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Schluß

15.

Ich befand mich in einer ziemlich kläglichen Gemütsverfassung, als ich wieder zu Hause ankam und war sehr zu melancholischen Betrachtungen aufgelegt. Ich war fortgegangen, um mich von der drückenden Last meiner Tugend zu befreien, und ich war sie nicht los geworden. Die Vorsehung, die mir in diesem Fall einen so niederträchtigen Streich gespielt hatte, indem sie mir die Gelegenheit zur Sünde gab und mir gleichzeitig die Lust dazu raubte, diese ganz besondere Vorsehung, die über uns tugendhaften Frauen zu walten scheint, schien mich jetzt bei meiner Rückkehr zum häuslichen Herd entschädigen zu wollen. Ich fand meinen Mann im Bett und bei ihm zwei Ärzte – unseren Hausarzt und einen anderen, den man in aller Eile geholt hatte. Man wagte mir den wahren Sachverhalt nicht auseinanderzusetzen, aber das, was ich aus der Dienerschaft herausbekam und was ich mir selbst kombinieren konnte, erklärte mir schließlich, was vorgefallen war. Mein Mann hatte von der Spätsommerglut Mme. Lehugueurs augenscheinlich zu viel bekommen und war flagrante delicto von einem Herzkrampf befallen worden (wozu er durch seinen momentanen Gesundheitszustand, wie die Ärzte sagten, so wie so disponiert war). Man denke sich den Schrecken und das Entsetzen seiner Dame. Sie dachte natürlich nur an sich selbst und an den Skandal, der daraus entstehen konnte. Ich mache ihr daraus keinen Vorwurf, denn ich hätte ebenso gehandelt. Sie hat sich stillschweigend gedrückt und dem Portier die ehrenvolle Aufgabe überlassen, den armen, ins Herz getroffenen Don Juan heimzugeleiten. Vor einer Stunde war er nach Hause gekommen, und das Bewußtsein kehrte langsam zurück, gerade wie ich nach Hause kam.

Und nun sah ich wieder einmal, wie die Ehe Mann und Frau, ohne daß sie selbst etwas dazu thun, oft sogar, ohne daß sie es gewahr werden, durch die körperliche Zusammengehörigkeit aneinander fesselt. Und nichts vermag dieses Band zu zerstören, das gerade durch die plötzlich eintretende Möglichkeit einer definitiven Trennung noch an Festigkeit gewinnt. Selbst wenn die Frau einem anderen Mann angehört und die Freuden der Liebe mit ihm teilt, so ist das noch kein Beweis, daß sie ihn wirklich mehr liebt, als ihren Gatten. Mag sie ihn auch hintergehen und verachten, er bleibt für seine Frau doch immer das einzige Wesen, für das sie jenen solidarischen Egoismus empfindet, der die Quintessenz aller menschlichen Sympathie ist. Hätte mein Pseudoliebhaber Mr. Duzart alle Arten von Herzzufällen, die das medizinische Wörterbuch aufzuzählen vermag, bekommen, wäre er meinetwegen auch gestorben und begraben – vorausgesetzt, daß ich seine Maitresse gewesen wäre, so hätte ich vielleicht meine verlorenen Liebesstunden bejammert, aber weiter auch nichts. Aber mir meinen Mann nehmen, daß hieße mir etwas rauben, was nur mir allein gehört, was einen Teil von mir selbst bildet – das hieße mein ganzes Leben zerstören. Mein ganzer Egoismus lehnte sich gegen die Gewaltthätigkeit des Schicksals auf. Und ich bin überzeugt, daß keine Frau auf der Welt ihren Gatten mit so viel gutem Willen, wenn man will, sogar Aufopferung gepflegt hat.

Die Krisis war dieses Mal ernst und dauerte lange. Und diese endlosen Stunden am Krankenlager, die Leiden des einen und die aufopfernde Fürsorge des anderen brachten uns naturgemäß einander wieder näher; nur muß man die Motive dieser gegenseitigen Rührung nicht verwechseln: ich war gerührt über meine Aufopferung und mein Mann über seine Krankheit. Aber das thut nichts zur Sache. Das Resultat war die wiedergewonnene Fühlung zwischen zwei zerschlagenen und verwundeten Menschenherzen. Als er sich wieder erholte und die beklemmende Angst von uns gewichen war, fühlten wir, daß neue Triebe einer guten Freundschaft in unseren Herzen angesetzt hatten.

Aber um diese holde Eintracht auch auf die Dauer zu befestigen, bedurfte es noch etwas anderes, wie die oberflächliche Sympathie, die zwischen jedem genesenden Kranken und seiner Pflegerin entsteht. Nach dem, was jedes von uns in der letzten Zeit durchgemacht hatte, sehnten wir uns beide nach innerer Ruhe, nach gegenseitigem Verständnis und Vertrauen. Und wir fühlten es wohl, daß das nur erreicht werden konnte, wenn jedes dem anderen ein offenes Bekenntnis jener kleinen Sünden ablegte, die auf seinem Gewissen lasteten – es waren ja gerade keine großen Verbrechen, die uns bedrückten, aber sie lagen doch zwischen uns.

Und diese gegenseitige Beichte fand etwa vierzehn Tage darauf statt. Es war bei einbrechender Dämmerung, und das ist immer die Stunde, wo der eben von schwerer Krankheit Genesene sich matter fühlt, und selbst der Gesunde weich gestimmt und zu vertraulichen Gesprächen aufgelegt ist. Unwillkürlich überkam mich die Erinnerung an jenen furchtbaren Tag, wo ich meinen Mann fast leblos auf seinem Bett ausgestreckt fand zwischen den schweigenden Ärzten und der entsetzten Dienerschaft. Ohne es eigentlich zu wollen, machte ich irgend eine Anspielung, und daraufhin bekannte mein Mann mir alles. Er hatte sich schon lange danach gesehnt, mir sein Herz auszuschütten und jetzt vermochte er es nicht länger zurückzuhalten. Und ich kam ihm dabei zu Hilfe, ohne irgend einen Namen zu nennen, indem ich ihn merken ließ, daß ich alles wüßte – Name, Adresse, sogar die Stunde seiner Rendezvous. Als er zu Ende war, erteilte ich ihm aus vollem Herzen Absolution, und er sagte mir, daß er fest entschlossen sei, mich nie wieder zu hintergehen. Er brauchte mir seinen Schwur nicht zu wiederholen; seine Angst vor einem abermaligen Herzkrampf war die sicherste Garantie für mich.

Nun war die Reihe an mir, und ich sagte ihm: »Weißt du, mein teurer Gatte, an ebendemselben Tage, wo eine gewisse Dame Dir so übel mitgespielt hat, fehlte nicht viel, daß ich dir Gleiches mit Gleichem vergolten hätte.« Und – wieder ohne eine bestimmte Persönlichkeit zu nennen (ich glaube übrigens, daß er trotzdem etwas geahnt hat) – erzählte ich ihm ganz offen die verschiedenen Kapitel meiner verunglückten Ehebruchsgeschichte. – Ganz offen? Nun, mein Gott – wenigstens beinahe ganz. Es giebt gewisse Sachen, die eine Frau nicht so leicht eingesteht, wie der Mann. Sagen wir: ich war so weit offenherzig, wie man es als Gattin sein darf.

*

Und auf dieser Grundlage feierten wir unsere Versöhnung, mit dem feierlichen Versprechen, nicht wieder mit diesen Geschichten anzufangen. Daß er seines hält, dafür garantiere ich. Und was mich selbst betrifft? Nun, ich leide ja, Gott sei Dank, nicht an Herzkrämpfen.


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