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Achtes Kapitel

Antonia Barbara Eulalia Zeltl hatte um zwei Uhr nachmittags ihr Geschäftsbureau wieder geöffnet und gab den Dienste suchenden Mädchen die zweite Abteilung ihrer heutigen Audienz.

Die Angelegenheit, »ausgerenkte Erwerbsgeschicke wieder einzurenken«, nahm ihren regelmäßigen Verlauf bis vier Uhr nachmittags; um diese Stunde waren alle Kundinnen der Mutter Eulalia mit offiziellen Dienstadressen abgefertigt, und sie hatte sich in ihre innersten Gemächer zurückzuziehen, als ein leises Rauschen wie von schüchternen Fußtritten in der Vorhalle ihre Aufmerksamkeit erregte; sie ging bis an die äußere Türe und öffnete einen Flügel etwas, um zu sehen, wer so spät noch komme.

Ein Ausruf zärtlicher Verwunderung entrang sich ihrem Munde:

»Minnele«, rief sie, »Minnele hält Wort! Minnele kommt mir sagen, dass sie glücklich unter Dach gekommen!«

Und sogleich schob sie die Türe weiter auf, um Minnele ins Kabinet zu lassen.

»Komm herein«, fuhr sie fort, indem sie die Türe abschloss, »bleib' ein wenig und erzähle, wie es dir ergangen, wer dich aufgenommen hat!«

Nach diesen Worten ließ sie sich behaglich wieder in den Lehnstuhl nieder, winkte Minnele, sich ihr gegenüber auch zu setzen und fragte:

»Nun, in welchem Hause bist du aufgenommen?«

Minnele ließ sich traurig und verlegen auf den Sessel nieder, legte ihr Bündelchen auf den Schoß und erzählte in Kürze nur, es sei in den drei bezeichneten Häusern nicht möglich gewesen, ein Unterkommen zu finden.

Im höchsten Grade erstaunt, schlug Mutter Eulalia die Hände zusammen und sagte:

»Ist denn das möglich? Ist denn das wirklich so? Ich kenne die drei Frauen selbst; sie setzen seit Jahren alles Vertrauen auf meine Empfehlung, sie haben mir noch nie ein Mädchen zurückgeschickt – sie haben mich ja erst gestern noch dringend bitten lassen, ihnen ein passendes Kind ins Haus zu schicken – das kann ich gar nicht fassen, dich von der Türe zu weisen!«

Sie ließ sich nun genauer erzählen, wie es Minnele ergangen, und Minnele gab treulichen Bericht; Mutter Eulalia erhob sich dann, von einem Gedanken ergriffen und ging lebhaft auf und nieder.

»Des Kindes Schönheit ist am Ende sein Unglück!« dachte sie betroffen: »der Advokat ist bekannt als Lebemann, seine Frau bedenkt sich, ein so schönes Kind im Haus zu haben; – die Gouverneurin – das kann ich begreifen – die mochte ihre fromme Entrüstung lieber gegen das schuldlose Kind als gegen ihr freches Söhnlein richten. Und Sophie Brettenhelm ist eine eifersüchtige Närrin, eine phantastische Tyrannin ihrer eigenen und der Ruhe ihres Bräutigams; gebe Gott diesem Brautpaar a den ewigen Frieden, bevor's zu spät ist und Krieg die Losung wird, Krieg auf Tod und Leben!«

Was aber tun? Wie dieses Kind gut unterbringen und es doch auch den Gefahren zu entziehen?

Das überlegte Mutter Eulalia ernsthaft, indem sie auf und nieder ging; dann blieb sie stehen, sah Minnele besorgt und freundlich an und sagte:

»Weißt du was, mein Kind? Damit du wenigstens Dach und Essen hast, bis ein rechter Platz sich findet, so will ich dich bei mir behalten und mir denken, mein liebes verstorbenen Louischen sei für einige Stunden auf Besuch gekommen. Ja, so ist's für uns am besten!«

In diesem Augenblicke meldete ein Mädchen den Besuch einer vornehmen Dame.

Mutter Eulalia sagte, Minnele solle im Schreibstübchen warten, bis sie wieder komme, und ging in das große anstoßende Zimmer, um den Besuch zu empfangen.

Eine Dame von überraschendem Wesen, äußerst reich gekleidet, trat nach einigen Augenblicken in das Zimmer.

Sie wurde von dieser auf das Zuvorkommendste begrüßt, auf das Sofa gebeten, und als diese Einladung mit herablassender Würde angenommen wurde, befangen gefragt, was wohl einen so vornehmen Besuch in ihrem Hause veranlasst habe.

Die Fremde erwiderte mit einem Ernste, der von einer gewissen Härte nicht frei war:

»Die Sache ist diese, Madame. Ich bin seit Jahr und Tag bemüht, ein passendes Wesen, ein Mädchen von hübschem Äußeren und liebenswürdigem Charakter in mein Haus zu nehmen; meiner Bemühung habe die Erfolge aber nicht entsprochen. Wo das Äußere entsprach, hat das Herz nicht Stich gehalten, und wo der Charakter am Ende leidlich war, da war er von einer Körperwüste umgeben, die dem Auge wehe tat. Ich glaube, die Sache hat bisher nicht besser gelingen wollen, weil ich mich nur darauf beschränkte, meine Aufträge im Allgemeinen zu erteilen und Personen zu konsultieren, die kein rechtes Auge und nicht Erfahrung genug hatten.

Mutter Eulalia, schon durch die Erscheinung einer so vornehmen Dame schwelgend vor Vergnügen, beugte sich gesenkten Blickes, um einem sicherlich erfolgenden Komplimente artig zuvorzukommen –

Die Dame fuhr fort:

»Nun ist mir Ihre große Gewandtheit im Wählen anständiger Mädchen empfohlen worden. Sie sollen täglich Gelegenheit zu reicher Auswahl haben. Um daher allen Mittelspersonen auszuweichen und im vollen Vertrauen auf Ihr erfahrenes Auge komme ich nun selber, Sie um ein Mädchen zu ersuchen.«

Mutter Eulalia legte ihre Hände ineinander und verneigte sich wieder schweigend, denn sie fühlte wohl, dass noch ein Nachsatz zu dem Komplimente und eine nähere Erörterung der Standes-Verhältnisse folgen müsse.

So fuhr denn die Dame fort:

»Bei der Wahl eines Mädchens, Madame, bitte ich vornehmlich darauf zu sehen, ob es das erste Mal die Hauptstadt, überhaupt eine Stadt, betritt. Ein solches Kind, weit vom Lande her, wenn auch noch unerfahren in vielen nötigen Dingen, wird mir am willkommensten sein. Ich muss noch mehr sagen. da ein Kind, welches ich aufnehme, in meinem – leider kinderlosen – Hause, je nach der ausgezeichneten Natur sogar zum Adoptivkind aufsteigen kann, so nehme ich keinen Anstand, Sie auf meine Vorliebe für Äußerlichkeiten aufmerksam zu machen. Dunkelblonde Haare sind mir angenehmer als braune oder schwarze; blaue Augen muss ich ausdrücklich vorschreiben. Die Körperform schlank, nicht eben groß, mit Anlagen zu einiger Fülle; den Gesichtsteint fein, wenn auch vom Wetter etwas verdorben, so was verbessert sich; nur muss ich ausdrücklich noch erwähnen, dass mir krankhafte, sogenannte interessante Blässe wie gemeine Apfelröte auf den Wangen nicht lieb sind.«

Mutter Eulalia, welche seit Beginn dieser Erörterung in eine seltsame Aufregung gekommen war, stand jetzt auf und wollte frohlockend nach der Türe des Kabinets eilen; nur die Ehrfurcht vor der Dame hielt ihren Siegesruf und Lauf noch auf, denn diese, ebenfalls sich erhebend und ihren Elfenbeinfächer wie zum Zeichen entscheidenden Nachdrucks gegen ihr reich wallendes Seidenkleid drückend, sagte mit Würde:

»Bedenken Sie, dass Sie in der Lage sind, mir ein künftiges Töchterlein und nicht bloß ein Dienstmädchen zu empfehlen!«

Mutter Eulalia hatte den Schlussfall dieser Worte kaum vernommen, als sie nach der Türe ihres Stübchens eilte, Minnele zu sich winkte und Hand in Hand mit dieser zurückkehrte, sagend:

»Sie sind zur guten Stunde gekommen, Madame; hier finden Sie alles, mehr noch als Sie wünschen!«

Und in der Tat war der Eindruck, welchen Minneles Erscheinung auf die Dame machte, kein geringer.

Ruhig lächelnd, aber mit Augen, groß und seltsam durchdringend, betrachtete die Fremde Minneles Gestalt und Mienen, worauf sie, die rechte Hand auf dem vor dem Sofa stehenden Tische, mit etwas theatralischer Würde sagte:

»Komm näher, Kind!«

Minnele ließ beinahe furchtsam die Hand der Mutter Eulalia los und trat einige Schritte näher vor die Dame.

»Ich bin gesonnen, dich in mein Haus zu nehmen«, sagte diese, »dich entweder in meinem Dienste zu verwenden oder, wenn du mir gefällst, sogar in Kindes Statt zu behalten.«

Minneles Wangen überflog zarte Freudenröte, sie glaubte, ihres Herzens Jubelschlag müsse allen hörbar sein, und selig rief es durch ihr Wesen:

»Mutter, Mutter daheim, fühlst du, was ich da erlebe?«

Die Dame sagte nun:

»Bist du gesonnen, mir zu folgen, Mädchen? Ich bin die Baronin von Seltern; habe leider kein Kind, und auch mein Mann ist schon gestorben. Gefällt mir dein Herz wie dein äußeres Wesen, so sollst du gut und nützlich unterrichtet, wohl gekleidet und genährt, überhaupt wie ein Kind des Hauses gehalten werden. Sage, willst du mir folgen?«

Minnele sagte freudig zu, und die Baronin von Seltern legte aus ihrer Börse ein Goldstück auf den Tisch.

Das fatale Goldstück.

Minnele fühlte einen leisen Mollton durch die Freudenharmonie ihres Herzens spielen; das war nun schon das zweite Goldstück, welches ihretwegen im Laufe dieser Tage ausgegeben wurde.

Doch diesmal beruhigte sie sich bald – deutete doch alles auf ein wunderbares Glück – und das Goldstück sollte der guten teilnahmsvollen Mutter Eulalia zu Gute kommen.

Fünf Minuten später nahm Schön-Minnele von ihrer mütterlichen Freundin rührenden Abschied und folgte ihrer neuen Schützerin die Treppe hinunter.

Im großen Vorhof wartete der Wagen der Baronin; diese stieg mit Minnele ein – und fort ging es brausend über das Pflaster der Straßen.

Minnele, voll wogender, wunderbarer Gefühle, saß ängstlich aufrecht, als fürchte sie, ein Unschick zu begehen oder am schönen Wagen etwas zu verletzen, wenn sie sich bequemlich setzen würde.

Sie gewahrte nicht, wie ihre künftige Mutter unter einem Säulentore wegfahrend, einem Manne winkte, welcher, hinter einer Säule lehnend, durch eine goldene Lorgnette sah und auf den Wink gespannt zu warten schien.

Er hatte diese kaum erhalten, als er den Wagen zum Ziele seiner feuerwerfenden Blicke machte und ihn nicht eher aus den Augen ließ, bis er um die Ecke einer neuen Straße lenkend im vollen Lauf verschwunden war. ...


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