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X.
Ein neuer Herr tritt auf

»Wenn ein Weib beim Bettgeh'n die Sterne grüßt, so nimmt der Geier oder Habicht ihr kein Huhn.« –

»Schön' Gruß von den Sternen, und sie wüssten nichts davon!«

»Es bringt den Herzspann, wenn jemand den Krug am Rande unterm Deckel fasst.« –

»Den Magenspann auch, wenn man den Mund hinlegen soll, wo eier seine Dreckfinger hatte!«

»Man soll die Kinder nicht Alt-Männchen oder Alt-Weibchen nennen, sie kriegen sonst bald Runzeln.« –

»Runzeln – meinethalben; nur eine alte Runzel aber kann es glauben!« …

Diese und ähnliche Reden fielen nun fast täglich in Mainhards Hause. Sie wurden zu Nutz und Frommen der Dienstboten zum Besten gegeben und waren eine Folge der verstärkten Macht des Hausherrn; denn Mainhard hatte die Beschämung und Erschütterung seines Weibes rasch und klug benutzt und war gleich manchem Herrscher aus den jüngsten Kämpfen stärker hervorgegangen. In Folge dessen verstand sich auch sein Weib mit einigem Humor zur Buße, jeden Aberglauben, der ihr beikam, laut herzusagen, worüber dann Mainhards beißende Erwiderung herfiel. Dieses ätzende Mittel, fleißig angewendet, musste notwendig binnen Jahr und Tag den Aberglauben ganz oder größten Teils aus Mainhards Hause vertreiben.

Leider wusste Mainhard nicht gut Maß zu halten. Statt sich zu begnügen, die Schädlichkeit der Aberglaubens abzutöten, wollte er auch so mancher Haus- und Landessitte zu Leibe, weil sich hier und dort ein Aberglaube dabei geltend machte.

Hier aber fand er scharfen Widerstand; sein Weib ermannte sich zum Widerstand, die Kinder und Dienstboten kamen in Bewegung, und der Weringer selbst legte sich ins Mittel. So gab denn Mainhard endlich nach und ließ das nächste Hausfest nach der Ernte feiern.

Es wurde der letzte Flachs geriffelt; der »Haartanz« oder das »Breistehlen« war an der Ordnung.

Bei dieser Gelegenheit pflegte eine große Mahlzeit vorbereitet zu werden; vor derselben schlich sich ein Bursche aus der Nachbarschaft in die Küche, hielt der Hauswirtin ein Vortuch hin und sagte einen Spruch in Reimen her. Nun füllte ihm die Hausfrau das Tuch mit Backwerk, besonders gebackener Hirse, und wünschte ihm Glück zu seinem gefährlichen Lauf. Denn er musste ganz nahe zu den Flachsarbeitern hinschleichen und ihnen das Backwerk oder die Hirse zeigen, worauf jene ihm nachsetzten und ihn zu ereilen suchten. Gelang das Einfangen wirklich, so wurde dem Burschen fürs Erste das Backwerk abgenommen, dann ward er an Händen, Füßen und Kopf mit Strohbändern so umwunden und geschmückt, dass er wie ein Popanz aussah; in dieser Gestalt musste er sich an den Tischfuß binden lassen, ohne einen Bissen von der Mahlzeit zu erhalten, ja, musste sich noch unter beständigem Gelächter allen möglichen Spott in Wort und Lied gefallen lassen. Hatte hingegen er gesiegt und mit dem Backwerk sein Haus erreicht, so kehrte er im Triumphe zurück, prangte bei der Mahlzeit als Tischkönig, musste mit allerlei Geschenken bedacht werden und war dann Vortänzer beim folgenden Haartanz; jede Person des Hauses konnte er während seines Amtes zum Ziel seines Witzes und Spottes stellen und war gewiss, umso beliebte zu werden, je mehr er das Zwerchfell zu erschüttern verstand …

Zu diesem kühnen Wagestücke fand sich nun Weringers Urban bei der Mainhardin ein – und war so glücklich, wenn auch mit knapper Not, zu siegen!

Er kehrte daher unter jubelndem Geleite aus dem Weringerhofe wieder zurück und ließ sich (nach Mainhards boshaftem Vorschlag) auf hoher Stange als Siegesfahne – jenen riesigen Strohhut (das Pfaukummet) voraustragen, welchen die Mainhardin beim Besorgen der Bruteier sonst auf dem Kopfe zu haben pflegte.

Mahlzeit und Tanz ließen sich hierauf sehr wohl an; man scherzte und lachte nach Herzenslust, und selbst der Mainhard wurde seit langer Zeit zum ersten Male wieder heiter.

Allein auf ein Haar wäre die Lustbarkeit mitten in der besten Entfaltung wieder in die Brücke gegangen!

Es kam die Nachricht – der »Zeugpeterle« sei seiner Haft entlassen worden und kehre straflos heim, weil sich herausgestellt, dass er nur gegen ein Geschenk und ohne die Absichten der Betrüger zu kennen, an jenem Abende die Sage von den Geisterwölfen erzählt hatte.

Glücklich über diese Nachricht, zogen ihm nun ganze Scharen von Kindern und auch erwachsene Verehrer entgegen und führten ihn jubelnd durch das Dorf herein.

Mainhard sah mit Peterles strafloser Heimkehr alle Vorteile der letzten Ereignisse in Frage gestellt.

»Da ist er wieder, der Erzvater des Aberglaubens! Was wir bei Erwachsenen hinaustreiben, führt er haufenweis wieder in die Kinderseelen zurück; – es ist kein Heil und Ende abzusehen! Alles ist umsonst!« rief er.

Dem Weringer allein gelang es, den Übereifer des sonst so ruhigen Mannes etwas zu mäßigen; er gab sein ernstes Wort, von nun an nicht mehr leichtfertig über Peterles Treiben wegzugehen und im Einverständnis mit den Männern der Gemeinde nur solche Erzählungen zu dulden, welche das Herz zwar rühren oder erheitern, aber nicht furchtsam oder abergläubisch machen.

Vielleicht hätte dieser Zuspruch weniger gefruchtet, wenn nicht zu gleicher Zeit eine andere Nachricht von Bedeutung eingetroffen wäre.

Man sagte, der Geisterbaron habe seinen Rechten auf Schloss und Güter entsagt, habe als frommer Pilger, nur von einem Diener begleitet, eine Wallfahrt angetreten und werde nie mehr in das Schloss seiner Väter zurückkehren; sein künftiger Aufenthalt werde vielmehr die Zelle eines geistlichen Stiftes sein.

»Und wer ist sein Erbe?« war die nächste Frage.

Ein Neffe, hieß es, der vor Jahren einer strengen geistlichen Schule entsprungen sich lange in der Welt herumgetrieben habe, endlich als Kaufmann ausgebildet, für ansehnliche Häuser gereist sei und in neuester Zeit zu Ettwangen – eine Papierfabrik zu gründen angefangen!

»Nun, wenn es der ist, den ich selbst gesehen habe«, sagte der Weringer, »dann hat die Gegend einen frohen, wackeren Herrn bekommen – Wahn und Aberglaube sind ihm sicherlich zuwider!«

»Dann meinethalben!« rief der Mainhard wieder fröhlich – »Musikanten, losgedroschen! Urban, einen Hupf! Komm, Alte, ein Hopser kann uns auch nicht schaden!« …

Und in der Tat war Hardenfels seit dem Morgen jenes Tages Herr von Scharfeneck und von allen dazu gehörigen Gütern.

Der alte Herr, schon gebeugt durch die traurigen Erfahrungen der letzten Tage, hatte sich durch die Sorge vor dem Anstürmen einer neuen Zeit, die er weder verstand noch lieben konnte, so einschüchtern lassen, dass er gegen Sicherstellung eines Jahrgehaltes förmlich abdankte und ein Asyl aufzusuchen beschloss, welches ihm den Frieden seines Alters sicher stellte und ihm Muße gönnte, die Hinfälligkeit aller menschlichen Werke – und hätte sie auch Stahl und Eisen noch so sehr befestigt, zu betrauern. Und wie denn ein frommer Pilger nur leicht Gepäck bedarf, so war der alte Herr in Kurzem reisefertig, um erst zu einem weltberühmten Gnadenbilde zu wallfahren und dann hinter dem schweren Tore einer Priesteranstalt sein müdes Herz zur Ruhe zu bringen.

Nicht ohne Wehmut stand Hardenfels am Fenster seines Väterschlosses und sah den alten Onkel, von einem ebenfalls sehr bejahrten und gleichgesinnten Diener begleitet, über den nächsten Hügel wegziehen; ein Schatten, der einen Schatten warf, schien so dahinzuschweben.

»Es ist nicht mein armer Onkel, der hier scheidet«, sagte Hardenfels vor sich hin, »ein Bild alles Vergänglichen und Überlebten ist es, was ich sehe. Entschiede sich das überholte Alte stets und überall zu diesem friedlichen Rückzug und gäbe es dem Neuen ohne Widerstand Raum – wie viel Blut und Unheil hätte die schöne Gotteserde weniger zu sehen!«

Die nächste Aufgabe für den neuen Schlossherrn war natürlich, in alle Verhältnisse genaue Einsicht zu nehmen und seinen sogenannten Untertanen gegenüber sich so zu stellen, wie es seinen humanen Grundsätzen in jeder Weise entsprach.

Aber bevor er an diese ernste Aufgabe schritt, hatte er eine dringendere in seiner nächsten Umgebung zu erfüllen.

Vor Allem musste das Innere des Schlosses eine Umwandlung erfahren, welche der gesunde Geschmack einer aufgeklärten Zeit verlangte.

Hardenfels durchging daher prüfend die Räume des Schlosses noch einmal; es war eine seltsame Wanderung durch diese Zimmer und Säle, Gänge und Hallen! Rüstungen und Reliquienstücke von Heiligen, Kreuze und Zauberrequisiten, Bilder von Schlachten und Geistererscheinungen mussten sich knapp neben einander vertragen.

Der Onkel hatte sich ausdrücklich bedungen, dass kein Stück der vorhandenen Einrichtung mutwillig behandelt oder aus dem Schlosse entfernt werde, höchstens konnte alles, was der Nachfolger nicht unmittelbar vor Augen haben wollte, in den linken Schlossflügel gebracht und in anständiger Ordnung dort aufgestellt werden.

Dies hatte Hardenfels versprochen und wollte demgemäß auch treu verfahren.

Während dieses Umzugs abenteuerlicher Gegenstände nun geschah es, dass Hardenfels von einem Diener auch auf eine Tapetentüre aufmerksam wurde, welche er nie zuvor bemerkt hatte; er öffnete sie und trat in einen kleinen Kapellenraum, der ihn lebhaft überraschte.

Der kleine Raum war beinahe völlig dunkel; die zwei schmalen Fenster waren mit schweren Vorhängen bedeckt, und ein Lämpchen, in den wohl sonst ein ewiges Flämmchen flackerte, war ausgetrocknet und leuchtete nicht mehr.

Die Einrichtung des kleinen Raumes war höchst einfach.

Unter dem Lämpchen befand sich eine mit Goldpapier ausgelegte Nische, in welcher eine eigentümliche Puppe stand; am Fuß der Nische war ein Altärchen errichtet, welches von einem niedrigen Wandschrank mit unzähligen Fächern getragen wurde, und vor dem Schranke befand sich ein Betschemel, daneben ein großer, altertümlicher Lehnstuhl

Diese Andachtsstätte, berichtete der Diener, sei von der verstorbenen Baronin erst in den letzten Jahren ihres Lebens errichtet und oft besucht worden; sie habe dabei sich gerne in eine Art von Nonnentracht gekleidet und von Zeit zu Zeit auch fromme Bauersfrauen, die ihr Vertrauen und ihre Neigung besaßen, zu diesen Andachten mitgenommen.

Auf die Frage des jungen Gutsherrn, was den die gute Tante besonders hierher gezogen habe, erwiderte der Diener ernsthaft, aber etwas verlegen, sie habe in diesem Kapellchen – ihr in der Nische befindliche heilige Bräutigamspuppe geschmückt und gepflegt; habe dann mit ihr gebetet und gespielt und fromme Zwiegespräche gehalten!

Hardenfels sah wehmütig lächelnd vor sich und sagte dann:

»Und dieser Schrank da enthält wohl die Gegenstände, welche zu solchen Andachtsübungen notwendig waren?«

»Ja«, erwiderte der Diener und zog ein Fach nach dem andern heraus; die folgende Ausstattung der heiligen Bräutigamspuppe fand sich, nummeriert und wörtlich benannt darin:

»Ein goldenes Kleid mit derlei Mantel, kaiserliche Kron und Zepter, eine königliche Kron mit Rubin besetzt, ein Herzogshut mit Perl besetzt und ein Schwert, ein Kreuz von Ebenholz mit Silber, Perlen und anderem Schmuck garniert, ein blaues, damastenes Kleid auf Advent und Fasten mit Gold gestickt, ein rotsamtenes, wenn es in der Kirche rot ist, zu gebrauchen, ein Jägerkleid, wenn's grün ist in der Kirche, ein Schäferkleid auf gut Hirtenfest, ein Husaren- und Kaminkehrer-G'wandl auf die Fastnacht, ein Schlafrock zur Negligée, zwölf Hemden mit Manschetten und Spitzen, sechs Nachthemden, sechs gestrickte Nachthäubchen, sechs Barthäublein auf den Winter, zwei runde Perücken, ein Zopfperückchen zum Jagdkleide, sechs tafftene, abgenähte Brustfleck auf den Winter, einen kleinen, altlassenen und einen großen Bärenschlüffer (Muff), eine türkische Bettstädl, in rosenfarben Taffent gekleidet mit Ober- und Unterbett, Polster, Kopf- und Magenkissen, Schuh, Stiefel und Pantoffel, Kuchelgeschirr und Kuchl zu koche, seidene Halsbinden, Schnopftücherl, seidene und wollene Strümpf, weißlederne Handschuh und Fäustling, kleines Gewehr zum Jägerkleid, Kaffeegeschirr und Schalen, ein Schafferl zum Füßwaschen, ein mit Silber beschlagenes Tabakspfeiferl zum Husareng'wandl in die Fastnacht, ein Tabaksdöserl  …«

Hardenfels winkte dem Diener, dass es genug sei, verließ den Kapellenraum und sperrte die Tapetentüre schweigend wieder hinter sich ab.

Nachdem er dem Diener ernst und ruhig einige Befehle gegeben, trat er in ein großes Bogenfenster des Schlosses und blickte lange betrübt und schweigend in das Freie.

Es tat ihm sehr weh, das ehrwürdige Gefühl der Frömmigkeit in seiner Tante, die er sonst stets geschätzt hatte, zuletzt so herabgekommen zu wissen.

»Sie wollte offenbar dem Himmel ganz besonders kindlich dienen und ahnte nicht, dass sie gerade ihm an Ehren entzog, was sie einer Puppe von Menschenhand gewährte!« sagte er stille vor sich hin.

Dies führte ihn auf den Umstand, dass die Gegend an Bussweilers Stelle bald eines neuen Geistlichen bedürfen werde; – wie viel von einem solchen für einzelne Menschen und ganze Gegenden abhänge, war ihm niemals klarer geworden als eben jetzt. Er beschloss daher, das Patronatsrecht seines Hauses bei der Wahl des neuen Priesters ebenso ernst als wohlgefällig für die Gemeinde auszuüben; dies sollte eine seiner allerersten Aufgaben werden …

Es war Abend geworden, und in Dobbl unter den vier Linden hatte sich Alt und Jung zum ersten Male wieder um den »Zeugspeterle« versammelt, der nun beweisen sollte, welcher Art seine Geschichten künftig lauten würden; – er hatte sich nach langem Zureden erst zu einer solchen Probeerzählung entschlossen und gab nun folgenden wahren Vorfall zum Besten, der, wie sich bald zeigte, nicht ohne Beziehung zu den folgenden Ereignissen der Gegend blieb.

Mit andern Worten folge deshalb Peterles Erzählung hier …


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