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V.
Auf den Bergen

Das Hochgebirge feierte eben noch schöne Sommertage. Wie ein duftiges Riesengeheimnis stand es da, umringt und bewacht vom glänzenden Hofstaat grüner Vorberge, Hügel und Wälder; bald ragte seine erhabene Stirne klar ans Firmament, bald umwogt von Jupiterlocken weißer Nebel, bald auch brütete noch ein Wetter um dieselbe; wie heiße Stirnadern zuckten dann die Blitze eine Weile, und des Donners rollende Stimme schien aus der Metallbrust der Berge zu kommen; aber ein fliegender Regenschleier kühlte rasch die Stirne und das Blut der düsteren Bergesmajestät, die göttliche Ruhe und Klarheit kehrte ihr zurück, und mit eigener Hand schien sie die Freudenpforte des Regenbogens zu bauen, tausend grüne Tore ihres Reiches zu öffnen, um den Menschen an ihr vielbewegtes Herz zu locken.

Und in der Tat, wer dieser Einladung folgte, kam und ging nicht unbelohnt!

Alsbald nahmen ihn milde Schatten von Buchenwäldern auf, die Erscheinung des Menschen wich dem stille wandelnden Reh, der Freudenschrei der Kinder dem heiteren Geplauder des Forellenbaches, der sich weich um bemooste Felsen drückte, aus Gebüsch und unter Wassergras hervorbrach oder sich mit kindlichem Jubel überschlug und in kleine Abgründe stürzte. Aber die Spuren menschlicher Nähe gingen noch lange freundlich mit, bis Gräser, Gesträuch und Baumwuchs den Charakter änderten, der die Grenze menschlicher Niederlassung bezeichnet; Münze und Erdrauch wichen nur mählich der Flockenblume, dem Enzian; diese dem Habichtskraut und der Saumnarbe; mit rührendem Gruße erschien noch oft der Gänsefuß und der Lauch, der Löwenzahn und das Vergissmeinnicht am Weg, auch die Erdbeere duftete noch würzig aus dem Gesträuch, wo bereits Ahorn und Tanne um den Vorrang stritten, und die Biene gab dem Wanderer das Geleit bis an die Grenze des Hochwaldes.

Ja, den Bergen wandre zu, wer Kraft und Muße hat, wer im Glück ist oder Leide. Die beengte Brust zu erweitern, den Kummer zu mildern, die erstorbene Freude zu wecken, den schwachen Vorsatz zu stärken, der Andacht neue Schätze und Gedanken zuzuführen: – zu allem sind die Berge gleich geeignet!

Du kommst gedrückt von Zweifeln, gepeinigt von mancherlei Erfahrung; – dort sich hin! ein unabsehbarer Münster steht dir offen, Baumsäule an Baumsäule ragt empor, ein lebendiges Gewölbe von Ästen, Zweigen und Blättern ruht über dir und lässt wie ein duftiges Jenseits die blaue Himmelswölbung zu dir nieder dämmern: tritt ein und sprich dein Gebet, dein Verlangen; du bis in einem wahrhaftigen Tempel, und der Herr ist dir nah'!

Oder du kommst entsetzt von der Vergänglichkeit des Guten und Lieben auf Erden; Vater und Mutter und Freund und Geliebte hast du verloren, der Bestand der Natur scheint dir beneidenswert gegenüber der argen Hinfälligkeit des menschlichen Lebens; – sieh' hin! jenes Stück Hochwald betritt und lerne behutsamer denken! Von modernden Baumleichen, die Sturm und Alter gefällt, ist der Boden bedeckt; mit eigenen Augen kannst du stündlich neue Opfer mit dem Tode ringen sehen, die in und wieder schwanken, ächzend sinken, krachendauf die Nachbarbäume stürzen, deren Armen sie entgleiten, um von Regen und Feuchtigkeit übermannt in Moder verwandelt zu werden. Dir hat man Vater und Mutter, Freund und Geliebte besonders begraben, Priestersegen, Gebet und Gesänge, Tränen und Klagen von Hunderten haben sie zu ihrer Ruhestatt begleitet, ihre Erdenreste sind dem Auge verborgen, freundliches Grün und Blumen zieht deine liebende Hand auf ihren Hügeln; – betrachte die Vergänglichkeit dort! Wirr liegen die Riesenleichen ganzer Geschlechter von Bäumen durcheinander, im Moder des Ahnen modert der Enkel, am vergehenden Vaterstamme haftet und reift der Sohn dem gleichen Schicksal entgegen; die Natur, gleichsam selbst erfüllt vom Grauen über diesen Anblick, bemüht sich zwar an vielen Stellen, mit Gras und Moosen, Schilf und Ginster die Verheerung zu bedecken, doch neue Opfer fallen, und wo Sturm und Alter nicht schaden, da tritt der Waldbach in sein Recht, der vor Kurzem noch ein Wasserfaden zwischen Felsen irrte, von Regen angeschwollen aber plötzlich die Felsen sprengt und Weg und Steg mit Baumleichen füllt!

Du lächelst? Dein Leid und dein Leben lasse sich schlecht mit leblosen Dingen zusammenhalten? Nun gut, dringe weiter und weiter in die furchtbare Wildnis, lass den im Moor versinkenden Fuß, die wildverschränkten Arme der Gebüsche dich am Vordringen nicht behindern: – betrachte, bewundere, beneide die Tiere des Waldes gegenüber dem armen Menschengeschlecht! Dort schreitet der Hirsch auf trockenem Waldpfad; er scheint froh und sorglos sein prächtiges Haupt emporzuhalten und die sichere Urwaldstelle des Gebirges zu preisen. – Warum stutzt, erschrickt, entflieht er plötzlich? Ein gieriger Wolf war so frei, dies kühle Freirevier auch für seine Jagd zu suchen, dort hat er schon die leckere Beute, den fliehenden Hirsch, sich ersehen! Der Gesang eines Vogels ergötzt dich, du suchst den freien, frohen Sänger des Urwaldes, ihm zu danken für die Töne, die noch rein, wie sie Gott geschaffen, aus der kleinen Brust erklingen; das Schwirren der Felsenschwalbe und Waldtaube, der Schrei der Ringamsel und des Alpenfinken erinnert dich an unverfälschtes, ungetrübtes Leben, wie es auch der Mensch genießen sollte: – doch sieh hin! schon klettert die wilde Katze nach jenem fröhlichen Sänger; was ihr entgangen, wird eine Beute des Geiers; – wie beneidenswert hat dort ein Auerhahn auf einem Baumstumpf Platz genommen, die ganze Nacht ist in seltsamer Lebenslust und Balzen vergangen, jetzt scharrt er sich harmlos sein Futter aus dem Boden – und der Fuchs schleicht heran, um ihn selbst zu verspeisen! Eine schauderhafte Kette von Gefahren, Mord, Verstümmelung, List und Trug zieht sich mitten durch die Tierwelt, und wie hier das Leben ohne Recht und Schutz ist, so ist es auch das Eigentum; geh' hin und nenne die menschliche Veruntreuung nicht mehr beispiellos, sie geschieht noch säuberlich gegenüber der frechen Tat des Fuchses, der in die mühsam gegrabene Wohnung des Dachses seinen scharfriechenden Kot legt, um sie dem rechtmäßigen Eigentümer auf ewig zu verleiden

Du entweichst in lichtere Bezirke? Dein Kummer allein soll nicht mehr Aug' und Ohr bestimmen? Komm und hör' und siehe mehr!

Du stehst am Rand des selten betretenen Urwaldes; Licht und Grün überwältigen dein erquicktes Auge wieder; die eben noch bedauerte Tierwelt selbst ist es, die dir ein Beispiel gibt, wie man die Freude und nicht den Kummer dem Leben zu Grunde legen soll!

Sieh hin und horch! Wie es poltert und rätscht, säuselt und lärmt, singt und klappert oben und unter und neben dir! Der Specht und die Amsel, der Häher und Goldhahn, die Elster und Meise, Adler und Eule, Fink und Kuckuck, Rotkehlchen und Hänfling pfeifen, schreien, hämmern und krächzen, trillern und rucksen um die Wette. Dort kollert wieder ein Urhahn von der Tanne, klappert und zischt, sträubt das Gefieder und schlägt mit dem Schweife ein Rad – seine daneben sitzende Familie hat ihre Freude am lustigen Papa, und es kümmert sie wenig, wo und wie es mit einem von ihnen ein Ende haben könnte! Dort läuft der Wiedehopf mit hängenden Flügeln, macht Verbeugungen, stößt mit dem Schnabel in die Erde, dass er an einem Stock zu gehen scheint – er findet einen Wurm, eine Larve und verschlingt sie nicht wie ein Plebejer, erst in die Luft geworfen und wieder aufgefangen sind sie dem Feinschmecker willkommene Kost! Zwar ist er so nervös, dass er beim ersten Geräusch vor Entsetzen platt auf den Boden fällt; das hindert aber nicht, dass er alsbald seinen fächerartigen Federbusch wieder hochträgt und unter lustigen Verbeugungen seiner Lebenslust aufs Neue freien Lauf lässt. Und so wie er hält es der Trommler an dürren Ästen, der Specht, ein ernst-pathetischer Narr; so auch die Schnepfe, die ihren Schnabel in jedes Erdloch senkt, so die im Schilf kletternde Dommel, der graue Reiher am See, ihnen gesellen sich pfauchende Marder, das raschelnde Eichhorn, der brummende Dachs und Grillen und Unken, Grashüpfer und Käfer, Bienen und Hummeln, Wespen und Mücken bei und rufen und winken dir alle: Sei froh! Sei frei!

Aber schon ist dein Sinn nur halb bei diesen Dingen. Der Schleier deiner Betrübnis ist zerrissen; dein Herz drängt weiter, dein Fuß will nicht mehr haften. Über Moos und Gerölle, durch Dorn und Ranken, Felsen ab und zu, an Abgründen und über schwindelnde Stege eilst du dahin; die Schauer der Freude und des Entsetzens, die du jetzt empfindest, haben nichts mehr gemein mit den kleinen Leiden und Freuden deines Lebens, du fühlst doch erquickt und erhaben über dieselben und mit der Wohltat innerer Befreiung wächst der Drang deines Herzens, die Wunder und Schrecken, die Lieblichkeit und Größe der Gottesschöpfung um dich näher in das Aug' zu fassen! …

Der Weringer hatte sich von dem letzten Schlage kaum erholt, als er einige wichtige Amtsgänge machte, um der heillosen Wirtschaft des Aberglaubens und Betruges daheim entgegen zu wirken; dann hing er sein Gewehr um die Schulter und eilte dem Hochwalde zu. Das Scheibenschießen in Almert gab nur den Vorwand her zu einer langen, menschenfeindlichen Wanderung im Gebirge. Keine Urwaldstelle war zu schauervoll, kein Fels zu steil, dass er nicht durch und hinauf drang; er sah dem Adler in das mörderische Nest, versuchte sich in der Kühnheit mit der Gemse und freute sich der furchtbaren Schauder einer im Freien verbrachten Nacht. So hatte der Weringer drei volle Tage sich herumgetrieben, der dumpfe Schmerz und Hader seines Herzens hatte sich zum größten Teil verloren, als er am vierten Morgen die natürliche Sehnsucht empfand, wieder unter Seinesgleichen, unter Menschen zu sein.

Dieser Empfindung nachhängend, ging er am öden Felsenbett eines schäumenden Bergwassers hin, wo zu beiden Seiten von abstürzenden Alpenzinnen nur Geröllhalden und halbübermooste Felsblöcke zu sehen waren; enger und steiler wurde Schritt für Schritt der Weg, rauer und drohender rückten die Felsenwände neben und über ihm zusammen – als sich plötzlich der schmale Engpass auftat und auf unermessliche Fernen hin dem entzückten Auge Himmel und Erde zeigte; in Paradiesesschöne lagen sonnige Hügel und Täler aufgerollt, besät mit menschlichen Wohnungen, durchzogen von Silberfäden lebendiger Bäche.

Lautlos blieb der Weringer eine Weile stehen, dann sagte er: »Ich muss hinab!« und lenkte rasch dem Fuße des Hochwaldes zu; noch einmal zwar erhob der volle Chor der gefiederten Sänger seine mächtige Stimme, um ihn länger in der hohen Region zurückzuhalten; allein schon war die Sehnsucht nach menschlicher Nähe zu stark, und unaufhaltsam stieg er nieder, bald begrüßt und empfangen von der zahmen Tierwelt der Berge, von meckernden Ziegen, brüllenden Kühen, wiehernden Pferden, bellenden Hunden; durch Busch und Schluchten drang nun auch der tausendfache Schall von Glocken und Schellen, von gackernden Hühnern und schreienden Kindern; bald winkten auch menschliche Dächer aus dem Grün der Bäume, und gastlicher Rauch stieg aus Kaminen; – rascher eilte unser Wanderer zu; die menschliche Nähe, die tiefe Region der Berge hatte ihn endlich wieder!

Auf seinen früheren Wanderungen hatte der Weringer einige Teile des Gebirges besonders lieb gewonnen und versäumte nie, dieselben wieder zu besuchen; so schritt er denn auch heute der Gegend kleiner Wasserfälle zu, um hier vor seiner Heimkehr noch die letzte Rast zu halten.

Und bald auch fühlte er den kühlen Duft der wunderlich regsamen Gewässer, die nach einem Hochgewitter dutzendweise an allen Wänden hängen, um sein Angesicht spielen und hörte das geschäftige Plätschern und Brausen. Nur wenige dieser Bäche hatten sich von längerer Trockenheit nicht aufsaugen lassen und trieben ihr buntes, munteres Wesen wie immer; dort stürzte eine brausende Woge aus bebendem Gesträuch hervor, man sah nicht, woher sie kam und ging, ein dumpfes unterirdisches Brausen nur ließ ihre weitere Laufbahn erraten; dort wieder flatterte ein breites Wasserband in der Luft, zerriss durch Anprall an Felsen in Stücke, löste sich ganz in schimmernden Duft auf, um in der Tiefe als munterer Bach gesammelt weiter zu eilen; dort endlich schien ein Stück Regenbogen, frisch vom Himmel gefallen, zwischen Gebüsch und Felsen zu hängen, die Hand war versucht, danach zu langen und den überirdischen Stoff zu prüfen, doch wehende Nebelgestalten stiegen aus der nahen Tiefe, erinnernd, dass die farbigen Perlen der Luft im nächsten Augenblicke als dumpfe melancholische Wellen durch Grotten und Höhlen weiter eilten.

Ja, ja, so erscheint der Mensch auch eine Weile, von Macht und Ansehen umschimmert im Abglanz eines höheren Wesens und wird früher oder später inne, dass dies alles doch nur fremder Schimmer, schöne Täuschung sei. Wer nicht vergänglich glänzen will, der halt sich rastlos auf der Höhe des Lebens durch wackere Tatkraft, nur der Glanz, der von innen kommt, ist nicht vergänglich!

Vielleicht waren es ähnliche Gedanken, denen der Weringer nachhing, als er durch nahende Schritte gestört ward.

Ein junger Mann mit Botanisierbüchse und Ranzen trat aus dem Gebüsch und schien gleichfalls die kühle Nähe der Wasserfälle aufzusuchen. Der Weringer hatte ihn höher im Gebirge wiederholt gesehen, wie er in der feuchten Urwaldnacht dort ein Moos und hier von schroffen Felsenhängen mit Lebensgefahr irgendein Hungerblümchen holte; – jetzt, wo ihm der Fremde näher trat und ihn grüßte, erkannte er ihn auch! Es war derselbe Lehrer, welcher vor Jahren, als der Weringer zum letzen Male achtspännig nach der Hauptstadt fuhr, einen kurzen und bündigen Aufschluss über die eben gerichtlich eingezogene Hellseherin gegeben hatte.

Aber auch dieser erkannte den Weringer wieder. »Ei«, sagte er, nebenan auf einem Felsenstücke Platz nehmend, »ich muss Euch schon einmal gesehen haben. Wo war es denn nur?«

Der Weringer nannte Zeit und Gelegenheit, worauf der Lehrer mit einiger Lebhaftigkeit bemerkte:

»Richti! Wahr! Man hat der Landstreicherin damals ordentlich Zeit gelassen, bei Zwangsarbeit und etwas Hunger zu überlegen, ob es nicht besser sei, wacker zu schaffen und sich so sein täglich Brot zu erwerben als durch Volksbetrug und Versündigung an Gott und der gesunden Vernunft; aber die Hexe scheint das alte Handwerk nicht lassen zu können, wie ich höre, treibt sie ihr Wesen jetzt weiter im Gebirge und soll ihre Gläubigen besser finden als bei uns, selbst Geistliche sollen sie schützen und ehren!«

Ein leichtes Rot überzog Weringers Wangen, doch gestand er nicht, wie sehr er selbst von diesem heillosen Treiben wisse und berührt sei.

»Die guten Leute im Gebirge wissen überhaupt nicht, wo sie Gott besser sehen und verehren könnten als in den dummen Prophezeiungen einer hergelaufenen Person«, fuhr der Lehrer nach einer Pause fort; er öffnete langsam seine grüne Blechbüchse, legte Moose, Pflanzen und Steine neben sich hin und bemerkte dann weiter:

»Würde man sich diese wunderbaren Moose und Pflanzen täglich etwas näher ansehen – würde man etwas von der Geschichte dieser Steine, von der Entstehung dieser himmelhohen Gebirgsmassen wissen, man würde weinen über die Zeit, die man mit abergläubischen Träumereien zugebracht, man würde vor der Gedankenfaulheit erschrecken, die wie Moder auf den Menschen lastet, weil der Kopf zu wenig beschäftige, der Geist nicht fortwährend durch vernünftige Aufklärung gereinigt wird!«

Er erzählte nun heiteren Auges, wie er jährlich einen Teil. Seiner Ferien im Gebirge mit Sammeln von Gräsern und Steinen hinbringe und dadurch sowohl seine Kenntnisse vermehre, als auch Gottes Macht und Güte erst recht bis ins Kleinste verehren lerne. Die liebenswürdige und klare Art, mit welcher er jetzt einige Lebermoose und Flechten zerlegte, dann die Erdbedingungen erklärte, welche hier z.B. dem Sperberkraut, dort der Alpenrose und Rasenschmiele das Gedeihen möglich machen, war selbst für Weringers einfache Fassungskraft von Interesse; Schauer und Staunen dagegen ergriff dessen Gemüt, als der Lehrer von den Eigenschafen einiger Steine auf die Ursache, weshalb sie gerade hier zu finden wären, dann auf den Bau und die wahrscheinliche Entstehung des Gebirges zu reden kam. Die furchtbar-großartige Tätigkeit, welche Feuer- und Wassermassen dabei verrichtet, die Jahrtausende, welche sie nötig hatten, um endlich mit dem festen, herrlichen Bau des Gebirges zu Stande zu kommen, stellte sich Weringers Geiste beinah unfasslich dar.

»Solche Gedanken, in freien Stunden vor Augen gehalten, helfen freilich besser und gewaltiger von Gottes Allmacht und Weisheit denken als ein liederliches Weibsbild, das sich Klatschereien und Branntwein zuschleppen lässt und hernach sagt, Gottes Macht und Allwissenheit offenbare sich aus ihren besoffenen Worten!«

Der Weringer saß stumm neben dem Lehrer und legte den Kopf in die Hand; als aber der Lehrer nach einiger Zeit aufstand, um den Heimweg anzutreten, da erhob sich auch er und sagte: »Wir haben bis Mörsheim einen Weg!«

Beide gingen nun unter wechselnden Gesprächen dem Rande des Waldes zu. Die Volkszustände im Gebirge, deren Treffliches der Lehrer keineswegs verkannte, waren bald von Neuem der Gegenstand des Gespräches, und der Lehrer bemerkte zuletzt:

»Dass die Leute noch einfacher leben, ihre schönen Sitten und Gebräuche erhalten und sich standhaft kleiden wie Eltern und Voreltern, das liebe ich und achte ich sehr; aber man braucht eben nicht wie eine Windfahne von einem zum andern zu springen, wenn man von der Zeit das Neue und Gute auch annimmt; vieles überkommt der Mensch aus früheren Zeiten und soll es erhalten, aber etwas muss er als Verbesserung auch hinzutun. Wie man Getreidevorräte umschaufelt, dass sie nicht verderben, so muss auch am Leben gerührt und gewendet werden, dass es keinen Schimmel anlege.« »Übrigens«, fuhr der Lehrer nach einer Pause fort – »wenn es in Erfüllung geht, was die Zeitungen seit acht Tagen wie besessen verhandeln, wenn ein Flügel der Eisenbahn wirklich mitten durch das Hochgebirge – bei Dobbl und Erdingen vorbei – geführt wird, dann ist auch manches für Unterricht und Verbesserung da zu erwarten!«

»Das steht in den Zeitungen und wird für möglich gehalten?« fragte der Weringer, stehen bleibend, wie vom Donner gerührt.

»Für möglich und überaus zweckmäßig«, erwiderte der Lehrer, »denn diese Eisenbahn würde zwei große fruchtbare Reiche auf die kürzeste und beste Art verbinden und das Gebirge selbst mit seinen Holzvorräten, Erzen und Kohlenlagern der Welt zu Nutz und Frommen öffnen. Ich glaube auch, dass diese Eisenbahn zu Stande kommt und kann dazu nur Glück auf sagen.«

Die Wanderer standen jetzt an ihrem Scheidewege und reichten sich die Hand.

Der Lehrer wurde über und über rot und sagte, nachdem er sich wieder gefasst: »Kommt gut heim, wir sehen uns hoffentlich wieder einmal!« Er besah weiter gehend seine fast zerquetschte Hand, welche der Weringer, heftig bewegt, in Gedanken zu lebhaft gedrückt hatte.

Der Weringer aber schien plötzlich über die Richtung seines Weges sehr in Zweifel zu geraten; er blieb lange ernst nachdenklich stehen.

Schon hatte er endlich einige Schritte links gegen Dobbl hin getan, als er sich rasch wieder zurückwendete und gerade aus nach – Ettwangen, seiner alten Heimat, weiterschritt!


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