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II.
Daheim und fremd

Der Glaube an die Prophetin, jede Art abergläubischen Wahnes stand von diesem Tage an in Blüte.

Das Haus der Hellseherin war vom Morgen bis Abend von Neugierigen und Hilfesuchenden umringt, und nicht bloß das Volk, sondern auch ganz besonders fleißig fand sich auch ein hohes, verehrungswürdiges Publikum bei ihr ein.

So konnte man z.B. Herrn v. Scharfeneck, den sogenannten »Geisterbaron« täglich einmal vorfahren und einige Stunden bei der Hochbegnadigten verweilen sehen; so erschienen Frauen und Herrn aus namhafter Entfernung zu Fuß, die sonst gar nicht angetan waren, sich um einer ehrwürdigen Sache willen müde zu laufen.

Natürlich ging bei so bewandten Umständen auch die Flut von Geschenken immer höher, und die Menge von Zukunftsfragen, welche der Prophetin schriftlich zur Beantwortung vorgelegt wurden, waren kaum mehr zu bewältigen.

In diesen Wirbel unglaublicher Tatsachen trat der zurückkehrende Weringer mit wortlosem Erstaunen, ja mit dem Gefühl eines vollkommenen Schwindels.

War denn das dieselbe Welt noch, die er vor Kurzem verließ? Hatte sich sein Auge und Ohr von Grund aus so verändert, dass er nur Unbegreifliches hörte und sah?

Aber kaum zurückgekehrt, hatte er noch nicht Zeit gehabt, sich über das Geschehene zu äußern, als auch schon ganz neue Überraschungen berichtet wurden.

Es hieß, die Prophetin habe jetzt eine höhere Stufe der Begnadigung erklommen; bei der letzten Krankenvisite hätten ihr die Engel angekündigt, dass ihre Leiden täglich um eine Stunde verkürzt und die übrigen um das Doppelte höher angerechnet werden sollten; ja, der Teufel, welcher sich sonst nur zeitweise in einen Winkel ihres Herzens zurückgezogen, sollte sich von jetzt an täglich eine volle Stunde ganz verlassen.

An der Glaubwürdigkeit dieser Nachricht war bald nichts mehr auszusetzen, da sich fast zu gleicher Zeit die Entsetzenskunde verbreitete, der Teufel habe bereits seine erste Ferienstunde zu einem Promenädchen benutzt und sei einigen Leuten, die am Blochgehölze Weizen schnitten, leibhaftig erschienen.

Diese Tatsache wurde von sämtlichen Schnittern so übereinstimmend berichtet, dass auch gegen sie kein Zweifel aufkommen konnte.

Erst (so berichteten männiglich) wäre durch das Gehölz ein Jodeln, Schreien, Lachen und Brüllen wie von hundert Betrunkenen gehört worden, und der Schall sei so durchdringend und gewaltig gewesen, dass es ihnen vor Schauder das Herz zusammengezogen; hierauf sei ein Fremder den Saum des Waldes heraufgewandert, ein Spazierstöckchen schwingend und mit den Lippen ein Liedchen pfeifend, davon man hätte mit vollen Ehren in Ohnmacht sinken können. Von Weitem habe es nun geschienen, als führe der Fremde ganz die gleiche Tracht wie ein Stadtherr; wie er aber näher gekommen, hätte sich alles an ihm verfärbt und verändert; plötzlich sei er dagestanden, in knapp anliegendem Gewande, brennrot angestrichen und zwei schwarze Hörner auf dem Kopf; so habe er einen Bockssprung und hierauf einen Purzelbaum gemacht, sei wie ein Feuerrad in den Wald hineingekugelt und gleich darauf hinter einem Baum erschienen, von wo er bald rechts, bald links wie ein Eichhorn hervorgeguckt, gewinkt, gelächelt und gerufen habe: »Ihr Lieben kommt heran, ihr Freunde hört mich an!« Dieweil sich aber niemand zu dieser Einladung habe verstehen können, so habe der Satanas auf einmal einen kuriosen Knall von sich gegeben, eine Flamme habe aus dem Boden geschlagen, und er sei mit Geheul und Kettengerassel unterwärts verschwunden, um gleich darauf wieder als Stutzer am Waldsaum hinab zu wandern, sein Stöckchen schwingend und ein Liedchen trällernd; ein seltsamer Windstoß habe dabei die Bäume heftig geschüttelt und gebogen …

Der Weringer hatte gleich nach seiner Ankunft im Sinne gehabt, mit seinem Ansehen gegen die Prophetin aufzutreten und zu sagen, was er von ihr wusste. Allein er sah bald ein, dass es vergebens wäre, gegen den allgemeinen Glauben jetzt schon aufzutreten. Er suchte daher nur sein eigenes Haus von dem Übel frei zu halten, legte seinem Weib ans Herz, sich und die Kinder wohl zu überwachen und verbot dem Gesinde streng, sich mit der fremden Person auf irgendeine Weise einzulassen. Hierauf beschloss er einen Gang zum Pfarrer, Doktor und Amtmann, um sich von den Ansichten dieser Herren in Kenntnis zu setzen und zu hören, welche Maßregeln ergriffen worden seien, um seinen Nachbarn aus den Händen schurkischer Menschen zu befreien; denn er zweifelte keinen Augenblick, dass menschliche Bosheit und nicht Geisterspuk des Mannes sich bemächtigt hatte.

Dieser Rundgang sollte ihm aber geringe Freude machen.

Bussweiler, der Pfarrer, sah den Weringer schon von Weitem kommen und ließ sich einfach verleugnen; der Landmedikus hörte kaum, was den riesigen Mann in sein Haus geführt, als er mit den Fingern schnalzte, sich vor die Stirne schlug und aufspringend sagte: »Wetter! Alle Wetter! Ihr habt recht, es ist eine Büberei im Spiel – aber ich muss fort, ein Kranker geht zu Grund, wenn ich nicht zur rechten Stunde dort bin!« Und damit nahm er seinen Hut und ging davon, ohne sich weiter auf Erklärungen einzulassen. Nicht viel glücklicher lief die Unterredung mit dem Amtmanne ab. Zwar gab dieser zu verstehen, man habe seine polizeilichen Schritte bereits getan, um den Mainhard tot oder lebendig wieder aufzufinden, allein die Sache mit der Hellseherin berührte er nur sehr flüchtig und schien sie aus persönlichen oder anderen Rücksichten behutsam zu behandeln.

In einer Stimmung, welche zwischen Schwermut und dumpfer Aufregung wechselte, kehrte der Weringer von diesem so gut als fruchtlosen Gange zurück.

Es war ich fast zur Überzeugung geworden, dass man da, wo man der Bildung und Stellung nach weit über die geistige Finsternis des Aberglaubens hinaus sein sollte, entweder selbst noch bis über den Wirbel in der Verfinsterung stand oder wenigsten für nötig fand, das schaudervolle Dunkel in seinem Wirkungskreise zu erhalten.

Was kann der Aberglaube dem Glauben nützen? Was kann Dummheit und Entsetzen der Heilkunst und den Ämtern für Früchte tragen? fragte er sich wiederholt und verfiel auf Antworten, die, ob sie nun richtig waren oder nicht, keinesfalls erfreulich klangen.

Durch Dobl zurückkehrend ging der Weringer eben an einem ärmlichen Hause vorüber, als ihn ein wüster Lärm darin aufmerksam machte; er blieb stehen und wollte hören, um was es eigentlich hergehe, als die Haustüre aufflog und ein alter Mann, beide Hände an die Schläfe haltend, herausstürzte und nach Hilfe rief.

Der Weringer fing den Alten sofort mit den Armen auf und sagte:

»Was gibt es, Reitle?«

Aber fast im selben Augenblick flog dem Genannten auch ein schweres Holzscheit nach, das den Weringer an der Schulter streifte.

Der Alte konnte vor Zorn und Schrecken kaum die Worte: »Mein Schwiegersohn«, hervorbringen, als auch schon die Quelle des Übels in Person zwischen der Haustüre erschien.

Ein Mann von etlichen dreißig Jahren war's, der schäumend und tobend auf die Türschwelle trat und dem Alten unter grässlichen Verwünschungen das Leben zu nehmen drohte; aber des Weringer ansichtig, versteinerte er förmlich mitten in seiner Wut und suchte mit verwirrtem Blicke den Boden.

»Das ist auch ein Meisterstück, den alten Mann da in die Flucht zu schlagen«, sagte der Weringer mit einer Stimme, wie sie seit Jahren nicht mehr aus seiner gewaltigen Brust gedrungen war – »Ich will hoffen, der Mann geht ohne Schaden ins Haus zurück und wird von jetzt an Ruhe haben!«

Er wartete keine Antwort ab und schob den Alten über die Schwelle in das Haus zurück, indem er zu wiederholten Malen überwältigende Blicke auf den jungen Mann heftete, der sein widerliches Gesicht zu einem höhnischen Lächeln verzog und seine verwahrloste Gestalt jetzt nach dem Innern des Hauses abführte.

Es war nicht das erste Mal, dass der Weringer diesem Wüstlinge strafend gegenüberstand; denn es war derselbe Bursche, den er während seiner letzten Achtspännerfahrt wegen Tierquälerei wacker durchgewalkt und dann in den Straßengraben geworfen hatte. Die Eisenbahn war auch gegen das Schinderhandwerk dieses Menschen unerbittlich eingeschritten und hatte es zu Grund gerichtet; aber statt sein Leben frischweg den Neuerungen zur Verfügung zu stellen, glaubte auch er, alles Neue hassen und fliehen zu müssen, zog sich ins Gebirge zurück, kam nach Dobbl, heiratete hier des alten Reitle Tochter und nährte sich anfangs ziemlich erträglich von Holzfällen und Botengehen; allein bald reizte ihn Schmuggel und Wilddieberei mehr, und er hätte sich manches schöne Stück Geld dabei erworben, wenn er nicht oft genug erwischt und hart abgestraft worden wäre; also ließ er auch diesen Erwerb und trieb sich in jüngster Zeit so ziemlich untätig herum, verschwand auf Wochen, kam wieder, quälte seine alten Schwiegereltern aufs Blut und ließ sich, solange er daheim war, von ihnen füttern und pflegen.

Es war dem Weringer längst ein Pfahl im Fleische, diesen Menschen, der sich auch oft einen Märtyrer und Schicksalsgenossen des Großfuhrmannes zu nennen wagte, gerad in Dobbl, kaum einige Häuser weit von seinem Hofe, zu wissen; – heute erregte ihm sein Anblick besonderen Schauer.

Die Erlebnisse der letzten Tage fielen dem Weringer mit ihrem ganzen Gewichte auf das Herz. Der Gedanke wurde wieder rege und wollte nicht wanken und weichen, dass der Mensch die Forderungen einer neuen Zeit nicht fliehen, sondern sie mit tapferen Fäusten fassen und zu seinem eigenen Gedeihen wenden und zwingen müsse. Welch' ein Bild hatte ihm die alte Heimat vor Augen gehalten, und welche Dinge sah er jetzt in der neuen Heimat, da ihn die Umstände endlich zwangen, zu sehen, was er sonst nicht sah und sehen wollte …

Als der Weringer in seinen Hof trat, sah er den Urban vor der Stalltüre stehen und einige Paar zernagte Hosen prüfend in die Luft halten.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, sagte er eben bedenklicher vor sich hin, »da haben mir die Mäus' in der Truhe ein Hosenknie zerfressen!«

Der Weringer hätte sonst lächelnd geschwiegen zu den Worten des Burschen, jetzt blieb er stehen und sagte:

»Nein, wenn das Hosenknie die Mäus' zerfressen hätten – das wär' ein Wunder!«

Urban merkte an Stimme und Aug' des Meisters, dass der Scherz hier nur Nebensache sei, ließ die zwei Hosenbeine über seinen linken Arm voltigieren und trollte sich nach dem Stalle.

Der Weringer bedauerte jetzt im Stillen sein früheres Gewährenlassen in abergläubischen Dingen und beschloss, inskünftig in seinem Hause auch die geringste Spur und Äußerung des gefährlichen Wahnes nicht ungerügt zu lassen.

Je mehr er sich in diesem Augenblicke allein fühlte gegenüber der Menge beschränkter, abergläubischer Menschen, desto erfreulicher war es ihm, sein Weib wieder auf guten, verständigen Wegen zu sehen.

Sie empfing ihn mit verlegener Miene und sagte, sich neben ihm niederlassend:

»Hör' Alter, lass uns ratschlagen – das Ding mit der Mainhardin gefällt mir nicht!«

Sie bemerkte nun, dass die Nachbarin, wenn es so fortgehe, nicht nur um den Versand, sondern auch um Haus und Hof kommen müsse.

»Es geht, derweile ihr Mann verschwunden ist, in ihrem Haus wie in einem Taubenschlag aus und ein; Bekannte und Fremde kommen, alle wollen mit Rat und Tat zu Handen sein, wollen ihr Hof und Gut vor Schaden und Zauberei bewahren, wollen von Bannmitteln wissen, wie ihr Mann wiedergefunden und ohne Schaden an Leib und Seele heimgebracht werden könnte. Natürlich glaubt sie allen, zahlt für jedes Mittel, was man verlangt, und verhofft und zahlt sich so noch um den Verstand und das Vermögen!«

Die Weringerin rechnete nun zusammen, dass die Meinhardin in Zeit von wenigen Tagen schon an die zweihundert Gulden ausgegeben habe; dass sie heute einem Fremden, der ihr im Auftrag der Prophetin versprochen, ihren Mann im Zauberspiegel zu zeigen, allein hundert und fünfzig Gulden zugesagt und bereits dreißig Gulden Handgeld gegeben habe!

»Was mir wehtut«, sagte die Weringerin zuletzt, »das ist: auch der Herr Pfarrer weiß dem armen Weib keinen anderen Trost als Fasten, Beten, Opfergaben und wieder Opfergaben; der Himmel soll gerade auf den Mainhard recht zornig sein – und warum? Er hat auf das hergelaufenen Weibsbild und vieles andere nichts gehalten. Aber er ist doch immer wacker und rechtgläubig gewesen und hat als Christ fein ordentlich gelebt!«

Der Weringer fragte, ob die Nachbarin seinem Weibe das alles nur im Vertrauen gestanden habe.

»Ja, ich kann dir's aber nicht verschweigen; du musst raten, wie das arme Weib zu retten ist!«

»Dann ist das erste: halte dich fest im Vertrauen der Nachbarin, lass dir alles Weitere sagen und hinterbring' mir das wieder – an meiner Hilfe soll's nicht fehlen …«


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