VI, 158, 159; Pers. Sat. V, 180). Das sich abschwächende Geschlecht der Heroden wandte sich der Frömmigkeit zu. Das war nicht mehr der große, profane Gedanke des Gründers der Dynastie, wonach unter der gemeinsamen Herrschaft der Civilisation die verschiedensten Kulten vereint leben sollten. Als Herodes Agrippa, nachdem er König geworden, zum erstenmale Alexandrien besuchte, wurde er als König der Juden empfangen; dieser Titel jedoch irritierte die Bevölkerung und gab zu endlosen Spötteleien Anlaß (Philo, In Flaccum § 5 etc.). Was aber könnte ein König der Juden anderes sein als ein Wächter des Gesetzes und der Tradition, ein theokratischer Fürst, ein Verfolger? Seit Herodes dem Großen, unter dessen Herrschaft der Fanatismus völlig unterdrückt war, bis zum Ausbruch des Krieges, der die Zerstörung Jerusalems herbeiführte, gab es also einen immer wachsenden religiösen Eifer. Der Tod Caligulas (24. Januar 41) hatte eine für die Juden günstige Reaktion hervorgebracht. Claudius war ihnen im großen und ganzen wohlgeneigt (Jos. Ant. XIX, 5, 2 etc., XX, 6,3; B. J. II, 12, 7) zufolge des Vertrauens, das er gegen Herodes Agrippa und Herodes, König von Chalcis, hegte. Nicht nur, daß er den Juden von Alexandrien in ihren Streitigkeiten mit den andern Einwohnern recht gab und ihnen gestattete, sich einen Ethnarchen zu wählen, sondern er erließ auch, wie berichtet wird, ein Edikt, wonach den Juden im ganzen Reiche dasselbe eingeräumt wurde wie denen von Alexandrien, d. h. frei nach ihren Gesetzen zu leben unter der Bedingung, daß sie andere Kulten nicht verletzen. Einige Versuche der Unterdrückung, ähnlich denen, die unter Caligula stattfanden, wurden unterdrückt (Jos. Ant. XIX, 6, 3).Seine beschränkenden Maßregeln gegen die Juden (Apostelg. XVIII, 2; Sueton, Claud. 25; Dio Cass. LX, 6) waren von lokalen Umständen hervorgerufen. Jerusalem vergrößerte sich bedeutend, der Ort Besetha wurde der Stadt einverleibt (Jos. Ant. XIX, 7, 2; B. J. II, 11, 6, V, 4, 2; Tacit. Hist. V, 12). Die römische Autorität machte sich kaum fühlbar, obgleich Vibius Marsus, ein kluger, in hohen Ämtern gereifter Mann, ein sehr gebildeter Geist (Tacit. Ann. VI, 47), der dem Publius Petronius als kaiserlicher Legat von Syrien folgte, von Zeit zu Zeit Rom auf die Gefahr solcher halb unabhängiger orientalischer Königreiche aufmerksam machte (Jos. Ant. XIX, 7, 2, 8, 1, XX, 1, 1).

Die Art der Belehnung, die seit dem Tode des Tiberius in Syrien und den Nachbarländern (Jos. Ant. XIX, 8, 1) immer mehr sich festigte, war in der That ein Stillstand der kaiserlichen Politik und hatte nur die übelsten Folgen. Die »Könige«, die nach Rom kamen, waren ein Gelichter und übten hier einen verderblichen Einfluß aus. Die Fäulnis und die Gemeinheit des Volkes, besonders unter Caligula, kamen großenteils von dem Beispiele her, das diese Elenden gaben, die man ihren Purpur nacheinander ins Theater, in den Cäsarenpalast, in die Gefängnisse schleppen sah.Sueton, Caius 22, 26, 35; Dio Cassius LIX, 24, LX, 8; Tacit. Ann . XI, 8. Als Typus dieser Rolle kleiner orientalischer Könige studiere man die Laufbahn des Herodes Agrippa I. in Jos. Ant . XVIII und XIX. Vgl. Horaz. Sat . I, 7. Was die Juden betrifft, so haben wir gesehen, daß bei ihnen Autonomie mit Unduldsamkeit verbunden war. Das Hohepriesteramt wurde zeitweilig der Familie Hanan genommen, nur um es der nicht minder hochmütigen und grausamen Familie des Boëthus zu übertragen. Ein Fürst, der bestrebt war, den Juden zu gefallen, konnte nicht ermangeln, ihnen das zu gewähren, was sie am meisten liebten: Strenge gegen alles, was der starren Orthodoxie entgegen war (Apostelg. XII, 3).

In der That wurde Herodes Agrippa gegen das Ende seiner Regierung ein heftiger Verfolger (Apostelg. XII, 1 etc.). Einige Zeit vor Ostern des Jahres 44 ließ er ein Hauptglied des apostolischen Kollegiums, Jakobus, Sohn des Zebedäus, Bruder des Johannes, enthaupten. Diese Angelegenheit galt nicht als eine religiöse; es fand kein inquisitorisches Verfahren vor dem Sanhedrin statt; das Urteil wurde kraft der willkürlichen Macht des Herrschers gefällt, wie dies bei Johannes dem Täufer stattfand. (Tatsächlich wurde Jakobus auch enthauptet und nicht gesteinigt.) Ermutigt durch den guten Eindruck, welchen diese Hinrichtung auf die Juden gemacht hatte, wollte Herodes eine an Popularität so reiche Ader nicht unbenutzt lassen. Man befand sich in den ersten Tagen des Osterfestes, eine Zeit, in welcher der Fanatismus sich zu verdoppeln pflegte. Agrippa befahl, daß Petrus in den Turm Antonia eingekerkert werde. Er wollte ihn richten lassen und mit großem Gepränge vor dem damals versammelten Volke zum Tode führen lassen.

Ein uns unbekannt gebliebener Umstand, der für ein Wunder gehalten wurde, öffnete den Kerker des Petrus. Als eines Abends mehrere Gläubige im Hause Marias, der Mutter des Johannes Markus, versammelt waren, wo Petrus gewöhnlich wohnte, vernahm man plötzlich ein Pochen an der Thüre; die Magd, namens Rhode, ging, um zu horchen. Sie erkannte die Stimme des Petrus. Vor Freude außer sich, lief sie, anstatt zu öffnen, zurück und kündigte an, Petrus sei da. Man schalt sie eine Närrin. Sie schwor, daß sie die Wahrheit gesprochen habe. »Das ist sein Engel,« sagten einige. Man vernahm ein wiederholtes Pochen: er war es wirklich. Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Petrus ließ sofort Jakobus, dem Bruder des Herrn, und anderen Getreuen seine Befreiung bekannt geben. Man glaubte, ein Engel Gottes sei es gewesen, der in den Kerker des Apostels gedrungen und Ketten und Riegel gebrochen habe. In der That erzählte Petrus auch, dies alles sei geschehen, während er in Ekstase sich befand; daß, nachdem er die erste und die zweite Wache passiert habe und das eiserne Thor durchschritten, das gegen die Stadt hin lag, der Engel ihn noch ein Stück Weges begleitet und dann verlassen habe. Jetzt erst sei er wieder zu sich gekommen, und er habe die Hand Gottes erkannt, die zu seiner Befreiung einen himmlischen Boten ausgesandt habe. (Apostelg. XII, 9-11. Die Darstellung der Apostelgeschichte ist so lebhaft und genau, daß es schwer ist, hier einen Raum für eine längere legendarische Ausarbeitung zu finden.)

Agrippa überlebte nicht lange diese Gewaltthätigkeiten (Jos. Ant. XIX, 8,2; Apostelg. XII, 18-23). Im Laufe des Jahres 44 ging er nach Cäsarea, um dort die Spiele zu Ehren des Claudius zu feiern. Der Andrang war gewaltig; die Bewohner von Tyrus und Sidon, die sich gegen ihn empört hatten, kamen hierher und flehten um Gnade. Diese Feste mißfielen den Juden sehr, weil sie in der unreinen Stadt Cäsarea stattfanden und weil sie im Theater dargestellt wurden. Schon früher einmal, als der König Jerusalem unter ähnlichen Umständen verlassen hatte, schlug ein gewisser Rabbi Simeon vor, ihn als dem Judentum nicht mehr angehörig zu erklären und aus dem Tempel auszuschließen. Der König war soweit entgegenkommend, daß er den Rabbi im Theater neben sich setzen ließ, um ihm zu beweisen, daß hier nichts, was gegen das Gesetz wäre, vorkomme (Jos. Ant. XIX, 7, 4). Im Glauben, derart die Strenggläubigen befriedigt zu haben, gab sich Herodes Agrippa seinem Geschmack an profanen Festlichkeiten hin. Am zweiten Tage des Festes begab er sich in früher Morgenstunde ins Theater, bekleidet mit einer Tunika aus silberdurchwirktem, prächtigem Stoffe. Die Wirkung dieses im Sonnenglanz blinkenden Kleides war außerordentlich groß. Die Phönizier, die den König umgaben, überhäuften ihn verschwenderisch mit echt heidnischen Schmeicheleien. »Das ist ein Gott und nicht ein Mensch!« riefen sie aus. Der König bezeugte keinen Unwillen und tadelte auch nicht diese Worte. Er starb fünf Tage später. Juden und Christen glaubten, er sei bestraft worden, weil er nicht mit Abscheu diese gotteslästerlichen Schmeicheleien zurückgewiesen habe. Die christliche Tradition behauptete, er sei an der für die Feinde Gottes bestimmten Züchtigung gestorben: an einer Würmerkrankheit.Apostelg. XII, 23. Vgl. 2. Makk. IX, 9; Jos. B. J. I , 33, 5; Talm. von Bab. Sota, 35 a. Nach den von Josephus mitgeteilten Symptomen ließe sich eher eine Vergiftung annehmen; und was in der Apostelgeschichte von dem zweideutigen Benehmen der Phönizier und der Mühe, die sie sich gaben, des Königs Kammerdiener Blastus zu gewinnen, bemerkt wird, bestärkt diese Hypothese.

Dem Tode Herodes Agrippa I. folgte das Ende der Unabhängigkeit von Jerusalem. Die Stadt wurde von Prokuratoren verwaltet, eine Herrschaft, die bis zur großen Revolution währte. Dies war ein Glück für das Christentum; denn es ist recht merkwürdig, daß diese Religion, die später einen so fürchterlichen Krieg gegen das römische Reich führen sollte, im Schatten des Römertums und unter seinem Schutze erstarkte. Rom war es, wie schon wiederholt bemerkt wurde, das das Judentum verhinderte, sich ganz seinen unduldsamen Instinkten hinzugeben und die freien Entwicklungen in seinem Schoße zu unterdrücken. Jede Verringerung der jüdischen Autorität war eine Wohlthat für die werdende Sekte. Cuspius Fadus, der erste in dieser neuen Reihe von Landpflegern, war ein zweiter Pilatus, voll Festigkeit oder wenigstens doch guten Willens. Aber Claudius fuhr fort, sich den jüdischen Ansprüchen wohlgeneigt zu zeigen, hauptsächlich auf Verwendung des jungen Herodes Agrippa, Sohn des Herodes Agrippa I., hin, der in seiner Umgebung sich befand und den er sehr liebte (Jos. Ant . XIX, 6, 1 ; XX, 1, 1, 2 ). Nach der kurzen Verwaltung des Cuspius Fadus wurde das Landpflegeramt einem Juden anvertraut, jenem Tiberius Alexander, Neffen des Philo und Sohn des Alabarchen der Juden von Alexandrien, der zu hohen Würden gelangte und in den politischen Angelegenheiten des Jahrhunderts eine große Rolle spielte. Die Juden liebten ihn zwar nicht und betrachteten ihn nicht ohne Grund als Apostaten (Jos. Ant. XX, 5, 2 ; B. J. II, 15, 1 , 18, 7 etc., IV, 10, 6 , V, 1, 6 ; Tacit. Ann. XV, 28; Hist . I, 11, II, 79; Sueton, Vesp . 6; Corpus insc. graec . Nr. 4957. – Vgl. ebend. III, S. 311).

Um diesen stets sich erneuernden Streitigkeiten kurz ein Ende zu machen, griff man zu einem Mittel, das auf ganz guten Prinzipien beruhte: man nahm eine Scheidung des Geistlichen und des Weltlichen vor. Die politische Macht verblieb den Landpflegern, aber Herodes, König von Chalcis, Bruder von Agrippa I, wurde zum Tempelpräfekten ernannt, zum Hüter der Hohenpriestergewänder, zum Schatzmeister der heiligen Kasse, mit dem Rechte, Hohepriester ernennen zu können (Jos. Ant . XX, 1, 3). Nach seinem Tode (Jahr 48) folgte Herodes Agrippa, Sohn Herodes Agrippa I., seinem Oheim in diesen Würden, die er bis zum großen Kriege einnahm. In alledem zeigte sich Claudius sehr gütig. Die hohen römischen Beamten in Syrien waren zwar weniger zu Konzessionen geneigt als der Kaiser, aber sie bekundeten doch eine große Mäßigung. Der Landpfleger Ventidius Cumanus ging so weit, daß er einen Soldaten, der ein Exemplar des Pentateuch zerrissen hatte, inmitten der Spalier bildenden Juden enthaupten ließ (Jos. Ant XX, 5, 4; B. J. II, 12, 2. ). Alles war vergeblich; mit Recht datiert Josephus von der Verwaltung des Cumanus die Wirren, die erst mit der Zerstörung Jerusalems ein Ende finden sollten.

Bei diesen Unruhen spielte das Christentum keine Rolle.Josephus, der die Geschichte dieser Bewegungen mit größter Genauigkeit darstellt, bringt niemals die Christen damit in Verbindung. Aber diese Unruhen waren, wie das Christentum selbst, ein Symptom jenes starken Fiebers, welches das jüdische Volk verzehrte, und der göttlichen Thätigkeit, die sich in ihm vollzog. Noch nie hatte der jüdische Glaube solche Fortschritte gemacht (Jos. Contra Apion II, 39 ; Dio Cassius LXVI, 4 ). Der Tempel von Jerusalem war eines der Heiligtümer der Welt, dessen Ruf sich weit verbreitet hatte und dem man die größten Opfergaben brachte (Jos. B. J. IV, 4, 3; V, 13, 6 ; Sueton, Aug. 93 ; Strabon XVI, 2, 34, 37 ; Tacit. Hist. V, 5 ). Das Judentum war die vorherrschende Religion in mehreren Teilen Syriens geworden. Die hasmonäischen Fürsten hatten hier ganze Bevölkerungen (Idumenäer, Ituräer etc.) zur Bekehrung gezwungen (Jos. Ant. XIII, 9, 1, 11, 3, 15, 4, XV, 7, 9 ). Es gab da viele Beispiele selbst von abgenötigter Beschneidung (Jos. B. J. II, 17, 10; Vita 23 ). Der Eifer, Proselyten zu machen, war sehr groß (Matth. XXIII, 13 ). Selbst das Haus Herodes diente machtvoll der jüdischen Propaganda. Um Prinzessinnen aus dieser Familie, deren Reichtümer unermeßlich waren, zu heiraten, wurden die Fürsten kleiner Dynastien, Vasallen Roms, die von Emesus, Pontus, Cilicien, Juden (Ios. Ant. XX, 7,1 , 3 ; vgl. XVI, 7, 6 ). Auch Arabien, Äthiopien zählten viele Konvertiten. Die königlichen Familien von Mesene und Adiabene, Tributpflichtige der Parther, waren dafür gewonnen, besonders die Frauen (Jos. Ant. XX, 2, 4 ). Es galt allgemein, man habe Glück, wenn man die jüdischen Gesetze kenne und ausübe (Jos. Ant. XX, 2, 5, 6, 4, 1 ). Selbst der sich nicht beschneiden ließ, formte seine Religion mehr oder minder im jüdischen Sinne um; eine Art Monotheismus wurde der allgemeine Geist der Religionen in Syrien. In Damaskus, eine Stadt, die keineswegs israelitischen Ursprungs war, hatten fast alle Frauen den jüdischen Glauben angenommen (Jos. B. J. II, 20, 2 ). Hinter dem pharisäischen Judentume bildete sich dermaßen eine Art freies Judentum, nicht so gewichtig, nicht so sehr mit allen Geheimnissen der Sekte vertraut (Seneca, Fragm. in S.-Aug., De civ. Dei VI, 11 ), das nur seinen guten Willen und sein gutes Herz mitbrachte, aber das eine größere Zukunft hatte. In gewisser Beziehung war die Lage wie die des Katholizismus von heute, wo wir auf der einen Seite beschränkte, stolze Theologen sehen, die dem Katholizismus nicht mehr Seelen gewönnen als die Pharisäer dem Judentum, wenn sie allein stünden; auf der andern Seite fromme Laien, tausendfache Ketzer, ohne es zu wissen, aber voll von rührendem Eifer, reich an guten Werken und poetischen Gefühlen, alle bemüht, die Fehler ihrer Lehrer zu verwischen, oder durch gefällige Erklärungen auszugleichen.

Eines der außergewöhnlichsten Beispiele dieses Gefühls, das die religiösen Seelen zum Judentum hinzog, gab die königliche Familie von Adiabene am Tigris (Jos. Ant. XX, 2 – 4 ). Dieses Haus, nach Herkunft und Sitten persisch,Tacit. Ann. XII, 13, 14 . Die meisten Namen dieser Familie sind persisch. teilweise schon mit der griechischen Kultur vertraut,Der Name Helena beweist dies. Indessen ist es merkwürdig, daß das Griechische nicht auf der doppelsprachigen (syrisch und syrochaldäisch) Grabaufschrift einer Prinzessin dieser Familie vorkommt. Diese Grabschrift wurde von M. de Saulcy entdeckt und nach Paris mitgeteilt. S. » Journal Asiatique «, Dezember 1865 wurde beinahe ganz jüdisch und trat sogar der frömmsten Richtung bei; denn, wie bereits bemerkt wurde, diese Proselyten waren oft frömmer als die Juden von Geburt. Izate, das Haupt der Familie, bekehrte sich zum Judentum auf die Predigt eines jüdischen Kaufmanns namens Ananias hin, der im Serail des Königs Abennerig von Mesene, wo er seines kleinen Handels wegen Einlaß gefunden hatte, alle Frauen bekehrte und zu ihrem geistlichen Unterweiser wurde. Die Frauen brachten ihn mit Izate in Verbindung. Zu derselben Zeit ließ sich seine Mutter Helena durch einen andern Juden in die wahre Religion einführen. Im Neophyteneifer wollte sich Izate auch beschneiden lassen, aber seine Mutter und Ananias widersprachen dem lebhaft. Letzterer stellte ihm vor, daß die Beobachtung der Gebote Gottes wichtiger sei als die Beschneidung, und man könne ein ganz guter Jude sein, ohne sich dieser Ceremonie unterworfen zu haben. Eine derartige Toleranz war indessen nur bei einer kleinen Zahl aufgeklärter Geister vorhanden. Als einige Zeit später ein galiläischer Jude namens Eleasar den König im Pentateuch lesend fand, bewies er ihm durch Textstellen, daß er das Gesetz nicht halten könne, wenn er nicht beschnitten sei. Izate wurde davon überzeugt und unterzog sich sofort der Operation (s. Bereschith rabba XLVI 51 d ).

Der Bekehrung Izates folgte die seines Bruders Monobaze und fast der ganzen Familie. Gegen das Jahr 44 ließ sich Helena in Jerusalem nieder, wo sie für das königliche Haus Adiabene einen Palast und ein Familienmausoleum bauen ließ, das heute noch existiert.Allem Anschein nach ist es das heutzutage unter dem Namen »Gräber der Könige« bekannte Monument. S. » Journal Asiatique « Dezember 1865. Ihrer Leutseligkeit und Mildthätigkeit wegen erwarb sie sich die Zuneigung der Juden im hohen Maße. Es war sehr erbaulich zu sehen, wie sie als fromme Jüdin den Tempel besuchte, die Schriftgelehrten um Rat fragte, die Gesetze las und ihre Kinder darin unterwies. Während der Pest im Jahre 44 war diese heilige Frau die Vorsehung der Stadt. Sie ließ in Egypten große Getreidemengen und in Cypern getrocknete Feigen kaufen. Izate wieder sandte beträchtliche Summen zur Verteilung an die Armen. Die Reichtümer von Adiabene wandten sich teilweise Jerusalem zu. Die Söhne Izates kamen hierher, um die Bräuche und die Sprache der Juden zu lernen. Die ganze Familie wurde demnach die Hilfsquelle für dieses Volk von Bettlern. Sie hatten sich sozusagen das Bürgerrecht der Stadt erworben und mehrere ihrer Mitglieder befanden sich hier, als die Belagerung seitens Titus' stattfand (Jos. B. J. II, 19, 2, VI, 6,4); andere von ihr kommen in den talmudischen Schriften vor, wo sie als Muster von Frömmigkeit und Hingebung dargestellt werden.Talm. von Jerus. Peah 15 b, wo einem Monobaze Maximen zugeschrieben werden, die ganz an das Evangelium erinnern (Matth. VI, 19 etc.). Talmud von Bab. Baba Bath. 11a; Joma 37a; Nazir 19b; Schabbath 68 b; Sifra 70a; Bereschith rabba XLVI, 51 d.

 

Dadurch gehört auch die königliche Familie von Adiabene der Geschichte des Christentums an. Ohne wirklich Christen zu sein, obgleich gewisse Traditionen dies behaupten (Moses von Khoren II, 35; Orose VII, 6), stellte diese Familie doch die Erstlinge der Heidenchristen dar. Indem sie sich zum Judentum bekannte, gehorchte sie dem Gefühle, das die ganze heidnische Welt dem Christentum zuführen sollte. Vor Gott waren es diese von einem tiefinnigen religiösen Gefühl beseelten Fremdlinge weit eher als es die dünkelhaften, hartherzigen Philister waren, für welche die Religion nur ein Vorwand zu Haß und Verachtung war. Diese frommen Proselyten waren, eben weil sie wirkliche Heilige waren, nicht fanatisch. Sie sonderten völlig Religion von Politik. Sie gaben zu, daß die wahre Religion unter der Herrschaft der verschiedensten bürgerlichen Gesetzgebungen ausgeübt werden könne. Der Unterschied zwischen den rebellischen Sektirern, die Jerusalem mit Wut verteidigen werden, und den friedfertigen Gläubigen, die beim ersten Kriegsgeschrei nach den Bergen flüchten (Luk. XXI, 21), offenbarte sich immer deutlicher.

Man erkennt wenigstens, daß die Proselytenfrage im Judentum wie im Christentum sich in derselben Weise darstellte. Hier wie dort fühlte man das Bedürfnis, die Eintrittspforte zu erweitern. Die auf diesem Standpunkt sich befanden, betrachteten die Beschneidung als eine unnütze oder gar schädliche Praxis. Diese mosaische Vorschrift war nur ein Rassezeichen und hatte nur für die Kinder Abrahams einen Wert. Wenn das Judentum eine Weltreligion werden sollte, so mußte es sich auf eine Art Deismus beschränken, der nur die Pflichten der Naturreligion auferlegt. Es gab daher hier eine hehre Mission zu erfüllen und ein Teil des Judentums in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts erfüllte sie in höchst einsichtiger Weise. Einerseits war der Judaismus einer jener zahlreichen nationalen Kulten,Τά πάτρια έϑη, ein bei Josephus so üblicher Ausdruck, wenn er die Stellung der Juden in der heidnischen Welt verteidigt. welche die Welt erfüllten und deren Heiligkeit nur daher kam, daß die Ahnen in derselben Weise gebetet hatten; anderseits war der Judaismus die absolute Religion, gemacht für alle, bestimmt von allen angenommen zu werden. Diese Bestimmung vereitelte für immer der in Judäa herrschende Fanatismus, welcher den Vernichtungskrieg herbeiführte. Nun war es das Christentum, das für sich die Aufgabe übernahm, welche die Synagoge nicht ausführen konnte. Die rituellen Fragen beiseite lassend, setzte das Christentum die monotheistische Propaganda des Judentums fort. Was dem Judentum bei den Frauen in Damaskus, im Serail des Königs Abennerig, bei Helena und bei so vielen andern Proselyten den Erfolg verschaffte, das bildete auch die Kraft des Christentums in der ganzen Welt. In diesem Sinne ist der Ruhm des Christentums tatsächlich mit dem des Judentums verschmolzen. Ein Geschlecht von Fanatikern raubte letzterem seinen Lohn und verhinderte es, zu ernten, wo es gesät hatte.


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