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Zwölftes Kapitel

Einige Minuten später befand sich die Fähringer-Toni in Nummer 30 eines Fiakers.

Sie lehnte, während der Wagen dahinflog, in einer Ecke desselben und streckte sich trotz einem Dandy, der voll Verdruss über ein fehlgeschlagenes Abenteuer oder über den gedrückten Geldmarkt seiner Tasche einem neuen Abenteuer nachjagt, um alte Grillen durch neue zu verscheuchen.

Die Erscheinung Schön-Minneles hatte den Ehrgeiz und den Frieden der Landsmännin nicht nur vorübergehend erschüttert; das verrieten die Wetterwolken auf Tonis sonst hübschem Gesicht; diese Wolken schienen keinen erhellenden Schimmer der Beruhigung durchlassen zu wollen, nur wenn Tonis Blick zufällig in das gegenüberhängende Wagenspiegelchen fiel, veranlasste ein unwillkürlicher Schreck eine flüchtige Erheiterung, da es nicht gleichgültig sein konnte, mit diesen Stirnfalten und hängenden Lippen unter Brüdern fünfzehn Jahre älter auszusehen.

Der Blick auf Minneles Toilette hatte Tonis Geschmack erst ein Auge gegeben für die Geschmacklosigkeit ihres eigenen Anzugs; Toni hätte sich mitsamt ihrem grasgrünen Anzug echt seejungferlich jetzt ins erste beste Wasser stürzen und in Gestalt eines Laubfrosches unter Binsen wohnen mögen.

Die Erinnerung daran, dass Minnele in eigener eleganter Equipage fuhr, erbitterte sie so sehr gegen das »Lumpenfuhrwerk« eines Fiakers, in welchem sie nun fahren müsse, dass sie einige Sekunden den Boden des Wagens mit ihren grasgrünen Schuhen zerstampfte.

Und nun gar ihr Kutscher mit dem Eisenschimmelrock und dem Kragen »aus rotbaumwollener Bauernweste«, während Schön-Minnele von einem Kutscher in Livree gefahren und von einem Diener in Livree begleitet wurde. Einen Blick der Erinnerung auf Minneles unvergleichliche Schönheit durfte Toni gar nicht wagen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, der peinlichen Vergleichung zu erliegen.

Ein launiger Zufall wollte, dass die volle Ladung des Verdrusses, der sich in Tonis Brust zusammendrängte, nach Verlauf einer Viertelstunde einen – wenigstens an diesem Verdruss – Unschuldigen mit ganzer Gewalt treffen sollte, nämlich den lieben alten Herrn von Sentis, mit welchem Toni Fähringer schon geraume Zeit ein Verhältnis hatte und welchem sie, gerade heraus gesagt, die Mittel zu ihrem Putz und ihren Näschereien verdankte.

Die Fahrt im Fiaker, welche Toni eben in Ausführung brachte, hatte keinen anderen Zweck als ein Stelldichein mit dem lieben alten Herrn, der sie im fernsten Winkel der fernsten Allee eines fernen öffentlichen Gartens um ein Viertel auf elf Uhr erwartete.

Um schneller an Ort und Stelle zu erscheinen, fuhr die ergrimmte Fähringer-Toni im Fiaker dahin; und damit sie die Mittel zur Fahrt nicht anderswo suche, hatte ihr der gute alte Herr gestern Abend an der Türe des Regierungsrats eine Banknote von mehreren Gulden in die Hand gedrückt. Hätte er denken sollen, dass er dem lieben Täubchen dadurch Gelegenheit verschaffe, ihn heute in der ersten Hitze eines brennenden Jähzorns zu beglücken? ...

Es schlug ein Viertel auf elf; am Eingang des Gartens ließ ein Fiakermund ein gewisses konservatives Regierungsprinzip erzönen – Brrr; – die Pferde verstanden und befolgten es mit vorgestreckten Stützbeinen, hielten an, verschnauften – und die Fähringer-Toni stieg aus.

Sie warf den Kutschenschlag hinter sich zu, reichte dem Fiaker den Fahrpreis hin, sagte: »Dableiben, bis ich wieder komme«, und ging in ihres Grimmes durchbohrendem Gefühle so gespannt dahin, dass nur Reitgerte und Zigarre fehlten, um eine Löwin eigner Art zu vollenden.

Der arme Herr von Sentis, der bereits in der fernsten Ecke des fernsten Winkels der Allee im langweilig-ledigen Stande der Erwartung harrte und vermöge seines hochklingenden Titels und Ranges vorsichtig sein wollte mit der Einleitung, Durchführung und Vollendung des für einen alten, ernsthaften und angesehenen Mann so wunderlichen und gefährlichen Abenteuers ahnte in diesem Augenblicke noch nichts von der Gewalt weiblicher Laune und hütete sich wohl, dass aus dem versteckten Busch von Zeit zu Zeit mehr als eines seiner Augen und mehr als ein Pfund Fleisch seines runden Gesichtes nach der Geliebten die Allee entlang blickte.

Da erschien nun endlich die Geliebte am Eingange der Allee und kam wie eine wandelnde Dornhecke daher.

Herr von Sentis, welcher ihr abends zuvor an der Treppe die Adresse des Stelldicheins deutlich zugeflüstert, war nun fest überzeugt, Toni werde ohne Weiteres bis zu ihm an das Ende der Allee herankommen; wie erstaunte und erschrak er aber, als die Toni nach einigen Schritten unbedenklich eine Gartenbank ersah, sich niedersetzte, mit dem rechten Fuße verdrießlich hin und her schwenkte, den Sonnenschirm über ihrem Haupte wie einen Kreisel drehte und fest entschlossen schien, möge draus werden, was da wolle, ihren Posten zu behaupten und zu tun, als wäre sie für Herrn von Sentis gar nicht auf der Welt.

Der Mann der Sehnsucht und Besorgnis versuchte nun durch Blicke und Winke seine Gegenwart bemerkbar zu machen; als diese Zeichen ohne Wirkung blieben, wagte er es, ein Dutzend »Bst's!« die Allee entlang zu senden, und als auch damit kein Erfolg zu erzielen war, entschloss er sich, gelinde verzweifelnd, in ganzer Gestalt aus dem Gebüsch hervorzutreten, ganz wie Mahomed, der, als der Berg nicht zu ihm kommen wollte, selber zu dem Berge ging.

Zum Glück war die Allee entlang kein menschlich Wesen sichtbar als die unmenschlich grimme Toni.

Wie Herr von Sentis aus dem Gebüsche trat und scheuen Trittes daherkam, zeigte es sich, dass er ein Männlein war von etwas weniger als mittlerer Größe, mit jenem behäbigem Rund um Wangen, Lenden und Waden (er trug schwarzseidene Strümpfe und kurze, schwarze Beinkleider), wodurch sich ohne Scharfblick erkennen ließ, dass der Geist, der in diesem Leibe wohnte, ein schäkeriger Sanguiniker voll Anlage zu Abenteuerchen und Freuden war.

An der feinäderigen Röte der Wangen des Herrn von Sentis hatten gute Weine ebenso viel Verdienst als die Anlage der Natur; die nun leider wasserblauen Äuglein verdankten jedenfalls dem Alter ihr Verblassen, da sie ursprünglich sehr schön kornblumenblau gewesen sein mussten.

Was solle wir übrigens zur Schilderung dieses lieben alten Herrn, der uns doch nur vorübergehend bemerkenswert ist, noch weiter sagen, als dass er dichte schneeweiße Augenbrauen und Haare hatte, weiße Halsbinde und Weste, schwarzen neuen Frack mit rotem Bändelchen unter dem Arme trug?

Obwohl es denselben Morgen nicht gerade heiß war und die eine Baumwand der Allee ihren Schatten bis zur anderen warf, so hatte doch Herr von Sentis ein blutrotes Seidenschnupftuch aus der Fracktasche gezogen und suchte fort und fort die Quellen des Schweißes zu stopfen, während er dem Ziele seiner Sorge uns Sehnsucht entgegen ging.

Toni Fähringer ließ das gemütliche Ungeheuer auf zehn Schritte herankommen, ohne auf das vielsagende Hüsteln des Herrn von Sentis etwas anderes zu erwidern, als dass sie, in ihrer Stellung verharrend, ihren Sonnenschirm, auch ein Geschenk des nahenden Geliebten, plötzlich und heftig zusammenzog und mit der Metallspitze im Alleesand zu kreuzen und zu wühlen begann.

Herr von Sentis, einmal so weit gekommen und besorgte als je, trat nun mit einigen kühnen Schritten bis knapp vor Toni hin und sagte mit zärtlicher Stimme, ihren Arm in der Gegend des Ellenbogengelenkes sanft ergreifend:

»Guten Morgen, liebes Kind, warum so nachdenklich und stille?«

Toni befreite mit einem Ruck, als wäre sie ins Gelenk gestochen, ihren Arm, warf den Kopf mit finsteren Stirnfalten in die Höhe, sprühte einen Traubenschuss von Unwillen gegen den Erschrockenen – und lachte laut auf, als wolle sie sagen:

»Was ist denn da für eine alte Brombeerhecke so unverschämt mich anzurühren?«

Herr von Sentis bebte einen Schritt zurück und suchte sich von seiner Überraschung zu erholen.

»Die gesunde Energie dieses Kindes«, dachte er, »hat mich stets besonders angezogen, was ist es nun aber, dass sie jetzt ihr Schwert zieht gegen mich, der voll Zärtlichkeit und guten Willens ihr nahet?«

Es gibt keinen Stillstand im menschlichen Leben, folglich konnte auch die Situation der beide zueinander keinem Stillstand unterliegen.

Jetzt oder nie – es musste zu weiteren Erklärungen und zur Verständigung kommen!

Herr von Sentis näherte sich also dem verstimmten Trutzliebchen, fitzte leicht mit der Fingerspitze über dessen rechte Schulter, die sich etwas aus der grünen Garnierung gearbeitet hatte, und nahm den Faden früherer Anrede wieder auf, indem er sagte:

»Nun, nun, mein liebes, süßes Kind, was ist denn vorgefallen, dass ich dich nicht freundlicher gelaunt finde?«

Toni sprang auf, ging drei Schritte weit von ihm, drehte sich weg, agitierte mit beiden Schultern verdrießlich abwehrend und sich zierend, sah zu Boden und kreuzte mit der Spitze des Sonnenschirmes wieder am Boden, das der Sand rechts und links ins Gebüsch flog.

Herr von Sentis folgte ihr aber kühnlich und fuhr fort, ihr sachte die linke Hand an ihre Wange legend:

»Ja, das frage ich, das frage ich, liebes, holdes Kind. Was ist vorgefallen, was habe ich verschuldet, dass du nicht munterer, freundlicher bist?«

Toni lachte, ohne ihre Stellung zu verändern, nur blickte sie jetzt nach einer kleinen Wolke in die Luft.

»Nun – nun – so sprich, mein Kind, sprich, sage und gestehe alles, was du weißt«, fuhr Herr von Sentis fort, »es müsste sehr schlimm sein, wenn ich dir nicht helfen könnte und wollte! Was ist's? Warum bist du traurig? Warum ungehalten?«

Toni drehte sich plötzlich mit ganzer Fronte herum und sagte, Herrn von Sentis, mit beiden Augen scharf ansehend:

»Was wollen Sie von mir, Herr von Sentis?«

Diese Frage kam nun wieder sehr unerwartet, aber Herr von Sentis hatte doch das liebe Naturkind zum Reden gebracht, und so stand zu hoffen, es könne noch alles werden.

Mit dem Schnupftuch seine Stirne betupfend, sagte nun Herr von Sentis weiter:

»Was ich von dir will, du holdes Kind, welche wunderliche Frage! Ich freue mich, dass du gekommen bist, dass du Wort gehalten hast, dass du mir durch dein Erscheinen gezeigt hast, du habest ein Herz für« –

»Ach, gehen Sie, gehen Sie, Herr von Sentis!« protzte Toni schon etwas sanfter, und sich nur noch halb wegwendend.

»Wo könnte ich hingehen, teures Kind«, sagte Herr von Sentis, durch den Schimmer von Freundlichkeit unendlich ermutigt, »wo könnte ich hingehen, teures Kind, wo es mir so wohl würde als hier an derer – (er stockte, weil ihm das rechte Wort nicht beifiel) – an deiner – grünen Seite?«

Der Unglückliche!

Noch nie hat jemand eines volkstümlichen Ausdruckes sich verhängnisvoller bedient als in diesem Augenblick Herr von Sentis.

Ein Blitz der Augen – ein Donnerschlag der Zunge Tonis: »Wie unverschämt, mir das zu sagen«, das war das Werk eines Augenblicks.

Von diesem Donnerschlage gerührt, blieb Herr von Sentis eine Minute sprachlos stehen. Eine so in Saft und Kraft stehende Energie war ihm noch nicht vorgekommen.

»Ja, ja«, fuhr die hochbeleidigte Toni fort, »ja, ich habe jetzt auch meine Augen und weiß, was ich weiß; und ich kann Ihnen sagen, Herr von Sentis (dies wurde mit sehr verzogenem Mundwinkel gesprochen), ich hätte geglaubt, Sie meinten es ehrlicher mit mir und trieben nicht Ihr Spiel mit mir armen, unglücklichen, verwaisten Mädchen!«

Nun denn in Gottes Namen, so konnte auch weinen, wenn es sein musste, zog daher ihr Sonntagsschnupftuch aus der Tasche und hielt nicht länger zurück einiges Salzwasser ihrer Augen in die Opferflamme ihres Schmerzes fallen zu lassen.

Herr von Sentis erholte sich während dieser Opferung im Allgemeinen, wieder – nach Regen Sonnenschein, dachte er – ging der davon gegangenen Toni sachte nach und sagte, indem er ihr linkes Ohrläppchen zärtlich zwischen seine Finger nahm:

»Kind, Kind – womit habe ich das verdient? Wann – wann hätte ich Scherz mit dir getrieben; wann hätte ich gezeigt, dass ich es nicht sehr ernst mit dir meine?«

Toni wiegte ihre Schultern wie das Steuer eines Schiffes und sagte endlich zögernd:

»Ja – ja« –

»Nun? Sag', rede! Wann hätt' ich das bewiesen?«

»Ja – ja – ich muss es ja denken – ich kann mir's nicht anders vorstellen; – denn gesetzt, Herr von Sentis« –

Sie spielte, ihre Gedanken noch eine Weile für sich behaltend, mit den Fransen ihres Sonnenschirmes und sah bald zu der kleinen Wolke am Firmament empor, bald auf den Sand vor ihren Füßen nieder.

»Nun, weiter, mein Kind, weiter!« drängte Herr von Sentis – »denn – was wolltest du denn sagen, süßes, teures Kind?«

»Gesetzt, Herr von Sentis«, fuhr Toni fort – »gesetzt, wir stehen gerade da, wo wir stehen (die Schulterblätter fingen wieder zu rudern an) wir stehen gerade in dieser Allee da und reden miteinander und sehen einander gerne, Herr von Sentis« –

»Weiter, mein Täubchen, weiter – was dann? Was dann?«

»Ja und Sie halten mich gerade am Arm, wie Sie vorhin getan, Herr von Sentis, kneipen mich in die Wange und lächeln und schäkern – und in dem Augenblick kommt dort jemand die Allee herein« –

»Wo? Wo?« sagte Herr von Sentis, erschrocken zurücktretend.

»Nein, nicht jetzt – es kommt ja niemand – aber gesetzt, es käme eben jemand und sähe uns so beisammen – was müsste man denken, Herr von Sentis?«

»Nun? Was denn? Was müsste man denn denken, Kind?«

»Man würde denken: da steht ein vornehmer schöner Herr bei einem armen, nicht ungeraden Dienstmädchen, tut ihr schön, kneipt sie in die Wange, zupft sie am Arm – das ist wohl auch eine rechte Landnarretei, das Mädel: lässt sich von einem so schönen, vornehmen Herrn was ins Ohr setzen und glaubt wohl gar, ihr bisschen Putz und Gefluder verberge den Leuten, dass zu einem so feinen Frack und Kattunrock passe wie eine Faust aufs Auge?« ...

Herr von Sentis holte aus der Tiefe einen Atemzug und dachte:

»Ist's um diese Zeit? Nun denn, weil ich nur einmal auf der Spur bin: diesem Jammer kann geholfen werden!«

Laut sagte er dann mit heiterer Miene:

»Mein holdes Kind – ich gestehe ein, dass ich zu spät an etwas denke, was mir anfangs hätte beifallen sollen; aber verzeih'; solche Dinge sind gut zu machen, und ich gelobe dir, mein teures Kind – du sollst von Stund' an haben, was du wünschest.«

Ein Sonnenschein der Freude flog über Tonis Stirne.

Sie spielte wieder mit den Fransen ihres Schirms, aber ihre Blicke wechselten nicht mehr zwischen dem Sand zu ihren Füßen und der Wolke am Firmament, sondern hüpften freundlich von dem Fischbeinring ihres Schirmes nach dem Gesicht des Herrn von Sentis und vom Gesicht des Herrn von Sentis auf den Fischbeinrich des Sonnenschirms zurück.

Kühnlicher gemacht durch diese Zeichen kneipte Herr von Sentis Tonis Wange mit gar zärtlicher Vorsicht und sagte:

»Liebchen, wenn ich dir eine Freude machen soll, so musst du auch sagen, frischweg eingestehen, was dir Freude macht – gesteh' mir's nun, hast du deine Wünsche schon in Ordnung gebracht? Und welche sind es?«

»Ach!« sagte Toni, mit den Schultern zärtlicher rudernd – ach, solche Sächelchen sind gleich beisammen.«

»Also, nenn' sie mir, die Sächelchen, sie sind so gut als dein.«

»Ja.« Toni lächelte und sah zu Boden.

»Nun, mein Kind! Reden! Aufrichtig sein! nicht so schüchtern!«

»Ja – ein weißer Spitzhut mit blauen Blumen« –

»Gut, sehr gut; den sollst du haben – weiter!«

»Ja – und eine schwarze Spitzenmantille und darunter ein Kleid von himmelblauem Glacé mit Volants und Kornblumengirlanden in Atlas – ja und noch anderes, ich kann es nicht so auswendig alles nennen« –

»Sie hat ihr Auge an gutem Muster geübt«, dachte Herr von Sentis, »doch eine Weile kann man ihrer Liebhaberei ja den Gefallen tun!«

Laut setzte er hinzu:

»O schön, sehr schön, mein Kind – dies und noch viel Schöneres sollst du haben; es gehören zu solchem Kleid auch Ohrgehänge und Ringe an die Finger – auch die sollst du haben ... Willst du mir heute das Vergnügen machen und über Land mit mir fahren?«

»In einem ordinären Fiaker, Herr von Sentis?«

»O nein, bewahre! In meiner eigenen neuen Equipage.«

»Fährt auch ein Bedienter in Livree mit, lieber Herr von Sentis?«

»Wenn du willst, wenn du willst, mein Täubchen!«

Toni schien sich noch zwei Augenblicke pflichtschuldig zieren zu müssen und zupfte an den Fransen ihres Sonnenschirmes; dann drehte sie sich plötzlich freudestrahlend um, sah den lieben alten Herrn von Sentis mit großen Augen an – nickte zustimmend und stellte sich, als wolle sie nach diesem Zeichen mädchenhaft die Flucht ergreifen.

Aber Herr von Sentis hielt sie zurück und sagte:

»Wohin? Wohin denn? Du musst ja Ort und Stunde wissen – liebes, schüchternes Reh, lass uns erst das bestimmen!«

Toni war vor Entzücken kaum mehr geeignet, ein vernünftiges Wort mit sich reden zu lassen; sie hörte der weiteren Erörterung nur noch mit halbem Ohre zu, und als der Plan zur Landpartie entwickelt war, rief sie voll lustigen Übermutes:

»Lieber Herr von Sentis – jetzt muss ich fort, aber erst will ich Ihnen sagen, was Sie sind!«

Zitternd vor Glück rief Herr von Sentis:

»Nun was, nun was, mein Täubchen?«

Toni packte ihn am Halse, pfiff ihm in das Ohr, gab ihm einen zärtlichen Klapps und sprang davon!

»Was soll das, Kind, was bin ich?« rief ihr Herr von Sentis nach.

»Ein Pfiffikus!« rief Toni Fähringer zurück, der Rebus-Manie vergönnend, auch in ihrer Liebegeschichte eine Rolle zu spielen.

Die grasgrüne Schöne stieg wieder in ihren Fiaker und fuhr wie der Sturmwind davon; Herr von Sentis aber setzte seinen Hut auf, ging mit Schritten eines ernsten Mannes, der in einer Stunde einen gewichtigen Vortrag im hohen Rate halten muss, noch eine Weile die Allee auf und ab und entfernte sich dann, die Richtung nach der Stadt einschlagend.

Indessen war es halb zwölf Uhr geworden, und das Hochamt im Dome ging zu Ende.

Noch wogten um den Altar die Weihrauchwolken, und Orgelton und Chorgesang füllten noch die feierlich-ernsten Räume des Gotteshauses.

Vorne in einem der ersten Damenstühle erhob sich jetzt die holde Gestalt einer Betenden, um den Dom zu verlassen.

Noch einmal leise gegen den Altar sich neigend, trat sie aus dem Stuhle und ging gesenkten Auges dem Hauptportal des Domes zu.

Ein Diener in Blau und Rot, welcher in der Nähe gestanden hatte, ergriff nun das Gebetbuch auf dem Stuhle und folgte seiner Herrin aus der Kirche.

Diese war Schön-Minnele.

Ihre Miene war noch umheiligt von der kindlich-andächtigen Unterhaltung mit dem ewigen Vater im Himmel.

Draußen vor dem Dome stand der Wagen bereit, Minnele gleich wieder aufzunehmen.

Minnele zögerte auch nicht, ihren Platz im Wagen einzunehmen; sie stieg ein, setzte sich zurecht und hatte ihren weißen Chinée-Sonnenschirm mit Rosafutter und langen Fransen nicht sobald gegen die Sonne ausgespannt, als auch der Diener schon dem Kutscher zurief: »Fertig!« und sich emporschwang auf den Hintersitz der Equipage.

Die Braunen in Silbergeschirr zogen an – und in diesem Augenblicke erst entdeckte Minnele eine dichtgedrängte Gruppe Landsmänninnen, welche mit blassen und gespannten Gesichtern unbeweglich nach ihr starrten.

Ein Rot der freudigen Überraschung bedeckte Minneles Wangen, sie winkte der Gruppe mit Schirm und Sacktuch ihre Grüße und blickte im Weiterfahren so lange zurück, als es anging.

Eben setzte sich Minnele wieder im Wagen zurecht und wollte ihrer Freude etwas ruhiger nachhängen, als ein neuer unerwarteter Anblick sie fast noch mehr bewegte.

Justus Erdlein hatte sich mit einigen männlichen Landsleuten an einer anderen Stelle des Domplatzen aufgestellt, um Minnele zu sehen, und er hatte kaum bemerkt, dass ihr Auge eben wirklich auf ihn fiel, als er in wahrhaft kindischem Entzücken seinen breitkrämpigen Hut schwang und einen jubelnden Zuruf kaum unterdrückte; seine linke Hand hatte, während die rechte den Hut schwang, reichlich zu tun, um die heißen Tropfen abzuwischen, welche ihm vor Rührung aus den Augen drangen.

In Minneles Herzen kämpften Freude und Wehmut; sie grüßte froh und gerührt den guten alten Freund im blauen Rocke, aber der Wagen rollte schnell davon, und keine andere Verständigung der beiden, die sich manches zu sagen hatten, war in diesem Augenblicke möglich ...

Als Minnele nach Hause kam, wurde sie, wie sie stand und ging, zur Frau Baronin Mutter gerufen.

Die Baronin saß in einem braunen Seidenmoire-Kleid auf dem Sofa und empfing ihr Adoptivkind scheinbar sehr froh und heiter; der Doktor und Baroness Eleonora befanden sich in ihrer Gesellschaft.

»Freue dich, mein Kind«, rief die Baronin, als sich Minnele kaum genähert hatte, »freue dich, der Onkel ist auf dem Wege der Besserung, und der Doktor bringt uns die Versicherung, dass die Krisis glücklich überstanden und vollkommene Rettung mehr als wahrscheinlich ist!«

Der Doktor, welcher zur Rechten der Baronin auf dem Sofa saß, nickte mit heiter sein sollendem Lächeln; Baroness Eleonora, welche links von der Baronin auf eine Stuhle saß, klatschte aufs Neue vor Vergnügen in die Hände; dann fuhr die Frau Baronin, Minnele näher winkend, fort:

»Komm her, mein Kind, und küsse mich; setze dich zu uns, jetzt habe ich dir noch manches Freudige zu melden.«

Minnele tat, wie ihr befohlen war, und setzte sich der Gesellschaft gegenüber auf einen Stuhl, indem sie den Hut abnahm und ihn leicht und sachte über ihr linkes Knie legte; in Erwartung dessen, was ihr weiter mitzuteilen sei, richtete Minnele ihr schönes, blaues Auge auf die zweite Mutter, während die pfiffigen Äuglein des runden Doktors Minneles herrliche weiße Stirn umspielten und die Baroness Eleonora, ebenfalle in Minneles Anblick versunken dachte:

»Wie ist doch bei dem Landgewächs alles Schöne und Süße in Fülle beisammen!«

Die Baronin fuhr nun fort und sagte, indem ihr Nasenbug kirschrot wurde, was bei ihr stets ein Zeichen von großer Heiterkeit war:

Minnele! Ich habe in der ersten Freude über die Besserung des Onkels einen Entschluss gefasst, der dir so angenehm sein wird wie einem jeden jungen Blut; – ich will – ja, Eleonora, reibe nur dein Näschen vor Vergnügen – ich will Befehl erteilen, dass binnen acht Tagen die Anordnung zu einem Ball getroffen werde; er soll euch zum Besten gegeben werden. Seht also zu, dass ihr eure Laune, euern Schmuck und eure Herzen bis zu jenem Abend in der rechten Verfassung habt; an mir soll's nicht fehlen, alles zu einem heitern Feste beizuschaffen!«

»Liebenswürdige Frau Baronin!« sagte der Doktor und neigte sich, ihr die Fingerspitzen der rechten Hand zu küssen.

»O, wie sollen wir danken? Wie sollen wir danken – liebe Frau Baronin!« rief Eleonora und kniete händeklatschend vor der Baronin nieder.

»Ei, ihr närrische Welt – freut euch der Sache und setzt euch in den rechten Stand – das ist der ganze Dank, den ich verlange!«

Schön-Minnele war bei dieser Szene eigentlich in wunderlicher Lage.

Ein Ball – was war für ihre Unerfahrenheit eigentlich ein Ball?

Sie hatte keine Vorstellung von solchen Unterhaltungen und fühlte auch nicht, dass sich besondere Wünsche regten, welche bei einer solchen Unterhaltung in Erfüllung gehen sollten.

Indessen – die Ankündigung, dass es einen Ball geben werde, war unter erfreulichen Umständen erfolgt, sie war mit großem, heiterem Pathos verkündigt worden – Baroness Eleonora lag auf den Knien vor Entzücken, und selbst der Doktor küsste vor Freude der Baronin die Hand – unter solchen Umständen lächelte denn auch Minnele erfreut, stand auf, küsste der Baronin Mutter die Hand, sagte: »Danke! Danke!« und ließ sich von ihr ans mütterliche Herz drücken.

So viel der Freude, als Minnele äußerlich zeigte, war eben ungefähr auch in ihr, und es schien, dass die Baronin im Ganzen damit zufrieden war.

»Geh' nun auf dein Zimmer, Minnele«, sagte sie daher, »suche dich bis zu Mittag zu beschäftigen, Baroness Eleonora wird dir Gesellschaft leisten und dich über alles belehren, was ein Ball sagen will und was auf einem Balle zu beobachten ist.«


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