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Dreizehntes Kapitel

Acht Tage nach der feierlichen Ankündigung des Balles sah es in der Wohnung der Frau Baronin von Seltern ziemlich aus wie in der Wohnung einer Theaterprinzessin, die zum Zweck überraschender Ausstattung für eine neue Glanzrolle den ganzen Tag über Schneider, Schuster, Friseure, Putzmacherinnen, Falschjuweliere, Garderobemeister, Kammermädchen, Gläubiger, Spione von Nebenbuhlerinnen und Kammerdiener von hohen Verehrern in den Zimmern hatte.

Denkt man sich hinzu, dass jeder und jede von diesen nicht in den Zimmern erschien, ohne irgendetwas in beliebiger Unordnung auf die Tische zu stellen oder im Fortgehen unbewusster Weise von Sesseln und Sofas zu reißen; dass die Prinzessin selber hier sich aus dem Morgen- dort aus einem Nachmittagsanzug schälte, über welche das Kammermädchen den ganzen Tag in holder Unschuld weggeschritten, ohne sie aus den Augen, aus dem Sinne zu schaffen; denke man sich endlich, dass mit Anbruch des Abends die ganze Wohnung im Zustande des panta rei, d. h. eines Chaos von Bändern, Blumen, Hauben, Strumpfen, falschen Kronen, wahrhaften Unterröcken, neuen Handschuhen und alten Haarlocke sich befindet, aus welchen, gleich der weiland im himmlischen Haustheater berühmten Venus sich die Theaterprinzessin wie aus geseiftem und ungeseiftem Meeresschaume nach und nach in voller Glorie erhebt; so hat man eine schwache Vorstellung von der schimmernden Anarchie des Putzes und der Putzanstalten in den Zimmern der Frau Baronin zwei Stunden vor Beginn des Balles.

Schön-Minnele saß um diese Zeit bereits ballfertig in ihrem Schlafkämmerchen auf einem roten Samtstuhle und sah nicht eben traurig, aber auch nicht fröhlich vor sich hin.

Der ewige Jubel der Baroness und ihrer Freundinnen seit einigen Tagen, das unermüdliche Gerätsche der kleinen, schusslichen Zofe, die von den Amüsierungen eines Balles zu reden nicht müde wurde, zu allem noch das Wiederkehren desselben Gegenstandes in Gegenwart der Baronin beim Frühstück, bei Spazierfahrten, zu Mittag und besonders gegen Abend: das alles hatte Minnele mehr abgespannt als gespannt, mehr furchtsam als froh gemacht in Erwartung des Neuen und Wunderbaren, das sich nun erleben sollte.

Minnele hatte sich nach der Anordnung der Baronin zuerst in den Ballstaat werfen müssen, damit sodann die Zofe der Baroness Eleonora helfe und damit zuletzt diese und Minnele und die Zofe gemeinsam Hand an den prachtvollen Staat der Baronin legen konnten.

Solange also die Baroness Eleonora noch nicht im vollen Ballschmuck dastand und der Friseur hinter verschlossenen Türen noch das geheimnisvolle Geschäft am edlen Haupte der Baronin nicht vollendet hatte, war Minnele ihren Betrachtungen und Gefühlen, ihrer Freude, wenn sie wollte, oder auch ihrer eitlen Selbstbetrachtung im Spiegel, wenn sie's reizte, nach Belieben überlassen.

Wir müssten uns einer psychologischen Lücke in der Zeichnung von Minneles Charakter anklagen, wollte wir unerwähnt lassen, dass auch dieses Kind nicht frei war von jener Freude an der eigenen geschmückten Erscheinung, welche den trefflichsten Frauenherzen eigen ist, ja eigen sein muss, wenn nicht für sie und für andere ein großer Reiz des Lebens verloren gehen soll.

Diese liebenswürdige Eitelkeit hat ihren Engel der Unschuld so gut zur Seite als irgendeine erlaubte Freude des Lebens, und man würde eine rüde Ungerechtigkeit begehen, wollte man dieses Behagen an sich mit jener verrückten Selbstverherrlichung verwechseln, welche nicht zufrieden ist, dem eigenen Auge etwas weis zu machen, sondern auch das Auge und das Urteil anderer durch rastlose Herausforderung bitter belästigt.

Schön-Minnele hatte ein Kleid an von weißer Seiden-Gace mit Volants, von denen jeder mit schmalen, weißen Atlasstreifen garniert war. Die Garnitur des Leibchens bestand aus rosenfarbigen Kameen. Das Haar Minneles bildete, wie sie es zu ordnen pflegte, wellenförmige Scheitel und war mit einem goldenen Diadem geschmückt. Am linken Arme trug Minnele ein Armband von feinen Perlen und am rechten eins von rosenfarbigen Kameen.

Als Minnele zum ersten Male vor den Spiegel geführt wurde, um ihr so geschmücktes Bildnis zu betrachten, hatte sie auch bereits weiße Handschuhe mit Garnitur von gefälteltem weißem Atlasbande angetan und war von der Zofe gedränt worden, zwischen die Finger ihrer linken Hand ein Battisttaschentuch mit gestickter Blumenmosaik und einem Volant von Brüsseler Spitzen zu nehmen, mit der rechten Hand aber einen Fächer à la Watteau zu halten, damit sie auf diese Art im Spiegel sich vollständig so sehe, wie sie im Ballsaal erscheinen werde.

Minnele errötete und erblasste schnell hintereinander bei dem Anblick ihres eigenen Bildes, und ein Zittern tiefer Freude lief durch ihr Herz und über ihre Lippen.

Sie dachte an ihre Mutter daheim und dachte an ... Mein Gott – warum auch wieder ein Gedanke an ihn, der ferne war und ferne bleiben sollte ...

Minnele senkte den eben noch voll und freudig glühenden Blick umschleiert zu Boden, trat schweigend vom Spiegel zurück, saß hin auf einen Stuhl und sagte; indem sie Handschuhe, Sacktuch und Fächer wieder auf ihr Arbeitstischchen legte:

»Sabine, helfen Sie der Baroness den Anzug zu ordnen und rufen Sie mich, wenn es Zeit ist, zur Baronin Mutter!«

Seit diesen Worten war eine volle Stunde vergangen; Minnele hatte inzwischen in ihrem Schlafstübchen sorgfältig Ordnung gemacht und war noch einmal vor den Spiegel getreten, um ohne Zeugen, ganz nach Muße und Stimmung ihr geschmücktes Bildnis »freudvoll und leidvoll« zu betrachten; sie probierte auch ihre Sortie de bal, den Namen Graciosa tragend, die aus rosa Taffet mit Volants und Kapuze von Brüsseler Spitzen bestand; mit ihr geschmückt, sollte sie nach dem Ballsaale fahren, der für den Abend in einem etwas abgelegenen Teile der Stadt gemietet war.

Schön-Minnele saß eben wieder eine Weile erwartend auf dem roten Sametstuhle, als die Türe des anstoßenden Zimmers plötzlich und geräuschvoll aufflog und die Baroness Eleonora im himmelblauen Ballkleide, die schwarzen Haare chinesisch frisiert, mit Haarringelchen bis an die Augen, unter Schachteln, Bändern, Wäsche und anderen verirrten und verwirrten Bestandteilen weiblicher Toilette aufrecht und triumphierend dastand und Minneles Urteil mit feurigen Blicken herausforderte.

Minnele sprang in der Tat erfreut von ihrem Sitze auf und eilte mit offenen Armen auf die lustige Ballgenossin zu, deren hohe, üppige Gestalt in ausgesuchtem, nur etwas leichtfertigem Anzuge wirklich großen Effekt machte.

Aber wie eine kalte Hand griff es Minnele ins Gemüt, als sie, bis zur Umarmung kommend, bemerkte, dass die vollen, runden Wangen der Baroness nicht von Freude und Eifer erhitzt und gerötet waren, sondern – einen leichten Anflug von Schminke aufgetragen hatten.

Dieser Eindruck steigerte sich zu Schreck, als hierauf Minnele in Gesellschaft Eleonorens zur Baronin Mutter gerufen wurde – und auch diese ihre, von raschem Leben etwas stark verwitterte Gesichtsfarbe mit Weiß und Rot kräftig aufgefrischt hatte! ...

Unter sechs geschäftigen Händen erhob sich denn auch die Baronin bald majestätisch aus dem Chaos herumliegenden Kleidergestrippes und bot unstreitig in ihrem roten grandmère-Kleide mit etwas theatralischem Kopfputz eine imponierende Erscheinung.

Um halb neun Uhr hielt die Equipage vor dem Hause; die drei Damen stiegen und fuhren ziemlich lange, bis sie endlich in einer engen, wenig belebten, entlegenen Straße der Stadt ankamen und vor einem Gasthoftor hielten.

Der äußere Schauplatz des Gasthofes war beleuchtet, auch drängte sich hier eine lebhafte Zuschauermenge auf und nieder, sehr bemüht, die aussteigenden Ballgäste für einige Augenblicke zu sehen.

Ein erstauntes und entzücktes »Ah! Ah!« lief von Lippe zu Lippe, als Schön-Minnele ausstieg und leichten Schrittes der Baronin unter das Tor und von da eine glänzend beleuchtete Treppe hinauf folgte, welche mit Blumen und mit nicht sehr sorgfältig gewählten Statuen geschmückt war.

In der Garderobe fanden die ankommenden Damen bereits ein buntes Treiben von Damen, die über Hals und Kopf ihre Überwürfe los zu werden suchten, da vom Saale herab eben die Introduktion zu eine »Quadrille« begann, welcher man gern die Ehre persönlicher Gegenwart und graziöser Mitwirkung angetan hätte.

Die Musik weiß in solchen Fällen durch die Pause zwischen den Introduktion und dem wirklichen Tanze mancher Huldin Terpsichorens noch Gelegenheit zu schaffen, sich unter die hangenden und bangenden Paare zu reihen, und so gelangten auch die erwähnten Damen noch rechtzeitig auf den Schauplatz des Tanzes.

Auch die Baronin, Eleonora und Minnele erscheinen noch vor Beginn des Tanzes an die Schwelle des Saales und waren augenblicklich, die erstere von älteren Herrn und Damen, die letzteren von Tänzern umringt und in das Gewoge sich ordnender Gruppen entführt.

Minnele hatte also kaum Zeit, sich in dem feenhaft beleuchteten und geschmückten kleinen Saale umzusehen, der von geputzten Herrn und Damen wimmelte.

Indessen machte auch schon der flüchtige Überblick auf Minnele Eindruck.

Wir glauben, wenn wir einen Ballsaal immer nur bei Beginn des Balles und nicht länger als fünf Minuten zu sehen Gelegenheit hätten, dass uns von derlei Festlichkeiten eine viel reizendere Erinnerung bleiben würde, als da wir einige Stunden lang, eine Hand auf dem Rücken, die andere in der Weste, den Ballsaal durchwandern und mit der Ruhe eines Anatomen die Leben atmende Gesellschaft prüfend unter das Messer der Kritik legen; selbst jene sanfteren Gäste eines Balles, die gekommen sind, als »wandelnde Milde« sich das Vergnügen stiller Betrachtung zu verschaffen, indem sie lächelnd eine Blumenlese der weiblichen Schönheit halten und diesen harmlosen Genuss nur von Zeit zu Zeit durch den Genuss einer Hammelkeule und einer Flasche Wein unterbrechen: selbst diese gemütlichen Wonnesammler müssen, wenn sie aufrichtig sein wollen, eingestehen, dass der erste allgemeine Anblick eines Ballsaales der reizendere ist und dass doch später, so viel Hübsches und Liebliches auch zurückbleibt, der Eindruck zu einer bescheidenen Freude herabsinkt.

An das Meer von Licht hat sich das Auge gewöhnt, von dem harmonisch-leichten Tongewoge der Musik ist das Ohr etwas abgestumpft worden, der erste allgemeine und verklärende Zug der Freude auf den Gesichtern ist hier dem Zuge der Verstimmung über nicht erfüllte Erwartungen, dort dem Zuge leichter Abspannung gewichen, nicht zu reden von den allgemeinen Entstellungen der Züge durch Überspannung und Hitze.

Schön-Minnele sollte nach dem ersten Anblick des Balles auf ähnliche Gefühle und Gedanken kommen, trotzdem ihr Aufmerksamkeiten und Huldigungen für solche Eindrücke kaum Zeit lassen wollten.

Ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, war Minnele die Königin des Abends, erfreute sich der auserlesensten Tänzer, und sobald die Geiger nach jeder Tour ihren letzten Strich getan, bildete Minnele, die mit Eleonoren stets zur Baronin unter eine Art Thronhimmel zurückkehrte, den Anziehungs- und Sammelpunkt der neugierigen und staunenden Männerwelt.

Manche Schönheit würde vor Vergnügen über solche Erfolge diesen Abend »für den schönsten Tag ihres Lebens« verzeichnet haben; allein Minnele hatte ein reines, klares Auge und ein unbefangenes, nicht mehr zu vergebendes Herz, mitgebracht und konnte also, nachdem der erste Reiz des Abends vorüber war, dem Verlaufe des Balles ruhig und unbefangen zusehen.

Eben diese Unbefangenheit machte sie auch fähig, jetzt einige treffende und beunruhigende Beobachtungen über die Gesellschaft des Balles zu machen.

Fürs Erste fiel es Minnele auf, dass das Benehmen der meisten Gäste von einer nicht ganz löblichen Freiheit des Umgangs war; ferner konnte sich Minnele eines unbehaglichen Eindrucks nicht erwehren, wenn zwischen den gewöhnlichen Tänzen kleine wunderliche Ballette kunstvoll zwar, aber keineswegs mit harmloser Grazie ausgeführt wurden.

Ein unheimlicher Schreck, welcher Minnele schon vor dem Balle daheim berührt hatte, fand Verstärkung auf dem Balle selbst, als Minnele bemerkte, dass junge und alte Damen durch die Bank ihre Wangen mit Rosen der Gesundheit und der Freude bemalt hatten; ja selbst viele von den Herren waren an diesem Abende der Fahne des Bekenntnisses gefolgt: »Auch ich bin ein Maler!« denn das Rot der Jugend war mit kühnen Strichen den Backenbart entlang aufgetragen.

Um den ersten Eindruck des Abends noch mehr abzuschwächen, wollte es Minnele jetzt bedünken, dass von alle den anwesenden Herren auch nicht einer sich eier jugendlich-frischen Miene erfreute und dass schon nach einer zweistündigen Anstrengung des Tanzes die Gesichter immer spitzer, geisterhafter wurden.

Soweit waren Minneles Betrachtungen gediehen, man hatte der Tanzordnung nach Polonaise, Walzer, Quadrille, Polka, einige Ballett-Touren und einen Schottischen glücklich überwunden, als die Baronin am Schlusse der letzten Tour selbst auf Minnele zukam und ihr leise ins Ohr sagte:

»Minnele, geh' du jetzt mit Eleonoren noch einige Male im Saal auf und ab, und wenn du etwas kühler geworden bist, genießest du etwas und fährst dann heim; Kinder müssen des Guten auf einmal nicht zu viel genießen!«

Minnele nahm diese Ankündigung gerne entgegen.

»Ja«, erwiderte sie und wehte sich mit dem Fächer Kühlung zu, »ich will heimfahren, aber essen möchte ich nichts mehr, Mutter!«

Die Baronin entfernte sich, gab am Kredenztische einen Auftrag, kam zu Minnele zurück, warf immer, wenn sie vom Orchesteremporium her nach der gegenüber befindlichen Seite ging, einige lustige Blicke nach einem über den Spiegeln des Saales befindlichen Fensterchen, wo zwei Hände viel beschäftigt waren, ein rotes Vorhängelchen so zu verschieben und zu drapieren, dass ein hagerer, markierter Männerkopf, der bald mehr und bald weniger zum Vorschein kam, ja niemand als der Baronin Eleonoren sichtbar wurde.

Nach Verlauf von einigen Minuten stimmten die Geigen des Orchesters wieder für die zu beginnende nächste Tour, und die Baronin sagte mit einiger Hast:

»Minnele, bis du abgekühlt genug? Es wäre mir lieb, du könntest jetzt fahren.«

Minnele küsste ihr heiter die Hand, sagte: »Gute Nacht, Mutter!« und eilte, von Eleonoren bis in die Garderube begleitet, aus dem Saale.

Es war aber gut, dass Minnele sich entfernte, denn der Tanz, welcher jetzt begann, wäre sehr geeignet gewesen, Minneles Herz in schmerzliche Verwirrung zu setzen; das hübsche Zöpfchen der Frau Baronin, Sabine, hatte, in polnische Tracht gekleidet, eine Hauptrolle dieses Tanzes übernommen, die sie auch, gut und stürmisch beklatscht, auszuführen verstand.

Kaum hatte Minnele den Saal verlassen, so fiel im Kabinettchen über dem Tanzsaale ein langer männlicher Körper, in blauem Frack mit Metalllknöpfen, schwer und erschöpft in einen grünsamtenen Lehnstuhl zurück und streckte noch längere Beine in weißen Sommerpantalons von sich, wie jemand, der nach heftigen Kämpfen in den Armen einer gelinden Ohnmacht ausruhen will.

Dieser lange Körper mit den noch längeren Beinen hing mit jenem geheimnisvollen, hageren und markierten Männerkopfe zusammen, welche den ganzen Ballabend über seine stillen Betrachtungen hinter dem roten Vorhängelchen angestellt hatte.

Das Ganze dieser Erscheinung war niemand anders als »Seine Exzellenz« oder wie wir ihn seit dem Opernabend nennen wollen: »Seine Geister-Exzellenz«.

Dieser Herr hatte sich jetzt kaum in die Ruhe einer Ohnmacht auf halben Lebenssold begeben, als die Türe des Kabinetts leise aufging und ein etwa fünfunddreißigjähriger Herr im Ballstaat und mit blauem Gesicht (seine glattrasierte sehr dichte Bartanlage zierte ihn mit dieser Farbe) ehrfurchtsvoll hereintrat und meldete:

»Exzellent, das Fräulein hat soeben den Saal verlassen.«

Der nahezu verendende Herr im Lehnstuhl winkte nur, ohne die Augen zu öffnen, mit der Hand zum Zeichen, das es gut sei, und sagte matten Tones:

»Gut – ach – gut, Georg, geh' jetzt und genieße auch du die Freuden des Balles!«

Der noble Kammerdiener entfernte sich nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung und schien sich die Erlaubnis gerne zu Herze zu nehmen.

Jedenfalls wollte er vor allem seinen armen Beinen einige Ruhe, seiner armen Brust Atem und den angegriffenen Lebensgeistern einige Gläser Punsch verschaffen, bevor er sich den Freuden des Tanes hingab.

Denn er hatte einige schauderhafte Stunden erlebt.

Seitdem sein Herr das Kabinettchen über den Spiegeln des Saales bezogen hatte (der Einzug geschah schon vor Beginn des Balles) war es dem Kammerdiener nicht gegönnt gewesen, auch nur drei Minuten auf einem Flecke zuzubringen, und diese jagdhundemäßige Existenz erreichte ihre Höhe, als Schön-Minnele im Ballsaal erschien.

Von nun an dauerte das Gejage treppauf und treppab fast ununterbrochen.

Seine Geister-Exzellenz bemerkte z.B., dass sich dort eine Gruppe Kavaliere Minnele gegenüber aufgepflanzt habe – gleich hieß es:

»Georg, Georg, lauf' zu und spring' und horch, was die gaffenden Wichte sagen, und komm' gleich wieder, mir's zu melden!«

Der Diener sprang und kam und sagte:

»Die Herren bewundern wie verrückt das schöne Kind, sonst habe ich nichts vernommen.«

Aber jetzt hatte Seine Exzellenz schon wieder bemerkt, dass ein Kavalier der Frau Baronin die Hand geküsst und nun die Nähe Minneles für ein Gespräch ausbeuten wollte – sogleich hieß es wieder:

»Georg, Georg, lauf' und spring' und sag der Baronin ins Ohr, sie solle das Individuum entfernen, bevor es verwegener wird!«

Der Diener sprang und kam und sagte:

»Das Individuum ist fortgeschickt, das Fräulein hat ihn kaum gesehen.«

Indessen stimmten die Geigen, es stürzte eine Kolonne Tänzer gegen den Thronhimmel, unter welchem Schön-Minnele saß – gleich hieß es wieder:

»Georg, um Gotteswillen, Georg, lauf' zu und spring' – beschwöre die Baronin, dass sie Minnele vor jenem Braunbart schütze; mit jedem solle sie tanzen, nur mit jenem nicht!«

Der Diener sprang und kam uns sagte:

»Exzellenz, es war schon zu spät, der Braunbart hatte schon gesiegt, als ich hinunterkam!«

Seine Geister-Exzellenz schien Gichter zu kriegen, und der Diener musste hinab in den Saal, um jedes Lächeln und jede Silbe, die gesprochen wurde, einzusammeln und zu hinterbringen.

So ging es fort.

Das jugendlichste Herz hat kaum so viel Eifersucht gelitten als Seine Geister-Exzellenz an diesem Abend; und alles dies um – »sein Minnele!«

Der blaue Kammerdiener war kaum aus dem Kabinettchen fort, um sich von den Strapazen des Abends zu erholen, als die Türe des Kabinetts aufging und die Frau Baronin von Seltern hereintrat.

Sie blieb an der Türe stehen und lachte so anhaltend und heftig, dass es schien, als komme auf einmal der verschluckte Jahrgang eines literarischen Lachmagazins zum Durchbruch und drohe, nicht ohne Erstickungsfall zu enden.

»Wie steht's – wie geht's – mein Lieber?« stöhnte die Baronin, »ist Ihr Engel zu frühzeitig fort? – Haben Sie gelitten und gestritten trotz Werther und Siegwart und Brackenburg? – Trösten Sie sich, Sie sollen nicht zu Grunde gehen wie diese jungen Herzkrämpfe, Sie sollen siegen und triumphieren wie jener gekrönte Held, der sechs Male heiratete, um sich durch diese Hindernisse bis zu seiner wahren Geliebten hindurchzuhelfen, welche er dann glücklich gewann in ihres Herbstes Blüte und in seiner Jahre Schnee!«

Nachdem die Baronin diese Worte mit vielen Unterbrechungen endlich hervorgebracht, ging sie bis zu dem Tischchen vor, an welchem Seine Exzellenz noch halb ohnmächtig dasaß, wehte ihm mit ihrem Fächer leichte Kühlung zu, setzte sich ihm gegenüber, ließ ihre Arme sinken und fing aufs Neue unbändig zu lachen an.

Seine Exzellenz öffnete die Augen ein wenig, ließ sie wieder zufallen und sagte, indem die Nase wie die eines Sterbenden spitz wurde:

»Hermine, Hermine – es muss ein Ende haben, Hermine – so ginge ich zu Grunde – das hielte ich ein zweites Mal nicht mehr aus!«

Ein Mädchen trat in diesem Augenblicke herein und stellte eine Flasche Liqueur nebst Konfekt vor die Baronin auf das Tischchen; als das Mädchen wieder fort war, schenkte sich die Baronin ein, trank ein Gläschen mit großer Behändigkeit glatt aus, stieß das leere Gläschen keck und lustig auf den Tisch, nahm von dem Backwerk ein weißes Zuckerherz, hob es empor, zeigte es Seiner Exzellenz und sagte dann:

»Ja, der erste Teil dieser Liebestragödie soll hiermit ein Ende haben, und ihre Schwermut soll nun auf keine Weise mehr ins Mitleid gezogen werden. Erlauben Sie, dass ich den Rest meiner Laune auskoste und dazu ein Gläschen weiter trinke, bevor ich wieder ernsthaft werde.«

Sie lachte, trank, lachte wieder und fuhr dann fort:

»Minnele soll fortan auf kürzeren und weniger peinvollen Wegen Ihnen näher gebracht werden, Exzellenz. Das Übereinkommen, vermöge dem es mir erlaubt war, Minnele einige Wochen bei mir zu haben, sie auf Ihre Kosten mit Pracht zu umgeben, um sie an Luxus und Bedürfnisse zu gewöhnen und so den Rückweg in ihre ärmlichen Verhältnisse unerträglich zu machen, hat mit Ablauf der gegebenen Frist und mit dem vorläufigen Kassensturze der bewilligten Gelder sein Ende erreicht; ein neues, modifiziertes Übereinkommen wird von heute an in Kraft treten müssen, damit die Sache zwischen uns nicht zu unfreundlichen Verwicklungen führe. Wie ich Ihre Leiden verstehe, wird es im neuen Pakte vor allem heißen müssen: Minnele bleibt zwar noch kurze Zeit bei mir und werde noch ferner mit allem Luxus umgeben, aber sie müsse von allen Berührungen mit der Männerwelt befreit und Ihrem Herzen auf dem kürzesten Wege nah' geführt werden.«

Seine Geister-Exzellenz öffnete seine Augen ganz und blickte zustimmend auf die Baronin, ließ dann die Lider wieder sinken und sagte:

»Ja, Hermine, ja, das ist mein Wunsch und Wille, er soll auf jede Weise zur Richtschnur dienen.«

»Nun gut«, erwiderte die Baronin, schenkte sich wieder ein und fuhr fort, indem sie ihre Handschuhe abstreifte und auf den Tisch legte: »Gut, Ihr Wille, Liebwertester, ist mir Gesetz, Minnele wird mich außer auf einsamen Spazierfahrten und höchstens in die Oper an keinen öffentlichen Ort mehr begleiten. Nun aber kommen Sie Ihren Lebensgeistern zu Hilfe, Exzellenz, wir wolle auf Ihre Hoffnungen, auf die Blume Ihres Herzens, auf Minneles Wohl ein Gläschen trinken!«

Bei diesen Worte raffte sich Seine Exzellenz wieder im Lehnstuhl empor, ergriff das Gläschen, welches die Baronin gefüllt hatte, sie stießen an und fuhren dann fort, das Nähere eines höchst raffinierten und dämonischen Planes zu entwickeln.

Obwohl ihnen die Grundlage diese Planes nicht neu war und auch zur Inszenierung des Schurkenstückes schon früher vieles besprochen, vorgesehen und eingeleitet worden, so dauerte jetzt die Verhandlung über diesen Gegenstand dennoch länger als eine und eine halbe Stunde.

Die Präliminarien samt dem wirklichen Paktabschluss kamen endlich zu Stande, Seine Exzellenz bewilligte die Gelder, und die Baronin von Seltern schied, wie sie sagte, mit der »heiligen« Verpflichtung, kommenden Morgen Schön-Minnele auf eine solche schiefe Ebene der Verhältnisse zu stellen, welche keinen Stillstand mehr zulassend, das schöne Kind unaufhaltsam in die Hand der liebeseligen Exzellenz treiben müsse ...

Während also über Minneles Zukunft die Würfel fielen, hatte Minnele selbst gerade Zeit gehabt, nach Hause zu fahren, sich in ihr Schlafkämmerchen zurückzuziehen, zu Bette zu gehen und noch manches über den Ball und ihr gegenwärtiges Leben hin und her zu denken.

Endlich schlief sie ein und hatte einen Traum.

Minnele war es, als befinde sie sich abermals auf dem Balle, die Musik introduziere eben einen Walzer, es entstehe ein vorübergehendes Gedränge von Herrn und Damen, welche sich zum Tanze ordnen; endlich schließt die Introduktion – alles steht zum Tanze schön in Ordnung da – die Geigentöne des Walzers beginnen – das erst, zweite, dritte Paar wirbelt dahin, eine Anzahl fliegender Kleider ist in Bewegung – die Reihe kommt jetzt an Minnele, sich ins Gewoge zu stürzen – es geschieht, Minnele fühlt sich von den Armen eines trefflichen Tänzers umfangen und fliegt dahin, von den harmonischen Tönen getragen und von wunderbaren Gefühlen durchseligt, nur kann sie immer und immer das Gesicht ihres Tänzers nicht sehen, der sie schweigend und wirbelnd dahinführt; je länger auf diese Art das Fliegen und Wirbeln dauert, desto leichter fühlt Minnele ihr Herz und ihren Körper werden, es will ihr endlich scheinen, dass ihre Füße keinen Boden mehr fühlen, dass auch die Wände des Saales weichen und die Tänzerpaare leicht und fröhlich durch die Lüfte unter freiem Himmel dahinfliegen, während Lampe und Lichter des Saales in Mond und Sterne des Firmamentes sich verwandeln.

Plötzlich war es, als würden rasch nacheinander feine Streifen Papier vor Minneles Ohr zerrissen – und siehe da, es wurde vor ihren Traumesblicken Tag, und ihr war's, als fühle sie plötzlich wieder festen Boden – und zwar auf einem Hügel ihrer Heimat; – dort drüben stand das Häuschen, in welchem ihre Mutter wohnte, und hier, am Fuße des Hügels, stand des Granachs weiter Hof mit dem reinlich weißgetünchten Wohngebäude.

Minnele war so von Freude und Sehnsucht bewegt, dem teuersten Stücklein Welt und den paar liebsten Menschen auf Erden plötzlich so nahe zu sein, dass sie keinen Laut des Entzückens über ihre Lippen brachte und nur stumm von dem Hügel hinabsah.

Plötzlich schien es, als trete drüben aus dem Häuschen eine Frauengestalt und lege eine Hand über die Augen und blicke verwundert herüber; – Minnele erkannte die Mutter, breitete die Arme nach ihr aus und wollte schnell vom Hügel hinunter dem Dorfe und ihrer Mutter entgegen eilen, als sie fühlte, dass sie noch mit zärtlicher Gewalt die Arme ihres Tänzers halten, der nun mit lieber und klangvoller Stimme sagte:

»Minnele, Minnele, warum eilest Du? Lass uns beisammen bleiben, es ist deine Heimat und die meine.«

Minnele erkannte die Stimme und erschrak vor Freude, blickte auf und sah jetzt auch das Gesicht ihres Tänzers, es war das Gesicht Wolfgang Granachs, ihres Geliebten.

Wolfgang war in städtischer Balltracht und hatte das Haar so schön gescheitelt und hatte noch vom Tanze her so hübsch gerötete Wangen, sprach auch so schön nach der Schrift, und seine braunen Augen lächelten so groß und glänzend auf Minnele hernieder – ach, was war zu tun?

Minnele sah wonnig und verlegen zu Boden und reichte ihrem Wolfgang die Hand – und Arm in Arm gingen sie beide den sonnigen Hügel hinab und schritten gegen das Dorf hin und redeten so selig miteinander, sahen sich an du redeten wieder; – als Minnele plötzlich erschrak, erschauerte und erwachte; – es war heller Morgen und höchste Zeit, das Bett zu verlassen.


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