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Die Triebkräfte der russischen Revolution.

Die Soldatenrevolution.

Keine Revolution ist der vorhergegangenen ähnlich. Jede trägt ein anderes Gesicht. Darum fragte man beim Ausbruch jeder Revolution: ist das eine Revolution? Man maß sie mit alten Schablonen, schüttelte verwundert den Kopf über ihre »Unregelmäßigkeiten«. Als am 27. Januar 1905 Hunderttausende Proletarier in Petersburg, von einem Popen geführt, vor das Zarenpalais marschierten, da rümpfte mancher die Nase: Revolution, vom Popen geführt? Auch die Revolution, die am 9. März 1917 in Petersburg ihr Haupt erhoben hat, wird jetzt gemustert und geprüft.

Was bedeuten die Soldaten, die ihre Vorderszene mit großem Tumult erfüllen? Die russische Revolution 1905–1907 scheiterte äußerlich daran, daß es nicht gelungen war, das Heer auf die Seite des aufständischen Volkes herüberzuziehen.

Wie mannigfaltig auch die tieferen Gründe des Zusammenbruchs der Revolution 1905 waren – er war bestimmt in erster Linie durch den Übergang der Bourgeoisie auf die Seite des Zarismus, die Hilfe, die ihm das ausländische Kapital zukommen ließ. Äußerlich wurde die Revolution durch die Bajonette der Bauern in Soldatenuniform niedergerungen. In der Revolution 1917 stürmten die Soldaten der Petersburger Garnison Arsenale, verteilten Waffen unter das Volk, übten den stärksten Druck auf die Duma. Und dem widersetzt sich nicht nur die jüngere Offiziersgeneration nicht, sondern selbst vom Widerstand der Armeeführer, der Generale Brussilow, Rußkij, Ewerth, vernimmt man einstweilen nichts. Legt dies nicht den Gedanken nahe, daß der Anschluß der Soldatenmasse an die Arbeiter mit Zustimmung der Generalität erfolgte, daß also die Revolution eine Militärrevolution sei, eine Reproduzierung der jungtürkischen Revolution des Jahres 1908 auf breiterer Basis?

Aber dem ist nicht so. Vorerst gilt es, die jetzt schon zweifellose Tatsache festzustellen, daß die Revolution mit Arbeiterunruhen, Massenstreiks und Demonstrationen begann. Zuerst schossen die Soldaten vielerorts. Erst später schlossen sie sich in einzelnen Trupps den demonstrierenden Volksmassen an, bis schließlich ein Feuer die ganze Petersburger Garnison ergriff. Auf die Arbeiterrevolution folgte der Soldatenaufstand; aber zwischen ihnen und den sogenannten Militärrevolutionen besteht keine Ähnlichkeit. Die sogenannten Militärrevolutionen, wie sie die Dekabristen bezweckten, wie sie seitdem die Geschichte Spaniens, Portugals, Griechenlands und zuletzt die Türkei sah, waren Staatsstreiche des Offizierskorps, der einzigen organisierten Kraft der wenig entwickelten Länder. Die Soldatenmasse wurde bei ihnen gewöhnlich gar nicht in den Kampf hineingezogen, und geschah dies, so nur als eine passive rohe Kraft, die von den Offizieren kommandiert wurde. In der russischen Revolution des Jahres 1917 treten die Soldatenmassen, nicht die Generäle zuerst auf den Plan. Und was stellen diese Soldatenmassen dar? Es sind Bauern und Arbeiter, die die Geschichte der letzten zwölf Jahre, die Jahre der Revolution und Konterrevolution, die zwei und einhalb Jahre des Krieges erlebt haben, die durch sie bis ins Tiefste aufgewühlt wurden. Die Arbeiter, die schon vor dem Kriege sich von den Schlägen der Konterrevolution zu erholen begannen, die kurz vor dem Kriegsausbruch in Petersburg Barrikaden bauten, die durch die stolypinische Agrarreform proletarisierten Bauern, die Bauern, die der Krieg von Haus und Acker weggerissen hat, das ist die Soldatenrevolution. Der Krieg steckte die Volksmassen zum großen Teile in den Soldatenrock, aber er verstärkte in ihnen nur die revolutionären Tendenzen. Der Gegensatz zwischen Volk und Armee wurde aufgehoben, indem im Kriege das Volk zur Armee wurde. Auch in anderer Hinsicht erleichterte der Krieg den Übergang eines Teiles der Armee auf die Seite der Arbeiterschaft. Die großen Verluste an Offizieren nötigten die Regierung, die akademische Jugend, die Volksschullehrer usw. zum Offiziersdienst heranzuziehen. Diese demokratischen Elemente konnten natürlich keinen Damm bilden gegen die revolutionären Tendenzen im Heere. Daß die Generalität gegen diese Tendenzen war, braucht man nicht groß und breit zu beweisen. Jede revolutionäre Agitation wurde im russischen Heere mit ebenso drakonischen Mitteln unterdrückt, wie in allen anderen. Die Brussilow, Ewerts, hatten gewiß nichts gegen eine Erneuerung der Regierung durch die Liberalen, die zur Stärkung der Kriegführung beitragen konnte. Aber daß eine Revolution kein Weg zur Stärkung der Kriegsführung des Imperialismus ist, das haben die Generäle ganz gewiß verstanden. Wenn sie trotzdem gegen die aufständischen Truppen in Petersburg keine anderen gesandt haben, so weil sie damit rechnen mußten – wie es nach dem Bericht der »Times« General Rußki dem Zaren gesagt hat – daß jedes Regiment, das man nach Petersburg sendet, auf die Seite der Revolution übergehen würde. Die Rolle der Soldaten in der Revolution, die gegen ihren proletarischen, ihren Volkscharakter zu sprechen schien, spricht für die Tiefe und Breite der Revolution. Nicht auf Kommando von oben, sondern dank dem elektrischen Funken, der von der Straße in die Kasernen sprang, trat die Armee in Bewegung. Und das bestimmt auch den Charakter ihres Aufstandes. Mögen auch revolutionär-patriotische Elemente in der Armee von Einfluß sein, die sich der Hoffnung hingeben, an der Spitze der revolutionären Truppen den Sieg über den preußischen Militarismus davontragen zu können, eine proletarisch-bäuerliche Armee steht nicht im 32. Kriegsmonat auf, um den Krieg noch 32 Monate zu führen. Der Anteil der Armee an der Revolution, der dieser einen kriegerischen Charakter zu geben schien, wird die auf den Frieden hinwirkenden Tendenzen der Revolution stärken. Und damit sind wir bei den Trägern der imperialistischen Tendenz angelangt, die die Revolution als Weg zum Sieg gebrauchen wollen, bei der imperialistischen Bourgeoisie, deren Teilnahme an der Revolution das zweite Merkmal bildet, das das Jahr 1917 vom Jahre 1905 unterscheidet.

Die imperialistischen Revolutionäre.

In Pskow lud der Moskauer nationalliberale Kapitalist Gutschkoff und der Konservative Schulzin, Vertreter des Großgrundbesitzes, den Zaren ein, gefälligst die Krone abzusetzen. In der neuen revolutionären Regierung tritt ein Kapitalist dem andern auf die Hühneraugen. Ist das eine Wiederholung der Ereignisse vom Januar bis Dezember 1905, als die Kapitalisten den Arbeitern für die Tage der politischen Massenstreiks die Löhne auszahlten, um dann, als es sich zeigte, daß das Proletariat nach seinem Siege über den Zarismus den Kampf um den Achtstundentag begann, sich in die Arme des Zarismus zu werfen? Oder hat vielleicht die Bourgeoisie die Unvereinbarkeit ihrer Interessen mit denen des Zarismus erkannt und sich entschlossen, eine gründliche Revolution zu machen? Haben die Opportunisten in der russischen Sozialdemokratie nicht recht behalten mit ihrer Behauptung, daß die Revolution nur dann siegen wird, wenn sich die Bourgeoisie an ihre Spitze stellt? Die Tatsachen beantworten diese Frage.

Die Bourgeoisie war sich in den Anfangsmonaten der Revolution von 1902 ihres Gegensatzes zum Proletariat nicht voll bewußt. Sie hoffte, daß es ihr die Kastanien aus dem Feuer holen werde. In den Jahren des Krieges kehrte sie zu der Jugendeselei nicht mehr zurück. Sie vergaß keinen Augenblick den zehnjährigen Kampf mit dem Proletariat und sah sich bei jedem Schritt ängstlich um, ob sie durch ihre Konflikte mit dem Zarismus die Arbeiterschaft nicht in Bewegung setzte.

Nein, die Wonnen, Irrungen und Wirren der jungen Liebe blieben der um zehn Jahre älteren Bourgeoisie völlig versagt. Ist sie also eine Vernunftehe mit der proletarischen Revolution eingegangen? Auf Grund der Rechnung vielleicht, daß sie dem Proletariat zwar Zugeständnisse machen wird, aber dafür die Macht in die Hände bekommt. Auch das ist nicht der Fall. Die Bourgeoisie hat sich in den zehn letzten Jahren mächtig organisiert. Sie hat Kartelle und Aktiengesellschaften, Unternehmerverbände ins Leben gerufen, sich im Kriege in Kriegsindustriekomitees organisiert, sie hat in die Hände des Bundes der Städte, der Provinzialverwaltungen, des Roten Kreuzes nicht nur die Arbeit der Liebestätigkeit, sondern einen großen Teil der Heeresversorgung genommen. Und sie besorgte diese Arbeit nicht als Dienerin der zarischen Kriegspolitik, sondern weil sie im Weltkrieg ein Mittel zur Erfüllung ihrer eigenen Interessen sah.

Hinter der imperialistischen Politik Rußlands stehen keine so breiten Kreise des Bürgertums wie in England und Deutschland, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß es breitere Kapitalistenkreise sind, als die, die den Krieg mit Japan unterstützten. Die Eroberung Konstantinopels und Armeniens, die auch Persiens Unabhängigkeit ein Ende bereiten würde, würde nicht nur neue Märkte eröffnen, sondern durch Stärkung der Weltposition Rußlands der kapitalbedürftigen russischen Bourgeoisie günstige Anleihebedingungen verschaffen. Der Sieg über Deutschland würde helfen, einen besseren Handelsvertrag zu erringen, d. h. einen, der eine noch höhere Kartellrente unter dem Schutze der erhöhten Industriezölle gewähren würde. Auf dem Boden der imperialistischen Politik hat sich die Bourgeoisie mit dem Zarismus seit 1907 zusammengefunden, und in den Anforderungen dieser Politik an die Staatsorganisation sah sie auch den Weg, auf dem der Zarismus genötigt werden konnte, ihr Zugeständnisse in der inneren Politik zu machen.

Der Verlauf des Weltkrieges bewies, daß, obwohl der russische Militarismus seit dem Russisch-Japanischen Kriege größere Fortschritte gemacht hat, als man früher annehmen konnte, die Bureaukratie noch ebenso korrupt und zur Erfüllung der ungeheuren Aufgabe der Versorgung der Front, wie der Organisierung des Hinterlandes noch ebenso unfähig ist. Die eigentliche Arbeit leisteten, wie gesagt, die Bourgeoisie und ihre Organisationen. Sie hoffte also, daß dieser Zustand auch einen politischen Ausdruck finden werde. Sie redete auf die Bureaukratie wie auf ein krankes Pferd ein – bekam aber Fußtritte. Sie protestierte – und bekam wieder Fußtritte. Da entschied sie sich endlich, das störrische Tier etwas an die Kandare zu nehmen. Zuerst mit Hilfe der Verbündeten, die einsahen, daß die russische Bourgeoisie die Kriegführung besser organisieren kann, als die zarischen Diebe, und länger als sie im Kampf gegen Deutschland ausharren werde. Der englische Botschafter Buchanan unterstützte demonstrativ die imperialistisch-bürgerliche Opposition; Lord Milner kam, nach einer offenen Erklärung des »Manchester Guardian«, um den Zaren zu Zugeständnissen an sie zu überreden. Als auch das nicht half, suchte die Bourgeoisie mit den liberalen Admiralen und Generälen Verständigung, um durch gemeinsamen Druck auf den Zaren ihn zur Ernennung eines liberalen Ministeriums zu zwingen. Weiter gedachte die Bourgeoisie nicht zu gehen. Eine kleine Drohung mit einem kleinen Putsch, Majestät zur Vernunft gebracht, und der Krieg kann flott weitergeführt werden. Das war der Plan. Man dachte nicht an die Revolution, wollte sie nicht, fürchtete sie. Und man hat sie auch nicht gemacht.

Noch am 10. März suchte die Bourgeoisie mit dem Zaren Frieden zu schließen. Zu ihrem Unglück wollte der Zar kein Kompromiß. Dazu kam noch ein neuer Faktor, der der Bourgeoisie über den Kopf wuchs: das Proletariat und die Soldaten, die am 8. März auf den Straßen Kämpfe mit dem Zarismus ausfochten. Und sie stellten die Bourgeoisie vor eine vollkommen neue Situation. In Petersburg stand ein bewaffnetes Volk da, der Zar war geflohen, d. h. er hat der Bourgeoisie den Krieg erklärt. Sollte sie nunmehr auch auf die Hilfe des Volkes verzichten? Das wäre Selbstmord. Das Bürgertum ging zu einer kleinen Familienauseinandersetzung mit dem Zaren und geriet in die Revolution hinein.

Die Revolution hat das Proletariat in Bluse und Montur gemacht. »Die Revolution scheint begonnen zu haben als Soldatenaufstand, gestützt durch die Arbeiterschaft, aber die Duma nahm schnell und fest die Macht in ihre Hände«, schrieb die »Times« am 16. März. Dieses Urteil des großen englischen konservativen Blattes, geschrieben unter dem ersten frischen Eindruck der Ereignisse, trifft den Nagel auf den Kopf und straft die »Times« Lügen, wenn sie jetzt die russische Arbeiterschaft bezichtigt, nicht sie habe die Gewalt erobert, sie solle also kuschen und der Bourgeoisie helfen zu siegen. Die arme »Times« hatte sich geirrt, als sie am 16. März die Hoffnung aussprach, daß die gefährlichsten Tage vorüber seien, d. h. daß die Revolution vorüber sei. Sie ist erst im Anfange, und die Arbeiterklasse wird in ihr die entscheidende Rolle spielen. Darum gilt es, zu sehen, was sie bisher getan hat. Daraus werden sich die Grundlinien ihrer Politik auch in Zukunft ergeben.

Die Rolle der Arbeiterklasse.

Die treibende Kraft dieser Revolution, wie der des Jahres 1905, bildet die Arbeiterklasse. Die Gärung im Kleinbürgertum, das Streben der Bourgeoisie nach Macht, bildeten nur die günstigen Bedingungen, unter denen das revolutionäre Drängen des Proletariats sich so schnell in Revolution umwandeln und vorerst dem Zarismus einen betäubenden Schlag versetzen konnte. Ohne Unterstützung des Kleinbürgertums in Land und Stadt wird das Proletariat die Revolution nicht siegreich durchführen können, und sollte es über die Bourgeoisie siegen, so wird es sich in einem agrarischen Lande wie Rußland ohne Hilfe der Bauern eine längere Zeit nicht behaupten können. Wir unterstreichen diese Momente einstweilen nicht, zwecks Aufstellung einer Perspektive der Entwicklung – das wird die Aufgabe weiterer Artikel sein – sondern um zu zeigen, daß unsere Auffassung von der Rolle des Proletariats nicht der Überschätzung seiner Kraft entspringt. Wir sehen ihre Grenzen, aber das schafft die Tatsache nicht aus der Welt, daß die Bourgeoisie 1917 ebensowenig wie 1905 die treibende Kraft der Revolution war, daß es vielmehr, damals wie heute, die Arbeiterklasse ist.

Die Revolution begann 1905 mit dem »Bittgang« des Proletariats zum Zaren am 22. Januar, und ihr Siegeslauf wurde beendet mit ihrer Niederlage im Moskauer Aufstand im Dezember 1905. Im Jahre 1906 suchte sie die eroberten Positionen in den blutenden Händen zu halten, aber die Stockprügel auf den Magen, die ihr das Kapital versetzte, die Füsiladen des Zarismus warfen sie zu Boden. Noch einmal richtete sich die Arbeiterschaft Petersburgs auf, als die sozialdemokratischen Abgeordneten der zweiten Duma vor das zarische Gericht geschleppt wurden. Die Proletarier Petersburgs feuerten die letzten Patronen ab, um ihren Vertrauensmännern auf dem schweren Weg zuzurufen: Wir sind da! Dann aber senkte sich die Finsternis der Konterrevolution über das Proletariat, und nur aus den Gefängnissen kam Kunde von den Kämpfern, die aus seinen Reihen gerissen waren.

Wenn auch ein Teil der Sozialdemokratie, die Liquidatoren, kapitulierte, teils die Reihen der Partei verließ, teils annahm, die einzige Arbeit, die vor den Sozialdemokraten stehe, sei, allerhand legale Organisationen zu bilden, die allmählich der Arbeiterschaft erlauben würden, sich Positionen zu erringen in dem Rußland, das den Weg der bürgerlichen Revolution schon endgültig verlassen und den Weg langsamer bürgerlicher Entwicklung betreten hat, – so hielten die Radikalen der Partei, die Bolschewiks, ihre revolutionären Ziele aufrecht. Solange der Zarismus und die Bourgeoisie die Bauern nicht befriedigt haben, gilt es an dem Ziel der gewaltsamen Niederringung des Zarismus festzuhalten, den Kampf der Partei auf dieses Ziel, nicht auf Reformen einzustellen, alle legalen Positionen nur für diesen Zweck zu gebrauchen. Zwischen diesen zwei Standpunkten, den der Liquidatoren, die die Revolution als beendet, die Reform als nächste Aufgabe betrachteten, und dem der Bolschewiks gab es eine mittlere, hauptsächlich von Trotzky repräsentierte Richtung, die zwar auf die Revolution nicht verzichtete, aber den Weg zu ihr im Kampfe um Teilreformen sah. Als im Jahre 1912 dank der Besserung der wirtschaftlichen Konjunktur die in den Jahren 1906/07 niedergeworfene Arbeiterbewegung wieder ihr Haupt zu erheben begann, als sie nach den Lenametzeleien stürmischen Charakter annahm, entschied der wirkliche Gang der Ereignisse über den Streit in der Partei. Die Mehrheit des Proletariats, die wirklich zu kämpfen anfing, stellte sich nicht die Reformierung des Zarismus, sondern seine Niederringung als Ziel. Sie wollte nicht einmal als Ausgangspunkt den Kampf um Reformen nehmen, sondern rückte dem Zarismus auf den Leib. Im Juli 1914, im letzten Monat vor dem Kriegsausbruch, konnte Poincaré in Petersburg Barrikaden, demonstrierende Massen sehen. Vielleicht wäre das Resultat dieser Kämpfe nur die Eroberung von Reformen, nicht der Sieg über den Zarismus gewesen, wenn der Krieg nicht alle Gegensätze so ungeheuer verschärft hätte. Aber auch dann würde die Geschichte alle die, die im Kampfe um die Reformen den Weg zur Revolution sehen, lehren, daß sie noch eine andere Dialektik kenne, als die, durch den Kampf um Reformen zur Revolution zu gelangen: die Reformen als Resultat des Strebens zur Revolution. Die Geschichte hat den Bolschewiks schon völlig recht gegeben gegenüber den Liquidatoren, wie den Vermittlern. Wie recht sie in ihrer Politik der Trennung von den Liquidatoren hatten, zeigte die Umwandlung der Mehrheit der Liquidatoren in Sozialpatrioten.

Der Krieg hat die Arbeiterklasse in ihrem Kampfe vorerst zurückgeworfen. Die antikriegerische Haltung der Bolschewiks, ihre Propaganda des revolutionären Massenkampfes wurde von den Sozialpatrioten des Auslandes als bedeutungslos dargestellt: kleine Gruppen von Ideologen, verbittert gegen den Zarismus, die nichts zu verlieren haben. Selbst als aus Rußland Nachrichten vom Kampfe immer mehr wachsender Teile der Arbeiterschaft, von Munitionsstreiks, Demonstrationen kamen, hielt man sie für symptomatisch, aber real genommen für bedeutungslos. Die Losung der Bolschewiks: Nicht Burgfrieden sondern Bürgerkrieg! erschien manchem zentrümlichen »Realpolitiker« als eine Übertreibung, die das Leben selbst korrigieren werde: es ist genug, wenn die Sozialdemokratie die Hände rein behält, keine Verantwortung übernimmt.

Jetzt steht Rußland im Bürgerkrieg, im buchstäblichsten Sinne des Wortes. Er ist gegen den Willen der Bourgeoisie ausgebrochen; unter dem Druck des Proletariats wurde der Zar abgesetzt und festgenommen, wurden die Schergen der Reaktion arretiert, wurde dem Großfürsten Nikolai Nikolajewicz das Oberkommando genommen. Das Proletariat rief sofort die Arbeiterdelegiertenräte ins Leben, dieses im Jahre 1905 aus den Massen herauswachsende Instrument ihres Kampfes, die direkte Vertretung der Klasse, es bewaffnet sich. Gegen wen? Gegen die noch lebendigen Kräfte des alten Regimes wie gegen das neue Regime der Bourgeoisie. Das neue Regime ist noch nicht gesichert vor einem Streich der Reaktion. Einstweilen ist nur der Zar besiegt, aber die Demokratie noch nicht durchgeführt. Ist es nicht zu früh, wenn schon jetzt die radikale Sozialdemokratie das Volk zum weiteren Kampfe rüstet, wenn sie weiter gehende Forderungen nicht nur auf dem Gebiete der Demokratie – Republik – sondern auf sozialem Gebiete aufstellt: wenn sie den Achtstundentag für die Arbeiter, Grund und Boden für die Bauern fordert? Da sich diese Forderungen nicht nur gegen die früheren, sondern auch gegen die heutigen Machthaber richten, spricht die Ententepresse von der konterrevolutionären Aktion der Bolschewiks und der Arbeiterklasse überhaupt. Aber ein Blick auf die Kräfte der Reaktion und die äußere Lage der Revolution wird zeigen, daß die Revolution umsonst für die Arbeiterklasse und Bauern stattgefunden hätte, wenn sie von der Sozialdemokratie als beendet erklärt würde.

Die Taktik der Arbeiterklasse.

»Da Rußland freudig das neue Regime begrüßt hat, ist es eine augenscheinliche Lächerlichkeit, von der Möglichkeit der Wiederherstellung der Herrschaft der Reaktion zu sprechen; aber die Extremisten (d. h. revolutionäre Sozialdemokraten, K. R.) bestehen darauf, daß es gefährlich ist, wenn die Arbeiter in die Fabriken, die Soldaten zu ihren Pflichten zurückkehren« – telegraphierte am 20. März der Korrespondent der »Times«, dessen Korrespondenzen trotz ihrer Pfiffigkeit noch die besten Einblicke in die gegensätzlichen Strömungen der Revolution gewähren. Und in einer offiziösen Note des Pariser »Temps« vom 27. März heißt es: »Die jetzige Regierung hat wenig zu fürchten von einem reaktionären Rückschlag. Es scheint aber, daß sie von den Sozialisten zu fürchten hat, die sich revolutionär erweisen in der ganzen Bedeutung des Wortes.« Nicht das alte Regime, das Proletariat ist die Gefahr, das ist die Losung, die das Finanzkapital Englands und Frankreichs der russischen Bourgeoisie ausgibt. Und das ist auch ihr Standpunkt. Aber zu schwach, sofort mit dem Proletariat abzurechnen, sucht die russische Bourgeoisie es einzulullen mit dem ersten Teil der konterrevolutionären Losung, mit dem Freudenruf: das alte Regime ist tot! Niemals haben die Kräfte der Reaktion ohne die verzweifeltste Gegenwehr die Waffen gestreckt. Die russischen Junker und Bureaukraten werden es am wenigsten tun: Jahr für Jahr untergräbt die wirtschaftliche Entwicklung und ihre eigene Lotterwirtschaft ihre Grundlagen als halbfeudale Großgrundbesitzer; die Staatsmacht ist ihr letzter Rettungsanker. Für den Troß der bureaukratischen Aussauger und Diebe ist sie die einzige Quelle von Geld und Macht. Wollen sie nicht untergehen, so müssen sie auf Leben und Tod kämpfen. Sie wurden durch die Ereignisse überrumpelt, sind sich noch im unklaren, was sie von einzelnen Truppenteilen zu erwarten haben. Sie wollen abwarten, bis die durch das Anwachsen der proletarischen Bewegung erschrockenen Bourgeois sich ihnen in die Arme werfen.

Kann sich das Proletariat dagegen durch »Mäßigung« wehren? Nun, verzichtet es auf den Kampf um Brot, Freiheit und Frieden, dann werden ihm die jetzigen Bourgeois Lobreden spenden, sie werden sich gegen die Nikolajew halten können, aber die Arbeiter werden weiter bluten für den Imperialismus und werden am Schlusse mit leeren Händen ausgehen. Es gibt nur einen Weg der Sicherung gegen das alte Regime. Es ist die Verschanzung und Verbarrikadierung der Revolution: politisch und sozial. Die soziale Revolution besteht darin, daß das Proletariat sich sofort bewaffnet, sofort die Wahlen zu den Kommunen der Städte erzwingt, den Verwaltungsapparat in die Hände nimmt, die Obdachlosen in die Wohnungen der Reichen bringt und gegen die Kriegswucherer drakonisch vorgeht. Die städtischen Verwaltungen müssen sofort die Bildung von Bauerngemeindeverwaltungen anregen, die Bauern anspornen, sich in den Besitz des Grund und Bodens der Großgrundbesitzer zu setzen, ihnen Hilfskräfte zur Bebauung des Landes zur Verfügung stellen. Es wird Sache der großen Kommissionen und der Arbeiterdelegiertenräte sein, laut die Forderung zu erheben, daß Fabriken Ackergeräte liefern, daß Bauernsoldaten nach der Heimat beurlaubt werden zur Bestellung ihres Ackers. Das letzte ist unmöglich ohne Einstellung jeder offensiven Bewegung, die dem russischen Imperialismus Persien, Armenien, die Dardanellen sichern sollen ohne defensives Verhalten an der deutschen Front.

Und das führt zu den politischen Forderungen: sofortiger Waffenstillstand, Friedensverhandlungen, Achtstundentag, Wahlen zur Konstituante auf Grund der allgemeinen, gleichen Wahlen für Mann und Frau, die Romanows vor Gericht. Kann man sich stärkere Rufe vorstellen? Und wie der Kampf für alle diese Ziele aufrüttelnd auf das Proletariat wirken wird, so wird er die Arbeiter- wie Bauernmasse Rußlands so sehr mit den Geschicken der Revolution verketten, daß die Reaktion weder auf die Unaufgeklärtheit der Bauern, noch auf die Müdigkeit der Arbeiter rechnen können wird.

Ist das nicht ein »Plan« revolutionärer Alchimisten, die in ihrer Studierstube Rezepte aushecken? Wer aufmerksam das Wirrwarr der Telegramme liest, die die große Presse aus Petersburg bringt, der wird bemerkt haben, daß wir nur systematisiert haben, was die radikale Arbeiterschaft schon an Ort und Stelle unter dem Drang der Notwendigkeit durchführt. Selbst von der Forderung der Soldaten, daß ältere Jahrgänge zur Bestellung der Äcker entlassen werden, berichtete die »Times« vom 24. März.

Es kann nicht anders sein. Das Proletariat muß suchen, den Sieg in seinem Interesse auszunützen. Und diese Ausnützung des eigenen Sieges für die eigenen Interessen des Proletariats, das ist die Anarchie, Fanatismus, Extremismus der »unbekannten Redner« aus dem Arbeiterdelegiertenrate, gegen die der »Temps« wie die »Times« so schimpfen. Antäus, der die Mutter Erde zu berühren sucht, um Kraft zu gewinnen!

Und weil es so ist, wird diese Schanzarbeit des Proletariats früher oder später zum Zusammenstoß mit der »neuen Regierung« der imperialistischen Bourgeoisie führen, wobei sie sich mit den Männern des alten Regimes zusammenfinden wird. Das Proletariat erstrebt momentan den Sturz der neuen Regierung nicht, es will sich nur gegen ihre langen Finger wehren, die ihm alle Früchte des Sieges nehmen wollen. Aber weil es sich der »neuen Regierung« der alten Ausbeutung nicht auf Gnade und Ungnade ausliefern will, wird es nach aller Voraussicht zwischen ihm und ihr zum Kampf auf Leben und Tod kommen.

Sein Ausgang wird von der Wirkung abhängen, die die russische Revolution auslöst.

Der Kampf um den Frieden.

Im Zentrum aller Fragen der Revolution steht die Kriegs- und Friedensfrage. Wenn auch die historischen Wurzeln dieser Revolution viel tiefer liegen – ist sie doch nicht nur ein Resultat des Krieges, sondern des langen Zersetzungsprozesses Rußlands, wie der langen revolutionären Kämpfe – so wurde sie ausgelöst durch den Krieg. Die Bourgeoisie kam in Opposition zum Zarismus, weil sie den Krieg energischer führen zu können glaubte, die Volksmassen erhoben sich, weil sie gegen die schrecklichen Kriegsfolgen kämpfen wollten. Aber nicht nur diese Entstehung der Revolution aus dem Krieg stellt die Kriegsfrage ins Zentrum aller Kriegsprobleme. Der Zarismus ist gestürzt; aber ein neues Gebäude ist noch nicht errichtet. Da entsteht die Frage: wie wird die Weiterführung des Krieges, sein Ausgang auf den inneren Ausbau Rußlands wirken? So konzentrieren sich alle Widersprüche der Revolution, alle ihre Gegensätze auf die Frage: Krieg oder Frieden?

Die imperialistische Bourgeoisie will den Krieg bis zum Siege. Dieses Sieges wegen hat sie zwar gegen den Zarismus frondiert und dazu beigetragen, die Lage zu schaffen, in der der Sieg der Revolution möglich wurde. Und indem sie den Krieg bis zum Ende propagiert, erklärt sie, dem Werke der Demokratisierung Rußlands zu dienen. Nur wenn Rußland seine imperialistischen Ziele verwirklicht hat, in erster Linie, wenn es Konstantinopel besitzt, die freie Durchfahrt durch die Dardanellen, hat es Aussicht auf eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung, ohne die der innere Ausbau unmöglich ist. Nur die Zertrümmerung Österreichs, die Niederlage Deutschlands, der allgemeine Sieg der Entente, wird ein demokratisches Europa entstehen lassen, in dem Rußland vor den konterrevolutionären Eingriffen Deutschlands geschützt sein wird. Und darum ist jeder ein Verräter an der Revolution, der nicht für den imperialistischen Krieg der Herren Gutschkow und Miljukow eintritt. Die russischen Arbeiter werden diesem Rattenfängerlied nicht folgen. Vorerst kennen sie die Herren Miljukow und Gutschkow, d. h. die großen Kapitalisten, liberalen Junker und Professoren zu gut. Die Revolution von 1917 weiß von keinen Flitterwochen. Alle ihre Akteure kamen in der Zeit 1907–1916 in so nahe Berührung, daß sie für einander keine Überraschungen mehr bergen. Die liberalen Bourgeois vom Zeichen Miljukows klagten zwar in dieser Zeit den Zarismus an, aber sie waren immer bereit, mit ihm gegen die Demokratie zu konspirieren; sie kämpften nicht um die Niederwerfung des Zarismus, sondern um seine Zustutzung, Modernisierung. Und noch am 14. März, nach dem Siege der Revolution, erklärte sich Miljukow für die konstitutionelle Demokratie, gegen die Republik. Wenn schließlich das Zentralkomitee seiner Partei, der Kadetten, sich für die Republik erklärte, so geschah das unter dem wachsenden Druck der Massen und kann deshalb bei ihnen kein Vertrauen erwecken. Mit Herrn Gutschkow und seiner Partei, den Oktobristen, liegen die Dinge noch klarer. Es gibt keine Schandtat des Zarismus nach 1905, an der diese Partei der Großkapitalisten, der geschworenen Feinde des Proletariats, nicht mitschuldig wäre. Und das sollen die Verteidiger der Demokratie sein, sie sollen einen Krieg führen, der die Sicherung der Republik in Rußland zum Ziel haben sollte? Nur durch den Kampf gegen sie, den Kampf bis aufs Messer, den Kampf mit dem Ziele ihres Sturzes, kann man die Demokratie in Rußland sichern. Dieser Kampf gilt auch ihren Kriegszielen. Sie bilden nicht nur keine Vorbedingung einer gedeihlichen wirtschaftlichen Entwicklung Rußlands, sondern umgekehrt; verwirklicht, werden sie Rußland die größten Lasten auferlegen. Konstantinopel und die Durchfahrt durch die Dardanellen sind für die friedliche Entwicklung Rußlands wertlos. Wenn Rußland mit der Türkei im Frieden lebt, kann es seine kornbeladenen Schiffe so oft in die Welt hinaussenden, wie es ihm gefällt. Die Dardanellen sind Rußland nur dann nötig, wenn es an die weitere Raubpolitik des Imperialismus denkt, wenn es im Mittelmeer auf Abenteuer ausgehen will. Das bedeutet aber neue ungeheure Rüstungen, neues Schürzen von Knoten, zu deren Durchhauen dann wieder Millionen russischer Bauern und Arbeiter ihr Leben hergeben müßten.

Das Kriegsziel der Kadetten wie das der Oktobristen erfordert den Krieg bis zum Weißbluten Europas, den Krieg, der die Kriegslasten zu einem zermalmenden Berge anwachsen ließe. Und sollte dieses Ziel erreicht werden, so müssen die russischen Bauern und Arbeiter sich auf neue Kriege vorbereiten. Es ist klar: die Interessen der russischen Revolution erfordern den Kampf auf Leben und Tod gegen die Kadetten und Oktobristen, gegen die provisorische Regierung, die ihre Ziele verfolgt. Es verrät die Revolution – mögen seine subjektiven Absichten noch so gute sein – wer, wie der kleinbürgerliche Demokrat Kerenski, in dieser Regierung sitzt.

Ja, wir müssen gegen die imperialistischen Kriegsziele kämpfen, aber wir können trotzdem die Waffen nicht niederlegen, ehe der preußische Militarismus, ehe die Hohenzollern nicht besiegt sind. Kommen sie aus diesem Kriege heil heraus, so wird es keinen Platz für die russische Republik geben. Wir müssen die junge russische Freiheit solange mit Bajonetten verteidigen, bis die ihr von außen drohende Gefahr durch den Sieg der Entente überwunden wird. So erklären nicht nur die offenen Sozialpatrioten, die Plechanow im Ausland, die Potressow, Tschenkeli in Rußland, sondern auch die Zentrumsmänner wie der Abgeordnete Tscheidse, Skobelew und seine Anhänger, die formell die Zimmerwalder Beschlüsse anerkennen. Auf diesem Standpunkt steht die Mehrheit des Petersburger Arbeiter- und Soldatendelegiertenrates, die Vertretung der Volksmassen Petersburgs. Triumphierend berichtet die Ententepresse: mit Ausnahme der »Extremisten«, der Bolschewiks, die gekaufte Agenten Deutschlands oder fanatische Narren sind, sind alle Sozialisten Rußlands für die Weiterführung des Krieges, den sie als einen Verteidigungskrieg darstellen. Und würden die Sozialpatrioten wie Zentrumsleute Aussicht haben, das Übergewicht, das sie einstweilen in dem Arbeiterdelegiertenrate besitzen, zu behalten, die Entente hätte allen Grund, sie an ihren Busen zu drücken: denn die Herrn Sozialpatrioten, wie die Zentrumsleute dienen durch ihre Arbeit nicht nur den Zielen der Entente, ihres Imperialismus, sondern sie arbeiten den Miljukows und Gutschkows, also den Gegnern des Sieges der Revolution, den Gegnern der Republik in die Hand.

Die Herren Sozialpatrioten und Zentrumsleute erklären: ja, wir sind gegen die imperialistischen Kriegsziele, ja, wir sind dagegen, daß um die Eroberung der Dardanellen und Konstantinopels das Blut der russischen Bauern und Proletarier fließe. Wir wollen nur die russische Republik vor den preußischen Bajonetten verteidigen. Das ist sehr schön. Aber wenn die imperialistische Bourgeoisie am Ruder bleibt, wenn die Gutschkows und Miljukows die Regierung in der Hand behalten, dann gelten doch nicht die Wünsche der Sozialpatrioten und Zentrumsleute, sondern die Kriegsziele des russischen Imperialismus und der Entente. Sollte die Entente mit Hilfe der russischen Sozialpatrioten und Zentrumsleute siegen, so wird es der Sieg des Imperialismus sein und nicht der Friede ohne Annexionen und Kontributionen, den der Arbeiterdelegiertenrat als sein Ziel proklamiert. Würden die russischen Arbeiter und Bauern die provisorische Regierung der imperialistischen Bourgeoisie stürzen, alle imperialistischen Bündnisse und Verpflichtungen, die der Zarismus eingegangen ist und die provisorische Regierung anerkannt hat, aufheben, dann könnten sie sagen: wir haben die Republik gesichert, die keine Eroberung will, dann könnten sie sagen, wer gegen uns ist, der führt einen Eroberungskrieg, dann könnten sie an das Proletariat aller Länder appellieren, es aufrufen zum Friedensschluß aller Völker. Dann würde die russische Revolution sagen können: Friede der Völker gegen den Imperialismus, oder das Jahr 1793 des russischen Proletariats und Bauerntums, der Kampf der russischen Revolution gegen alle reaktionären Kräfte der Welt. Wir werden noch sehen, ob die Vorbedingungen für einen solchen revolutionären Krieg gegeben sind; – jetzt wollen wir nur feststellen, daß es direkt lächerlich ist, wenn die Tscheidses und Skobelews sich in die Pose der Dantons werfen. Einstweilen helfen sie den Gegnern der russischen Republik, nicht nur den Girondisten, sondern sogar den Feuillants der russischen Revolution, nicht nur den Kadetten, sondern den Oktobristen. Denn was bedeutet praktisch die Losung: wir führen den Verteidigungskrieg weiter? Sie bedeutet nicht nur, daß die russischen Soldaten einstweilen weiter ihr Blut für die imperialistischen Ziele verspritzen, sie bedeutet den Burgfrieden im Innern.

Der Arbeiter, und Delegiertenrat kann Tag für Tag mit der provisorischen Regierung hadern, wie es die Blätter berichten. Aber er darf nicht den Arbeitern sagen: führt, wie ihr im Dezember 1905 getan habt, den Kampf um eure proletarischen Rechte! Denn würden die Sozialpatrioten und Zentrumsleute dies tun, sie würden die Kriegsführung ungeheuer schädigen, da die Munitionsproduktion gestört und geschwächt würde. Wollen die Sozialpatrioten und Zentrumsleute »einstweilen« das Vaterland verteidigen, so dürfen sie nicht auf die sofortige Demokratisierung des Heeres drängen, auf die Abschaffung der Vorrechte der Offiziere, denn durch den Kampf um diese Ziele schwächen sie momentan die Schlagkraft der Armee. Wollen die Sozialpatrioten die alte Generalität behalten, deren Abschaffung die jetzige Schlagkraft der Armee zweifelsohne mindern würde, so dürfen sie nicht den Bauern sagen: nehmt den feudalen Großgrundbesitzern den Grund und Boden sofort weg. Würden sie dies tun, so würden die Herren Generäle, die mit den Junkern versippt und verschwägert sind, ganz gewiß sich erst überlegen, ob es sich ihnen lohnt, ein so undankbares Vaterland zu verteidigen.

Kurz zusammenfassend: die Sozialpatrioten und die Zentrumsleute wollen einstweilen unter Führung der Gutschkow und Miljukow das Vaterland verteidigen, damit die junge russische Freiheit dem preußischen Militarismus nicht unterliege. Aber diese Freiheit kann nur gesichert werden – wie es die Geschichte aller Revolutionen beweist – wenn die Arbeiterklasse und das Bauerntum ohne auf die konstituierende Versammlung zu warten, die Demokratie von unten durchführen, wenn sie die faktische Macht erobern, sie sozial verankern. Auf diese wirkliche Sicherung der Revolution müssen die Sozialpatrioten und Zentrumsleute verzichten, wenn sie unter der Leitung der imperialistischen Bourgeoisie den Krieg weiterführen wollen. Die Revolution, deren Sicherung ihr Ziel ist, wird den Gegnern der Revolution ausgeliefert. Das einzig Reale was bleibt, ist der Kampf um die imperialistischen Ziele.

Aber zum Glück für die Revolution ist ihre Logik stärker, als die der Sozialpatrioten und Zentrumsleute. Trotz der Bemühungen der liberalen Bourgeoisie und ihrer sozialpatriotischen und zentrümlichen Helfershelfer läßt sich der Titan schwer bändigen. Wie die große Ententepresse zähneknirschend meldet, geht der Kampf der Arbeiterschaft um Durchführung der Demokratie und den Achtstundentag, um Grund und Boden weiter. Dieser Kampf richtet sich aber gegen die weitere Kriegführung. Und er findet seine Träger in den Sansculotten, den Vorkämpfern der russischen Revolution, in den revolutionären internationalen Sozialdemokraten Rußlands, den Bolschewiks, die sich der vorübergehenden Welle republikanisch-revolutionärer Illusionen entgegenstemmen. Und nichts beweist besser das Wachstum ihrer Kraft, wie die Wut, mit der sie von der »Times«, dem »Temps«, diesen ausgesprochensten Organen des europäischen Finanzkapitals, bekämpft werden.

Die Geschicke der russischen Revolution, der europäischen Umwälzung, des Friedens hängen in der nächsten Zeit von den Geschicken dieser proletarischen Partei ab. Die Frage nach ihrem Standpunkte und ihrem Kampfe, die wir demnächst behandeln werden, fällt zusammen mit der Frage nach den Aussichten der russischen Revolution.

Die Haltung der Bolschewiks.

Die russischen revolutionären Sozialdemokraten, die Bolschewiks, die von allen Teilen des russischen Sozialismus den energischsten, konsequentesten Kampf gegen den Zarismus geführt haben, die in der Zeit des Wütens der Konterrevolution unentwegt für den Sturz des Zarismus gearbeitet haben, brauchen nicht erst zu beweisen, daß sie die Revolution gegen alle Feinde verteidigen wollen, daß sie ihre treueste Wacht bilden. Die russischen revolutionären Sozialdemokraten, die vom Kriegsausbruch an in schärfster Form seinen imperialistischen Charakter demonstrierten und dementsprechend in Zimmerwald und Kiental eine allgemeine Kampffront gegen alle imperialistischen Regierungen herbeizuführen suchten, verharren auf ihrem Standpunkt Darüber werden sich auch die Zentralmächte nicht die geringsten Illusionen machen. Aber in der Politik handelt es sich nicht um die Absichten, sondern um die Resultate, ob sie gewollt oder ungewollt sind. Welches sind die Voraussetzungen der bolschewikischen Politik, und welche Folgen kann sie haben? Auf diese vollkommen berechtigte Frage gilt es zu antworten.

Im Innern geht sie von der Voraussetzung aus, daß, wie die Träger der russischen Revolution nur in der Arbeiterklasse und dem unzufriedenen, armen Bauerntum und Kleinbürgertum zu suchen sind, – wobei die Arbeiterklasse der einzig konsequente und bewußte Vorkämpfer der Revolution war und ist, – die Demokratie in Rußland nur im Kampfe gegen das Großkapital aufgerichtet werden kann. In dem Stadium der Entwicklung, in dem sich Rußland jetzt befindet, wo enorme proletarische Massen dem konzentrierten Kapital gegenüberstehen, wo in den Dörfern die größte Unzufriedenheit herrscht, wo junge Nationen an den Grenzmarken Rußlands aufwachen, wird das russische Kapital bestrebt sein, eine möglichst große Gewalt in seine Hände zu bekommen, die Demokratie einzudämmen. Seinen Parteien, den Kadetten und Oktobristen, ist nicht über den Weg zu trauen. Das Proletariat muß jetzt schon die Demokratie realisieren. Dabei wird es auf den schärfsten Widerstand nicht nur des russischen, sondern auch des ausländischen Kapitals stoßen. Die Ententepresse sucht die russischen Revolutionäre mit dem Gespenst der preußischen Bajonette zu erschrecken. Aber ihre Presse pocht schon selbst – siehe die Auslassungen des »Figaro«! – darauf, daß die ausländischen Geldgeber das Recht haben, zu fordern, daß Ordnung in Rußland herrsche. Man braucht nicht weit zu gehen, um die Gründe dafür ausfindig zu machen: die Demokratie bedeutet in einem kapitalistischen Lande mit einer regen, klassenbewußten Arbeiterschaft die höchste Anspannung in den Kämpfen um den Achtstundentag, um gute Arbeiterschutzgesetzgebung, um politische Kontrolle. Das alles ist schon direkt gegen die ungehemmte Herrschaft des Kapitalismus gerichtet – auch des ausländischen, das in der Volkswirtschaft Rußlands eine große Rolle spielt –, wenn man dazu in Betracht zieht, daß das russische Kapital imperialistische Politik treiben will, daß das ausländische Kapital Rußland in dieselbe Richtung treibt, so ist es klar, daß dieses wie jenes sich gegen den Sieg der Revolution sträuben muß. Der Kampf auch nur um die Demokratie bedeutet also für die russische Arbeiterklasse den Bruch nicht nur mit dem eigenen Kapital, sondern schärfsten Kampf gegen das Weltkapital.

Diesen Kampf gilt es in einer Situation zu führen, wo äußerlich genommen keine einheitliche Front des Weltkapitals besteht, wo der Kampf zwischen dem Kapital der Zentralmächte und dem der Entente das höchste Stadium erreicht. Ein Blick auf die Lage zeigt, daß der nächste Feind, der den Ausbau der Demokratie mit allen Kräften hemmen, verzögern wird, die russischen Kapitalisten selbst sind. Sie haben jetzt die Macht. Sie werden vom englischen und französischen Kapital unterstützt. Sie gebrauchen die »deutsche Gefahr«, um den Prozeß der Demokratisierung Rußlands zu verschieben, damit sie ihn später eindämmen können. Wer sich mit ihnen verbündet, der tötet die Revolution. Duckt sich die russische Arbeiterklasse unter das Regime ihrer Kapitalisten, beschränkt sie ihre proletarischen Ziele, um die Revolution nach außen zu schützen, so liefert sie sich den innern Gegnern aus. Entfaltet sie ihre Kraft, so wirft sie die inneren Gegner.

Die Aufrollung der Perspektive eines proletarischen 1793 bedeutet die Antwort auf die Frage der Sozialpatrioten und Zentrumsleute. Wollt ihr die russische Revolution dem äußeren Feinde ausliefern? Die Bolschewiks antworten darauf: Weder dem äußeren noch dem inneren Feinde! Aber wie wir den inneren Feind der Revolution, das russische Kapital nicht besiegen können im Bunde mit dem äußeren Feind, dem Weltkapital oder seinen einzelnen Teilen, so können wir auch den äußeren Feind nicht besiegen im Bunde mit dem inneren. Wenn wir zusammen mit den Gutschkows und Miljukows für die deutsche Niederlage eintreten würden, so würden wir nicht nur dem anglosächsischen Kapital – dem stärksten Teil des Weltkapitals – zur Ausbeutung der Welt, sondern auch Plünderung Rußlands helfen. Das russische Proletariat kann direkt nur die eigene Bourgeoisie bekämpfen.


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