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An der Grenze

8.

Nach Sully-Prudhomme giebt es in der realen Liebe einen spezifisch ausschlaggebenden Moment, und das ist nicht etwa, wie manche Frauen denken, der Augenblick, wo die verheiratete Frau sich ihrem Geliebten zum ersten Male hingiebt. Obgleich es bei mir noch nicht dazu gekommen ist, glaube ich von vornherein, daß das außereheliche Verhältnis der Ehe selbst sehr ähnlich sein muß, was nicht gerade besonders amüsant ist.

Der Moment, der in der Ehe fehlt (da die Ehe nach dem Gesetz eine sittliche Institution ist), dafür aber in der freien Liebe eine große Rolle spielt, ist der, wo Don Juan, nachdem er erst seine Überredungskunst hat spielen lassen, nunmehr zur Aktion schreitet und sich gewisse kleine Freiheiten erlaubt, die uns sanft und allmählich nach Cythera hinüberleiten. Nun und diesen Moment habe ich gestern erlebt, als Mr. Duzart mir seinen Besuch machte, den offiziellen Besuch, in dem er um mich »anhielt«. Wir hatten alle beide entsprechende Toilette gemacht. Ich lag halb ausgestreckt auf einer Chaiselongue, zwischen zahlreichen Kissen, angethan mit einem höchst eleganten Negligée von malvenfarbenem Ton, die Unterkleider von Surah und möglichst anschließend, um meine Formen aufs vorteilhafteste hervortreten zu lassen. Der ganze Salon war voll von Orchideen. Ich hatte sie selbst am Vormittag in der Markthalle gekauft (für einen Louisdor – man muß sparsam sein). Ich habe die beste Absicht, meinen Mann zu betrügen, aber ohne unsern gemeinsamen Haushalt in Unkosten zu stürzen.

Neben mir auf einem orientalischen Tabouret lag ein Buch von Bourget, nachlässig hingeworfen, ein kürzlich in eleganter Ausstattung erschienenes Bändchen: Steeple-Chase. Die Blumen waren dazu da, um Mr. Duzart bei seinem Eintritt in meinen Salon zu sagen: Sie sehen sich hier in dem Gemach einer Frau, die Sinn für alles Zarte, Seltene und Auserlesene hat. Und das kleine Buch sollte ihm zu verstehen geben: und diese Frau besitzt außerdem einen Geist, der über den Durchschnitt hinausgeht. Selbst die kompliziertesten Fragen des Gefühlslebens sind kein Geheimnis für sie.

Im Grunde bin ich so wie alle anderen Frauen, – für jeden starken Eindruck leicht empfänglich, und wenn die Gelegenheit darnach ist, auch tiefergehender Gefühle fähig. Ich kann weich werden und träumen. Aber ich glaube, die Männer haben es nicht gern, wenn man ihnen alles gerade heraus sagt.

Sein Äußeres dagegen deutete darauf hin, daß er den Eindruck einer »Antrittsvisite« vermeiden wollte. Er kam ohne Überzieher, in einem Jackett, das entschieden von einem ersten Schneider stammte. Ein Mann im Paletot auf den Knieen vor seiner Geliebten, das wäre die reinste Comedie-française. Übrigens bewies er mir auch vom ersten Moment an, daß er mir keinen »Besuch« machen wollte. Er bat mich gleich, dieses Wiedersehen als eine Art Rendezvous betrachten zu dürfen.

Und während er von diesem »harmlosesten aller Rendezvous« sprach, überlegte er sichtlich, wie er ihm am besten diese Harmlosigkeit rauben könnte. Er saß mir gegenüber auf einem Lehnstuhl und inspizierte dabei meine Chaiselongue von allen Seiten. Ich sah, wie er mit den Augen den Platz abmaß, wo er sich wohl am besten niederlassen könnte. Etwas beunruhigte mich dabei und interessierte mich auf's höchste, nämlich: Was wird er nur mit seinem Hut anfangen? Es ist ganz unmöglich, mit dem Cylinder in der Hand auch nur den geringsten Angriff auf die Dame des Hauses zu unternehmen.

Aber er wußte das Problem mit Grazie zu lösen:

»Sie haben vorhin gelesen? und was, wenn ich fragen darf?« Dabei nahm er das Buch vom Tisch und legte seinen Hut ganz harmlos an dessen Stelle: »Aha, den neuen kleinen Bourget – gefährliche Lektüre für eine moderne junge Frau. – Haben Sie nicht bemerkt, daß eine von den Illustrationen Ihnen etwas ähnlich sieht?«

Und unter dem Vorwand, mir die betreffende Illustration zu zeigen, setzte er sich neben mich. Und ich spielte ein bischen Francesca da Rimini und blickte mit ihm in die Seiten des Buches, die er rasch umblätterte. Natürlich fand er die angebliche Ähnlichkeit nicht, verzichtete auch gleich auf weiteres Suchen und »der neue kleine Bourget« glitt zu Boden, wobei der Umschlag einen Riß bekam, (was weitere Unkosten von 1 Franc 75 Cents für die Gütergemeinschaft zwischen meinem Mann und mir bedeutete). Mein »Besuch« atmete sodann den Duft meiner Haare ein, als ob sie die seltensten Parfüms enthielten und erlaubte sich seinen Mund meinen Lippen zu nähern. Ich fand sein Vorgehen etwas übereilt und wich ein wenig zurück, halb aus Instinkt, halb aus Überlegung. Nun flüsterte er leise: »O verzeihen Sie mir« und begnügte sich damit, meine linke Hand in der seinen zu halten und sie mit heißen flammenden Küssen zu bedecken, wobei ich seine Zähne auf meiner Haut fühlte. – Plötzlich sah er, daß ich lächelte.

»Warum lachen Sie?«

Sofort war ich wieder ernst.

»Ich lache nicht. Ich bin nur etwas nervös. Sie müssen mir deshalb nicht böse sein.«

Es hätte der Wahrheit mehr entsprochen, wenn ich gesagt hätte, daß mich der Widerspruch zwischen diesen scheinbaren Anzeichen einer wilden Leidenschaft und dem gut bürgerlichen kleinen Abenteuer, das zwischen uns in Scene gehen sollte, zum Lachen reizte. Ich weiß nicht, warum mir in diesem Augenblick Donna Sal einfiel, wenn sie sagt: »Du bist mein Löwe, ritterlich und stolz« und ich lachte darüber, daß Mr. Duzart, trotzdem er seine Zähne in meine Hand grub, niemals etwas von einem verliebten Löwen haben würde.

Es ist für mich ganz überflüssig, hier aufzuzeichnen, was alles für kleine Sünden an diesem Tage noch angesichts der Orchideen und des kleinen Buches von Bourget in meinem Salon begangen wurden. Bis zum äußersten kam es nicht, mein Mann kann sich immer noch rühmen, nicht das zu sein, was so viele Männer sind, die sogar einen größeren Wert haben, als er. Ich bin immer noch eine anständige Frau, die vor allen Müttern und Schwiegermüttern von ganz Frankreich mit Ehren bestehen kann. Man möge mich nicht mißverstehen: Die Grenze der Tugend war noch nicht überschritten, als Mr. Duzart den Duft meiner Haare einsog und meine Hände mit seinen harmlosen kleinen Bissen bedeckte, sie war es nach meinem Gefühl auch dann noch nicht, als er meine Lippen mit seinem Kuß berührte, ohne daß ich irgend welchen Widerstand leistete. – Nein, die Tugend wurde erst ein paar Minuten später erschüttert, als er in seinem leidenschaftlichen Werben um mich in mir zum erstenmal eine gewisse sinnliche Empfindung hervorrief. Es war mir geradezu peinlich einen Mann, für den ich schließlich doch absolut keine Liebe empfinde, zu erregen, indem ich ihm etwas von mir hingab. Aber ich sagte mir, um mich zu zwingen: es muß sein, es geht nicht anders. Das gehört eben mit zur Liebe. Es ist unumgänglich notwendig, daß dieser Mann mich leidenschaftlich begehrt; er darf mich nicht anders, wie rasend verliebt verlassen. Und Monsieur Duzart that wirklich sein Bestes, um mir seine Leidenschaft zu beweisen. Ob er seinerseits wohl ganz aufrichtig war? Oder bemühte er sich nur, gleich mir, seine Rolle gut zu spielen. Ich glaube, wir überschätzen sehr oft das Temperament der Männer und nehmen jene Erregung bei ihnen zu ernst, die wir, indem wir uns halb hingeben, in ihnen erwecken. – Wir dürfen dann nicht vergessen, daß sie nur einen Wagen zu nehmen brauchen, um bei tausend und abertausend Frauen die bequemste Befriedigung ihrer Wünsche zu finden.


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