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XIII.
Ein Schlussstein

Eine Stunde später eilte Hardenfels in einem munteren Zweispänner seinem Freunde Lenhold zu Hilfe.

Er war wohlgestimmt und überdachte die wundersame Wendung seines Schicksals in den letzten paar Wochen; zu Fuß, mit einem Ziegenhainer und einem Reiseränzchen hatte er dieWanderung nach Scharfeneck angetreten, und jetzt flog er im Wagen, von zwei hübschen Rappen gezogen, nach Ettwangen zurück.

Lenhold hatte in seinem Briefe die Verlegenheit, die ihn nach Hilfe rufen ließ, mit keiner Silbe erwähnt; Hardenfels bemühte sich daher lange vergebens, die Art seiner Verlegenheit herauszubringen – bis er plötzlich laut vor sich hin lachend ausrief:

»Ich hab's! Die Verlegenheit heißt nicht Papierfabrik, sie heißt – Arabella!«

Hierauf verlor er sich eine Weile in ernste und heitere Gedanken, die er nicht mehr laut werden ließ; erst als er den Rand eines Waldes erreichte, wurde er ziemlich unerwartet aus seinem Nachdenken geweckt und blickte auf.

Etwa fünfzig Schritte vor seinem Wagen hatten sich zwei Männer, ein Bauer und ein Hausierer, mitten auf der Straße in eine ausgiebige Prügelei vertieft, bei welcher der handfestere Bauer zwar seltener, aber dann auch umso nachhaltiger dreinschlug.

Hardenfels ließ den Wagen bis in die Nähe des Kampfplatzes vorfahren und dann halten.

»Was gibt's da, Freunde?« rief er aussteigend und sich zwischen die Streiter stellend.

»Was es gibt?« erwiderte der Bauer – »Fürs erste einen Halunken, den ich noch im Straßengraben sehen muss, gelt' es, was es wolle!«

Und mit diesen Worten schob er Hardenfels bei Seite, schoss rasch noch einmal auf den Gegner los, der auch wirklich alsbald wie ein Balken zwischen seinen Fäusten baumelte und hierauf in den Straßengraben klatschte.

»Nun kann's aber auch genug sein«, sagte Hardenfels mit verstärktem Nachdruck – »Was hat Euch über einander gebracht?«

»Kennt Ihr den Menschen nicht?« erwiderte der Bauer, sich das Blut von den Wangen wischend, da sein Gegner mehr gekratzt als geschlagen hatte: »Das ist je der Teufelsbot', der uns immer die verfluchten Saubücher von den Dreckzaubereien und Lumpenwahrsagereien gebracht hat. Jetzt, wo der Mistbetrug offenbar ist und ich mein Geld an den Malefizmenschen weggeworfen habe, bin ich ihm hier in den Weg gekommen und hab' ihm Saubohnen und Kopfnüss' zum Dank und Angedenken mitgegeben!«

Nach dieser kurzen Erklärung bockte der Bauer einen Kleesamensack ruhig über die Schulter und ging davon.

Hardenfels aber konnte sich trotz des Jammers, der aus dem Graben kam, eines Lächelns nicht erwehren, da er in dem Überwundenen jenen Karten- und Rauchkünstler erkannte, der vor einiger Zeit noch als Hausierer mit Zauber- und Geistergeschichten im Gebirge hübsche Geschäfte gemacht hatte.

»Ei, ei!« sagte Hardenfels daher, dem armen Sünder die Hand zum Aufstehen reichend – »Sehen wir uns so wieder? Ich hätte Euch längst sagen können, dass der zuletzt in Prügeln seinen Lohn bekommt, der die Menschen dumm machen hilft!«

Der Hausierer stand bald wieder auf der Straße und wagte nichts zu erwidern; seine kleinen Augen blickten nur klagend rundherum, wo sein sauberer Büchervorrat zerstreut und schmutzig herumlag.

Hierauf begann er hinkend seine Ware zusammenzulesen und murmelte bei einem und dem anderen Stück:

»Der Geist Lurian im Silbergewande – von oben bis unten Ein Chaisenspritz! … Die Totenglick um Mitternacht oder die Wiedererweckten – der Teufel hol' den groben Bauernlümmel! … Der Mann im Mond oder die zwölfte Geisterstunde – eine haarsträubende Raubrittergeschichte – treff' ich ihn wieder einmal, so soll er mir Haare lassen! Potz, meine Knöchel! Potz, mein Kopf!«

Hardenfels stieg wieder in den Wagen und sagte, eh' der Kutscher die Pferde antrieb:

»Wo wollt Ihr eigentlich hin?«

Der Hausierer erwiderte: »'Naus von da! Fort aus dem Bereich dieser Viehmenschen! Ich geb' das Hausieren auf! Die Kunst allein muss wieder Brot schaffen!«

»Wenn das ist, so will ich Euch gern dabei behilflich sein. Legt Eure Geist', Gift- und Pappgeschichten da hinten auf meinen Wagen und hockt Euch selber dazu; in Ettwangen will ich Euch abladen und noch ein Wort weiter mit Euch reden!«

Der blinde Passagier entwickelte jetzt eine Behändigkeit, die niemand von seinem Zustand erwartet hätte; alsbald waren die Bücher auf dem Hintersitz des Wagens, und der Künstler schwang sich ihnen nun selbst nach, um sein Gewicht in gleichen Teilen auf den »Mann ohne Kopf« und die »verwunschene Nachteule« niederzulassen.

Der Wagen kam nun wieder in seinen vorigen Lauf, und Hardenfels wurde durch den eben erlebten Vorfall auf einen Gegenstand geführt, den er kürzlich mit dem neuen Seelsorger bereits lebhaft durchgesprochen hatte.

Es handelt sich um die Frage, welche Werke in die Volksbibliothek aufgenommen werden sollten, deren Anlegung beschlossen worden war.

Hardenfels war der Ansicht, in die Volksbibliothek hauptsächlich praktische Bücher aufzunehmen und das Fach der Erzählung und Sage strenge auszuschließen; der Pfarrer aber war dafür, dass auch dieses Fach, natürlich sorgfältig überwacht, vertreten sein müsse.

»Denn«, sagte er, »heutzutage braucht gerade das Gemüt durch Privatsorge besondere Nachhilfe, da unser ganzes Zeitalter den Fortschritten des Verstandes vorwiegend dient. Dampfkraft, Eisenschienen, Zerstörungsmaschinen zu Wasser und zu Land, was sind sie anders als Erzeugnisse der Forschungen auf dem Gebiete des Verstandes? Welche Riesenschritte machen Handel und Verkehr und Erfindungen aller Art? Alle Verhältnisse unserer Zeit tragen mehr oder weniger ausschließlich das Gepräge des Verstandes. Wo bleibt das Herz? Und wo wird es bleiben, wenn diese Verstandesrichtung andauert und noch ausschließlicher überhandnimmt? Schon ist es so weit, dass man im Palast des Reichen, in den Büchern des Kaufmanns, im Hofe des Bauern und in der Werkstatt des Handwerkers die gleiche Selbstsucht findet, eine notwendige Folge der einseitigen Verstandesrichtung unserer Zeit. Man vergleiche selbst die Gesetze und Verordnungen von heute mit jenen zu Anfang des neunzehnten Jahrhundert! Zwar wird man sie schärfer, richtiger, verständiger finden, aber beim Näherbesehen auch kälter und liebloser; sie wollen ihrer Klarheit wegen unfehlbar sein und ersetzen doch in vieler Beziehung die warmen und herzlichen Erläuterungen der früheren Verordnungen nicht. Denn ließen diese vielen menschlichen Schwachheiten Tür und Tor offen, so wird doch jeder sehen müssen, dass dieselben Schwachheiten auch jetzt noch reichlich wuchern. Einst sagte man: »Ein Mann, ein Wort!« und man fragte wenig nach dem Polizeistock des Gesetzes, der im Notfall ein Versprechen in Erfüllung bringen sollte; jetzt aber herrscht zwischen Beamten und Geschäftsleuten, Vorgesetzten und Untergebenen eine Kälte und formelle Vorsicht, die nur zu sehr daran erinnert, wie nötig es sei, dass sich der herrschende Verstand gegen sich selbst nicht vorsichtig genug stellen und verklausulieren kann! … Wo, frage ich, bleibt hier das Gemüt? Um diesem zu seinem Recht zu verhelfen, bedarf es vor allem der Religion der Liebe und gleich hernach der Poesie, deren Wert weit höher steht, als der gar zu verständige Verstand mit seinen Nützlichkeitstheorien heutzutage anerkennen will! Darum – allerdings praktische Bücher, so viel Sie wollen; aber auch Bücher für das Herz, das seine Freude und Rührung nicht bloß aus dem beschränkten Kreise der eigenen Erfahrungen herleiten, sondern auch an schön erzählten, fremden Schicksalen sich erquicken will. Werden dem Volke keine guten Erzählungen und Sagen gegeben, so wird es sich zuverlässig dadurch helfen, dass es eigenmächtig nach schlechten greift und ein Traum- und Zauberbuch endlich jedem anderen vorzieht!«

So sprach Herr Heylwarth damals, und Hardenfels sah die Richtigkeit dieser Ansicht umso mehr als er in dem Hausierer das lebendige Beispiel eines schlechten Bücherzuträgers vor Augen hatte …

Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als Hardenfels Ettwangen erreichte und bald darauf vor dem Gasthof zur Sonne halten ließ.

Im Gasthof waren keine Gäste mehr zugegen, bis auf den Kellner schien alles zu schlafen, und außer der unteren Gaststube war kein Zimmer mehr beleuchtet.

Hardenfels wollte daher auch in aller Stille auf sein Zimmer gehen und den hilfsbedürftigen Freund erst nächsten Morgen überraschen.

Aber der Kellner, welcher Herrn Hardenfels von früher her kannte, sagte sogleich nach seiner Begrüßung:

»Ich habe den Auftrag, Herrn Lenhold sogleich zu wecken, wenn Sie kämen; – ist es Ihnen recht?«

»Es ist zu spät für heute; sagen Sie meinem Freunde auch morgen früh nichts von meiner Ankunft, bis ich ihn selber überrasche«, erwiderte Hardenfels und fügte noch hinzu:

»Er ist doch wohl?«

»Wohl – ja wohl!« sagte der Kellner – »Aber seine Frau weint in einem fort!«

»Wer?«

»Seine Frau Gemahlin«, erwiderte der Kellner, sich verbessernd.

Hardenfels stand wie vom Donner gerührt und hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen.

»Das ist mir leid«, bemerkte er dann mit erzwungener Ruhe: – »Hoffentlich ist's nur Heimweh der guten Dame und verliert sich wohl bald wieder.«

»Das kann wohl sein«, meinte der Kellner ohne viel dabei zu denken und leuchtete Hardenfels auf sein Zimmer.

Aber kaum war dieser allein, als er lebhaft hin und her ging und halb ernst, halb heiter ausrief:

»Seine Frau Gemahlin! Hab' ich recht gehört? Der Mensch hat geheiratet und nicht erst die Hochzeit versprochen, wie ich vermutet? Nun seh' ich, ist es richtig: für den Tod und den Heiratswunsch ist doch kein Kraut gewachsen!«

Er legte Hut und Mantel etwas heftig bei Seite und fuhr dann fort:

»Da weiß ich nun auch das ganze Ach und Weh des Freundes! Er hat sich durch Arabellas Tränen erst zu einer heimlichen Trauung hinreißen lassen, und jetzt soll er durch Arabellas Tränen wieder zum Vergleich mit seinem zürnenden Vater getrieben werden. Recht so! Wenn ich auch schließlich die Sache gut ablaufen sehe, so gönn' ich meinem Lenhold doch diese Tränenstürme, die ihn für kommende Fälle etwas straffe machen werden!«

Wahrscheinlich hatte er durch den Lärm seiner Schritte wie durch diese laut gesprochenen Worte seine Zimmernachbarschaft geweckt, die er jetzt leise husten und dann einige Fragen tun hörte. Er beschloss behutsamer aufzutreten und seine Gedanken fürderhin für sich zu behalten.

Um aber doch das Bett noch nicht aufsuchen zu müssen, öffnete er das eine Fenster, zündete sich eine Zigarre an und blickte rauchend in die trübe Nacht hinaus.

War es die wehmütige Stille der Nacht oder die augenblickliche Klemme des Freundes, die nun doch über seine Stirne einen trüben Ernst verbreitete?

Die Zigarre wollte auch nicht recht brennen, und Hardenfels warf sie nach einigen Augenblicken weit von sich auch dem Fenster.

Aber in demselben Augenblicke, wo die Zigarre auf einen Steinhaufen niederfiel und einige Funken sprühte, knarrte nicht weit von ihm ein Fensterflügel des Nachbarzimmers und ein Männerkopf blickte ins Freie.

»Ich sehe nichts; – Alles ist stille«, sagte der forschende Nachbar nach einer Weile, halb nach seinem Zimmer zurückgewendet – »Ich muss geträumt haben, dass ein Wagen vorgefahren!«

»Schließ' das Fenster und verkühl' Dich nicht, Lieber«, sagte hierauf eine sanfte weibliche Stimme in dem Zimmer – »Hardenfels wird kommen, der Freund wird uns nicht verlassen!«

»So?« dachte Hardenfels lächelnd, der, um nicht gesehen zu werden, jetzt im offenen Fenster aufrecht stand – »Ist das Vertrauen der holden Arabella zu mir so stark? Dann freilich muss ich meine Ehre für ihr Wohl einsetzen!«

Er drückte nun sachte das Fenster wieder zu und beschloss, geräuschlos zu Bett zu gehen … Er hatte also niemand anderen zu Zimmernachbarn als Lenhold und seine süße angetraute Arabella!  …

Kling, kling, kling! Tobte um sechs Uhr des nächsten Morgens eine Zimmerglocke der Sonne und der Kellner, in der Meinung, ein Unglück sei geschehen, stürmte die Treppe herauf und gerade auf Nomero 10 los.

»Was befehlen Sie?« rief er vor der Türe dieses Zimmers, da er sie verschlossen fand.

Rick, rack! Wurde von innen ein Schlüssel umgedreht, und Lenhold stand auf der Schwelle.

»Herr Hardenfels gestern nicht mehr angekommen?« fragte er mit lebhafter Stimme.

»Nein, kann leider nicht dienen« – erwiderte der Kellner, dem Fragenden ganz harmlos ins Gesicht lügend.

»Nicht?« widerholte Lenhold mit merklich weicherer Stimme.

»Nein«, sagte der Kellner noch einmal, die Serviette ruhig unter den Arm pressend.

»So bringen Sie das Frühstück«, schloss Lenhard zaghaft und drückte die Türe wieder hinter sich zu.

»Er ist nicht gekommen; – er wird warten lassen, – er ist eben auch ein großer Herr geworden!« hörte Hardenfels, der sich eben ankleidete, den Freund im Nebenzimmer klagen. Er lächelte und setzte die Beschäftigung mit seinem Anzug ruhig fort.

Bald darauf ging es wieder kling, kling, kling! Und der Kellner, der die Glockenstimmen des Hauses sehr genau kannte, sprang wieder die Treppe herauf und klopfte an die Türe Numero 11.

»Herein!« sagte Hardenfels mit veränderter Stimme.

Der Kellner trat herein und fragte mit der Miene eines Jünglings, der sich nicht wenig zugutetut, sich als geheimnisvollen Vertrauten eines angesehenen Herrn betrachten zu dürfen:

»Was befehlen Sie?«

»Gehen Sie hinüber«, erwiderte Hardenfels, »und fragen Sie an, ob ein Fremder, der eine sehr dringende Nachricht bringe, so früh bei Herrn Lenhold vorsprechen dürfe.«

Der Kellner ging, und Hardenfels hörte im Nachbarzimmer mit einiger Hast Tisch und Stühle rücken; – dann ging er hinaus und klopfte an die nächste Zimmertür.

»Herein!« erscholl die Stimme Lenholds, und Hardenfels trat bereits über die Schwelle, als ein rauschendes Damenkleid durch eine Tapetentüre noch nicht ganz verschwunden war.

Lenhold hatte wirklich einen Freund erwartet und brach nun in den lebhaftesten Freudenruf aus, da er seinen Freund vor sich stehen sah.

»Du bist's?« rief er und eilte mit offenen Armen auf ihn zu – »Kommst Du wirklich soeben erst an?«

»Nein, mein Lieber«, erwiderte Hardenfels, »ich bin spät abends schon hier gewesen und wollte ein so wichtiges Geschäft, das Du haben musst, nicht auf Kosten Deines Schlafes beginnen.«

»Ach«, sagte Lenhold, seinen Freund nach dem Sofa führend, »ich habe doch so auch nicht geschlafen, es wäre in einem hingegangen!«

Er ließ sich neben Hardenfels auf dem Sofa nieder und schwieg eine Weile verlegen; der Freund aber wollte ihm die Buße eines freiwilligen Bekenntnisses nicht ersparen und frage mit der Ruhe eines vollständig Unwissenden:

»Nun rede; Du weißt, dass ich stets zu Deinen Diensten bin und helfen werde, wo und wie ich kann!«

»Willst Du nicht erst eine Tasse Kaffee zu Dir nehmen?« fragte Lenhold dazwischen, um noch einen Augenblick für seine Fassung zu erobern.

»Nein, nein«, erwiderte Hardenfels drängend, »es ist mir noch zu früh, und Du weißt, dass ich in Erwartung einer wichtigen Sache nichts mit Behagen genießen kann.«

»Dann wisse nur«, sagte Lenhold errötend und seinen rechten Fuß so heftig gegen ein Tischbein drückend, dass bald das ganze Frühstück mitten ins Zimmer geflogen wäre – »Hm – wisse: – ich habe meine Arabella geheiratet!«

»Du hast Deine Arabella geheiratet?« fragte Hardenfels mit etwas boshafter Betonung – »Dann bist Du also nicht mehr ledig, und Du kehrst nicht als Junggeselle zurück, wie Du mir versprochen hast?«

»Das weniger«, meinte Lenhold noch verlegener – »die Hauptsache ist jetzt, wie mein Vater wieder versöhnt werden soll, der heftig gegen die Heirat war.«

»Dein Vater ist also noch sehr ungehalten?« fragte Hardenfels.

»So sehr«, fuhr der unglückliche Lenhold fort, »dass er mich enterben und das Projekt der Papiermühle hier fallen lassen will!«

»Das ist viel auf einmal«, sagte Hardenfels, »ich hätte Deinen Alten eines solchen Zornes gar nicht fähig gehalten  … Nun, was hast du Dir denn für ein Besänftigungsmittel ausgedacht?«

»Das musst Du mir finden helfen«, rief Lenhold, »Du bist der Liebling meines Vaters; – Du musst ihm schreiben oder selber zu ihm reisen – muss ihm sagen …«

»Wie dass die Liebe seines Sohnes ein Urrecht, ein Recht auf breitester Basis freien Willens sei, dass Dein Vater nur die Wahl zwischen einem zerschossenen Werther und einem verheirateten Sohn haben konnte – nicht wahr? Und so weiter!« fiel Hardenfels ins Wort.

»O scherze nicht; – die Sacht ist so wichtig, dass der Friede und das Glück meiner ganzen Zukunft davon abhängt!«

»Du hast recht, mein Lieber. Die Sache muss sehr ernst genommen und bald auch zur Entscheidung gebracht werden. Dazu biete ich Dir meinen ganzen Einfluss, und ich hoffe, dass er nicht umsonst in Anwendung kommen werde!«

»O liebster, bester Freund!«

»Höre mich an«, fuhr Hardenfels fort. »Ich werde Deinem Vater schreiben. Er ist ein guter Mann, drum wird er meine Gründe lesen, und er ist ein praktischer Mann, drum wird er meine Gründe prüfen. Ich werde ihm schreiben, erstens dass die Papiermühle zu Stande kommen müsse und dass im Falle – er sie aufgeben wolle – ich sie gründen und für mich behalten werde! Dein Vater ist ein praktischer Mann und wird, so lieb er mich auch hat, das Geschäftchen mir nicht lassen wollen.« …

»Zweitens will ich ihm schreiben, dass Deine Liebe eine sehr praktische Richtung genommen habe und Deinem Vater noch viele holde Früchte von Enkelchen bringen werde. Arabella sei das schönste, das beste und klügste Wesen dieser Erde; sie habe den Heroismus ihrer Liebe wahrhaft großartig bewiesen, da sie Dich als den Verstoßenen, den Enterbten, doch genommen!«

»Das wird wenig helfen …«

»Desto mehr, was ich im hernach schreiben werde … Dein Vater muss«, fuhr Hardenfels nach einer Pause mit veränderter Stimme fort, »Dein Vater muss, um Deine Heirat als eine Kleinigkeit hinzunehmen, mit dem Liebesgeheimnisse Deiner Schwester bekannt gemacht werden …«

»Was, meine Schwester Isabella liebt? Liebt einen Mann, der meines Vaters Beifall nicht haben kann?«

»So ist es. Dein Vater wird sich an seinem grauen Haar vergreifen und ein furchtbares Wehe rufen über seine Tochter, wenn er deren Wahl erfährt!«

»Wer ist der Unbekannte, der meiner Schwester Herz gewonnen, ohne dass Vater, Mutter und Bruder es bemerkte?«

»Ein unseliges Geschöpf. Von Haus aus adelig und dann einer strengen Klosterzucht entsprungen, hat er sein Herkommen und seine ewige Bestimmung so sehr verleugnet, dass er als Vagabund durch die Welt gelaufen ist, bürgerliche Arbeiten ergriffen hat und endlich ehrvergessen genug sich gleichsam an Sohnes Statt von einem – Industriellen aufnehmen ließ! Und dieser Mensch – Du willst es wissen? – heißt – Hardenfels; Du kennst ihn ja, er ist der Dankvergessene, der die Güte Deines liebevollen Vaters so gewissenlos mit einem Herzensraub an seiner Tochter lohnte!«

»Freund! Herzensfreund! Ungetreuer, das sagst Du mir erst heute?« rief Lenhold und umarmte Hardenfels. »Und meine Schwester? Sie hatte Stärke genug, ihr Glück so still für sich zu behalten?« setzte er hinzu.

»Was sollte sie machen?« erwiderte Hardenfels – »Wer war ich denn vor einigen Wochen noch? Konnte ich, der ich von der Güte Deines Vaters lebte, kommen und sagen: Gib mir zu den Wohltaten, die Du mir erwiesen, auch noch Deine Tochter? … Nein, mein Lieber; eben weil ich meine Zukunft noch nicht sicher genug voraussah, weil ich nicht frech und undankbar zugleich sein wollte, hielt ich meine heftige Neigung gegen Deine treffliche Schwester strenge zurück, veranlasste sie zu keinem auffallenden Zeichen ihrer Liebe und benahm ihr eher alle Hoffnung auf meinen Besitz. – Was blieb ihr übrig, als stille und stark zu sein wie ich – und geduldig abzuwarten, was in der Zeiten Schoße uns noch blühen würde?«

»Du bist in die Rechte Deiner Geburt, in den Besitz ansehnlicher Güter wieder eingesetzt, bis ein angesehener und eigner Herr geworden – und Du willst nun wirklich meinen Vater mit Deiner Liebe überraschen, um die Hand meiner Schwester werben – und mein Schwager, mein Bruder werden?« rief Lenhold.

»Alle, alles, was Du sagst«, erwiderte Hardenfels aufstehend – »Aber weil ich glaube, Deinem Vater mit meiner Werbung Freude zu machen, will ich seine Versöhnung mit Dir als eine der Hauptbedingungen in die Heiratspunktationen aufnehmen und im Verein mit Deiner lieben Schweter so lange darauf bestehen, bis er vollkommen nachgibt!«

»Wir sind gerettet! Das muss wirken«, rief Lenhold außer sich vor Freude – »Arabella! Arabella!«

Die Tapetentüre hatte ohnehin schon wiederholt geknistert, und ein Blondkopf war zur Hälfte sichtbar geworden; jetzt ging die Tür rasch und angelweit auf, und Lenholds hübsches, schlankes Weibchen stand im Zimmer mit verweinten Augen da.

»Ja, hervor, herzu«, sagte Hardenfels heiter, und ihr beide Hände reichend: »Ich fühle mich glücklich, Euern wankenden Frieden und Eure Zukunft wieder zu befestigen!«

»Ich habe nicht umsonst auf Sie vertraut, Herr Hardenfels; mein Vertrauen ist mehr als belohnt!« sagte Arabella.

»Nun, wir wollen unsere Hoffnungen nicht zu hoch wachsen lassen und den Erfolg meines Werkes mit Geduld abwarten«, erwiderte Hardenfels –»Ich will mich sofort hinsetzen und zwei wichtige Dokument zu Papier bringen: ein kleines, entscheidendes Liebesbrieflein an Deine Schwester, Lenhold, und eine Sturmpetition an Deinen Vater. Entweder wir siegen alle oder unterliegen samt und sonders! Siegen wir, so soll ein Fest gefeiert werden, desgleichen sich kein Menschenalter hier erinnert; – unterliegen wir  …«

»Nein, nein, wir siegen!« sagte Lenhold zuversichtlich.

»Nun gut, ich glaube auch; und diese Hoffnung soll uns froh erhalten«, sagte Hardenfels – »Doch nun das Frühstück her, auf dass ich mich zu meinem Werk erst stärke!«

Hierauf wurde gemeinsam und in der besten Stimmung gefrühstückt; später schrieb Hardenfels die beiden Briefe und besorgte sie auf die Post; – nach Tische aber saß er bereits wieder im Wagen und ließ die Pferde munter dem Gebirge zutraben.

»Sie wird der Schlussstein meines Hauses werden – sie muss ich gewinnen, wenn ich sagen soll: die Freude meines Lebens steht in vollen Ähren!«

Mit diesen Worten erreichte Hardenfels sein Väterschloss.


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