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Bürgschaften.

Die Entente verbreitet in Rußland Nachrichten von einer drohen, den deutschen Offensive gegen Petersburg. Und die neuen russischen Machthaber helfen diesen Nachrichten zur größten Verbreitung. Und man soll sich darüber keine Illusionen machen: die breiten Massen des Kleinbürgertums wie ein Teil der Arbeiterschaft glaubt daran. Die neuen Machthaber Rußlands verbreiten die Nachrichten aus konterrevolutionären, imperialistischen Gründen. Die Gefahr der deutschen Invasion hat im Sommer 1915 den russischen Sozialpatriotismus aus der Taufe gehoben. Aus Furcht vor Kontributionen, vor der Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung Rußlands, hat ein Teil der Arbeiterschaft den Sozialpatrioten Gehör geschenkt, die da sagten: mit dem russischen Zarismus werden wir mit der Zeit fertig; wird aber die wirtschaftliche Entwicklung Rußlands gehemmt, so werden auch die antizarischen Kräfte gefesselt. Also verteidigen wir das Land trotz des Zarismus! Diese Stimmung erlaubte den Bourgeois einen Teil der Arbeiterschaft für die Mitarbeit an den Kriegsindustriekomitees zu gewinnen. Jetzt, wo die Revolution den Zarismus niedergeworfen hat, wo die Bourgeois sich bemühen müssen, möglichst viel vom alten Regime zu retten, jetzt, wo die Entfaltung der Revolution den Kampf um den kommenden Frieden zu entfachen droht, jetzt ist die deutsche Gefahr das einzige Mittel, das die revolutionären Kräfte der Arbeiterschaft lähmen kann. Das Spiel der russischen Imperialisten ist klar: Sie wollen unter der Losung: Das Vaterland ist in Gefahr! die antikriegerischen Tendenzen der Arbeiterklasse niederhalten, ihren Haß gegen die Gefahr der nationalen Unterdrückung als Wasser auf die Mühle des Kampfes um die imperialistischen Kriegsziele leiten.

Aber was den imperialistischen Machthabern imperialistische, konterrevolutionäre Mache ist, das ist für die Volksmassen in Rußland bitterer Ernst. Sie haben erst geblutet für die demokratischen Rechte, haben den Zarismus gestürzt, kämpfen um die Republik, von der sie im Überschwange des ersten Sieges alles Heil erwarten. Da sagt man ihnen: die deutsche Regierung hat Anno 1871 den französischen Junkern die in Deutschland gefangenen französischen Truppen zur Verfügung gestellt, um die Kommune von Paris niederzuwerfen. Da sagt man ihnen: Deutschland hat dem Zarismus geholfen die russischen Revolutionäre zu verfolgen: in Frankreich, England konnten sie sich vor dem Kriege frei bewegen, in Deutschland waren sie gehetztes Wild. Da sagt man ihnen endlich: Deutschland ist eine Monarchie, die im Westen an eine Republik grenzt; kann es nun auch noch einen republikanischen Nachbar im Osten ertragen? Das wird den russischen Volksmassen gesagt, und ein Teil von ihnen zieht den Schluß: Deutschland will die Revolution in Rußland ausnützen, um im Osten den Hauptschlag gegen die Entente zu führen; wird Rußland geschlagen, dann hilft Deutschland den Romanows, die dafür Zugeständnisse in der auswärtigen Politik machen werden, wieder auf den Thron. Also schließt die Reihen um Gutschkow und Miljukow, ihr verteidigt die Revolution, ihre jetzigen und zukünftigen Errungenschaften.

Es unterliegt keinem Zweifel – wir wiederholen es –, daß diese Agitation bei einem Teil der russischen Arbeiterschaft, vom Kleinbürgertum gar nicht gesprochen, großen Erfolg hat und die Kriegsstimmung stärkt, daß sie die Position unserer Gesinnungsgenossen, der Bolschewiks, bedroht, die in dem unerschrockenem Klassenkampf gegen den Krieg und die russischen Imperialisten das beste Mittel sehen, Verteidiger der russischen Revolution auch in anderen Ländern in Bewegung zu setzen.

Die deutschen Sozialpatrioten, die nichts dagegen hätten, wenn die Revolution in Rußland den Frieden bringen würde, sind über die Verdächtigungen der Absichten des deutschen Imperialismus sehr empört. Und sie bombardieren Herrn Bethmann Hollweg, er solle doch eine Erklärung abgeben, daß die deutsche Regierung solche Absichten nicht hege. Und Herr Bethmann Hollweg hat am 29. März im Reichstag erklärt, Deutschland habe sich niemals in die russischen Dinge eingemischt und wolle es auch jetzt nicht tun; wenn Rußland einen ehrenvollen Frieden haben will, so kann es ihn haben. Ob diese Erklärung des Herrn Bethmann Hollweg die Besorgnisse der russischen Volksmassen aus der Welt schaffen kann, ist sehr zweifelhaft. Sie werden sich sagen: es ist nicht die Pflicht eines Staatsmannes, dem Feinde die Wahrheit zu sagen, und kann die Regierung den sich im Westen versteifenden Krieg im Osten entscheiden, so wird sie mit ihren wahren Plänen nicht herausrücken. Ob diese Entscheidung im Osten möglich ist, werden die Militärs beurteilen können. Man mag es bedauern, daß die Scheidemanns den russischen Arbeitern den rücksichtslosen Glauben an die Erklärungen der deutschen Regierung nicht beigebracht haben, aber dieser Mangel wird dadurch nicht aus der Welt geschafft.

Ja, aber Herr Noske hat ausdrücklich gesagt: »Ich erkläre, daß wir allen Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, die russischen Verhältnisse zu Eroberungszielen auszunutzen, mit aller Entschiedenheit entgegentreten.« Nun ist Herr Noske ein mächtiger Herr. Aber Herr Noske fordert ebenso »entschieden« das preußische Wahlrecht, wie er entschieden der Ausnutzung der russischen Verhältnisse zu Eroberungszwecken entgegentritt. Und einstweilen lehnt die Regierung seine entschiedenen Forderungen ab, und was sie mit seinem entschiedenen Protest gegebenenfalls tun würde, wissen wir auch nicht. Das wird die russische imperialistische Presse den russischen Volksmassen ganz gewiß sagen, und sie wird vielleicht zur Beleuchtung der »Entschiedenheit« der Noske und Co., eine Stelle aus dem »Vorwärts« vom 18. März zitieren, in der es hieß: »Innere Kämpfe während des Krieges wollen wir nicht. Das politisch reife Volk Deutschlands begreift, daß wir uns in der Lage, in der wir uns befinden, diesen Luxus nicht erlauben können, und darum erträgt es die Belastungsproben, die ihm auferlegt sind, in einer Weise, die den Reichskanzler zu Ausdrücken der Bewunderung hinreißt.« Wenn die Sozialpatrioten sich den Luxus innerer Kämpfe nicht leisten können, wie können sie dann irgend einem Volke etwas garantieren, was ohne »innere Kämpfe« gegebenenfalls nicht garantiert werden kann?

So werden die Volksmassen in Rußland sagen, in denen der Zusammenbruch der Internationale den Glauben an die Volksgegengewichte gegen die Regierungspolitik zertrümmert hat. Die Internationale, die Arbeiterklasse, befindet sich in dem ersten entscheidenden Wendepunkt seit dem Kriegsausbruch. Ein heroisches Proletariat hat den Zarismus zu Boden geworfen. Aber allein auf die eigenen Kräfte angewiesen, kann es den Frieden nicht bringen. Dieser kann nur das Resultat internationaler Bemühungen sein. Mag der entschiedenste Teil des russischen Proletariats sein Herzblut hergeben, mag es wie Winkelried alle Spieße in seiner Brust auffangen, um dem internationalen Sozialismus, dem Frieden den Weg zu bahnen, es wird verbluten, wenn sein heroischer Kampf nicht die internationalen Kräfte auslöst, wenn den russischen Arbeitern, dem russischen Volke nicht gezeigt wird, daß der russischen Revolution keine Gefahren drohen. Und das kann das internationale Proletariat nur tun, wenn es seine eigenen Interessen, die solidarisch sind mit denen der russischen Arbeiterklasse mit allen Kräften vertritt. Wer seine eigenen Interessen nicht verteidigt, der kann niemanden Bürgschaft leisten. Die internationale Arbeiterklasse befindet sich in einer Schicksalsstunde. Zum erstenmal seit dem Kriegsausbruch steht eine Wendung in greifbarer Nähe bevor. Die Arbeiterklasse wird mit ihrer ganzen Zukunft dafür büßen, wenn sie ihr Interesse nicht versteht und es nicht mit allen Kräften verteidigt.


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