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XII.
Ecksteine der Zukunft

Die Erscheinung des Pfarrers und dessen Wirksamkeit waren für die nächste Zeit der natürliche Hauptgegenstand der öffentlichen Neugierde.

Wird er in die Fußstapfen seines wunderlichen Vorgängers treten? Wird er die eingerissenen Schäden zur Freude frömmelnder Wohldiener und zum Ärger aller wackeren Gemeindemitglieder belassen?

Diese und hundert andere Fragen wurden laut, und jedermann griff aus den Worten und dem ersten Benehmen des Pfarrers das Nächste heraus, um sich eine wahrscheinliche Antwort selber zusammen zu setzen.

Indessen ließ das Auftreten des neuen Seelsorgers bald keine willkürlichen Auslegungen mehr zu, fest und bestimmt zweigt es den Geist, der es leitete, die Richtung, welche es verfolgte.

Der Weringer hatte nach dem, was er von seiner Pilgerfahrt her über den Mann gedacht, keinen Augenblick gezweifelt, dass er sein geistliches Amt in höchst erfreulicher Weise erfüllen werde und war nun von ganzem Herzen vergnügt, seine Voraussetzungen noch über Erwartung erfüllt zu sehen.

Der neue Pfarrer ergriff und erbaute seine Gemeinde nicht bloß durch den weisen Inhalt seiner Lehren ganz anders, als man es bisher gewohnt war, er zeigte auch durch seinen ganzen Wandel, dass er seine Lehren nicht nur in dem Munde führe, sondern in Fleisch und Blut seines Lebens aufgenommen habe.

Hatte der Vorgänger Bussweiler aus den Lehren und Formen der Kirche ein heiliges Gehege von Zweigen und Blättern gebaut, darin allein die Blüte seines willkürlichen Christentums zu suchen sei, so stellte der neue Pfarrer die reine Blume des christlichen Glaubens mit den Worten des Erlösers selbst vor die Gemeinde hin, legte den Hauptnachdruck auf die Befolgung der Christenlehre und gab dem Wesen der Kirche, das er keineswegs verändern wollte, nicht mehr und nicht weniger Ehren, als ihm gebührten.

»Mein Unterricht zeige Euch den Weg zum Heil, und mein Beispiel gehe Euch voran!« Diese Schlussworte seiner Antrittsrede hielt er in allem fest, was er tat und lehrte. »Lasset uns aufseh'n zu Jesu, dem Anfänger und Vollender des Glaubens!« Mit diesem Ruf versammelte er stets die Herzen seiner Gemeinde unter die erhabenste Fahne.

Aber trotzdem er der Kirche nur den Wert einer Dienerin der Religion einräumte, vernachlässigte er doch ihre Formen in keiner Weise; sie gewannen im Gegenteil unter seiner Leitung wesentlich an Würde.

Denn hatte der Vorgänger, um zu blenden, stets den grassen Schein und Pomp in Ausstattung und Übung der kirchlichen Zeremonien angestrebt, ohne die Grenzen des Geschmacks zu kennen oder die ausreichenden Mittel zu besitzen, so beseitigte der Nachfolger alles, was nicht zum Wesen des Gottesdienstes gehörte oder ihn zum Nachteil der Andacht störte.

Daher war eine der ersten Neuerungen die vorläufige Abschaffung der bisher zur Qual jedes wohlorganisierten Ohres von lauter ungeübten Spielern ausgeführten Kirchenmusik; bis eine dem Gottesdienst entsprechendere Leistung zuwege kam, sollte einfacher Gesang mit Orgelbegleitung das einzige Förderungsmittel der Andacht bleiben.

Eine zweite dringende Reform bedurfte der Bilder- und Bildhauerschmuck der Kirche; denn da war durch den Vorgänger die Geschmacklosigkeit auf höchst traurige Weise gehäuft worden. Heilige und Märtyrer drängten und verdrängten einander förmlich und waren in einer künstlerischen Weise ausgeführt, die umso erschreckender hervortrat, als Vergoldung und Blumenzier maßlos daran verschwendet wurden.

In aller Stille, ohne Aufsehen, verschwand nun von diesen entweihten Erzeugnissen stümperhafter Kunst ein Stück um das andere und machte einem edleren Schmuck des Gotteshauses Platz, bis Christus, der erhabene Stifter des Glaubens selbst in einem schönen Altarbilde als erste Zierde des Gotteshauses erschien, zu der die anderen Gegenstände nach und nach in bescheidenes Verhältnis gebracht wurden.

Und in dieser ruhigen und vorsichtigen Weise fuhr Herr Heylwarth fort, auch in äußeren Dingen der Kirche zu reinigen und zu veredeln; denn er bedachte sehr wohl, dass eine Kunst, die den gesunden Geschmack beleidigt, am allerwenigsten den Gefühlen der Andacht frommen könne. Es dauerte auch nicht lange, so wusste die Pfarrgemeinde kaum mehr, wie ihr geschah; sie verließ keinen Gottesdienst, ohne im Guten lichter zu sehen und sich zu dessen Übung gestärkter zu fühlen.

Deutlicher trat die Wichtigkeit des persönlichen Einflusses des neuen Seelsorgers im außerkirchlichen Verkehre mit der Gemeinde hervor.

Hatte der Vorgänger einen Hauptwert darein gesetzt, der Gemeinde gegenüber, trotzdem er mit seinen Auserwählten in mehr als vertraulichem Verkehre stand, in unnahbarer Ferne sich zu halten und den strafenden Machthaber der Kirche stets und überall hervortreten zu lassen, so erschien der neue Pfarrer in seinem Umgang stets nur als Freund, Vermittler und Lehrer seiner anvertrauten Seelen; aber statt sein Ansehen dadurch zu verkürzen und seinen Einfluss zu schwächen, vermehrte er beide von Tag zu Tag, aus dem einfachen Grunde, weil er zum Freund und Vermittler ein Herz und keine Maske, zum Lehrer und Ratgeber aber vielseitige und tüchtige Kenntnisse mitbrachte, die zum Wohl der Leute jederzeit nutzbar zu verwenden waren.

Zwei wichtige Umstände kamen noch hinzu, dem neuen Seelsorger den Sieg über die Herzen seiner Gemeinde zu erleichtern.

Wie Gott ein Gott der Reichen und Armen, der Weisen und Unwissenden zugleich ist, wie der Heiland selbst seine Lehren und Gnaden für alle, selbst die schwer Gefallenen, in die Welt brachte, so ließ sich auch der neue Pfarrer nie auf der Schwäche ertappen, seine Aufmerksamkeit den Reichen und Höhergestellten besonders zuzuwenden; im Gegenteile war sein Herz und seine Hilfe weit häufiger bei den Armen und Schwachen im Guten, die des Trostes und des Beistandes dringender bedurften.

Vor allem aber vermied er einen Übelstand, den sein Vorgänger sehr zum Schaden des guten Geistes in der Gemeinde groß gezogen hatte, er vermied es, irgendeine frömmelnde Parteiung hervorzurufen und unterdrückte auch rasch und kräftig das von früher herstammende heillose Denunziantenwesen, das sich gleich nach seinem Amtsantritte in der Meinung, wohlgefällig aufgenommen zu werden, frech an ihn herandrängte. Nur seinem eigenen Ohr und Auge wollte er trauen, und wenn er eine Auskunft nötig hatte, so wendete er sich an Männer, wie den Weringer, die er bald als ehrenwert und zuverlässig herausfand.

Einige Wochen schon hatte der neue Pfarrer sein wichtiges und schweres Amt angetreten, ohne dass er auf der Kanzel oder bei irgendeiner anderen Gelegenheit auch nur andeutungsweise die traurigen Vorfälle berührte, die kurz vor seiner Ankunft die Gegend um Dobbl verwirrten.

Mainhard und seine paar hitzigsten Anhänger erwarteten jeden Sonntag ein heiliges Donnerwetter von der Kanzel gegen die Anhänger des Aberglaubens, und diese selbst gingen stetes mit bewegten Herzen in die Kirch, da sie von früher her gewohnt waren, jedes Ereignis der Gegend in der Predigt sofort und häufig zu ganz brutaler Beschämung einzelner ausbeuten zu sehen; aber dem neuen Seelsorger schien diese rohe Mittel zu bessern und zu belehren weder würdig noch ratsam, und die öffentliche Rüge unterblieb. Denn wie Gott bei Erschaffung der Welt die Finsternis nicht durch einen Bannspruch oder mit dem Schwerte vertrieb, sondern einfach die große Lampe der Welt, die Sonne, am Himmel heraufzog, so beschloss auch der neue Pfarrer, in die Köpfe und Herzen der Gemeinde vor allem mehr Licht zu bringen, wodurch die Schatten des Wahnes zum größten Teile selber schwinden mussten.

Diese ebenso weise als vorsichtige Art, die Schuldigen zu behandeln, verschaffte ihm für immer ihre Neigung und Dankbarkeit und veranlasste eine große Zahl derselben, freiwillig bei ihm zu erscheinen und sich in allen zweifelhaften Fällen von ihm belehren zu lassen.

Der würdige Seelsorger hatte sich mit den erwachsenen Mitgliedern seiner Gemeinde noch kaum so weit zurechtgefunden, als bereits ein anderer Gegenstand seine Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich zog; – dieser Gegenstand war die Dorfschule.

Er traf sie in einem Zustande, der im Sinne des Vorgängers zwar nichts zu wünschen übrig ließ, der neuen Lage der Dinge aber übel genug entsprach.

Der Lehrer war ein alter, immer kränkelnder Mann, ohne alle wesentliche Bildung, schlecht besoldet und als Junggeselle ohne wohlgeordnetes Hauswesen; so konnte er unmöglich die Jugend weder durch den nötigen Unterricht fördern, noch ihr durch seine äußere Erscheinung, die jederzeit unter den bescheidensten Anforderungen blieb, die unerlässliche Achtung abgewinnen. Was in solchen Fällen nicht ausbleiben kann, war auch hier zur Tagesordnung geworden: der Lehrer musste als Zielscheibe für die ausgelassene Jugend herhalten und hatte stetes die bewaffnete Garde eines Lineals oder Haselstocks vonnöten, um hier einen kühnen Überfall abzuschlagen, dort durch einen höchst listigen Ausfall seinen beweglichen Gegnern beizukommen; von den Früchten einer wahren Schule konnte natürlich kaum die Rede sein.

Diese wurden früher auch gar nicht sonderlich verlangt; wenn nur der Katechismus und die kirchlichen Erfordernisse geläufig beigebracht waren, am übrigen Unterrichte lag im Ganzen wenig.

So durften die Dinge natürlich nicht ferner bleiben.

Die Wichtigkeit der Religion und der Kirche braucht bei dem Unterrichte gar nicht zu verlieren, um die Schule zu dem zu machen, was sie den Anforderungen unserer Zeit nach sein soll.

Denn nicht nur nach Oben soll das Auge des Kindes in der Schule gerichtet werden, sondern auch auf die nächsten Erdengegenstände um sich her; gute Christen sollen aus den Schulen hervorgehen, das ist richtig, aber auch brauchbare Menschen für jede Arbeit. Denn der Mensch hat nicht nur eine für das ewige Leben bestimmte Seele, sondern auch einen Leib, der auf der sichtbaren Erde anfängt und endet; die Sorge für das Gedeihen des Leibes ist aber nicht nur für diesen selbst von Wichtigkeit, sie hilft, je vernünftiger sie betrieben wird, auch das Wohl der ewigen Seele fördern. Es ist daher die vorzüglichste Aufgabe der Schule, die Kinder für ihre Doppelbestimmung des Leibes und der Seele zu erziehen, indem man die Kräfte beider stets mit Hinsicht auf ihr gemeinschaftliches Beste übt und leitet …

Eben diese Sorge für die dringende Verbesserung der Schule war es, die Herrn Pfarrer Heylwarth bereits wiederholt zu dem neuen Gutsherrn auf Scharfeneck geführt hatte; in dieser Angelegenheit befand er sich denn eines Tages auch wieder daselbst, um die von beiden Männern ernst genommene Sache noch einmal reiflich zu besprechen, als ein großer Mann in Volkstracht über den Schlosshof ging und sich bald darauf bei dem Gutsherrn melden ließ.

»Ei, sieh da, Weringer!« rief Herr von Hardenfels freundlich entgegengehend, »Ihr kommt gerade recht; wir besprechen da eben eine Sache, die auch Euch angeht, kommt her und nehmet Platz bei uns.«

»Was ist's?« fragte der Weringer, sich nach einigem Zögern am Tische niederlassend.

»Wir müssen dem Schulschlendrian abhelfen, wir müssen einen anderen Lehrer haben, wir müssen jeder nach Kräften beitragen, um das Schulhaus zu vergrößern und zu verschönern«, sagte Hardenfels.

»Da bin ich gern dabei!« sagte der Weringer rasch – »und was ich weiter bei andern vermag, will ich auch tun«, setzte er nach kurzem Bedenken hinzu.

»Das haben wir von Euch erwartet, Weringer, und sind erfreut, uns nicht getäuscht zu haben!« sagte Hardenfels; er bestimmte dann sofort eine ansehnliche Summe für die Verbesserung der Schule, und der Weringer fühlte richtig heraus, dass er sich auch nicht spotten lassen dürfte; eine namhafte Zusage erfolgte jetzt auch seinerseits.

Nun wurde manches in der Angelegenheit hin und her gesprochen und zuletzt bestimmt, dass der alte Lehrer sobald als möglich in Ruhestand versetzt und ein tüchtigerer Erzieher an seine Stelle berufen werden müsse.

»Und wäre auch schon ein rechter Mann für uns gefunden?« fragte der Weringer mit einiger Spannung.

»Gefunden – vielleicht«, sagte Hardenfels, »aber es ist die Frage, ob er zu haben sein wird.«

»Wenn er nicht zu haben ist«, sagte der Weringer, leicht errötend – »so schlage ich einen anderen vor!«

Man fragte, wen er meine, und er erzählte von seinem wiederholten Zusammentreffen mit dem Lehrer aus Granenfeld, der ihm über die Maßen gefallen.

Hardenfels und der Pfarrer sahen sich lächelnd an, und letzterer sagte:

»Das ist ein hübsches Zusammentreffen: denselben Lehrer haben wir in Aussicht genommen und wollten trachten, ihn zu gewinnen!«

Herr Heylwarth empfahl sich jetzt, und der Weringer ging auf das eigentliche Geschäft über, das ihn nach Scharfeneck geführt hatte.

»Nun, wie ist's?« sagte er – »Wir haben darüber ein paar Mal geschlafen: – bekomm' ich den Wald für mein Gebot?«

»Nein, lieber Weringer«, sagte Hardenfels lachend – »den Wald allein nicht, Ihr müsstet denn sonst noch etwas dazu in den Kauf nehmen!«

»Was?« fragte der Weringer.

Hardenfels stand auf und läutete dem Diener, der auf den Fall schon vorbereitet eine Weinflasche mit Gläsern und kalten Braten brachte.

»Ein kleines Gabelfrühstück!« sagte Hardenfels.

»Also hab' ich den Wald?« fragte der Weringer mit Nachdruck, an der Richtigkeit des Kaufes noch etwas zweifelnd.

»Ja, ja, hartköpfiger Mann; den Wald habt Ihr, aber das Frühstück habt Ihr noch nicht!«

»Das lässt sich nachholen – topp!« sagte der Weringer heiter und reichte die schwere Hand zum Handschlag hin. Er hatte durch diesen Handel ein Stück Wald erworben, das, ohne Zusammenhang mit dem gutsherrlichen Forstgebiete, tief in sein Besitztum hineinragte und schon oft ein Gegenstand fruchtloser Unterhandlungen gewesen war.

Wohlgemut wurde nun an dem Frühstücke teilgenommen, und Hardenfels bemerkte bald, dass seine Worte nicht auf unfruchtbaren Boden fielen, als er von der Notwendigkeit sprach, die besseren Kräfte der Gegend zu Vereinen zu sammeln, die in regelmäßigen Zusammenkünften, namentlich zur Winterszeit, alles, was die Verbesserung der Wirtschaft und des Lebens anginge, zu reiflichen Besprechung brächten.

»So was muss auch sein! In Allem sollten die Menschen recht zusammenstehen«, sagte der Weringer, vom Weine ungewöhnlich ermuntert.

Hardenfels führte das Kapitel über die Wichtigkeit, sich für nützliche Zwecke in Vereinen zusammenzutun, weiter aus und zeigte, dass auch der Staat und die Kirche nur große Vereine für gemeinsame Zwecke seien und dass heutzutage eben durch Vereinigung vieler Kräfte die wunderbarsten Erscheinungen wie Eisenbahnen und dergleichen zu Stande kämen.

»Vereine aber, wie wir sie gründen wollen«, fuhr er fort, »stiften dadurch den größten Nutzen, dass sie die Einsicht der Leute vermehren und jeden einzelnen in seinem häuslichen Kreise zur Verbesserung antreiben. Indessen«, schloss er seine Bemerkungen, »sollen wir auch nicht gerade warten, bis unsere Vereine in aller Form und Herrlichkeit bestehen, um uns zu rühren. Jeder für sich muss schon jetzt nach Kräften im eigenen Hause und bei dem Nachbarn ein rechtes Beispiel sein und nach bestem Wissen und Gewissen ausführen, was er für brav und nützlich hält!«

»Wir sehen das an unserem Herrn Pfarrer«, sagte der Weringer und hob sein Glas – »der ist auch für sich ohne Verein und hat das nämliche Amt und die nämliche Pflicht wie der Herr Bussweiler – und doch sag' ich's gerade heraus, der stellt uns die Andacht und den Glauben erst wieder her!«

Beide stießen auf das Wohl des neuen Pfarrers an, und Hardenfels sagte dann:

»Bleib noch ein wenig da, Weringer; ich habe meine Gemeinden zu mir geladen, um eine wichtige Sache mit ihnen zu bereden; vielleicht seht Ihr daraus, dass ich meine Verbesserungen auch schon anfange, sogar andern zum Nutzen und mir zum Schaden!«

Beide begaben sich jetzt nach dem großen Saal des Schlosses, wo sich bereits eine ansehnliche Zahl Bauern eingefunden hatte.

Hardenfels stellt sich auf eine kleine Vorstufe an der massiven Saaltür und bat auch den Weringer, sich in seiner Nähe zu halten; dann eröffnete er mit einfachen Worten der Versammlung, dass er gesonnen sei, sich mit jedem, der sich dazu freiwillig verstände, über eine Ablösung der noch bestehenden Leistungen an sein Haus in einen Vergleich einzulassen.

»Über kurz oder lang«, setzte er hinzu, »wird die neue Gesetzgebung des Landes diese Ablösung ohnehin zur Pflicht machen, und es sollte mir lieb sein, mit jedem von Euch einig zu sein, bevor diese Einigung durch das Gesetz befohlen wird.«

Er legte die Hauptgrundsätze dar, welche in den vernünftigsten Nachbarstaaten über Grundentlastung bereits in Anwendung seien und welche er selbst seinen Verpflichteten freiwillig zum Vergleiche biete; dann setzte er ihnen den für ihn selbst hervorgehenden Nachteil auseinander, den er nur dadurch wieder gutmachen könnte, dass er das Ablösungskapital nach und nach zu Verbesserungen seines Besitztums verwende.

»Überlegt Euch die Sache nun«, schloss er, »jedes Jahr, das Ihr versäumt, ist Euer eigener Nachteil, und die Gesetzgebung wird Euch schwerlich besser in der Sache stellen. Mir aber glaubt aufs Wort, dass ich keinen Hintergedanken dabei habe als den: Ihr möget mir endlich freie Nachbarn mit freiem Eigentum werden!«

Diese Rede machte Eindruck, und ein dumpfes Durcheinander wogte eine Weile hin und wider.

Endlich traten einige Männer festem Schrittes aus der Menge hervor und sagen dem neuen Gutsherrn, dass sie nächstens kommen würden, den Vergleich mit ihm in aller Form abzuschließen; andere machten nach einigen bestimmten Schritten wieder rechtsum und dachten. »Die Sache eilt nicht, nur gemach!« Eine erkleckliche Anzahl aber steckte am äußersten Ende des Saales die Köpfe zusammen und sagte. »Das alle könne recht schön und gut sein, aber auf der Hut sein, sei besser, so billig müsse es immer noch kommen, und wenn man den jungen Herrn nur ordentlich zappeln lasse, so werde er schon dasiger werden und noch mehr vom Fett lassen!«

Diese lauten und halblauten Überlegungen waren noch nicht zu Ende, als der Schlossdiener in den Saal trat und seinem Herrn einen Brief und ein Zeitungsblatt brachte.

Hardenfels erbrach den Brief und las ihn lächelnd, dann sagte er zu Weringer:

»Wollt Ihr mit? Ich fahre in einer halben Stunde nach Ettwangen; mein lieber Freund Lenhold ist in tausend Nöten und braucht meine Hilfe wieder gar zu dringend – Anton! Lasst anstpannen!« rief er dem fortgehenden Diener nach.

»Diesmal kann ich wirklich nicht von Haus abkommen, so gerne ich auch mit wäre«, sagte der Weringer; er sah zugleich mit einiger Verwunderung auf das Zeitungsblatt, dessen nach oben gekehrte Seite einige Zeilen in großer Fettschrift enthielt.

Er beugte sich nun etwas vor und sagte auf diese Stelle deutend:

»Da muss etwas Merkwürdiges stehen, es springt einem von Weitem in die Augen!«

»Eine telegraphische Depesche«, sagte Hardenfels und nahm das Zeitungsblatt auf; – aber kaum hatte er einen Blick auf den Inhalt der Nachricht geworfen, als er die Zeitung hoch in die Luft hielt und mit mächtig durch den Saal dringender Stimme rief:

»Dageblieben, Freunde! Ruhe! Eine wichtige Nachricht ist gekommen!«

Augenblicklich wurde es stille rings umher und Hardenfels sagte nach einer Pause, welche die Spannung nicht wenig steigern half:

»Was glaubt Ihr, dass ich Euch mitzuteilen habe? … die Eisenbahn durch diese Gegend ist von der Regierung bewilligt, und nächstes Frühjahr sollen die Arbeiten in Angriff genommen werden!«

Nach dieser Mitteilung blieb es eine Weile lautlos wie zuvor, dann erhob sich ein leis' anwachsendes Rauschen und Murmeln durch den Saal, das nach und nach in ein wildes Durcheinander anschwoll, aus dem nicht eben lauter günstige Urteile über die Eisenbahn vernehmbar wurden.

Hardenfels ließ die Nachricht einige Zeit ihre volle Wirkung auf die Versammlung tun, ersuchte dann um Ruhe und sagte; dass diejenigen, welche Lust hätten, über die Wichtigkeit der neuen Eisenbahn einige Ansichten zu hören, versammelt bleiben möchten.

Es entfernte sich niemand, und Hardenfels suchte den großen Nutzen der Eisenbahn für die Gegend so klar und eindringlich als möglich durchzudringen; er schien aber nicht ganz überzeugend durchzudringen, denn sowohl während als nach dem Vortrage erhoben sich einzelne deutliche Stimmen dagegen.

Der Weringer, durch den genossenen Wein und durch die angenehmen Erfahrungen des Morgens frisch angeregt, hatte schon einige Male die starke Versuchung verspürt, selbst auch ein Wort mit drein zu reden und hielt jetzt nicht länger an sich; er trat langsam und fest neben Herrn Hardenfels hin und gab nicht nur zu erkennen, dass er die Meinung desselben nach allen Seiten hin teile, sondern dass er auch selbst noch manches zu Gunsten der Eisenbahn vorbringen wolle. Und wirklich erfüllte er sein Versprechen wacker genug, indem er alles, was er in Ettwangen gelernt und selbst gedacht hatte, stramm zusammenfasste und anfangs mit etwa unsicherer Beredsamkeit, bald aber mit wenigen treffenden Worten zum Besten gab. Seine Ansprache gewann umso wirksamere Bedeutung, als er am Schlusse derselben ohne falsche Scham seinen früheren Widerstand gegen die Fortschritte der Zeit eingestand und durch sein eigenes Beispiel zeigte, wie man nach langem verdrießlichem Irrtum endlich zu besserer Einsicht gelange.

Diese herzhafte Ansprache eines Mannes, der Ihresgleichen war, brachte nun auch die letzte widerstrebende Stimme unter den Nachbarn zum Schweigen, und als der Weringer von Hardenfels Abschied nahm, um nach seinem Hof zurückzukehren, drängte sich ihm eine große Anzahl der Versammelten nach, um noch über manche Angelegenheiten seinen Rat einzuholen.

Der Weringer durfte sich wohl ohne Eitelkeit schon lange hersagen, dass er bei einigem Ernste jeden seiner Nachbarn an Einfluss überbieten könne und der Erfolg seiner Ansprache auf Schloss Scharfeneck bestätigte diese Annahme wieder.

Es war daher natürlich, dass der Weringer auf den Gedanken kam, sein Ansehen künftig absichtlich zu mehren und zu befestigen, um die guten Absichten, die seinen Geist bereits beschäftigten, umso besser durchzusetzen.

»Ich muss bei meinen Nachbarn werden, was der Herr Pfarrer als Seelenhirt in seinem Amte und der neue Scharfenecker als Gutsherr unter Seinesgleichen ist; – gelingt es uns auch noch, den wackeren Lehrer für die Schule zu gewinnen, so sind wir vier Ecksteine eines neuen Hauses, in dem sich künftig gut muss wohnen lassen!«

Mit diesen Schlussgedanken schritt der Weringer ganz wohlgemut jetzt seinem Hofe zu …


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