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Auf zum Kampf!

11.

Wenn man sich theoretisch mit dem Gedanken an einen etwa möglichen Ehebruch beschäftigt (und das thut jede noch so tadellose Frau, sogar jedes junge Mädchen), so fürchtet man sich in erster Linie vor dem Gatten, der einen dabei überraschen könnte, vor seiner Pistole, vor Polizeikommissären, überhaupt vor allem, was zu einem Skandal gehört. In Wirklichkeit sind alles das nur seltene Ausnahmefälle, wenn man bedenkt, was für eine Unzahl von illegitimen Zusammenkünften alltäglich in Paris in aller Ruhe und Gemütlichkeit stattfinden und durch die Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit derjenigen vor jeder Entdeckung gesichert, die ein Recht hätten daran Anstoß zu nehmen. Aber trotz alledem empfindet jede anständige Frau, selbst die vernünftigste und klar denkendste, wenn sie zum erstenmal ihren Geliebten aufsucht, jene entsetzliche Angst vor dramatischen Ereignissen – die für den Ehemann oft sehr heilsam sind.

Ich war noch kaum die Treppe unseres Hauses hinabgestiegen, so gerieten meine sündigen Vorsätze schon ins Schwanken, und ich mußte mich selbst über meine eigentlichen Empfindungen hinwegtäuschen, um nicht gleich wieder umzukehren. Dabei fühlte ich sehr wohl, daß ich mich selbst belog: »Nein,« sagte ich mir, »ich gehe nicht hin. Ganz gewiß, ich gehe nicht zu ihm, ich will nicht. Ich werde ihm auf dem nächsten Telegraphenbureau eine kleine Depesche schicken. Erhält er sie rechtzeitig, nun so ist es gut, im anderen Falle mag geschehen, was da will, ich pfeife auf alles.« Im Grunde wollte ich mir nur Mut machen, weiter zu gehen; ich hatte die größte Lust in meine Wohnung zurückzukehren, mich wieder umzukleiden und auf alles weitere zu verzichten.

Mit Hilfe dieses Kompromisses gelang es mir denn auch mein Zögern zu überwinden, und als ich unser Haus erstmal aus den Augen verloren hatte, ging ich immer mutiger vorwärts. Ganz in der Nähe befindet sich ein Telegraphenbureau, aber ich ging daran vorbei und schlug die Richtung nach der Avenue Villiers ein. Dabei dachte ich: An der Place Malesherbes werde ich mich entscheiden, ob ich nach der Rue Demours gehe, oder ihm eine Depesche schicke. Ich möchte dieses System allen Frauen empfehlen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden: wenn man sich außer Stande fühlt einen großen Entschluß auf einmal zu fassen, so teilt man ihn einfach in lauter kleine Entschlüsse ein, denen man sich gewachsen fühlt, weil keiner von ihnen ausschlaggebend ist.

Je mehr ich mich der gefährlichen Zone näherte, desto eifriger bemühte ich mich meinen Mut anzustacheln: Was für ein genußreicher Moment heute abend, wenn Henri beim Nachhausekommen trotz seines ermatteten Aussehens jene außerordentliche Liebenswürdigkeit entfalten würde, unter der er sein schlechtes Gewissen zu verbergen sucht. Welche Wonne, dann im stillen zu denken: Nun, mein Lieber, heute habe auch ich meinen kleinen five o'clock gehabt und zwar in deiner nächsten Nähe. Und nun bist du dasselbe, wie alle anderen Ehemänner, wie zum Beispiel auch Mr. Lehugueur. Du bist ein ..., und halblaut sagte ich das abscheuliche, gemeine Wort, jenes Wort, das die komischen Seiten des Ehebruchs so gut charakterisiert, vor mich hin, und es machte mir Vergnügen, es auszusprechen. Das war wirklich ein vorzügliches Mittel, an Mme. Lehuguer, an die anonyme Mme. Vigilance und an alle die anderen zu denken, mit denen mein Mann mich betrogen hat. Meine Phantasie erhitzte sich dabei immer mehr und mehr und mein Ingrimm wuchs. So amüsieren sich unsere Männer, dachte ich, selbst die zahmsten von ihnen machen ihre Studien an wenigstens zehn verschiedenen Frauen pro Jahr, und wir dummen Gänse sind so furchtsam und unentschlossen, daß wir es als Verbrechen betrachten, dasselbe zu thun, was ihnen ebenso selbstverständlich erscheint, wie Essen und Trinken. Nun, ich werde jetzt einmal dem Beispiel meines Mannes folgen und alles thun, wonach mir die Laune steht, aber auch alles.

Nicht wahr, das war gerade die richtige Gemütsverfassung, um zum Rendezvous in die Rue Demours zu gehen? Ganz gewiß, aber leider war es eben nur eine »Gemütsverfassung«. Ein mir selbst ganz unerklärliches Gefühl von physischem Widerwillen empörte sich gegen alle meine Phantasien. – Mittlerweile hatte ich die Place Malesherbes erreicht. Ein leerer Fiaker fuhr vorüber, der Kutscher schien mein Zögern zu bemerken und rief mir zu: »Eine kleine Fahrt für einen Franc? Ich gab keine Antwort, aber um diesem Mann, der dicht vor mir sein Pferd zum Stillstehen brachte, zu entrinnen, schlug ich in beschleunigtem Tempo den Weg nach der Avenue Villiers ein. Dieser Weg hatte etwas für sich, einmal weil er nicht direkt zur Rue Demours führt und außerdem die Rue de la Terrasse kreuzt. Denn jetzt fuhr mir eine ganz abgeschmackte und verrückte Idee durch den Kopf: ich hoffte, ja wirklich, ich hoffte, vielleicht meinem Mann zu begegnen. Ich wußte, ich war verloren, wenn sich mir nicht noch in diesem Augenblick ein starker Arm darböte, an dem ich mich hätte klammern können und der mich auf den rechten Weg zurückführte. Ob man mir glauben wird, wenn ich sage, daß ich beinahe eine Viertelstunde lang die Rue de la Terrasse auf- und abgegangen bin, immer auf dem Trottoir des Hauses Nr. 21, mit dem verzweifelten Wunsch, Henri dort zu entdecken? Hätte ich ihn nur von ferne gesehen, ich wäre auf ihn zugestürzt, hätte ihm alles gesagt, ich glaube sogar, ohne ihm auch nur den geringsten Vorwurf zu machen und hätte ihn angefleht, mich vor mir selbst zu schützen. Selbst wenn ich sein Gesicht an einem der Fenster des Hauses Nr. 21 bemerkt hätte, ich wäre hineingegangen, nicht etwa um den Tagesblättern Stoff Zu einer »Ehebruchstragödie« zu liefern, nein ich hätte an die Thür geklopft und ruhig abgewartet, ob man mir nicht öffnen würde, ich hätte meinen Gatten zurückverlangt und mich ihm wiedergegeben. Aber das Schicksal blieb unerbittlich. Die Straße blieb leer und verödet, – ich glaube, man begegnet dort fast nie einem Menschen. Einige Dienstmädchen kamen vorbei, dann ein Arbeiter und schließlich der unvermeidliche »Herr«, der von jeder allein gehenden Dame in Paris untrennbar ist. Der meine war in diesem Fall schon etwas angegraut und sehr elegant. Er bot mir an, meine »Schulden« zu bezahlen. Der arme Mann! Es giebt in Paris wohl kaum hundert Frauen aus der besten Gesellschaft, die keine Schulden hatten, und gerade auf eine von diesen mußte er hereinfallen. So gelang es ihm nur, mich aus der Rue de la Terrasse zu vertreiben und mich so nervös zu machen, daß ich mich beeilte, endlich die Rue Demours zu erreichen. Ja, jetzt mußte ich wirklich jemand haben, mit dem ich sprechen konnte, und der mir etwas Liebes sagte. Und dieser Dummkopf verfolgte mich immer weiter, ohne zu ahnen, daß er einem Nebenbuhler in die Hände arbeitete. Gewiß dachte er: Die kleine Frau scheint sich auszukennen, sie wird mich schon zu einem sicheren Schlupfwinkel führen. Aber an der Ecke der Rue Demours muß er sich sehr enttäuscht gefühlt haben, ich trat in das Haus Nr. 7 und drückte ganz atemlos auf den elektrischen Schellenknopf der Parterrewohnung.


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