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Zweites Kapitel

In Granachs Hause, obwohl es verschlossen war, befanden sich doch Menschen um dieselbe Stunde; obwohl das Haus wie ausgestorben schien, so war es dennoch Zeuge eines Auftritts, welcher jeden Augenblick des Hauses Stille durchbrechen und mit Feuerlärm ins Freie dringen konnte.

Nur zwei Mensch waren im Hause: Vater Granach und sein Sohn.

Jener hatte an dem Ecktisch Platz genommen wie ein Mann, der jeden Augenblick in die Lage kommen kann, von seinem ernsten Ansehen Gebrauch zu machen, und wenn es nicht helfen wolle, wilde Stürme eines schwer gereizten Vaterzornes loszulassen; deshalb hatte er sich auch in halben Sonntagsstaat geworfen und die langen Röhren seiner Stiefel ritterlich zur Hälfte der Schenkel hinaufgezogen, als wolle er den Nachdruck vorandeuten, mit welchem er unter Umständen aufzutreten denke. ...

Granach hatte morgens zu seinem Sohne gesagt:

»Wie ich höre, so wandert sie auch mit den anderen aus; ich hoffe, sie geht, als wolle sie niemand halten!«

Der Sohn Wolfgang hatte eben eine schwere Wagenkette in der Kammer aufgehoben und ließ sie wieder mit Gekrach zu Boden fallen; starr emporgerichtet sah er seinen Vater eine Weile bleich und bebend an; hierauf lächelte er, bog sich wieder nach der Kette, hob sie auf und ging wie einer, der nicht reden will, weil er Arges sagen müsste, aus der Stube.

Granach hatte den Blick des Sohnes ausgehalten und stand noch, als derselbe ihn verlassen, in der Stube da, mit starrem Auge vor sich nieder schauend; wie ein Mensch, der, heftigen Widerstand erwartend, mächtig vordringt und, den Widerstand nicht findend, das Gleichgewicht verliert, so wankte Granachs zorngerüstetes Gemüt, da es den Ausfall ohne Widerstand getan.

Doch war er bald gesammelt; und ob er auch keinen Grund hatte, anzunehmen, dass er einen Sieg erfochten, so beschloss er doch, sich anzustellen, als sei's der Falle gewesen, und ging mit schwerem Siegerschritt durch Haus und Hof, den Feind mit Achtsamkeit im Auge haltend.

Der Sohn indessen ging der Arbeit nach, war still, verschlossen, blass und schien nicht weiter an Widerstand zu denken.

Nur wenn er dann und wann dem Vater unter einer Türe oder sonst auf schmalem Pfad entgegentrat, schien es, als bäume sich sein ganzes Wesen zum Widerstande auf, und seine Blicke brannten ohne Zucken den Blicken des Vaters entgegen.

Granach hatte Weib und Kind schon gestern auf Besuch zu Verwandten fortgeschickt; Knecht' und Mägde schickte er heute auf Kleefelder und Wiesen, um sie von Steinen und Winterschmutz zu reinigen, und zum Sohne sagte er:

»Du könntest im Wald die Bäume blötzen, die wir nächstens fällen.«

Der Sohn erwiderte nichts, aber Stunde um Stunde verging, ohne dass er Anstalt machte, nach dem Walde zu gehen.

Granach argwöhnte daraus, der Bursche brüte Aufruhr gegen den väterlichen Willen und sinne auf Mittel und Wege, einen der Auswanderinnen zu hindern, dass sie in die Fremde ziehe; er wiederholte seinen Befehl zwar nicht mehr, aber Anstalten traf er, den Sohn, und wäre es durch äußerste Gewalt, von jedem unerlaubten Schritte abzuhalten.

Er schloss die Türe des Hauses, sagte dem Sohne gerade heraus, die wandernden Mädchen sammelten sich unter den Linden, oben käme auch Minnele dazu – es sei sein Vaterwille und Befehl, dass er im Hause stille halte, bis die Wandernden vorüber seien. Nach diesen Worten setzte er sich an den Ecktisch hin, zum Überwachen, zur Gewalt gleich fertig und entschlossen.

Bedenklich genug – das war des Sohnes Antwort:

Er ging schweigend und irren Blickes nach der Kammer, griff wie einer, der selbst nicht weiß, was tun, was lassen, unter schwerem Hausgerät herum, kam dann zurück, eine große Kette überm linken Arm, in der rechten Hand ein Beil und einen schweren Hammer tragend.

Vater Granach erblasste.

Wer stand dafür, dass dies nicht Waffen plötzlichen Überfalles waren?

So waffnete er denn auch, indem er einen scharfen Gegenstand der nahen Wand entnahm.

Der Sohn ließ die Kette auf den nächsten Stuhl hinsinken, legte Beil und Hammer auf das kleine Seitentischchen, das am Fenster stand, und blickte dann ins Freue.

Die Wanderinnen, Justus Erdlein an der Spitze, waren indessen von der Mühle her dem Hause näher gekommen – und zeigen musste sich, welchen schweren Zweikampf Sohn und Vater jetzt beginnen würden.

Auf die Ecke des Tischleins gestützt, vorgebeugt, die Lippen atemlos offen, die Brust gehoben und herausgetrieben – so starrte Wolfgang durch das Fenster nach den Wanderinnen, nach Minneles süßer, herrlicher, schmerzverklärter Gestalt, um einen Wink, einen Blick der Aufmunterung oder des Abschieds zu erhalten – dass ihm der Vater dann kein Stein im Wege, kein beachtenswertes Hemmnis war, um hinauszueilen, Minneles Wanderung zu hindern, Minnele aufzuheben und wie ein ritterlicher Sieger auf den Armen ins Vaterhaus zu tragen, so viel war ihm klar, so viel mit Flammenzügen in sein Herz geschrieben.

Aber kein Blick, kein Wink, kein Zeichen wurde ihm zuteil.

Wie eine Heilige, die bedacht ist, ihr äußeres und inneres Auge, all ihre Gedanken und Sinne um ihr betendes Gemüt zu sammeln, blickte Minnele gesenkten Auges vor sich hin und ging vorüber.

Die Schar der Wanderinnen war schon längst an Granachs Haus vorbei, als Wolfgang noch wie leblos auf derselben Stelle in der Stube stand und starr ins Freie blickte.

Erst nach und nach kehrten ihm Sinne und Gedanken wie auf traumhafter Ferne zurück; die Erstarrung löste sich in schweres Weh, auf die Schreckenswerkzeuge seines Zornes sank er jetzt, von Innen entwaffnet, hin und statt seiner wütenden Hände drückte er sein weinendes Antlitz auf sie nieder.

Granachs Furcht und Sorge war zu Ende.

Als Mann von Erfahrung wusste er, ja er hatte das in seiner Jugend selbst erfahren, die Leidenschaft der Liebe sei durch nichts so sehr als durch die Zeit zu heilen.

Schön-Minnele war nun glücklich fort, ihre liebliche Erscheinung, welche das Herz des Sohnes immer neu entflammte, war ihm aus den Augen gerückt – aus den Augen, aus dem Sinn, heißt das Sprichwort – folglich konnte es nicht fehlen, dachte Granach, dass auch Wolfgangs Herz an der Zeit genesen werde.

Und das war alles, was er wollte.

Er hatte nichts gegen seines Sohnes Liebe, er selber war nicht wenig von Minneles Schönheit eingenommen, aber was half das alles einem verständigen Vater, dachte er, geht das Wohl des Hauses allem andern vor.

Granach hatte sich umgesehen in der Welt und wohl erfahren, wie man selten durch Nachgiebigkeit gegen die Neigungen der Kinder seine Sachen zusammenhalte, wie Haus und Hof vorerst in Blüte stehen müssen, bevor der Kinder Liebe Früchte tragen darf.

Nun blühte zwar Granachs Haus so gut als eines; viele würden, so zufrieden, weiteres Gedeihen wenigstens nicht gewaltsam erstrebt haben, allein Granach hatte der Welt auch abgelernt, es dürfe der Mensch in keiner Lage des Lebens dem Genügen sich ergeben – vorwärts, hörte er überall, mehr erwerben, mehr wolle und erstreben, immer vermehren, immer vergrößern und erweitern, keine Rücksicht rechts und links genommen, die Kinder immer wieder auf die Schultern der elterlichen Verhältnisse gestellt, amerikanisch gehaust und gestritten – nun, Vater Granach hatte sich von allen Grundsätzen diesen Tageshelden am besten, beinahe allein gemerkt, und dem gemäß durfte auf keine Weise gebilligt oder zugelassen werden, dass eines seiner Kinder »unter den Glücksverhältnissen seines Hauses« eine Heirat schließe.

Bei seinem ältesten Sohne, dem Nachfolger in der Wirtschaft, war bis heute die Gefahr, dass er sich ganz an das »schöne Bettelkind« hänge, große gewesen; nun aber, da zu Granachs Beruhigung die Gefahr vorüber war, konnte eine reiche, wenn auch minder schöne Braut nicht ausbleiben, ja, in der Stille des Vaterherzens war sie längst gefunden und bereit gehalten; – Granach stand also auf, trat von dem Ecktisch weg bis mitten in die Stube und betrachtete seinen verzweiflungsvollen Sohn mit stillem, mitleidsvollem Blick.

Es drängte ihn, ein Wort des Trostes zu sagen, aber es schien, als wäre es noch zu frühe.

Drum ging er langsam zur Stube hinaus, öffnete die Türe des Hauses weit und heiteren Auges, als wolle er sagen:

»Komm nun jedermann wieder unbehindert in mein Haus, der Streit ist aus, und Friede waltet unter Granachs Dache!«

Wenn sonst im Dorfe ein Erlebnis von Bedeutung vorfiel, da ging es bunt und lärmend genug her.

War das Erlebnis ein frohes, so drangen gewiss die Kinder vor allen aus den Häusern, sammelten sich in Scharen und stürmten das Dorf der Länge nach auf und ab; dann kam die bejahrte Jugend und das geschwätzige Alter, und ernste Väter und Mütter machten die Versammlungen unter freiem Himmel voll. Man rief, man sprach, man winkte und lachte und ging nicht eben bald und ruhig wieder heim.

War aber das Ereignis ernst und traurig, da strich wenigstens weitausholenden Fußes der Nachbar zum Nachbar, die Stuben füllten sich, dumpf dröhnend wie der Trommelschlag eines Trauermarsches fiel Wort um Wort in des geschlossenen Raumes Versammlung.

Was heute vorfiel, war für die Erwachsenen des Dorfes von Bedeutung, und doch gab es keine Versammlung, nicht im Freien, noch im eingeschlossenen Raume, sondern jedermann berief sozusagen nur die Genossen seines Gedankenreiches zusammen und besprach bei verschlossenen Herzens-Türen die denkwürdige Angelegenheit des Tages.

Wollte man es glauben?

Schön-Minnele war der Gegenstand des lärmlosen Aufsehens; ihre Auswanderung beschäftigte jedermann.

Gestern noch zitterten Väter und Mütter um die Ruhe ihrer Söhne, Bräute um die Treue ihrer Verlobten, ernste und bejahrte Männer um den Frieden ihrer Seelen; denn als ahnte noch niemand, Minnele sei entschlossen, ihre herrliche, gefährliche Schönheit der Heimat zu entziehen und allen Sorgen daheim ein Ende zu machen.

Gestern noch durfte Minnele nur winken und kein »Kronprinz« eines Bauernhofes widerstand dem Winken ihrer Schönheit; gestern noch durfte sie eitel und eigennützig sein, und sie hatte die Wahl unter den blühendsten Höfen der Gegend – aber siehe da! – sie ging, sie zog von dannen, zog wie ein Waisenkind verstoßen und verlassen dahin – das war wohl auch ein Los des Schönen auf der Erde.


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