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XIV.
Zwischen Licht

Der November war gekommen und mit ihm das ganze unwirsche Gefolge von Stürmen, Schlossen und Regengüssen.

Tage und Nächte hintereinander ließ das Toben der Lüfte nicht nach und die schräg aufschlagenden Tropfen schienen aus unerschöpflichem Quell des Himmels nieder zu rasen.

Wenn zu solcher Zeit der Mensch in volkreichen Orten sich näher rückt und am warmen Ofen mit geselligen Freuden die Schauer sich versüßt, die ihm der scheinbare Untergang der Welt vor der Türe bereitet, so ist die Lage derjenigen, die abgeschieden in einsamen Höfen und Schlössern wohnen, in solchen Tagen weniger wohl daran.

Weder eine Wahl noch eine Abwechslung von Geselligkeit ist möglich, und die wenigen Fremden, welche von Zeit zu Zeit sich sehen lassen, eilen bald ihrem eigenen Herde wieder zu und bieten keinen Ersatz für die Menge bunter Genüsse in größeren Orten und Städten.

Dies fühlte Hardenfels auf seinem hochgelegenen Waldschloss in diesen Tagen lebhaft genug.

Wie ein Gefangener, den die tobenden Elemente bewachen, musste er zwischen seinen vier Wänden stille halten und konnte weder selbst eine Geselligkeit bieten, noch von auswärts eine empfangen.

Was war natürlicher, als dass er mit doppelter Freude der kommenden Zeiten gedachte, wo ihm ein holdes Weib und holde Kinder an solchen Tagen zur Seite stehen würden, alle fernen Freuden der Welt ersetzend, alle Geselligkeit der Menschen an Liebreiz überbietend!

Aber die Freude dieser Gedanken fing merklich an, ihre frische Wirkung einzubüßen; – vierzehn Tage schon waren seit der Absendung seiner Briefe verflossen, und weder von der Geliebten noch von ihrem Vater war seitdem eine Antwort eingelaufen!

Ruhelos und unhold wie das tobende Herbstwetter trieb sich Hardenfels endlich in den verlassenen Räumen des Schlosses herum, suchte Zerstreuung und fand keine, ließ vom besten Wein aus dem Keller kommen, ohne ihn zu kosten, holte Bücher hervor, ohne sie zu lesen und fand sogar zum ersten Male keine Lust an den Plänen seiner Reformen.

»Wozu verbessere ich Menschen und Dinge um mich her«, rief er aus, »wenn ich nicht den Aufenthalt für sie verschönern, die Zukunft unserer Kinder verbessern soll?«

Es war am elften November, Sturm und Regen mit Schlossen hatten ihren Höhepunkt erreicht wie der Unmut in Hardenfels' Herzen; in der Vertiefung eines Erkerfensters stehend, die Stirne gefurcht und die Arme gekreuzt, sah der neue Gutsherr in das furchtbare Treiben der Lüfte hinaus und machte manchen ernsten Vergleich zwischen dem menschlichen Leben und den schauernden Bäumen, die am Abhang des Schlossberges stehend, mit Wind und Wetter kämpften und nur dann und wann ein welkes Blatt um das andere von den Zweigen ließen.

In Lust und Leiden waren diese Bäume groß geworden, heiterer und trüber Himmel, Regen und Sonnenschein hatte sie zum Sprossen und Blühen gebracht, und Sturm und Nässe entrangen ihnen jetzt die welken Zeichen ihrer Freude und ihrer Fruchtbarkeit. –

»Sie haben ihren Frühling und Sommer hinter sich, haben geblüht und Früchte getragen – und dennoch wird es ihnen schwer, die letzten Sommerzeichen dem Sturm und Tode preiszugeben«, dachte Hardenfels – »Und ich? … Mein Lebensfrühling soll erst recht beginnen; manche Knospe der Freude hat mein Herz bisher getrieben, aber zu Blättern und Blüten sollte es erst kommen; – da will es den Anschein haben, als wären auch schon die Herbststürme da, um den Baum meines Glückes ganz zu entwurzeln und ihm die wenigen Blätter der Hoffnung vor der Zeit zu entreißen!«

So sprach Hardenfels zürnend und ging in seinem Zimmer hin und wider.

»Aber ich will mir die Eiche vor den Fenstern zum Sinnbild nehmen; ein Versucher nur sei mir dieser Sturm, und nur welke Blätter seien es, die er mir entwindet; festwurzeln soll meine Hoffnung, und zum Blühen soll sie mir noch kommen – und gelte es, was es wolle!«

Hardenfels beschloss, noch zwei Tage auf Nachrichten aus der Hauptstadt zu warten, und gingen auch diese vorüber, ohne die erwarteten Briefe zu bringen, so wollte er sich aufmachen, um die Braut und die Heiratsbewilligung selber zu holen.

»O, ich weiß wohl, welche Marotte den sonst so trefflichen Alten zu diesem Trotzen gebracht hat!« fuhr er fort – »Sein Bürgerstolz ist erwacht, er will dem über Nacht geborenen Junker zeigen, dass ihm ein Titel nicht imponiere und dass er einen Schwiegersohn wie mich trotz Geld und Gut entbehren könne! Meine Bewerbung ist ihm zu kühn und rasch über den Hals gekommen, sie hat ihn gegen den Sohn, der auch über Hals und Kopf ein Weib genommen, nur noch mehr erbittert – darum will er uns warten lassen, will mich und seinen Sohn mit einer Rute treffen und schraubt sich bis zur eisernen Härte hinauf, auch seine Tochter unschuldig leiden zu lassen! Doch bevor ich diesen Zustand länger dulde, bevor ich …«

Die Türe des Zimmers war aufgegangen, und der Diener brachte mit eiligen Schritten einen Brief herein.

»Was bringt ihr da?« sagte Hardenfels barsch, um seine Bewegung zu verbergen.

»Einen Brief, Herr Baron.«

»Einen Brief – woher?«

»Von Buchberg, vom Herrn Pfarrer.«

»Es ist gut; – lasst den Boten nicht unbewirtet fort, es ist ein schauerliches Wetter!«

Der Diener ging, und Hardenfels erbrach den Brief nicht eben eilig. Hatte dieser doch das Unglück statt eines Liebesbriefes und einer Heiratsbewilligung zu kommen!

Pfarrer Heylwarth meldet die erfreuliche Nachricht, dass der Granenfelder Lehrer, der sich für die Stelle in Buchberg erklärt hatte, von der Behörde die Bewilligung erhalten habe, jene Stelle anzunehmen.

»Wir haben ihn also, den neuen Lehrer!« sagte Hardenfels nicht ohne ärgerliche Kälte; »es ist auch wirklich ein Triumph des Jahrhunderts, diesen jungen Mann erhalten zu haben!«

Aber sich selbst sogleich über die ungehörige Bitterkeit dieser Worte zurechtweisend, fügte er hinzu:

»Möge der gute Mann mir verzeihen, aber seine löbliche Person kam mir in der übelsten Stimmung meines Lebens in den Wurf! Es ist das Tollste, was einem passieren kann – einer Braut und einem Schwiegervater öffne ich die Arme – und ein Schulmeister fliegt mir unversehens hinein!«

Die erste Aufwallung legte sich indessen bald und machte der vorigen trüben Stimmung wieder Platz.

»Es ist aber gut«, sagt er auf- und niedergehend, »ich musste recht auffallend sehen, wie sehr ich durch dieses dumpfe Hinbrüten, Zürnen und Schmollen herabgekommen bin. Dies muss ein Ende haben, und ich will vor allem meine Einsamkeit verlassen, will durch Sturm und Wetter jagen, will die Nachbarschaft wie ein Feuerreiter unsicher machen und dann bei meinem Pfarrer und bei Weringer wieder zur Ruhe kommen!«

Er läutete auch wirklich dem Diener, befahl ihm, das Reitpferd satteln zu lassen, und rüstete sich zum wurderlichsten Ritte.

Schon stand das Pferd gesattelt und gezäumt vor der Türe, und Hardenfels wollte eben mit Reitpeitsche und Mantel die Treppe hinabeilen – als der Diener meldete, ein Zweispänner komme den Schlossberg herauf gehastet und bringe vermutlich fremde Gäste.

Hardenfels ließ das Pferd wieder in den Stall führen und ging in seltsamer Bewegung auf sein Zimmer zurück.

Er wollte sich durchaus aller Hoffnung entschlagen, dass der Wagen einen für seine Erwartung entscheidenden Besuch bringen könne und verfiel doch im nämlichen Augenblicke wieder in die Schwäche, sich das Glück auszumalen – wenn der Besuch dennoch endlich die Bestätigung seiner Wünsche brächte!

Dieses Für und Wider seiner Gedanken beschäftigte ihn so sehr, dass er noch in Mantel und Hut im Zimmer dastand, als der fremde Wagen in den Hof hereinfuhr – Schritte auf der Treppe hörbar wurden – und endlich die Türe selbst aufflog; ein junges Paar, von Winterkleidern über und über bedeckt, trat munter ins Zimmer.

Erst als die Fremden ihren freudigen Gruß riefen und ihr Gesicht enthüllten, erkannte sie Hardenfels und eilte ihnen mit offenen Armen entgegegen.

»Lenhold – Arabella!« rief er, aus den freudigen Mienen der Kommenden auf gute Nachricht schließend – »Ihr kommt! Bei solchem Wetter kommt Ihr! Nun, dann hat Euch Euer Glück und das Meine nach Scharfeneck geführt!«

Dies bestätigten beide wie aus einem Munde, und Lenhold erzählte dann, als man sich bequemer gemacht und zusammengesetzt hatte, dass nur ein schwerer Zufall und nicht die Unversöhnlichkeit des Vaters schuld gewesen sei an der peinlichen Verzögerung der Dinge.

»Mein Vater war krank«, fuhr er dann fort, »schwer krank, als Deine Briefe ankamen, und meine Schwester befand sich, ohne von diesem Übel zu wissen, bei einer fernen Freundin auf Besuch. Erst vor drei Tagen kam sie, von Deinen Briefen nichts ahnend, wieder zurück, fand den Vater so weit gebessert, dass sie ihm erst behutsam mit Worten Deinen Antrag und endlich Deine Briefe selbst mitteilen konnte. Seine Überlegung war kurz; denn kaum hatte er von meiner Schwester die Bestätigung erhalten, dass sie Dir wirklich von ganzem Herzen zugetan sei, so gab er seine Einwilligung und seinen Segen mit Freuden. – Hier ist der Brief meiner Schwester an Dich – der Vater wird später schreiben. Der Brief der Schwester war an mich adressiert, da sie mit in einem zweiten Briefe auch die gänzliche Verzeihung des Vaters meldete und mich ersuchte, persönlich der Freudenbote ihres Glücke bei Dir zu sein!«

Hardenfels war aufgesprungen, nahm den Brief der Geliebten und eilte damit an das fernste Fenster des Zimmers, um zu lesen; gerührt sahen Lenhold und seine Frau das Blatt in seinen Händen zittern, an seinen Mund fliegen und abermals vor seinen Augen kreuzen, um gleichsam auch die letzte Silbe des Inhaltes herauszugeben, welche her und dort noch übersehen worden.

Wie in Übereinstimmung mit der freudigen Lösung einer so wichtigen Angelegenheit zerteilten sich in diesem Augenblick draußen die finsteren Wolken und ließen einen verklärenden Sonnenstrahl ins Zimmer fallen, der den Glücklichen auch von außen in schönerem Lichte erscheinen ließ, während die Freudenglut der Liebe sein innerstes Wesen von Grund aus verklärte …

Zur selben Stunde – es war ein eigentümliches Zusammentreffen – schien die Freude über dieses Ereignis auch in Weringers Hause gefühlt zu werden; ja denjenigen, der von Schloss Scharfeneck plötzlich nach dem Weringerhofe versetzt worden wäre, hätte es wohl dünken mögen, dass man d nichts Dringenderes zu tun habe, als eine Art Vorfeier zu Hardenfels Hochzeit zu veranstalten.

Denn auf dem Herd der Küche und im Ofen der großen Stube prasselten lustige Feuer zwischen Töpfen und unter Pfannen, lockende Wohlgerüche von Brühen und Braten durchzogen das Haus, und die Weringerin im Halbsonntagsstaate und rüstig geschürzt, hatte trotz der Beihilfe zweier Nachbarinnen alle Hände voll zu tun und ihr glänzendes Herrschtalent für die Küche wohl zusammenzuhalten, um alles im Auge zu haben und von ihren Anordnungen nichts missraten zu lassen.

Von der Scheuertenne her aber tönte ein festliches Gepolter wie von einem Dutzend Regimentstamboure, die im schönsten Fortissimo zugleich ein hohes Fest verkünden.

Nicht weniger als zwölf Drescher, je die Hälfte an den beiden Seiten der Tenne droschen zu gleicher Zeit auf dünne Strohlagen los, die über Bretter gezettelt waren, um ja die Schläge der Flegel recht verstärkt zurück zu hallen. Es wurden für heuer die letzten Garben gedroschen, und dieser Arbeit sollte das Dreschflegel-Hängen folgen – allerdings ein Fest, das sich ein rechter Bauer nicht entgehen lässt, wenn namentlich die Ernte so reichlich ausgefallen ist, wie es diesmal der Fall war.

Gegen vier Uhr nachmittags mochte es sein, als die letzten Schläge auf die Brettertenne fielen und die Drescher, von Anstrengung und freudiger Erwartung glühend, die Dreschflegel über die Schultern hingen und paarweise unter Vortritt Urbans durch den Hof nach der großen Wohnstube marschierten, um die Flegel da feierlich an der Wand neben einander aufzuhängen.

In der Hausflur hielten sie nochmals an und holten ordentlich Atem; dann wurde die Türe aufgedrückt, und so geräuschlos als möglich trat man in die Stube.

Hier stand der Weringer an dem großen Ecktisch und begrüßte die Drescher allesamt mit einigen ernst-freundlichen Worten; dann nahm er einen großen Bierkrug vom Tische, schwang ihn mit beiden Händen feierlich bis an die Stirne, ließ ihn wieder sinken, trank daraus und reichte ihn dann dem ersten Drescher hin, auf dass auch er trinke und dann den Übrigen zum Trinken weiter reiche.

»Und nun, Urban«, sagte der Weringer dann, »hast Du gesorgt, dass es fröhlich hergehe, bis die Hausfrau mit dem Essen fertig ist?«

»So ein wenig für den Hausgebrauch«, erwiderte Urban, mit schweren Tritten aus der Menge vorschreitend – »Weil die Mäuse mit einmal das Hosenknie verfressen haben, so soll's da gerade jetzt ein lustig Hosenlaufen geben; Meister, seht Euch's an, es ist der Mühe wert!«

Und wirklich waren alle Anstalten dazu bereits getroffen, und man ging ans Werk.

Im Hofraum, der für die Festlichkeit frisch mit Sand bestreut war, standen jetzt Musikanten, die lustig aufspielten, eine Menge Zuschauer hatte sich eingefunden, und Urban trat mit noch fünf Dreschern in einen großen Halbkreis, um das seltsamste und lustigste Wettrennen abzuhalten, das man je erdacht hat.

Denn von je zwei Männern musste nämlich der eine mit dem rechten, der andere mit dem linken Fuße in ein Beinkleid steigen, das hierauf um die Lenden beider festgeschnürt wurde. standen »die Renner im Wettlauf« also ausgerüstet in Reih' und Glied, so gab ein Tusch der Musik das Zeichen zum Anfang, und das wunderlichste Froschhüpfen, Fallen, Aufstehen, wieder Hinfallen und Zanken, dass der eine zu lange, der andere zu kurze Schritte mache – begann und ließ das Gelächter der Zuschauer nicht zu Ende kommen. Dasjenige Paar, welches, ohne gefallen zu sein, das vorgesteckte Ziel zuerst erreichte, bekam einen Preis und musste nun beim folgenden Abendessen besonders bewirtet werden; – heute wurde dieses Glück zwei armen Dreschern aus der Nachbarschaft zuteil.

Der Preis, welchen der Weringer reichte und das Festessen, das er nun auftragen ließ, zeigten deutlich genug, dass man sich heute im ersten Bauernhofe der Gegend befinde.

Der Weringer selbst führte fleißig das Wort und sorgte, dass Witz und gute Laune nicht ausgingen; nur dann und wann entschlüpfte ein Ton seiner Brust, der nicht verkennen ließ, dass etwas wundersam Ernstes darinnen vorgehen müsse.

Das Essen hatte vor fünf Uhr angefangen; die Sonne ging unter, es wurde dunkler und dunkler, man musste Lichter anzünden, und die Mahlzeit dauerte fort.

Da – es war die Stunde gekommen, welche man »zwischen Licht« nennt und an Winterabenden zu Erzählungen und Sagen benutzt – ging die Türe der Stube auf, in der gegessen wurde, und zur großen Verwunderung der Gäste kam der »Zeugspeterle« herein – vom Nachbar Mainhard eigenhändig geführt! Peterle wurde von dem Weringer freundlich und mit einem Anflug von Feierlichkeit begrüßt, dann an den großen Ecktisch zu den Gästen geführt und aufs Beste aus allen Schüsseln bewirtet; auch der Mainhard nahm an Weringers Seite Platz und ließ sich die reichlich folgenden Gerichte ganz wohl munden.

Als nun aber abgespeist und hinlänglich getrunken war, gab der Weringer ein Zeichen, dass man sich erheben möge; er sprach mit fester und eindringlicher Stimme ein Dankgebet für die gesegnete Ernte wie für Speis und Trank, ließ hierauf einige Male zum Tanz aufspielen, bei dem sich die Jugend des Dorfes zahlreich einfand, und trat hierauf mitten in die Stube, folgende Worte mit ernstem Nachdruck sprechend:

»Alt und jung, die Ihr da versammelt seid, haltet mit der Lustbarkeit ein wenig inne und lasset zu Nutz und Frommen auch ein ernste Wort vernehmen über Freud' und Leid' des Lebens und über Glück und Irrfahrt des Menschen auf Erden. Ich habe einen ehrwürdigen Mund herbeigerufen, um dies Wort zu führen und wohl uns allen, wenn uns das Herz darüber ernst und froh wird und Stärke und Rat daraus erwächst für künftige Tage!«

Es war lautlos stille geworden rings umher, uns als fehlte nur noch eine Erscheinung, um den Augenblick mit dem ganzen Ernste einer großen Feier auszustatten, ging die Türe auf, und der neue Pfarrer trat herein.

Der Zeugpeterle wurde nun auf einen Stuhl gesetzt, um den sich die ganze Versammlung teils sitzend, teils stehend gruppierte; jedermann war gespannt, was Peterle vorbringen werde, nur der Weringer lächelte vor sich hin, und die Weringerin drückte sich die Schürze in die Augen.

Nachdem der Peterle das übliche Präludium von den wunderbaren Schicksalen der Menschen, von dem Eingreifen der Vorsehung in dieselben und von den langen Irrwegen gesprochen hatte, auf denen der beste Mensch oft spät zur Einsicht des Richtigen gebracht wird – begann er die Geschichte eines armen Knaben zu erzählen, der bis zu seinem zwölften Jahre, mit einem Hunde an ein Wägelchen gespannt, seiner kranken Mutter allerlei Waren für ihren Kleinhandel holte, später durch Fleiß und Sparsamkeit es zu einem Großfuhrmann brachte, der mit drei achtspännigen Lastwagen nach der Hauptstadt fuhr, einen großen Bauernhof und bares Geld erwarb, endlich aber, da ihm die Eisenbahn in die Quere kam, aus Hass gegen sie und alles Neue seine Geschäfte vor der Zeit aufgab, Haus und Hof verkaufte und die klagende Familie weit nach dem Hochgebirge entführte, um hier, fern von allem Neuen, Ruhe und Frieden zu finden. Aber der Himmel habe andere Pläne mit der Welt und den Menschen und lasse sich nicht gerne tadeln, was er begonnen habe. Auch jenen Mann habe er endlich noch dahin zu führen gewusst, dass er sein Unrecht eingesehen und jetzt im Neuen auch die Hand des Weltenlenkers kenne und verehre. Es war die Lebensgeschichte des Weringer von Anfang bis zur laufenden Stunde, was Peterle erzählte, und die weisen Sprüche, die er daran knüpfte, die heiteren und ergreifenden Einzelheiten, die er auszumalen wusste, taten ihre tiefe Wirkung.

Als die Erzählung zu Ende war, hatten die Augen der Versammelten nur ein Ziel aufzusuchen – Weringers Gestalt und Angesicht.

Er hatte mit gesenktem Haupte dagesessen, und niemand hatte bemerkt, dass dann und wann ein schwerer Tropfen aus seinen Wimpern niederfiel; – jetzt aber stand er ruhig auf und sagte:

»Es sind gerade jetzt die Tage, wo man anfängt, zwischen Licht von alten Zeiten, Geistern, Zauberern und von wunderlichen Menschenleben zu erzählen; – auch unsere Zeit steht jetzt so zwischen Licht, viel Altes wankt und schwindet, das Neue ist noch vor der Türe; da habe ich gefunden, dass auch mein Leben halb und halb zum Märle worden ist und manchem zu Nutz und Frommen dienen könnte und hae es erzählen lassen; – aber wie zu jedem Geschichtenbuch ein Bild voran gehört, so hab' ich auch für das gesorgt, es sei ein Angedenken für Kind und Kindeskinder … Hier …« – und er trat an die Wand und öffnete eine Türe am Getäfel – »als ich in meinen besten Jahren eines Tages durch die Hauptstadt fuhr, lief mir ein wunderlicher Geselle mit Bart und langen Haaren nach und schwätzte mir tolles Zeug vor, wie dass es schade sei, wenn ich nicht mit meinem ganzen Aufzug, Wagen und Pferden, abgemalt würde. Ich gab wenig auf die Reden und wollte diesem Mann entgehen – er aber ließ nicht ab zu quälen und zu drängen, ich sollte keinen Heller dafür zahlen, wenn ich ihm nur Zeit vergönnte, mich so aufzunehmen; – und so gab ich endlich nach, und er hat mich hingestellt, ich glaube echt und recht, wie ich vor Zeiten wohl gewesen; – noch besser und zu meiner großen Freude aber stehen auch meine Rosse hier, leibhaftig wie sie waren – und ich könnte sie niemand mehr in ihrer vollen Zahl und Frische zeigen, ständen sie nicht hier im Bilde; – auch sie sind bald zum Märle geworden, eines um das andere wird verschwinden – hier aber werden sie noch Kind und Kindeskinder sehen und sich ihrer freuen … Alles geht vorüber, alles wird zum Märle, drum halte, wer es kann, das Alte im Bilde noch fest, ins Neue aber greif' er ein mit frischer Lust und festen Händen! …«

 


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