Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Erstes Kapitel.

Bildung der auf die Auferstehung Jesu sich beziehenden Glaubenssätze. – Die Erscheinungen von Jerusalem.

Obgleich Jesus stets von Auferstehung und neuem Leben sprach, hatte er doch nie ausdrücklich bemerkt, daß er in seinem Fleische auferstehen würde.Mark. XVI, 11; Luk. XVIII, 34, XXIV, 11; Joh. XX, 9, 24 etc. Die entgegengesetzte Meinung ist ausgedrückt Matth. XII, 40, XVI, 4, 21, XVII, 9, 23, XX, 19, XXVI, 32; Mark. VIII, 31, IX, 9, 10, 31, X, 34; Luk. IX, 22, XI, 29, 30, XVIII, 31 etc., XXIV, 6-8; Justin. Dial. cum Tryph. 106, kommt daher, daß man zu Beginn einer gewissen Epoche viel darauf hielt, daß Jesus seine Auferstehung angekündigt habe. Übrigens bekennen die Synoptiker, daß wenn Jesus davon sprach, die Apostel es nicht verstanden hätten (Mark. IX, 10, 32; Luk. XVIII 34; vgl. Luk. XXIV, 8 und Joh. II, 21, 22).. Die Jünger hatten hinsichtlich dessen in den seinem Tode zunächst folgenden Stunden keine bestimmte Hoffnung. Die Gefühle, die sie uns mit einer naiven Vertraulichkeit äußern, lassen sogar annehmen, daß sie nun alles als beendet betrachtet haben. Sie beweinten und begruben ihren Freund, wenn auch nicht als gewöhnlichen Toten, so doch als eine Person, deren Verlust unersetzlich ist (Mark. XVI, 10; Luk. XXIV, 17, 21); sie sind traurig und niedergeschlagen; die Hoffnung, die sie hegten, in ihm das Heil Israels verwirklicht zu sehen, war vereitelt; man könnte sie für Männer halten, die eine große und teure Illusion verloren haben.

Aber Begeisterung und Liebe finden immer einen Ausweg. Sie spielen mit dem Unmöglichen und bevor sie ihrem Hoffen entsagen, thun sie lieber der Wirklichkeit Gewalt an. Mehrere Worte des Meisters, deren man sich erinnerte, besonders diejenigen, durch die er sein künftiges Erscheinen voraussagte, konnten in dem Sinne gedeutet werden, daß er aus dem Grabe erstehen würde (s. die vorher citierten Stellen, besonders Luk. XVII, 24, 25, XVIII, 31-34). Eine solche Gläubigkeit war übrigens so natürlich, daß schon der Glaube der Jünger genügt hätte, um sie in allen Teilen zu schaffen. Die großen Propheten Henoch und Elias hatten den Tod nicht verkostet. Man neigte sich selbst dem Glauben zu, daß die Patriarchen und die hervorragendsten Männer des Alten Testaments nicht wirklich tot, daß ihre Leiber in ihren Gräbern zu Hebron lebten und beseelt seien.Talmud von Bab. Baba Bathra 58a und der arabische Auszug von Abbé Bargès in dem » Bulletin de l'Oeuvre des pèlerinages en terre sainte «, Febr. 1863. Jesus mußte dasselbe begegnen, was allen Menschen begegnet, welche die Aufmerksamkeit von ihresgleichen gefesselt haben. Die Welt, gewohnt, ihnen übermenschliche Tugenden beizumessen, kann es nicht fassen, daß sie dem ungerechten, empörenden, harten Gesetze allgemeinen Todes unterworfen sein sollten. Im Moment, wo Mohammed starb, trat Omar mit dem Säbel in der Hand aus dem Zelte und erklärte, er werde jedem den Kopf abschlagen, der zu sagen wagte, der Prophet sei nicht mehr.Ibn-Hischam Sirat errasul ; Ausg. Wüstenfeld, S. 1012 u. fg. Der Tod ist ein so absurdes Ding, wenn er einen Menschen von Genie und einen großherzigen Menschen niederschlägt, daß das Volk an die Möglichkeit eines solchen Irrtums der Natur nicht glauben will. Die Helden sterben nicht. Besteht die wirkliche Existenz nicht darin, daß sie für uns fortwähre in den Herzen derjenigen, die uns lieben? Dieser angebetete Meister hatte jahrelang die kleine Welt, die sich um ihn geschart hatte, mit Freude und Hoffnung erfüllt: konnte man nun zugeben, daß er im Grab vermodere? Nein! Zu sehr hatte er in denjenigen, die ihn umgaben, gelebt, als daß man nach seinem Tode nicht hätte behaupten sollen, er lebe noch immer (Luk. XXIV, 23, Apostelg. XXV, 19; Jos. Ant . XVIII, 3, 3).

Der Tag, welcher der Grablegung Jesu folgte (Samstag, 15. Nisan), war von diesen Gedanken erfüllt. Man unterließ des Sabbaths wegen jede Handarbeit; aber nie mochte eine Ruhezeit fruchtbarer gewesen sein. Das christliche Bewußtsein hatte an jenem Tage nur einen Gegenstand: den im Grabe ruhenden Meister. Besonders die Frauen überhäuften ihn im Geiste mit ihren zärtlichsten Liebkosungen. Ihre Gedanken verlassen auch nicht für einen Augenblick den in Myrrhen gebetteten teuern Freund, welchen die Bösen getötet haben. Ach, zweifellos! ihn umgeben jetzt die Engel und verhüllen ihre Angesichter mit seinem Leichentuch. Wohl sagte er, daß er sterben werde, daß sein Tod dem Sünder zum Heil werde, und daß er im Reich seines Vaters wieder aufleben werde. Jawohl! er wird wieder aufleben! Gott wird seinen Sohn nicht der Hölle zur Beute werden lassen; er wird nicht zugeben, daß sein Erwählter die Verwesung erkenne!Psalm XVI, 10. Der Sinn des Originals ist etwas verschieden, doch geben die besten Übersetzungen diese Stelle in diesem Sinne. Was bedeutet auch der Grabstein, der auf ihm lastet! Er wird ihn beseitigen; er wird zur Rechten seines Vaters sich erheben, von wo er auch gekommen ist. Und wir werden ihn wiedersehen; wir werden seine holde Stimme vernehmen; wir werden uns von neuem seiner Gespräche erfreuen und sie werden ihn vergeblich getötet haben.

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, der durch den Einfluß griechischer Philosophie zum christlichen Dogma geworden, macht es leicht, für den Tod das Wort zu führen, da nach dieser Hypothese, die Auflösung des Leibes nur die Befreiung der Seele ist, die fortan von den hindernden Banden befreit ist, ohne die sie bestehen kann. Aber diese Theorie, wonach der Mensch eine Zusammensetzung von zwei Substanzen wäre, war den Juden nicht klar. Das Reich Gottes und die Herrschaft des Geistes bestand für sie in einer vollständigen Umformung der Welt und in einer Vernichtung des Todes (1. Thess. IV, 12 etc.; 1. Kor. 15; Offenb. 20 bis 22). Anerkennen, daß der Tod siegreich über Jesu sein konnte, über den, der gekommen dessen Reich zu zerstören: das dünkte der Gipfel des Unsinns zu sein. Schon der Gedanke, daß er leiden könnte, hatte früher seine Jünger empört (Matth. XVI, 21 etc.; Mark. VIII, 31 etc.). Diese hatten demnach nur die Wahl zwischen Verzweiflung und heldenhaftem Zugeständnis. Ein scharfsinniger Mensch hätte bereits Samstag ankündigen können, daß Jesus auferstehen werde. Die kleine christliche Gemeinde vollbrachte an jenem Tage ein wahres Wunder: sie ließ in ihrem Herzen durch die innige Liebe zu Jesus diesen auferstehen. Sie entschied, daß Jesus nicht sterben würde. Die Liebe dieser leidenschaftlichen Seelen war thatsächlich stärker als der Tod (Jos. Ant . XVIII, 3, 3). Und da es der Leidenschaft zu eigen ist sich fortzupflanzen, einer Fackel gleich zu entzünden, ein Gefühl zu erwecken, das ihr selbst ähnlich ist und sich ins Unendliche erweitert – war Jesus in der Stunde, zu der wir gelangt sind, sozusagen schon auferstanden. Wenn jetzt nun eine unbedeutende materielle Thatsache den Glauben zuläßt, daß sein Leib nicht mehr hienieden sei, so ist das Dogma der Auferstehung für Zeit und Ewigkeit begründet.

Das war es, was unter Umständen erfolgte, die wohl teilweise zufolge des geringen Zusammenhangs der Traditionen, und besonders der in diesen enthaltenen Widersprüche, dunkel sind, aber nichtsdestoweniger sich mit einem ausreichenden Grad der Wahrscheinlichkeit annehmen lassen. (Man lese aufmerksam die vier Darstellungen der Evangelien und die Stelle 1. Kor. XV, 4-8).

Sonntag in früher Morgenstunde begaben sich die galiläischen Frauen, die Freitag abends in aller Eile den Leib einbalsamiert hatten, zur Höhle, wo er zeitweilig eingebracht wurde. Es waren Maria Magdalena, Maria Kleophas, Salome, Johanna, Weib des Kusa und noch andere (Matth. XXVIII, 1; Mark. XVI, 1; Luk. XXIV, 1; Joh. XXI, 1). Sie kamen wahrscheinlich einzeln dahin, denn wenn es schwer ist, die Überlieferungen der drei Synoptiker anzuzweifeln, nach welchen mehrere Frauen zu dem Grabe kamen (Joh. XX, 2, scheint sogar anzunehmen, daß Maria nicht immer allein war), so ist es anderseits wieder gewiß, daß nach den zwei authentischesten Darstellungen, die wir von der Auferstehung besitzen, einzig nur Maria Magdalena hierbei eine Rolle spielt.Joh. XX, 1 etc.; Mark. XVI, 9 etc. Bemerkt sei, daß das Evangelium Markus in unseren gedruckten Ausgaben des Neuen Testaments zwei Abschlüsse hat; Mark. XVI, 1-8, XVI, 9-20, ohne von zwei anderen Abschlüssen zu reden, von denen der eine uns als Manuskript L in Paris erhalten blieb, und die Randbemerkung der philoxenischen Übertragung ( Nov. Test , herausg. von Griesbach-Schultz I, 291); die andere durch den heil. Hieronymus Adv. Pelag, I, II (Bd. IV, 2. Th. Kol. 520, herausg. von Martianay). Der Abschluß XVI. 9 etc. fehlt im Manuskript B des Vatikans, im Codex Sinaiticus und in den bedeutendsten griechischen Handschriften. Jedenfalls ist sie sehr alt und ihre Übereinstimmung mit dem vierten Evangelium ist eine auffallende Erscheinung. In jedem Falle hatte sie in diesem feierlichen Moment eine ganz außergewöhnliche Thätigkeit entwickelt. Sie ist es, der man Schritt auf Schritt folgen muß, denn sie trug an diesem Tage, während einer Stunde die ganze Arbeit des christlichen Bewußtseins; ihr Zeugnis entschied über den Glauben der Zukunft.

Erinnern wir uns, daß die Höhle, in die Jesu Leichnam geschlossen wurde, frisch in den Felsen gehauen war und in einem Garten nächst der Richtstätte sich befand (Matth. XXVII, 60; Mark. XV, 46; Luk. XXIII, 53). Man wählte sie einzig nur aus diesem Grunde, denn es war spät und man wollte den Sabbath nicht entweihen (Joh. XIX, 41, 42). Nur das erste Evangelium fügt einen Umstand dazu: die Höhle habe Joseph von Arimathia gehört. Aber im allgemeinen sind die anekdotenhaften Umstände, die von dem ersten Evangelium dem gemeinsamen Grund der Tradition zugefügt werden, ohne Wert, besonders wenn es sich um die letzten Tage des Lebens Jesu handelt (vgl. »Leben Jesu«, S. 29). Das Evangelium erwähnt eine andere Einzelheit, die im Hinblick auf das Schweigen der andern keine Wahrscheinlichkeit für sich hat: es ist das der Umstand, daß das Grab versiegelt wurde und eine Wache dahingestellt.Das Evangelium der Hebräer enthält vielleicht einen analogen Umstand (in Hieronymus' De viris illustribus 2). – Erinnern wir uns auch, daß die Grabhöhle aus niedrigen, in einen gesenkten Felsen gehauenen Kammern bestand, an welchem ein senkrechter Einschnitt gemacht wurde. Die Thüröffnung war gewöhnlich von oben herab durch einen schweren Stein geschlossen, der in einen Falz verlief.De Vogué »Les églisses de la terre sainte«. S. 125,126. Das Wort άποχυλίω (Matth. XXVIII. 2; Mark. XVI, 3, 4; Luk. XXIX, 2) beweist wohl, daß dies die Einrichtung des Grabes war. Die Kammern hatten kein Schloß und Riegel, die Schwere des Steines war die einzige Gewähr vor Dieben und Grabschändern; auch war er dermaßen beschaffen, daß zu seiner Bewegung eine Maschine oder die vereinten Bemühungen mehrerer Personen nötig waren. Alle Traditionen stimmen damit überein, daß der Stein vor die Öffnung der Höhle Freitag abends gelegt wurde.

Als nun aber Maria Magdalena Sonntag morgens dahin kam, war der Stein nicht mehr an seiner Stelle. Die Höhle stand offen. Der Leichnam befand sich nicht mehr dort. Der Auferstehungsgedanke war bei ihr noch wenig entwickelt. Was ihre Seele erfüllte war zarte Trauer und der Wunsch, die Leichenpflege am Leibe ihres göttlichen Freundes vorzunehmen. Auch waren ihre ersten Gefühle Überraschung und Schmerz. Das Verschwinden des teuern Leibes raubte ihr die letzte Freude, auf die sie noch gerechnet hatte. Sie sollte seine Hände nicht mehr berühren! ... Und was ist aus ihm geworden? ... Der Gedanke an eine Schändung stieg in ihr auf und empörte sie. Vielleicht, daß gleichzeitig auch ein Hoffnungsschimmer durch ihr Gemüt zog. Ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, lief sie nach einem Hause, wo Petrus und Johannes vereint sich befanden.In alledem hat die Darstellung des vierten Evangeliums eine große Überlegenheit. Sie dient uns als Hauptführer. In Luk. XXIV, 12 geht Petrus allein zum Grabe. Am Schlusse des Markus nach der Hauptschrift L und nach der Randnote der philoxenischen Übersetzung (Griesbach loc. cit. ) findet sich τοίς περί τόν Πέτρον Paulus (1.Kor. XV, 5) läßt gleichfalls nur Petrus bei dieser ersten Erscheinung figurieren. Später vermutet Lukas (XXIV, 24), daß mehrere Jünger nach dem Grabe gegangen sind, was sich wahrscheinlich auf die nachfolgenden Besuche anwenden läßt. Es ist möglich, daß Johannes einen Hintergedanken äußerte, der sich in seinem Evangelium mehr als einmal verrät, daß er nämlich zeigen will, er habe in der Geschichte Jesu eine Rolle ersten Ranges gespielt, die selbst der des Petrus gleich war. Vielleicht auch, daß die wiederholten Erklärungen des Johannes, der ein Augenzeuge der Grundhandlungen des christlichen Glaubens war (Evang. I, 14, XXI, 24; 1. Joh. I, 1–3, IV, 14), auf diesen Besuch sich anwenden lassen. »Man hat den Leib des Meisters fortgenommen,« rief sie aus, »und wir wissen nicht, wohin man ihn gebracht hat.«

Die beiden Jünger erheben sich hastig und laufen wie sie nur können. Johannes, der jüngere kommt als erster an. Er bückt sich, um hineinzuschauen. Maria hatte recht. Das Grab ist leer. Die Leichenlinnen liegen in der Höhle zerstreut umher. Jetzt kommt Petrus daher. Beide treten ein, prüfen die Linnen, die zweifellos mit Blut befleckt sind und bemerken besonders, daß das Schweißtuch, das früher sein Haupt umhüllte, abseits in einem Winkel liege (Joh. XX, 1–10; vgl. Luk. XXIV, 12, 34; 1. Kor. XV, 5 und den Schluß von Mark. im Manuskript L ). Petrus und Johannes ziehen sich höchst aufgeregt zurück. Wenn sie auch noch nicht das entscheidende Wort »Er ist auferstanden,« ausrufen, so läßt sich doch sagen, daß eine solche Folgerung sich unwiderruflich ergeben habe, und daß das Grunddogma des Christentums bereits gelegt war.

Petrus und Johannes entfernten sich von dem Garten und Maria blieb allein am Rande der Höhle zurück. Sie weinte unabläßlich. Ein einziger Gedanke beschäftigte sie: Wohin wurde der Körper gebracht? Ihr Weibesherz ging nicht über den Wunsch hinaus, noch einmal den vielgeliebten Leichnam in die Arme schließen zu können. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein leichtes Geräusch. Ein Mann ist da. Sie wähnt anfangs, es sei der Gärtner. »Ach,« ruft sie aus, »wenn du ihn fortgenommen hast, so sag mir, wohin du ihn gebracht hast, damit ich ihn mitnehme.« Als Antwort hört sie nur ihren Namen rufen: »Maria!« Das war die Stimme, die sie so oft gerührt hatte. Das war der Ton Jesu. »Ach, mein Meister!« ruft sie aus... Sie will ihn berühren. Eine instinktive Bewegung führt sie dahin, ihm die Füße zu küssen.Matth. XXVIII, 9, wobei zu bemerken ist, daß Matth. XXVIII, 9, 10 mit Joh. XX, 16, 17 übereinstimmt. Die schattenhafte Erscheinung weicht zurück, indem sie ihr zuruft: »Rühre mich nicht an!«

Allmählich verschwindet der Schatten.Joh. XX, 11-17 in Übereinstimmung mit Mark. XVI, 9, 10. Vgl. die parallele, jedoch weniger befriedigende Darstellung in Matth. XXVIII, 1-10; Luk. XXIV, 1-10. Aber das Wunder der Liebe ist vollbracht. Was Kephas nicht zu thun vermochte, das hat Maria gethan: sie vermochte das Leben, das sanfte, durchdringende Wort aus dem leeren Grabe zu ziehen. Es handelt sich nicht mehr darum Konsequenzen zu ziehen oder Konjekturen zu formen. Maria hat gesehen und gehört. Die Auferstehung hat ihren ersten unmittelbaren Zeugen.

Thöricht vor Liebe, trunken vor Freude, eilte Maria nach der Stadt und den ersten Jüngern, denen sie begegnete, rief sie zu: »Ich habe ihn gesehen! Er hat mit mir gesprochen!« (Joh. XX, 18). Ihre stark gestörte Einbildungskraft (vgl. Mark. XVI, 9; Luk. VIII, 2), ihre abgerissene, unzusammenhängende Redeweise machten, daß sie von einigen für eine Närrin gehalten wurde (Luk. XXIV, 11). Petrus und Johannes erzählten wieder, was sie selbst gesehen hatten (Luk. XXIV, 24). Andere Jünger zogen zum Grab und sahen dasselbe. Die bestimmte Überzeugung dieser ganzen Gruppe war, daß Jesus auferstanden sei. Wohl waren noch so manche Zweifel vorhanden, jedoch die Versicherungen von Maria, Petrus und Johannes beeinflußten die anderen. Später nannte man dies »die Vision Petri«.Luk. XXIV, 34; 1. Kor. XV, 5; Schluß von Mark. im Manuskript L. Das Bruchstück des Evangeliums der Hebräer in des heil. Ignatius » Epist. ad Smyrn. « 3 und des heil. Hieronymus » de viris ill. « 16, scheinen die »Vision Petri« auf den Abend zu verlegen und verbinden sie mit der Vision der versammelten Apostel. Aber der heilige Paulus unterscheidet ausdrücklich zwei Visionen. Besonders Paulus erwähnt nicht die Vision der Maria und spricht die Ehre der ersten Erscheinung Petrus zu. Aber dieser Ausdruck ist sehr ungenau. Petrus sah nur das leere Grab, das Schweißtuch und das Grablinnen. Einzig nur Maria besaß Liebe genug, um der Natur vorauszueilen und das Phantom des trefflichen Meisters aufleben zu lassen. In solchen wundervollen Krisen hat das nach andern Sehen nichts zu bedeuten; das ganze Verdienst besteht darin, zuerst zu sehen, denn die andern formen dann ihre Vision nach dem empfangenen Typus. Es ist das Eigentümliche der schönen Organisationen, das Bild rasch zu erfassen, mit Genauigkeit und durch eine Art Vertrautheit mit der Zeichnung. Der Ruhm der Auferstehung gehört daher Maria Magdalena. Nach Jesus ist es Maria, die das meiste zur Gründung des Christentums beigetragen hat. Der durch den Zartsinn der Magdalena geschaffene Schatten schwebt noch über der Welt. Königin und Schutzfrau der Idealisten konnte Magdalena besser als irgendwer ihren Traum bestätigen, allen die heilige Vision ihrer leidenschaftlichen Seele aufzwingen. Ihre große weibliche Versicherung: »Er ist auferstanden!« wurde die Grundlage des Glaubens der Menschheit. Fort von hier, ohnmächtige Vernunft! Versuche nicht, eine kalte Analyse auf dieses Meisterwerk des Idealismus und der Liebe anzuwenden. Wenn die Weisheit darauf verzichtet dieses arme menschliche Geschlecht zu trösten, das verraten durch das Schicksal ist, so möge die Thorheit dieses Abenteuer wagen. Wo ist der Weise, welcher der Welt so viel Freude geschaffen hat, wie die besessene Maria Magdalena?

Die andern Frauen aber, die am Grabe gewesen waren, verbreiteten verschiedene Gerüchte.Luk. XXIV, 22–24, 34. Es ergiebt sich aus diesen Stellen, daß die Neuigkeiten sich gesondert verbreiteten. Sie hatten Jesum nicht gesehen,Mark. XVI, 1–8. – Matth. XXVIII, 9, 10 sagt das Gegenteil. Aber dies verhallt in dem synoptischen System, wo die Frauen nur einen Engel sehen. Es scheint, daß das erste Evangelium das synoptische System und das des vierten Evangeliums, wonach eine einzige Frau Jesum sieht, vereinigen wollte. aber sie sprachen von einem weißen Mann, den sie in der Höhle sahen und der ihnen sagte: »Er ist nicht mehr hier; kehrt nach Galiläa zurück. Er wird euch vorangehen und ihr werdet ihn da sehen«.Matth. XXVIII, 2 etc.; Mark. XVI, 5 etc.; Luk. XXIII, 4 etc., 23. Diese Erscheinung der Engel schlich sich selbst in die Darstellung des vierten Evangeliums ein (XX, 12, 13), wodurch sie vollkommen verwirrt wird, wenn sie auf Maria Magdalena angewendet wird. Der Verfasser wollte diesen von der Tradition gegebenen Zug nicht fortlassen. Vielleicht waren es die weißen Grablinnen, die zu dieser Hallucination Anlaß gaben. Vielleicht auch, daß sie überhaupt nichts sahen und von ihrer Vision erst zu erzählen begannen, als Maria Magdalena die ihrige erzählt hatte. Nach einem der authentischsten Texte wahrten sie in der That eine Zeitlang das Schweigen, ein Schweigen, das man später der Furcht beimessen wollte (Mark. XVI, 8). Wie immer es sei: diese Darstellungen wuchsen mit jeder Stunde und erfuhren die seltsamsten Entstellungen. Der weiße Mann wurde zum Engel Gottes; man erzählte, sein Gewand sei blendend weiß wie Schnee gewesen, seine Gestalt einem Blitze gleich. Andere sprachen von zwei Engeln, wovon der eine zu Häupten, der andere zu Füßen des Grabes erschienen sei (Luk. XXIV, 4–7; Joh. XX, 12–13). Abends glaubten vielleicht schon viele, die Frauen hätten diesen Engel vom Himmel niedersteigen sehen, den Stein wegwälzen, wonach sich Jesus geräuschvoll erhob.Matth. XXVIII, 1 etc. Die Darstellung des Matthäus übertreibt die Umstände am meisten. Das Erdbeben und die Rolle der Wächter sind wahrscheinlich spätere Zusätze. Sie selbst wichen untereinander in ihren Angaben ab; unter dem Einflusse der Einbildungskraft anderer stehend, wie dies bei Leuten aus dem Volke gewöhnlich der Fall ist, gaben sie zu den möglichsten Ausschmückungen Anlaß und nahmen an der Schöpfung der Legende teil, die um sie und anläßlich ihrer entstand.Die sechs oder sieben Darstellungen, die wir über diesen Vorfall von morgens besitzen (Markus hat zwei oder drei, Paulus hat ebenfalls die seinige, ohne vom Evangelium der Hebräer sprechen zu wollen), stimmen in gar keiner Weise miteinander überein. Der Tag war stürmisch und entscheidend. Die kleine Gesellschaft war sehr zerstreut. Einige waren bereits nach Galiläa gezogen, andere verbargen sich aus Furcht.Matth. XXVI, 31; Mark. XIV, 27; Joh. XVI, 32; Justin. Apol. I, 50; Dial. cum Tryph. 53, 106. Die Meinung Justinus ist, daß im Augenblick des Todes Jesu ein vollständiger Abfall seiner Jünger geschehen sei. Die beklagenswerte Scene vom Freitag, das betrübende Schauspiel, das man vor Augen hatte, indem man denjenigen, auf welchen man so viel Hoffnung gesetzt hatte, an dem Galgen enden sah, ohne daß sein Vater ihn befreit hätte, hatte übrigens den Glauben vieler erschüttert. Die von den Frauen und Petrus gegebenen Nachrichten fanden auf verschiedenen Seiten einen kaum verhohlenen Unglauben (Matth. XXVIII, 17; Mark. XVI, 11; Luk. XXIV, 11). Die verschiedenen Erzählungen kreuzten sich. Die Frauen gingen dahin, dorthin und führten die seltsamsten und widerspruchvollsten Reden, indem die eine die andere überbieten wollte. Die entgegengesetztesten Gefühle traten zu Tage. Die einen beweinten noch das traurige Geschehnis des zweitvorigen Abends; die andern triumphierten bereits; und alle waren geneigt die außerordentlichsten Erzählungen aufzunehmen. Indes, das Mißtrauen, welches die Exaltation der Maria Magdalena hervorrief (Mark. XVI, 9; Luk. VIII, 2); die geringe Autorität der Frauen und das Unzusammenhängende ihrer Darstellungen erweckten große Zweifel. Man war in der Erwartung neuer Erscheinungen, die nicht fehlen konnten sich einzustellen. Der Zustand der Sekte war der Verbreitung seltsamer Gerüchte höchst günstig. Wenn die ganze kleine Gemeinde versammelt gewesen wäre, so wäre die legendäre Schöpfung unmöglich gewesen; diejenigen, die um das Verschwinden des Leichnams wußten, hätten wahrscheinlich gegen den Irrtum Einsprache erhoben. Aber in diesem Zustand der Verwirrung stand den fruchtbarsten Mißverständnissen Thür und Thor offen.

Es ist das Eigentümliche der Seelenzustände, in welchen Ekstase und Erscheinungen werden, daß sie ansteckend sind.S. z. B. Calmeil: » De la folie au point de vue pathologique, philosophique, historique et judiciaure «, Paris 1845. Die Geschichte aller großen religiösen Krisen beweist, daß diese Art von Visionen übertragbar sind. In einer Gesellschaft von Personen, die von gleichem Glauben erfüllt sind, genügt es, daß ein Mitglied der Vereinigung behauptet etwas Übernatürliches zu sehen oder zu hören, damit die andern es auch hören oder sehen. Bei den verfolgten Protestanten hatte sich das Gerücht verbreitet, man habe in den Ruinen eines kurz vorher zerstörten Tempels Engel Psalmen singen gehört; alle gingen dahin und vernahmen denselben Psalm singen.S. » Lettres pastorales « von Jurieu I, 7. Brief; III, 4 Br. Missions » Les théâtre sacré des Cévennes « (London 1707), S. 28, 34, 38, 102, 103, 104, 107. Die Memoiren von Court in Sayous » Hist. de la litter. franç. et étr. « XVII. Jahrg. I, 303; Bulletin de la soc. de l'hist. du protest. franç. 1862, S. 174.

In derartigen Fällen sind es die Leidenschaftlichsten, welche das Gesetz geben und welche den Grad der gemeinschaftlichen Atmosphäre regeln. Die Exaltation der einen überträgt sich auf alle; niemand will zurückbleiben oder zugeben er sei minder begünstigt als die andern. Diejenigen, die nichts sehen, werden hingerissen und glauben schließlich, daß sie weniger zur Erkenntnis gelangt sind, oder sich von ihren Eindrücken keine Rechenschaft zu geben wissen; in jedem Fall hüten sie sich es einzugestehen; sie würden das Fest stören, die andern betrüben und sich selber Unannehmlichkeiten zuziehen. Wenn eine Erscheinung in solchen Verbindungen sich äußert, so ist es daher gewöhnlich, daß sie alle sehen oder gelten lassen. Übrigens sei nicht vergessen, welches der Grad geistiger Bildung der Jünger Jesu war. Das, was man einen schwachen Kopf nennt, verbindet sich sehr leicht mit der größten Herzensgüte. Die Jünger glaubten an Gespenster (Matth. XIV, 26; Mark. VI, 49; Luk. XXIV, 37; Joh. IV, 19); sie bildeten sich ein von Wundern umgeben zu sein; sie hatten keinen Anteil an der positiven Wissenschaft ihrer Zeit. Diese Wissenschaft bestand nur bei einigen hundert Männern, die einzeln zerstreut in den Ländern lebten, die von der griechischen Kultur durchdrungen wurden. Aber die große Menge aller Länder hatte nur einen geringen Anteil daran. In dieser Beziehung war Palästina eines der zurückgebliebensten Länder; die Galiläer waren die Unwissendsten der Palästinienser und die Jünger Jesu konnten nur den schlichtesten Leuten von Galiläa zugezählt werden. Diese Schlichtheit eben war es, die ihnen ihre himmlische Erwählung verschafft hatte. In einer solchen Welt fand der Glaube an Wunderthaten die außergewöhnlichste Erleichterung seiner Verbreitung. Als einmal der Glaube an die Auferstehung Jesu sich verbreitet hatte, mußten zahlreiche Visionen hervortreten. Und sie traten auch hervor.

Noch am Sonntag, in einer vorgeschrittenen Morgenstunde, als die Erzählungen der Frauen schon die Runde gemacht hatten, unternahmen zwei Jünger, von denen der eine sich Cleopatros oder Cleophas nannte, eine kleine Reise nach Emmaus, einem Örtchen, das unfern von Jerusalem gelegen war (Mark. XVI, 12, 13; Luk. XXIV, 13-33).Vgl. Josephus B. J. VII, 6, 6. Lukas verlegt diesen Ort auf 60 und Josephus auf 30 Stadien von Jerusalem, Ἑξήκοντα, wie manche Handschriften und manche Ausgaben von Josephus anführen, ist eine christliche Korrektur. S. die Ausgabe von G. Dindorf. Die wahrscheinlichste Lage von Emmaus ist Kulonieh, ein schöner im Thal gelegener Ort, auf dem Wege von Jerusalem nach Jaffa. S. Sepp, »Jerusalem und das Heil. Land,« 1863 I, S. 56; Bourquenoud in » Etudes rel. hist. et litt. des P. P. de la Soc. de Jésus ,« 1863, Nr. 9; und für die genaue Entfernung: H. Zschokke, »Das neutest. Emmaus,« Schaffhausen 1865. Sie besprachen miteinander die letzten Ereignisse und waren mit Trauer erfüllt. Während des Weges gesellte sich ihnen ein Unbekannter zu und fragte sie um die Ursache ihres Kummers. »Bist du denn der einzige Fremde in Jerusalem,« sprachen sie zu ihm, »um nicht zu wissen, was sich hier zugetragen hat? Hast du nicht von Jesus von Nazareth reden hören, der ein Prophet war, mächtig vor Gott und dem Volke in Wort und Werk? Weißt du nicht, daß die Priester und Großen ihn verurteilen und kreuzigen ließen? Wir hofften, er werde Israel befreien und sieh, heute ist der dritte Tag nachdem dies alles geschehen ist. Und nun kommt noch, daß einige Frauen, die zu den Unsrigen zählen, uns in eine seltsame Verwirrung gebracht haben. Sie waren vor Tagesanbruch bei dem Grabe, sie haben den Leichnam nicht gefunden, aber sie behaupten Engel gesehen zu haben, die ihnen sagten, daß er lebe. Einige der Unserigen begaben sich dann zum Grabe und fanden alles so, wie es die Frauen erzählt haben, aber ihn haben sie nicht gesehen.« Der Unbekannte war ein frommer Mann, erfahren in der Schrift, und er citierte Moses und die Propheten. Diese drei guten Leute schlossen Freundschaft. Als sie sich Emmaus näherten und der Unbekannte seinen Weg fortsetzen wollte, baten ihn die zwei Jünger das Abendmahl mit ihnen zu teilen. Der Tag ging zur Rüste; die Erinnerungen der beiden Jünger wurden nun viel schmerzlicher. Dieser Stunde des Abendmahls mußten alle in Wonne und Wehmut gedenken. Wie oft hatten sie nicht in dieser Zeit den vielgeliebten Meister des Tages Last im frohen Gespräche vergessen sehen, wie er, belebt von einigen Tropfen edlen Weines mit ihnen von der Frucht des Weinstockes sprach, die er mit ihnen aufs neue im Reiche seines Vaters genießen werde. Die Bewegung, die er, gemäß dem Brauche des Hausherrn bei den Juden machte, um das Brot zu brechen und mit ihnen zu teilen, war tief in ihrer Erinnerung eingeprägt. Erfüllt von trauter Wehmut vergessen sie des Fremden; nur Jesus sehen sie, der das Brot hält, bricht und ihnen anbietet. Diese Erinnerung beschäftigt sie dermaßen, daß sie kaum bemerken, wie ihr Weggenosse, der genötigt war seine Reise fortzusetzen, sie verlassen hat. Als sie aus ihrer Träumerei erwachten, sprachen sie zueinander: »Fühlen wir nicht etwas Seltsames? Erinnerst du dich nicht, wie sehnend unser Herz schlug, als er wegüber mit uns sprach?« – »Und die Prophezeiungen, die er anführte, beweisen wohl, daß der Messias leiden muß, um zu seiner Glorie einzugehen. Hast du ihn nicht an dem Brechen des Brotes erkannt?« – »Jawohl! Unsere Augen waren bisher geschlossen, sie haben sich geöffnet, seit er entschwunden ist.« Die Überzeugung der beiden Jünger war, daß sie Jesus gesehen hätten. In aller Hast kehrten sie nach Jerusalem zurück.

Die Hauptgruppe der Jünger war in diesem Momente um Petrus versammelt«.Mark. XVI, 14; Luk. XXIV, 83 ec.; Ioh. XX, 19 ec.; Evang. der Heb. im heil. Ignatius, Epist. ad Smyrn. 3 und im heil. Hieronymus, De vir. i11. 16; 1. Kor. XV, 5; Justin. Dial cum Tryph. 106. Die Nacht war gänzlich eingetreten. Jeder teilte seine Eindrücke mit und was er vernommen hatte. Der allgemeine Glaube forderte bereits, daß Jesus auferstanden sei. Beim Eintritt der beiden Jünger beeilte man sich ihnen zu erzählen, was man »die Vision Petri« nannte (Luk. XXIV, 34). Sie ihrerseits erzählten nun, was ihnen unterwegs begegnet war und wie sie ihn an dem Brechen des Brotes erkannt hatten. Die Einbildungskraft aller war lebhaft erregt. Die Thüren waren geschlossen, denn man fürchtete die Juden. Die orientalischen Städte sind nach Sonnenuntergang wie ausgestorben. Die Ruhe im Innern des Hauses war daher zeitweilig sehr groß; das geringste zufällige Geräusch wurde im Sinne der allgemeinen Erwartung gedeutet. Die Erwartung schafft gewöhnlich ihren Gegenstand.Auf einer Rotterdam gegenüber liegenden Insel, deren Bewohner strenge Calvinisten sind, herrscht bei den Bauern die Überzeugung, daß Jesus an ihr Totenbett komme, den Erwählten ihre Rechte zusichernd. Viele wollen ihn in der That auch sehen.

Während eines Augenblicks der Ruhe geht ein leiser Hauch über die Gesichter der Anwesenden. In solchen Augenblicken entscheidet ein Luftzug, ein Knarren des Fensters, ein zufälliges Gemurmel über den Glauben der Völker auf Jahrhunderte hinaus. Gleichzeitig mit dem Lufthauch glaubte man Worte zu vernehmen. Einige behaupteten das Wort »Schalom,« Glück, Frieden, vernommen zu haben. Das war der gewöhnliche Gruß Jesu, das Wort, womit er seine Anwesenheit kund gab.

Kein Zweifel! Jesus ist gegenwärtig, er ist mitten in der Versammlung. Das ist seine teure Stimme; jeder erkennt sie.Um die Möglichkeit einer solchen Illusion zu begreifen, braucht man sich nur an die Auftritte in unseren Tagen zu erinnern, wo eine versammelte Menge einmütig ein in Wirklichkeit gar nicht vorhandenes Geräusch zu vernehmen wähnt, und das mit voller Überzeugung. Erwartung, Anstrengung der Einbildungskraft, Geneigtheit zu glauben, manchmal auch unschuldige Eingriffe erklären diejenigen Erscheinungen, welche nicht das Ergebnis des Betrugs sind. Diese Eingriffe kommen gewöhnlich von Personen her, die überzeugt sind, beseelt von einem wohlwollenden Gefühl, die nicht wollen, daß die Versammlung schlecht endige, und die dem Hausherrn aus der Verlegenheit helfen wollen. Wenn man an Wunder glaubt, trägt man immer, auch unbewußt, dazu bei. Zweifel und Verneinung sind bei derartigen Versammlungen unmöglich. Man würde diejenigen, welche daran glauben, wie auch diejenigen, welche eingeladen haben, schmerzlich berühren. Daher kommt es, daß solche Experimente, die in einem kleinen Kreise gelingen, vor dem zahlenden Publikum gewöhnlich, und vor einer wissenschaftlichen Kommission immer mißlingen. Diese Einbildung war um so leichter hervorgebracht, als Jesus selbst gesagt hatte, so oft sie sich in seinem Namen versammelten, werde er in ihrer Mitte sein. Es war daher eine gegebene Sache, daß Sonntag abends Jesus vor seinen versammelten Jüngern erscheinen müsse. Einige behaupteten, an seinen Händen und Füßen die Nägelspuren bemerkt zu haben, und in seiner Lende die Spur des Lanzenstichs. Nach einer sehr verbreiteten Meinung geschah es an diesem Abend selbst, daß er über seine Jünger den heiligen Geist hauchte (Joh. XX, 22, 23, was einen Widerhall bei Luk. XXIV, 49 findet). Der Gedanke wenigstens, daß sein Hauch über die Versammelten gezogen sei, wurde allgemein angenommen.

Das waren die Vorgänge dieses Tages, der das Los der Menschheit bestimmt hatte. Die Meinung, daß Jesus auferstanden sei, begründete sich in einer unerschütterlichen Weise. Der Sekte, die man vernichtet wähnte, als man ihren Meister getötet, war von jetzt an eine unermeßliche Zukunft gesichert.

Indes entstanden noch einige Zweifel (Matth. XXVIII, 17; Mark. XVI, 14; Luk. XXIV, 39, 40). Der Apostel Thomas, der sich nicht in der Versammlung von Sonntag abends befunden hatte, gestand, daß er einen gewissen Neid gegen jene empfinde, welche die Wundmale der Nägel und der Lanze erblickt hatten. Es heißt, er sei acht Tage später befriedigt worden.Joh. XX, 24–29; vgl. Mark. XVI, 14; Luk. XXIV, 39, 40 und den bei Hieronymus Adv. Pelag. II (s. oben Seite 53) aufbewahrten Schluß. Aber es verblieb auf ihm ein leichter Fleck, eine Art sanfter Vorwurf. Durch die instinktive Ansicht vollkommener Richtigkeit begriff man, daß das Ideal nicht mit Händen berührt werden wolle, daß es nicht nötig habe sich der Kontrolle der Erfahrung zu unterwerfen. Noli me tangere ist das Gebot jeder großen Liebe. Die Berührung läßt dem Glauben nichts; das Auge, ein reineres und edleres Organ als die Hand, das Auge, welches durch nichts beschmutzt wird und das nichts beschmutzt, wird bald selbst ein überflüssiger Zeuge. Ein eigentümliches Gefühl begann sich zu äußern. Jede Zögerung schien ein Mangel an Ergebenheit und Liebe zu sein; man schämte sich zurück zu bleiben; man versagte sich den Wunsch des Sehens. Der Spruch: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben« (Joh. XX, 29), wurde zum Losungswort. Man fand etwas Edles, daran zu glauben ohne zu prüfen. Die wahren Herzensfreunde wollten keine Vision gehabt habenEs ist in der That recht merkwürdig, daß Johannes, unter dessen Namen der vorher citierte Spruch uns überliefert wurde, für sich selbst keine besonderen Visionen hatte. Vgl. I. Kor. XV, 5–8.), in derselben Weise, wie später der heil. Ludwig leugnete, Zeuge eines eucharistischen Wunders gewesen zu sein, um nicht das Verdienst des Glaubens zu verlieren. Von nun an fand die Leichtgläubigkeit eine erschreckende Nachahmung; es fand sozusagen ein Überbieten statt. Das Verdienst bestand darin, zu glauben ohne gesehen zu haben. Der Glaube um jeden Preis, der freiwillige Glaube; der Glaube, der bis zur Thorheit ging, wurde als erste Seelengabe emporgehoben. Das » Credo quia absurdum « ist begründet; das Gesetz christlicher Dogmen soll ein ungewöhnlicher Fortschritt werden, der vor keiner Unmöglichkeit Halt macht. Eine Art ritterliches Gefühl verhindert jemals zurückzublicken. Die der Frömmigkeit teuersten Dogmen, die, an welche sie sich mit allen Kräften festhalten wird, werden die der Vernunft am meisten widerstrebenden sein, zufolge jener rührenden Idee, daß der sittliche Wert des Glaubens im Verhältnis der Schwierigkeit zu glauben zunehme, und daß man keinen Beweis der Liebe giebt, indem man annimmt, was deutlich zu sehen ist.

Diese ersten Tage waren also wie eine Periode heftigen Fiebers, wo die Gläubigen sich gegenseitig berauschten und einander ihre Träumereien aufbürdeten, wo einer den andern mit sich fortriß und sich den übertriebensten Ansichten hingab. Die Visionen vermehrten sich unaufhaltsam. Die Abendversammlungen waren es gewöhnlich, wo sie sich äußerten.Joh. XX, 26. Die Stelle XXI, 14 läßt wohl vermuten, daß in Jerusalem vor den versammelten Jüngern nur zwei Erscheinungen stattgefunden haben. Aber die Stellen XX, 30 und XXI, 25 lassen weitern Raum. Vgl. Apostelg. I, 3. Nachdem die Thüren geschlossen waren und alle von ihren fixen Ideen befangen, gab der erste, der das sanfte Wort »Schalom« zu vernehmen wähnte, das Zeichen. Alle lauschten und vernahmen bald dasselbe Wort. Dann war die Freude dieser schlichten Seelen, den Meister in ihrer Mitte zu wissen, groß. Jeder labte sich an diesem süßen Gedanken und hielt sich durch eine innere Unterredung begünstigt. Andere Visionen waren wieder nach einem anderen Modell angefertigt und erinnerten an die der Reisenden nach Emmaus. Zur Zeit des Abendmahls sah man Jesus erscheinen, das Brot nehmen, es segnen, es brechen und dem anbieten, welchen er durch seine Erscheinung begünstigt hatte.Luk. XXIV, 41–43. Evang. der Heb. bei Hieronymus De vir. ill. 2; Schluß des Markus bei Hieronymus Adv. Pel. II. In einigen Tagen hatte sich ein Cyklus von Erzählungen gebildet und verbreitet, die in ihren Einzelheiten zwar voneinander abwichen, aber doch von demselben Geist der Liebe und des absoluten Glaubens inspiriert waren. Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, die Legende brauche längere Zeit, um sich zu bilden. Sie wird manchmal in einem Tag geboren. Sonntag abends, den 16. Nisan = 5. April, galt die Auferstehung Jesu als eine Wirklichkeit. Acht Tage später war der Charakter des Lebens außerhalb des Grabes, den man für ihn annehmen mochte, in seinen wesentlichen Zügen festgestellt.


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