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IX.
Das Alte wankt

Wie oft nach Tagen und Wochen erst die Füller von Dünsten in der Atmosphäre sich zu Wetterwolken sammelt und durch rasche Niederschläge die schwülen Sommerlüfte kläre und kühlt, so erzeugt und sammelt auch die menschliche Gesellschaft, durch Verhältnisse begünstigt, eine Zeitlang wunderliche Geistesnebel, die ihre Wirkung weithin geltend machen, bis ein kräftiges Gewitter von Tatsachen die Traumwelt niederschlägt und Lug und Trug derselben offenbart.

Diese Schütterung und Klärung fühlte jetzt auch Dobbl und die ganze Gegend.

Die Prophetin bestätigte wirklich, dass sie mit jener Wilhelmine von Elben eine und dieselbe PERSON sei und ergänzte durch mitunter höchst traurige Mitteilungen die Lücken ihres Lebenslaufes; mit diesen Aussagen, vor Zeugen getan, widerrief sie auf entscheidende Weise ihre Macht und höhere Begnadigung, benahm ihrer ganzen Wirksamkeit im Gebirge den Zauber jetzt ebenso mächtig, als sie früher sie getäuscht.

Dass ihr Peiniger, der Teufel, durch solche Enthüllungen allein schon eine Stoß erleiden musste, versteht sich wohl von selbst; allein er war auch schon zuvorgekommen und hatte erst durch höchst erbärmliches Benehmen, dann durch wahrhaft überstürzte Bekenntnisse freiwillig seiner Macht und aller Würden sich begeben. Denn der verkleidete Scherenschleifer sagte aus, dass er bald nach Ankunft der Prophetin zu der Rolle des bösen Feindes gedungen, mit Kleidern und Geld versehen und mit den wesentlichen Manieren des Gehörnten vertraut gemacht worden sei. Mit Hilfe einiger Freunde, die vortrefflich Lärm und Kolofoniumfeuer zu machen gewusst, habe er bald hernach die Schnitter am Blochgehölze, dann einsame Wanderer und ganze Familien in Angst und Schrecken versetzt; sein wichtigster Auftritt aber wäre ihm für heute vorbehalten gewesen, wo er durch Bannsprüche und Weihwasser getrieben, vor aller Augen aus dem Hause der Prophetin fahren sollte.

Man vermutete, dass die Feier der Teufelsaustreibung auch nicht ohne Höllenlärm und Kolofoniumfeuer vor sich gegangen wäre, durchsuchte deshalb das Haus genau und zog zwei Burschen hervor, die wirklich mit allen möglichen Erfordernissen versehen waren, um Blitz und Donner und die nötigen Schwefelgerüche zu erzeugen.

Der eine dieser Burschen stand leider einer hohen Persönlichkeit, dem Geisterbaron, sehr nahe; denn er dient ihm als Privatsekretär und war ihm bei dem Hang zu Geheimnissen als Tausendkünstler wert, ja unentbehrlich. Zwar leugnete er (treu seinem früheren Stande eines Winkeladvokaten) keckweg all' und jede Mitwisserschaft von der veranstalteten Feier im Hause, schwur hoch und teuer, dass er die hergelaufene Person der Prophetin gar nicht kenne und drohte den Gerichtsdienern mit einem Riesenprozess, wenn sie ihn gefangen nehmen würden; allein er wurde doch gefangen und erlebte den Schmerz, dass sein Kamerad, früherer Theatermaler und jetzt Pächter auf einem Gutshofe des Barons, in seinem Widerstande nicht so fest beharrte, vielmehr sich durch umfassende Geständnisse zu retten suchte.

Als diesen Geständnissen ging hervor, dass der Sekretär und Pächter den schwachen, abergläubischen Baron seit einigen Jahren ganz in ihren Händen hatten; sie wussten ihn durch Beschwören von Geistern, Erwecken von Verstorbenen, Vorhersagen wunderbarer Ereignisse von ihrer übermenschlichen Kraft vollkommen zu überzeugen und ihn zu allem zu bewegen, was ihnen dienlich war. Um recht ungestört und mit einem gewissen schauerlichen Pomp ihre Zauberkünste zu betreiben, hatte ihnen der Baron en altes Jagdschloss eingeräumt, in welchem Zimmer und Säle mit den seltsamsten Dingen ausgeschmückt waren und wo den manchmal Nächte lang mit Erscheinungen aus der anderen Welt Verkehr gepflogen wurde.

Aber nicht nur der Baron, sondern auch dessen Gutsuntertanen hatten von Zeit zu Zeit die Ehre, ein ergreifendes Schauspiel zu genießen und sich durch höllische Erscheinungen belehren zu lassen, wie hoch die Wohltat ihrer Abhängigkeit vom Gutsherrn, die ewige Dauer ihrer Frohnden und manchmal ein neuer Zuwachs von gutsherrlicher Willkür anzurechnen sei.

Traten in der Gegend ganz besondere Ereignisse auf oder ergab sich sonst eine Gelegenheit, einer oder mehreren Personen ein Sümmchen aus der Tasche zu locken, so waren die beiden Zauberer gerne bereit, ihre Künste in Bewegung zu setzen; deshalb standen sie auch mit vielen durchtriebenen Personen beiderlei Geschlechts in heimlicher Verbindung, die für ihren zeitweisen Beistand aus der gemeinsamen Beute entschädigt wurden.

In Folge noch genauerer Geständnisse wurden denn auch der »Zeugspeterle«, ein Knecht Mainhards, die Frau Habl, Luzia Bartl, der spanische Geistliche, der Scherenschleifer und andere Personen verhaftet. Sie alle waren seit der Ankunft der Prophetin im Täuschen und Ausbeuten des Volkes mehr oder weniger tätig gewesen und hatten sich durch die zwei Hauptmagier des Geisterbarons für besondere Fälle gewinnen lassen.

Für die Hoffnungen und Wünsche manches Herzens waren nun diese Vorgänge sehr betrübend. Was sollte denn aus dem Schatzbaum der Hanne Beuchlin werden, der im besten Wachstum war und bereits ein hübsches Sümmchen gekostet hatte? Wer sollte nun dem Austragbauer Looser Hilfe bringen, da man ihm seine teuer bezahlten Retter, den spanischen Geistlichen und die geschickte Habl als Betrüger ins Gefängnis geführt? Und war denn jetzt wirklich alles Vertrauen umsonst, welches man auf die Verheißungen der Prophetin gesetzt? Ihre Gnadenzettel sollten nicht mehr wirken, ihre versprochenen Heiraten nicht zu Stande kommen, die geweihten Lotterielose nicht gewinnen?

War dieser Umschwung der Dinge für Hoffnungen und Wünsche betrübend, so war er für den Aberglauben überhaupt für lange Zeit erschütternd.

Auf welche Schandbank sollten sich nun jene niederlassen, die so hastig im Glauben und Verbreiten der Nachricht waren, der Mainhard sei von Geisterwölfen geholt worden?

Nicht Geisterwölfe, sondern eine Rotte elender Wichte hatte in jener Nacht auf ihn Jagd gemacht, ihn nach heftiger Gegenwehr gepackt, zu Boden geworfen, gebunden und mit verstopftem Munde davongetragen. Seitdem war er in einer Gebirgshöhle gefangen gehalten und von zwei unbekannten Männern bewacht worden, bis er vor einigen Tagen die Trunkenheit des einen benützte und entsprang. Anfangs ungewiss, wo er sich befinde, eilte er immer in gerader Richtung vor sich hin, bis er den Rand des Waldes erreichte und die Gegend um Erdingen erkannte. Jetzt wusste er über seinen Weg Bescheid und eilte ohne Rast der Heimat zu; Wanderer, die ihm begegneten, erkannte ihn nicht, ja wichen befremdet aus, da Mainhard wüst und hager aussah und sein halbes Gesicht von Bart überwuchert hatte. Nach einigen Stunden Marsches kam er endlich zu Hause an, fand aber niemand als eine alte Magd, die ihm sagte, dass eben Groß und Klein im Dorfe zur Feier der Teufelsaustreibung gegangen sei! Dies hören, Müdigkeit und Hunger vergessen, auf- und davonspringen und dem Pfarrdorfe zueilen, war eins! Seine ganze Rachewut gegen die Verblendung der Menschen erwachte wieder, und er war fest entschlossen, sei es auch auf die grellste Art, die unvernünftige Feier gewaltsam zu stören. Glücklicher Weise hatte das unselige Fest ohnehin schon eines schwere Unterbrechung erlitten, und Mainhard ersah den jammervollen Teufel bereits auf dem Dache, wo er unter allen Zeichen menschlicher Angst zu entkommen suchte. Eine Leiter, welche nach dem Dache führte, war jetzt Mainhards lebendigster Wunsch, er fand sie, und sie führte ihn bald genug mit dem Erbfeind zusammen; – und in wenigen Minuten war die Entlarvung des Teufels geschehen – man muss gestehen, dass sie nicht wirksamer hätte vollzogen werden können.

Seitdem hatte sich Mainhard wieder auffallend erholt. Die Freude, seine abergläubischen Gegner so gründlich geschlagen und beschämt zu sehen, machte ihn alle eigenen Leiden vergessen. Wie ein Sieger, dem Gott zum Heil der Wahrheit sichtbarlich beigestanden, ging er unter seinen Nachbarn herum, und wo er seine strafenden Worte zurückhielt, da ließ er wenigsten seine Mienen spielen, und sein Lächeln traf manchen Schuldigen tiefer als sein Wort.

Vielleicht hätte dieses offene Triumphieren endlich manche Reibereien hervorgerufen, wäre die Untersuchung gegen die Schuldigen nicht bald auf ein Kapitel geführt worden, welches ganz geeignet war, Mainhards wachsenden Übermut auf ein bescheideneres Maß zurückzuführen; denn einige Verhaftete sagten aus, dass Mainhard unter anderem auch deshalb entführt worden sei, damit während seiner Gefangenschaft der Aberglaube seines Weibes umso erfolgreiche ausgebeutet werden könne.

Wirklich stellte sich jetzt die ansehnliche Summe von fünfhundert Gulden heraus, die man der Mainhardin für den Blick in die Zauberlaterne, für ihres Mannes Totenerscheinung und allerlei geweihte Hausmittel abgelockt hatte.

Diese Entdeckung würde dem leichtgläubigen Weibe übel bekommen sein, wen sich nicht zwei mildernde Umstände gleichzeitig herausgestellt hätten. Den fürs erste hatte man bei den Schuldigen ausreichende Summen gefunden, um wenigstens den größten Teil des Schadens wieder gutzumachen, und zum andern wurde Mainhard durch die Aussicht besänftige, dass er nun endlich dem in seinem Hause tief eingerissenen Aberglauben den Garaus zu machen Ansehen und Gewalt in Händen habe.

Indessen sah der Weringer der glücklichen Entwicklung der Dinge mit dem ruhigen Behagen eines Mannes zu, dessen beste Freude darin besteht, dass der verwerfliche Unsinn überhaupt aus dem Felde geschlagen wird. Und dennoch durfte er sich auch sagen, dass ihm persönlich ein nicht geringer Anteil an dem Siege gebühre; denn er hatte, ohne jemand in sein Vertrauen zu ziehen, keine Schritte und selbst – kein Geld gespart, um sich bei einflussreichen Personen Gehör zu verschaffen und sie zu wirksamer Abhilfe zu vermögen.

Freilich lässt sich dennoch annehmen, dass Weringers Bemühungen wenigsten nicht so schnell von Erfolg gewesen wären, wenn um jene Zeit nicht ein vielbedeutsamer Personenwechsel am Ruder der Regierung stattgefunden hätte. Ich spürte die ganze empfindsame Staatmaschine und arbeitete jetzt ebenso emsig dem Licht zu, als sie kurz zuvor noch der stillen Dämmerung entgegentrieb …

Am Tage nach der unterbrochenen Teufelsaustreibung saß der Baron von Scharfeneck in einem altertümlichen Lehnstuhl seines wunderlich eingerichteten Zimmers und schien, übermannt von den jüngsten Erlebnissen, das Ende seiner Tage zu erwarten. Vergebens winkten Schädel, Phiolen, Zauberapparate und verraucht Bildnisse von den Wänden, vergebens flog mit jedem ersten Stundenschlag die Türe einer uralten Wanduhr auf und ließ einen emporsteigenden Ägypter sehen, der, ein schwarzes Stäbchen schwingend, das hagere Antlitz dreimal neigte und mit heiseren Tönen brummte: »Vertraue!« – die Enttäuschungen des vorigen Tages und die stets noch einlaufenden Nachrichten über die Aussagen der Gefangenen waren zu niederschlagend, als dass er sich je mit dem alten Glauben wieder aufrichten konnte.

Lange hatte der Baron mit geschlossenen Augen und bis an das Kinn umwickelt mit dem schwarzen und an Zaubersignaturen überreichen Schlafrock dagesessen, als nun endlich an die Türe geklopft wurde und ein junger Mann, ohne den Ruf »Herein!« abzuwarten, in das Zimmer trat.

Einen gelben Strohhut in der Hand und ein Reiseränzchen umgehangen, blieb der junge Ankömmling in einiger Entfernung ruhig stehen und sagte nach einer Weile:

»Ich wünsche wieder Abschied zu nehmen, Onkel.«

Der Baron hob nach einigen Augenblicken, ohne seine Lage zu ändern oder die Augen zu öffnen, nur seine rechte Hand und gab ein Zeichen, dass der junge Mann sich niederlassen möge.

»Wir haben uns noch kaum gesehen; – wir haben uns noch manches mitzuteilen«, sagte er hierauf und streckt noch einmal die Hand aus, um sie dem Neffen Hardenfels zum Gruße hinzureichen.

Dieser rückte einen Stuhl neben den erschütterten Greis und sagte, den Strohhut über den Knien drehend:

»Ich habe bemerkt, dass ich gestern zur unrechten Stunde hierhergekommen bin; ich wollte daher wieder fort, um zu gelegener Zeit zurückzukehren.«

»Nein, bleibe, bleibe! … Eine schwere Prüfung hat mein altes Haupt getroffen – ich habe Trost und Tröster eingebüßt; – Du bist in einer traurigen Stunde, aber zur rechten Stunde zu mir gekommen!«

Eine Pause entstand; denn beiden schien es schwer zu werden, die Unterredung in ganz offener Weise fortzusetzen.

»Ist Dir bekannt, Marcell, was sich gestern hier zugetragen hat und leider immer traurige gestaltet?« sagte der Baron hierauf.

»Ja, Onkel. Ich weiß alles und vielleicht noch etwas mehr als Sie; – denn eben höre ich auch, dass Herr Bussweiler einen Wink erhalten, wie gut es wäre, wenn er sich – eine Erholungsreise zum Herrn Bischof vergönnte!«

Der Baron hatte den Kopf ein wenig aus dem Polster gehoben und die Mienen des Neffen geprüft; jetzt sank er wieder zurück und sagte gebrochen:

»Dann habe ich den Freund zum letzten Male gesehen!«

Der Eindruck, welchen diese Nachricht machte, war nicht geeignet, zur Fortsetzung der Gespräches in der früheren Weise aufzumuntern; der Neffe lenkte daher die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand, der ihn selbst am nächsten anging, auf eine ausführliche Erzählung seiner Erlebnisse, die er gestern angefangen, aber nicht vollendet hatte.

Zehn Jahre war es her, seitdem der Neffe einer geistlichen Anstalt, wohin ihn der Baron getan, entsprungen war und sich unter wechselnden Schicksalen durch die Welt geschlagen hatte.

Aus der offenen und im Ganzen munteren Erzählung ging hervor, dass diese freiwillig aufgesuchte Laufbahn des Lebens keineswegs ohne große Beschwerden betreten und verfolgt worden war; zu wiederholten Malen wusste der kühne Flüchtling kaum, wo er sein müdes Haupt hinlegen, wie er kommenden Tages sich nähren solle, ohne zu betteln. Muntere Laune, Vertrauen und schnelles Geschick zu allem, was er angriff, halfen endlich aus der wachsenden Sorge; Marcell wurde zuerst von dem Inhaber eines großen Transportgeschäftes bemerkt, einer Handelsschule zur Ausbildung übergeben und später in verschiedenen Fabrikangelegenheiten verwendet. Seit zwei Jahren stand er nun als Direktor einer großen Papiermühle seines väterlichen Gönners vor und war in jüngster Zeit dazu verwendet worden, für den Sohn desselben eine zweite Papierfabrik in Ettwangen zu gründen.

»Das Geschick hat mir so die Gunst erwiesen«, fuhr er fort, »einige Zeit wieder ich Ihrer Nähe zu leben, Onkel; ich werde diese Gunst natürlich gerne benutzen, wenn ich weiß, dass ich willkommen sein werde!«

»Willkommen – willkommen bloß? … Marcell – ich wünsche Dich nicht mehr von meiner Seite zu lassen! … Der letzte Sprosse der Freiherrn von Scharfeneck – Geschäftsreisender eines Industriellen! Leiter und Gründer bürgerlicher Papiermühlen!« rief der Baron, sich vor Wehmut im Lehnstuhl gegen die Wand umdrehend.

»Das mag Ihnen persönlich eine betrübende Wahrnehmung sein, lieber Onkel, der Welt gegenüber ist es eine ehrenvolle Tatsache geworden. Arbeit und Industrie sind baronisiert, sind hoffähig geworden. Der hohe und niedere Adel rührt sich für die Verbesserung seiner Güter, greift freudig zur Industrie, zur besseren Ausbeutung seines Hab' und Gutes. Durch den Kohlendampf eines Schlotes wird der glänzende Name einer Familie wenigstens nicht mehr verdunkelt als durch das rostende Väterschwert an der Wand; seine Äcker zu reicherem Ertrag zu bringen, tüchtige Rinder zu ziehen und überhaupt Arbeit zu suchen und Arbeit zu geben, ist jetzt lohnender und ehrenvoller geworden, als in stolzen Einbildungen fortzuleben, andere das Joch unserer Existen tragen und von aller Welt sich überflügeln zu lassen!«

»Ich weiß, ich weiß … Das Übel geht wie eine reißende Krankheit weiter, und bald wird der Edle selbst allen Stolz und alles Behagen aus der Welt gearbeitet haben … Längst sah er als Offizier, als Beamter sich unter die Bürgerlichen und Plebejer geworfen, warum soll er Anstand nehmen, jetzt als Krämer und Fabrikant freiwillig ihre Gesellschaft zu suchen? … Marcell, Marcell – O Du hast kein Ohr mehr für Gründe, die ich für unwiderlegbar halte; – aber meiner Bitte folge, komm wieder auf mein Schloss zu mir; – vergeben sei und vergessen, was geschehen; aber dafür sollst Du auch hören und befolgen, was ich Dir sage …«

»Wenn Ihre Wünsche nichts Unmögliches verlangen – gerne, Onkel, folge ich dann Ihrem Rufe, um die Kräfte meines Lebens da zu verwerten, wo ich sie längst am liebsten verwertet hätte, auf dem Grund und Boden meiner Väter!«

»Es ist nichts Unmögliches, was ich verlange … Du sollst von nun an in meiner Nähe bleiben, selbst schon jetzt mein Nachfolger auf diesem Schlosse sein; aber schwören sollst Du mir auch, dass Du an dem Herkommen und den Rechten, wie sie bestehen, nicht rütteln und jedem Bestreben, sie zu ändern, widerstehen wollest. Unter das Regiment der Kirche sollst Du Dein schuldiges Haupt wieder beugen, sollst Deinen Untertanen stets ein Beispiel von Demut und Rechtgläubigkeit sein und zu Deinem und ihrem Besten alles beim Alten lassen!«

»Onkel«, sagte Hardenfels nach einer Pause mit ernstem Lächeln, »wäre ich der gottlose Sohn der Welt, für den Sie mich halten, ich würde ohne Bedenken ihren Vorschlag annehmen, den leichtsinnigen Eidschwur leisten und später doch meinem Sinn und Willen nachgehen, als hätte es nichts zu sagen. Dies kann ich aber nicht. Ich will mich lieber freiwillig aus Ihrer Nähe verbannen, will freiwillig den väterlichen Boden für immer verlassen, als mit vollem Bewusstsein zu schwören, was ich über kurz oder lang doch nicht halten könnte.«

»Marcell« –

»Es ist eben die Folge Ihrer traurigen Abgeschiedenheit von der Welt und deren Fortschritten, dass Sie mir Bedingungen auferlegen, die heutzutage nicht mehr zu erfüllen sind. Schon rauschen die Flügel der neuen Zeit um den Fuß dieses Hochgebirges, bald werden sie den Geist der Neuerungen unabwehrbar auch in diese Wälder und Felsenwohnungen tragen; wenige Wochen noch, und wir werden den Beschluss der Regierung in allen Zeitungen lesen, dass die Dampfmaschine auch diese Berge durcheilen soll; ob in ihrem unabsehbaren Gefolge mehr Fehler als Tugenden in diese Abgeschiedenheit dringen werden, sei hier nicht erörtert, aber so viel ist gewiss, dass der Rest des Feudalwesens fallen, die Gegenwart mehr als die Vergangenheit gelten wird, dass die finsteren und habsüchtigen Geister dieser Berge, vergnügt über den neuen Lärm von Dampfmaschinen, Schloten und Essen, human und mitteilsam den Menschen Schätze öffnen werden, von denen wir jetzt noch keine Ahnung haben!«

»Diese Hoffnungen sind eitel, jedenfalls verfrüht! Solange die strengen und ruhigen Männer, welch lange her die Zügel der Regierung in den Händen haben, ihre Stellung behaupten – und sie werden es noch lange! – bilde sich niemand ein, die patriarchalische Ruhe dieser Berge durch Neuerungen stören zu können!«

»Jene Männer sind nicht mehr am Ruder … Seit gestern liest man neue Namen an der Spitze der Regierung – ihr Programm ist bekannt – sie werden mit Bedacht, aber entschieden das Gute der Gegenwart fördern!«

Der Baron bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, sein greises Haupt sank nieder gegen die Brust. –

»So ist meine Stunde gekommen«, sagte er und winkte den Neffen näher an seinen Stuhl, um ihn mit seinem schwersten und letzten Entschlusse bekannt zu machen.


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