Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Fünfzehntes Kapitel.

Dem Christentum parallele oder nachgeahmte Bewegungen. – Simon von Gitton.

Das Christentum ist nun thatsächlich begründet. In der Geschichte der Religionen sind nur die ersten Jahre schwierig zu durchschreiten. Hat einmal ein Glaube den harten Prüfungen widerstanden, denen jede neue Gründung ausgesetzt ist, so ist seine Zukunft gesichert. Geschickter als die andern Sektirer seiner Zeit, die Essäer, die Täufer, die Anhänger Judas' des Gauloniten, die nicht aus der jüdischen Welt hinaustraten und daher mit ihr untergingen, haben sich die Gründer des Christentums mit einem seltenen Scharfblick frühzeitig schon in die weite Welt geworfen und hier ihre Stelle bereitet. Es darf uns nicht überraschen, daß wir das Christentum in Josephus, im Talmud und in den griechischen und lateinischen Schriftstellern nur wenig erwähnt finden. Josephus ist uns durch christliche Abschreiber, die alles unterdrückten, was ihrem Glauben unangenehm war, überliefert worden. Es läßt sich annehmen, daß er ausführlicher von Jesus und den Christen gesprochen habe, als es aus der uns überlieferten Ausgabe zu ersehen ist. Auch der Talmud war im Mittelalter und seit seiner ersten Veröffentlichung vielen Änderungen und Kürzungen unterworfen,Bekanntlich ist kein Manuskript des Talmud zur Kontrolle der gedruckten Ausgaben übrig geblieben. die christliche Censur wurde an dem Text sehr strenge geübt und eine Menge unglücklicher Juden wurden verbrannt, weil sie im Besitze eines Buches befunden wurden, das Stellen enthielt, die für gotteslästerlich betrachtet wurden. Daß die griechischen und lateinischen Schriftsteller sich nur wenig mit einer Bewegung beschäftigten, die sie nicht verstehen konnten und die in einer für sich abgeschlossenen kleinen Welt vorging, ist nicht zu verwundern. In ihren Augen verliert sich das Christentum auf dem dunkeln Grunde des Judentums. Es ist ein Familienstreit im Schoße eines verachteten Volkes – wozu sich damit beschäftigen? Die zwei oder drei Stellen, wo Tacitus und Sueton von den Christen sprechen, beweisen uns indessen, daß die neue Sekte eine sehr beträchtliche Thatsache war, denn wir sehen sie durch die eine oder die andere Lücke zwischen dem Gewölk der allgemeinen Nichtbeachtung sehr deutlich sich abheben, obwohl sie für gewöhnlich außerhalb des Gesichtskreises der großen Öffentlichkeit lag.

Was übrigens beigetragen hat, die Umrisse des Christentums in der Geschichte der jüdischen Welt während des ersten Jahrhunderts unserer Ära etwas zu verwischen, ist der Umstand, daß es keine isolierte Thatsache war. Philo hatte in dieser Zeit sein ganz der Liebe zum Guten geweihtes Leben beendet. Die Sekte Judas des Gauloniten bestand noch immer. Der Agitator hatte zum Fortsetzer seiner Gedanken seine Söhne Jakob, Simon und Menahem. Jakobus und Simon wurden auf Befehl des Landpflegers Tiberius Alexander, eines Renegaten, gekreuzigt (Jos. Ant . XX, 5, 2 ). Was Menahem betrifft, so spielte er in der Schlußkatastrophe des Volkes eine wichtige Rolle (Jos. B. J . II, 18, 8-10 ; Vita 5). Im Jahre 44 erhob sich ein Enthusiast namens Theudas,Die Zusammenstellung des Christentums mit den beiden Bewegungen des Judas und des Theudas erfolgt durch den Verfasser der Apostelgeschichte selbst (V, 36, 37). verkündete die nahende Befreiung, forderte die Menge auf, ihm in die Wüste zu folgen, wobei er ihr versprach, sie, wie ein zweiter Josuah, trockenen Fußes durch den Jordan zu führen; dieser Übergang wäre nach seiner Meinung die echte Taufe gewesen, die jeden seiner Gläubigen in das Reich Gottes einweihen sollte. Mehr als vierhundert Personen folgten ihm. Der Landpfleger Cuspius Fadus sandte ihm eine Reiterschar nach, die die Menge zerstreute und den Führer tötete.Jos. Ant. XX, 5, 1; Apostelg. V, 36. Man bemerkt den von dem Verfasser der Apostelg. begangenen Anachronismus. Einige Jahre früher wurde ganz Samarien durch die Stimme eines Erleuchteten in Aufregung gebracht, der behauptete, in einer Offenbarung den Ort erfahren zu haben, wo auf dem Garizim Moses die heiligen Geräte für den Kultus verborgen habe. Pilatus hatte diese Bewegung mit großer Strenge unterdrückt (Jos. Ant. XVIII, 4, 1, 2). Was Jerusalem betrifft, so war nun der Frieden dahin. Von der Ankunft des Prokurators Ventidius Cumanus (Jahr 48) an hörten die Unruhen nicht mehr auf. Die Erregung hatte einen Punkt erreicht, bei dem das Leben dort unmöglich geworden war; die unbedeutendsten Umstände führten Ausbrüche herbei (Jos. Ant. XX, 5, 3, 4; B. J. II, 12, 1, 2; Tacit. Ann. XII, 54). Man merkte überall eine seltsame Gährung, eine Art geheimnisvolle Beunruhigung. Betrüger traten von allen Seiten auf (Jos. Ant. XX, 8, 5). Die fürchterliche Geißel der Zeloten (Keneaim) oder Sikarier machte sich geltend. Elende schlichen sich, mit Dolchen bewaffnet, in die Menge, trafen ihr Opfer und waren dann die ersten, die ausriefen: »Mörder!« Kein Tag verging, ohne daß man von einem derartigen Mord Kunde erhielt. Ein außerordentlicher Schrecken verbreitete sich. Josephus schildert die Verbrechen der Zeloten als einfache Schlechtigkeiten (Ant. XX, 8, 5; B. J. II, 13, 3); allein es läßt sich nicht bezweifeln, daß auch der Fanatismus hinzu kam.Jos. B. J. VII, 8, 1; Mischna, Sanhedrin IX, 6. Um das Gesetz zu verteidigen, bewaffneten sich diese Elenden mit dem Dolch. Wer in ihrer Gegenwart eine der rituellen Vorschriften übertrat, sah sein Urteil gesprochen, das bald auch ausgeführt wurde. Sie glaubten damit das verdienstlichste und gottgefälligste Werk zu verrichten.

Ähnliche Träumereien wie die des Theudas erneuerten sich von allen Seiten. Ein Gelichter, das inspiriert zu sein behauptete, wiegelte das Volk auf und zog es mit sich in die Wüste, unter dem Vorwand, ihm durch Zeichen darzulegen, daß Gott es befreien wolle. Die römischen Behörden vernichteten zu Tausenden die betrogenen Opfer dieser Aufwiegler.Jos. Ant. XX, 8, 6, 10; B. J. II, 13, 4. Ein Jude aus Egypten, der um das Jahr 56 nach Jerusalem kam, verstand die Kunst, durch sein Gaukelspiel 30000 Personen an sich zu ziehen, unter denen sich 4000 Sikarier befanden. Von der Wüste wollte er sie nach dem Ölberg führen, wo sie, wie er sagte, auf ein Wort von ihm hin die Mauern Jerusalems zusammenstürzen sehen würden. Felix, der damals Landpfleger war, rückte ihm entgegen und zerstreute seinen Haufen. Der Egypter rettete sich und kam seither nicht wieder zum Vorschein (Jos. Ant. XX, 8, 6; B. J. II, 13, 5; Apostelg. XXI, 38). Sowie jedoch in einem ungesunden Körper eine Krankheit der andern folgt, so sah man bald darauf verschiedene aus Magiern und Dieben gemischte Haufen, die offen das Volk zur Empörung gegen die Römer aufforderten und jeden mit dem Tod bedrohten, der fortfahren würde, ihnen zu gehorchen. Unter diesem Vorwand töteten sie die Reichen, plünderten ihren Besitz, brannten Dörfer nieder und erfüllten ganz Judäa mit den Zeichen ihres Schreckens (Jos. Ant. XX, 8, 6; B. J. II, 13, 6). Ein entsetzlicher Krieg kündigte sich an. Ein Schwindelgeist herrschte überall und hielt die Einbildungskraft in einem an Wahnsinn grenzenden Zustand.

Es ist nicht unmöglich, daß bei Theudas ein geheimer Gedanke der Nachahmung Jesu und Johannes des Täufers vorhanden war. Dieses Nachahmen verrät sich wenigstens mit Gewißheit bei Simon von Gitton, wenn die christliche Tradition hinsichtlich dieser Person einigen Glauben verdient (s. Seite 152). Wir sind ihm bereits gelegentlich der ersten Mission des Philippus in Samarien in Beziehung zu den Aposteln begegnet. Unter der Regierung des Claudius gelangte er zur Berühmtheit. Seine Mirakel galten für echt und jedermann in Samarien betrachtete ihn als ein übernatürliches Wesen. (Justin, Apol. I, 26, 56. Es ist seltsam, daß Josephus, der mit den samaritanischen Verhältnissen so vertraut war, nicht von ihm spricht. – Apostelg. VIII, 9 etc.)

Seine Wunder jedoch waren nicht der einzige Grund seines Ansehens. Er verband damit, wie es scheint, eine Lehre, die zu beurteilen uns schwer fällt, da das Werk »Die große Auslegung«, das ihm zugeschrieben wird und uns in Auszügen überliefert wurde, wahrscheinlich nur einen stark modifizierten Ausdruck seiner Ansichten bietet.Man kann es nicht für eine völlig apokryphe Zusammenstellung halten, im Hinblick auf die Übereinstimmung, die zwischen dem in diesem Buche entwickelten System und dem wenigen herrscht, das wir von den Lehren Simons über die »göttlichen Gewalten« aus der Apostelgeschichte kennen. Simon scheint während seines Aufenthalts in Alexandrien (Pseudo-clem. Homil. II, 22, 24) aus seinen Studien der griechischen Philosophie ein System synkretischer Theosophie und allegorischer Exegese, ähnlich dem des Philo, geschöpft zu haben. Dieses System hat seine Größe. Es erinnert bald an die jüdische Kabbala, bald an die pantheistischen Theorien indischer Philosophie; von gewissen Seiten betrachtet, lassen sich auch Elemente des Buddhaismus und des Parsismus darin erkennen.Justin. Apol. I, 26, 56; II, 15; Dial. cum Tryph. 120; Irenäus, Adv. haer. I, 23, 2-5, 27, 4, II. Vorw., 3. Vorw.; Pseudo-clem. Homilien I, 15, II, 22, 25 etc.; Recog. I, 72, II, 7 etc., III, 47; Philosophumena IV, 7, VI, 1, X, 4; Epiph. Adv. haer. haer. XXI; Orig. Contra Celsum V, 62, VI, 11; Tertull. De anima. 34; Constit. apost. VI, 16; Hieron. In Matth. XXIV, 5; Theodoret, Haeret. fab. I, 1. Nach den wörtlichen Auszügen, welche die Philosophumena geben und nicht nach den abgeänderten der andern Kirchenväter muß man sich einen Begriff von der »Großen Auslegung« bilden. An der Spitze aller Dinge steht: »Der ist, der war und der sein wird«,Philosophum . IV, 7, VI, 1, 9, 12, 13, 17, 18. Vgl. Offenb. I, 4, 8, IV, 8, XI, 17. das heißt der samaritanische Javeh, nach dem etymologischen Sinn seines Namens das ewig einzige Wesen, das sich selbst erzeugt, sich selbst mehrt, sich selbst sucht, sich selbst findet, sich selbst Vater, Mutter, Schwester, Gatte, Sohn ist ( Philosophum . VI, 1, 17). Im Schoße dieses Unendlichen existiert alles in ewiger Kraft; alles kommt zur That und zur Wirklichkeit durch das Bewußtsein des Menschen, durch die Vernunft, die Sprache und die Wissenschaft (ebend. VI, 1, 16). Die Welt wird teils durch eine Reihe abstrakter Grundsätze, ähnlich den Äonen der Gnostiker und dem sephirotischen Baum der Kabbala erklärt, teils durch ein System von Engeln, das dem Glauben Persiens entnommen zu sein scheint. Manchmal sind diese Abstraktionen als Übertragungen physischer und physiologischer Thatsachen dargestellt. Zu anderenmalen verwirklichen sich »die göttlichen Kräfte«, die als gesonderte Substanzen betrachtet werden, in successiven Inkarnationen teils weiblichen, teils männlichen Geschlechts, deren Zweck die Befreiung der in den Banden der Materie liegenden Kreaturen ist. Die erste dieser Kräfte ist die, welche hauptsächlich »die Große« heißt, und welche die Intelligenz der Welt, die universelle Vorsehung ist (Apostelg. VIII, 10; Philos . VI, 1, 18; Pseudo-clem. Homil. II, 22). Sie ist männlichen Geschlechts. Simon galt für deren Inkarnation. Ihr zur Seite befindet sich ihre Zwillingsschwester »Der große Gedanke«. Gewohnt, seine Lehren mit einem seltsamen Symbolismus zu umkleiden und allegorische Deutungen für die alten heiligen und profanen Texte sich vorzustellen, gab Simon, oder der Verfasser der »Großen Auslegung«, dieser göttlichen Tugend den Namen »Helena«, damit andeutend, daß sie der Gegenstand allgemeinen Verlangens, die ewige Ursache des Streites zwischen Menschen sei, die sich an ihren Feinden rächt, indem sie sie blind macht bis zu dem Moment, wo sie sich zum Widerruf bereit erklären,Anspielung auf das Abenteuer des Dichters Stesichorus. ein bizarres Thema, das, falsch verstanden oder absichtlich verdreht, den Kirchenvätern zu den kindischsten Erzählungen Anlaß bot.Irenäus, Adv. haer. I, 23, 2-4 ; Pseudo-clem. Homil. II, 23, 25; Philosoph . VI, I, 19 . Die Kenntnis der griechischen Litteratur, die der Verfasser der »Großen Auslegung« besaß, ist jedenfalls sehr merkwürdig. Er meint, die Schriften der Heiden genügten für die Kenntnis aller Dinge, wenn man sie richtig zu deuten wisse ( Philos . VI, 1, 16 ). Sein breiter Eklekticismus umfaßt alle Offenbarungen und versucht sie zu einem einzigen System von Wahrheit zu verbinden.

Was die Grundlage seines Systems betrifft, so hat es große Ähnlichkeit mit dem des Valentinus und mit den Lehren über die göttlichen Personen, die man im vierten Evangelium, in Philo, in den Targums findet (s. »Leben Jesu«). Dieser »Metatron«, welchen die Juden an die Seite der Gottheit, fast in ihren Schoß versetzen, gleicht sehr der »großen Kraft«. Man sieht in der Theologie der Samaritaner einen Erzengel, Oberhaupt der andern, und Offenbarungsarten oder »göttliche Tugenden«,Chron. samarit. Kap. 10 (Ausg. Juynboll, Leyden 1848). Vgl. Reland, De Sam. § 7 in seinen Dissert. miscell . II; Gesenius, Comment. de Sam. Theol . (Halle 1824) S. 21 etc. analog denen der jüdischen Kabbala, ihrerseits sich vorstellen. Es scheint daher, daß Simon von Gitton eine Art Theosoph war, von der Art Philos und anderer Kabbalisten. Vielleicht näherte er sich für einen Moment dem Christentum, aber sicherlich hatte er sich ihm nicht in einer bestimmten Weise angeschlossen.

Ob er wirklich etwas von den Jüngern Jesu entlehnt hat, das ist schwer zu entscheiden. Wenn die »Große Auslegung« in einem gewissen Grade von ihm herrührt, so muß zugestanden werden, daß er in einigen Punkten den christlichen Ideen voraus war, und daß er in andern wieder vieles in umfangreicher Weise aufnahm.In dem durch die Philosophum . VI, 1, 16 am Ende gegebenen Auszuge liest man ein dem synoptischen Evangelium entnommenes Citat, das dargestellt scheint, als befände es sich in dem Texte der »Großen Auslegung«. Es kann jedoch hier ein Versehen vorliegen. Es scheint, als habe er einen Eklekticismus versucht, ähnlich dem, welchen Mohammed später übte, und daß er seine religiöse Rolle auf die Annahme zu stützen versuchte, daß seine göttliche Mission ihm von Johannes und Jesus übertragen worden sei (Pseudoclem. Homil. II, 23, 24). Er behauptete, mit ihnen in geheimnisvoller Beziehung zu stehen. Er soll auch, wie man sagt, versichert haben, er, Simon, sei es, der den Samaritanern als Vater, den Juden durch die sichtbare Kreuzigung des Sohnes, den Heiden durch die Ausgießung des heiligen Geistes erschienen sei. Auch scheint es, daß er der Lehre von den Doketen den Weg gebahnt habe. Er sagte, er sei es gewesen, der in der Person Jesu in Judäa gelitten habe, daß aber diese Leiden nur scheinbar gewesen wären (Irenäus, Adv. haer. I, 33, 3 ; Philosoph . VI, 1, 19 ; Pseudo-clem. Homil. II, 22; Recog . II, 14). Seine Behauptung, die Gottheit selbst zu sein, und daß er sich anbeten ließ, mögen nur Übertreibungen der Christen sein, die ihn verhaßt machen wollten.

Man sieht übrigens, daß die Lehre von der »Großen Auslegung« diejenige fast aller gnostischen Schriftsteller ist. Wenn Simon wirklich zu diesen Lehren sich bekannt hatte, so haben ihn die Kirchenväter mit vollem Recht als den Gründer des Gnosticismus betrachtet (Irenäus, Adv. haer . 2. Vorw., 3. Vorw.). Ich glaube, daß die »Große Auslegung« nur von relativer Echtheit ist, daß sie zu den Lehren Simons sich ungefähr so verhalte, wie das vierte Evangelium zu den Gedanken Jesu; daß sie bis zu den ersten Jahren des zweiten Jahrhunderts hinaufreicht, das heißt bis zur Epoche, in der die Theosophie vom Logos entschieden das Übergewicht erhielt. Dieser Gedanke, dessen Keim wir in der christlichen Kirche schon um das Jahr 60 finden (s. die wahrscheinlich echte Epistel des Paulus an die Kolosser I, 15 etc.), konnte indessen Simon schon bekannt gewesen sein, denn es ließe sich annehmen, daß er bis zum Ende des Jahrhunderts gelebt habe.

Die Vorstellung, die wir von dieser rätselhaften Persönlichkeit haben, ist also die einer Art Plagiators des Christentums. Die Nachahmung scheint eine konstante Gewohnheit der Samaritaner gewesen zu sein (Epiph. Adv. haer. haer. LXXX, 1). So wie sie immer den Judaismus von Jerusalem nachgeahmt hatten, so besaßen diese Sektierer auch ihre Kopie des Christentums, ihre Gnosis, ihre theosophischen Spekulationen, ihre Kabbala. War aber Simon ein ehrlicher Nachahmer, dem nur der Erfolg mangelte? oder war er ein unmoralischer, nicht ernst zu nehmender Gaukler,Was uns zur zweiten Hypothese geneigter machen kann, ist der Umstand, daß die Sekte Simons sich bald in eine Gauklerschule, in eine Zaubertrank- und Beschwörungsformelfabrik verwandelte (Philosophemena VI, I, 20; Tertul., De anima. 57). der nur, um von sich reden zu machen, aus da und dort aufgelesenen Flicken eine Lehre sich bildete? Darüber wird uns wohl nie Aufschluß werden. Simon nimmt daher vor dem Tribunal der Geschichte die falscheste Stellung ein. Er schreitet auf einem gespannten Seil dahin, wo kein Anhalten gestattet ist; in diesem Falle giebt es keinen Mittelweg zwischen einem lächerlichen Sturz und dem wundervollsten Erfolg.

Wir werden uns noch mit Simon zu beschäftigen und zu untersuchen haben, ob die Legenden über seinen Aufenthalt in Rom etwas Wahres enthalten. Gewiß ist jedoch, daß die Simonistische Sekte bis zum dritten Jahrhundert sich erhielt (Philos. VI, 1, 20; vgl. Orig. Contra Cels. I, 57, VI, 11); daß sie Gemeinden in Antiochien, vielleicht sogar in Rom zählte; daß Menander von Kapharetea und CleobiusHegesippos, in Euseb. Hist. eccl. IV, 22; Clemens von Alex. Strom. VII, 17; Const. apost. VI, 8, 16, XVIII, 1 etc.; Justin, Apol. I, 26, 56; Irenäus, Adv. haer. I, 23, 5; Philos. VII, 28; Epiph. Adv. haer. XXII, XXIII, Anhang; Theodoret, Haer. fab. I, 1, 2; Tertul., De praescr. 46; De animna, 50. die Lehre Simons fortsetzten, oder vielmehr seine Theurgenrolle nachahmten, mit mehr oder minderem Anklang an Jesus und seine Apostel. Simon und seine Jünger wurden von ihren Glaubensgenossen sehr geschätzt. Sekten dieser Art, mit dem Christentum parallel laufend (die berühmteste war die des Dositheus), mehr oder minder dem Gnosticismus ergeben, tauchten bis zu ihrer Quasi-Vernichtung unter Justinian unaufhörlich auf. Das Schicksal dieser kleinen Religionen war, von allem, was um sie herum vorging, einen Eindruck aufzunehmen, ohne selbst auch nur das geringste Ursprüngliche zu schaffen.

Was die Christen betrifft, so gedachten sie Simons von Gitton nur mit Abscheu. Seine Wunderthaten, die den ihrigen so ähnlich waren, irritierten sie. Den Erfolgen der Apostel die Wage halten, war ihnen das unverzeihlichste Verbrechen. Man behauptete, die Wunderthaten Simons und seiner Jünger wären Teufelswerke, und gab den samaritanischen Theosophen den Namen »Zauberer« (Apostelg. VIII, 9; Irenäus, Adv. haer. I, 23, 1), welchen die Gläubigen im ärgsten Sinne auffaßten. Die ganze christliche Legende von Simon verrät einen angehäuften Zorn. Man sprach ihm die Maximen des Quietismus zu und der Excesse, die man gewöhnlich als deren Folgen annimmt.Philosophum. VI, I, 19, 20. Der Verfasser schreibt diese Irrlehren nur Simons Jüngern zu. Aber wenn die Schule wirklich diese Physiognomie hatte, so mußte auch der Meister etwas davon aufweisen. Man betrachtete ihn als Vater jeder Irrlehre, als den ersten Erzhäretiker. Man freute sich, von seinen lächerlichen Mißerfolgen, seinen Niederlagen durch den Apostel Petrus erzählen zu können. (Wir werden später diese Erzählungen untersuchen.) Man sprach ihm über den Entschluß, der ihn zum Christentum führte, die gemeinsten Motive zu. Man beschäftigte sich mit seinem Namen so sehr, dah man ihn geradezu von Säulen, worauf er gar nicht geschrieben stand, ablesen wollte.Die Inschrift Simoni Deo Sancto , von der Justinus mitteilt (Apol. I, 26), daß sie sich auf der Tiberinsel befinde, und die nach ihm von andern Kirchenvätern erwähnt wird, war eine lateinische, dem sabinischen Gotte Semo Sancus gewidmete: Semoni Deo Sanco . In der That fand man unter Gregor XIII. auf der Insel St. Bartolommeo eine jetzt im Vatikan sich befindende Inschrift, die diese Widmung trug. S. Baronius, Ann. eccl. ad annum 44; Orelli, Inscrip. lat. Nr. 1860. Es befand sich in dieser Gegend der Tiberinsel ein Kollegium von Bidentalen zu Ehren des Semo Sancus, das mehrere derartige Inschriften führte. Orelli Nr. 1861 (Mommsen, Inscrip. lat. regni Neapol. Nr. 6770). Vgl. Orelli Nr. 1859, Henzen Nr. 6999, Mabillon, Museum Ital. I, 1, 84. Nr. 1862 bei Orelli kann hier nicht in Betracht gezogen werden (s. Corp. insc. lat. I, Nr. 542) Die Symbolik, in die er seine Ideen gekleidet hatte, wurde in höchst grotesker Weise gedeutet. »Helena«, die er mit der »höchsten Intelligenz« identifiziert hatte, wurde zu einem Freudenmädchen, das er auf dem Markte zu Tyrus gekauft haben sollte.Dieses grobe Mißverständnis hätte ohne Auffindung der Philosophumena nicht entdeckt werden können, da nur diese wörtliche Auszüge der Apophasis magna (s. VI, 1, 19) geben. Tyrus war seiner Kurtisanen wegen verrufen. Sein Name schließlich, der beinahe so verhaßt wie der des Judas war, galt als synonym mit »Antiapostel«Εχθρος άνθροπος αντικείμενος. S. Pseudo-clement. Homilien, Hom. XVII ganz. und wurde zum ärgsten Schimpfwort, zur sprichwörtlichen Redensart, um einen professionellen Betrüger, einen Gegner der Wahrheit anzudeuten, der geheimnisvoll thut. Das war der erste Feind des Christentums, oder vielmehr die erste Person, die das Christentum als solchen behandelte. Das sagt genug, daß man weder frommen Betrug noch Verleumdungen sparte, um ihn zu verdammen.Bemerkt sei, daß er in der Apostelg. noch nicht als Feind behandelt wird. Es wird ihm nur eine niedrige Denkweise vorgeworfen, man läßt glauben, daß er bereue (VIII, 24). Vielleicht lebte Simon noch, als diese Zeilen geschrieben wurden, und seine Beziehungen zu dem Christentum mögen noch nicht absolut schlecht gewesen sein. Die Kritik kann in solchen Fällen keine Ehrenrettung vornehmen; es fehlen ihr die gegnerischen Dokumente. Alles, was sie thun kann, ist, die Physiognomie der Traditionen und die bemerkbare Voreingenommenheit zu konstatieren.

Wenigstens sei ihr versagt, das Andenken des samaritanischen Theurgen mit einer Vergleichung zu belasten, die nur auf einem Zufall beruhen kann. In einer Darstellung des Historikers Josephus spielt nämlich ein jüdischer Magier namens Simon, aus Cypern gebürtig, für den Landpfleger Felix die Rolle eines Kupplers (Ant. XX, 7, 1). Die Umstände dieser Erzählung passen zu wenig auf Simon von Gitton, als daß man ihn für die Handlungen einer Person verantwortlich machen dürfte, die mit ihm nur den Namen gemein haben mochte, den damals tausende von Leuten führten, und die Anmaßung, Übernatürliches verrichten zu können, die unglücklicherweise eine Menge seiner Zeitgenossen teilte.


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