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Ein Schlag ins Wasser

14.

Wenn ich heute daran zurückdenke – an jenen Augenblick, wo ich drauf und dran war, mich diesem Monsieur Duzart hinzugeben – in seiner Wohnung, bei verschlossenen Thüren und in seinem Lehnstuhl – dann muß ich mir sagen, daß es eine Art von Schutzengel (ich sage Schutzengel, weil ich annehme, daß sie unser Bestes wollen) geben muß, die über der Tugend einer anständigen Frau wachen und sie wohl oder übel dazu zwingen, anständig zu bleiben. Denn: obgleich die »Sündflut« mir schon fast bis an den Hals ging, geschah es doch, daß, als ich die Rue Demours verließ und mein Heim wieder betrat, meine Ehe noch so »ungebrochen« wie vorher war, abgesehen von einigen kleinen Defekten, die aber schon früher da waren und denen ein vernünftig denkender Ehemann keine besondere Bedeutung beilegt.

Wie ging es zu, daß es doch schließlich nicht so weit kam, obgleich die Sache schon im besten Gange war? Wie kam es, daß jener Herr und jene Dame, die sich eben noch mit einem einzigen Lehnstuhl begnügten, plötzlich wieder ganz vernünftig jedes auf seinem Platz saß und trotz der voraufgegangenen »bousculade« noch immer kein Liebespaar waren? Wenn ich mich in meine intimsten Erinnerungen versenke, wenn ich mir jene halbverschwommenen Gedanken zurückrufe, die mir im Lehnstuhl zu zwei durch den Kopf schwirrten und die unwillkürlichen, abwehrenden Bewegungen, mit denen mein braves, aufgeschrecktes Schamgefühl sich sträubte, dann wird mir klar, daß ich einfach nicht anders konnte, wie Widerstand leisten, trotzdem ich meine ganze Logik und all' meine Willenskraft aufbot, um nachzugeben. Ich war einfach nicht imstande dazu. Und das eben ist meiner Ansicht nach das Charakteristikum der anständigen Frau: sie bringt es nicht fertig, an ihrem »Fall« mitzuarbeiten. Mag der Mann noch so fest entschlossen sein, den Sieg davon zu tragen, es wird ihm niemals gelingen, wenn sie nicht im innersten Herzen davon überzeugt ist, daß sie unterliegen muß. Oder sagen wir so: die anständige Frau, mag sie noch so viel guten Willen zur Sünde besitzen, wird sich immer ungeschickt benehmen, wenn der Mann sie mit Gewalt erobern will.

Und ich benahm mich ungeschickt, sehr ungeschickt, das muß ich zugeben und um so mehr, weil ich fühlte, daß meine Rolle bei dieser Lehnstuhlaffaire eine höchst undankbare war. Aber ist meine Ungeschicklichkeit und der Mangel an Ekstase meinerseits eine ausreichende Erklärung für die geringe Ausdauer Duzarts? Warum gab er so schnell den Sieg verloren und blies zum Rückzug, indem er ganz entmutigt sagte: »Nein, Sie lieben mich nicht.« Warum setzte er sich friedlich auf einen anderen Stuhl und bemühte sich eine melancholische, resignierte Ruhe anzunehmen? Soll ich diesen Blättern wirklich alles anvertrauen? Ich glaube offen gesagt, daß seine Mutlosigkeit sowohl zu Anfang, wie auch nachher auf rein physischen Gründen beruhte.

Man behauptet immer, daß ein solches Abenteuer beschämend und irritierend auf die Frau wirkt. Aber ich kann nicht sagen, daß ich etwas derartiges empfunden hätte. Ich war in jenem Augenblick einfach ein armes nervöses Geschöpf, und ich muß doch sagen, daß, wenn einer von uns nicht »im Zug« war, so war es sicherlich nicht der arme Duzart. Aber man kann von einem Mann auch nicht alles verlangen.

Ich fühlte mich eigentlich wie erleichtert, als ich den Zärtlichkeiten meines Mitschuldigen entronnen war. Es wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen, ihm die unter solchen Umständen übliche Scene zu machen, – ich bemühte mich im Gegenteil, ihm erkennen zu geben, daß ich ihm nicht weh thun wollte.

»Sind Sie mir böse, mein Freund?« fragte ich und er antwortete:

»Es ist nicht schön von Ihnen, mich so zurückzustoßen. Aber ich verlange nichts. Ich will nur das, was Sie mir freiwillig geben.«

Er versuchte etwas Bitterkeit in diese Worts hineinzulegen, aber im Grunde war er ganz froh, daß er den Rückzug antreten konnte, ohne sich lächerlich zu machen.

Ich reichte ihm die Hand. »Glauben Sie mir,« sagte ich dann, »ich bin noch mit keinem Menschen auf der Welt so weit gegangen, wie heute mit Ihnen und werde es auch wahrscheinlich späterhin niemals thun. Ich glaube, daß dieses verschwiegene Zimmer und die schwellenden Polster Ihres Lehnstuhls noch keiner Frau zum Aufenthalt gedient haben, die sich so ernstlich bemüht hat, tugendhaft zu bleiben, wie ich. Ist es Ihnen nicht genug, daß ich mit Ihnen bis an den Rand des Sündenschlundes gegangen bin? Die Erinnerung an mich wird sich dadurch ein wenig von anderen unterscheiden. Und gerade weil unsere beiderseitigen Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind, wird mein Bild unter tausend anderen in Ihrem Herzen seinen ganz besonderen Platz einnehmen.«

»Also dann ist es wirklich aus mit unserem Roman?« sagte Duzart, und dieses Mal kam der traurige Ton in seiner Stimme wirklich von Herzen. »Können wir es denn nicht versuchen, ihn noch einmal von vorne zu beginnen, – mit veränderter Scenerie?«

»Wozu?« erwiderte ich, »wir würden es ja doch nicht besser wie jetzt machen. Gestehen Sie es nur: eigentlich ist unser »Ehebruch« von Anfang bis Ende tadellos verlaufen. Es hat nur ein kleiner, ziemlich bedeutungsloser Umstand gefehlt. Aber ist es nicht genug, daß ich Ihnen wenigstens in Gedanken angehört habe?«

»Lassen Sie mich in dem Glauben,« sagte Mr. Duzart, »daß jene holden »unpassenden« Gedanken, die ich in Ihnen wachgerufen habe, eines Tages Sie wieder befallen könnten. Ich versichere Ihnen, daß jeder Gedanke an Sie die verwegensten Phantasien bei mir heraufbeschwören wird, und wie sollte ich nicht an Sie denken, jetzt wo Sie hier bei mir gewesen sind, wo Sie hier in meinem Lehnstuhl geruht haben und wo Sie mir beinahe angehört hätten. Hier will ich auf Sie warten, und das erste Wort von Ihnen, das mir verheißt, Sie möchten doch noch einmal hierher zurückkehren, soll mich jederzeit bereit finden, Sie zu empfangen.«

Beinahe wäre es mir herausgeplatzt:

»Bereit, mich zu – – Na na, sagen Sie das nicht mit solcher Bestimmtheit.«

Aber ich unterdrückte es und that wohl daran. Was hätte es für einen Zweck gehabt, ihn in diesem Augenblick noch zu kränken.

Dann stand ich auf. »Schon?« murmelte Duzart höflich.

Selbstverständlich hatte auch er genug von dieser Leichenceremonie unserer Liebe.

»Denken Sie daran,« sagte ich halblaut, »daß ich Pflichten zu erfüllen habe – mein Mann – vergessen Sie nicht, daß ich eine anständige Frau bin.«

»Viel zu anständig – leider Gottes – wann werden wir uns wiedersehen?«

»Nun, sobald Sie wollen. Kommen Sie Dienstag. Sie wissen schon, bis drei Uhr bin ich immer allein zu treffen.«

Dann begleitete er mich ins Vorzimmer und fragte noch einmal: »Ganz offen – soll ich wiederkommen

Damit wollte er natürlich sagen: Darf ich hoffen, etwas anderes bei Ihnen zu finden, als solche resultatlose Ehebruchssitzungen wie heute?

Was sollte ich darauf antworten? Es wäre überflüssig und unehrlich gewesen, ihm Versprechungen zu machen, die ich fest entschlossen war, nicht zu erfüllen.

Und ein brutales: »Nein« hätte das Herz, oder sagen wir lieber die Eitelkeit meines Schuldgenossen aufs Tiefste verwundet.

Ich stand schon auf der Schwelle und während ich langsam die Thür hinter mir zufallen ließ, flüsterte ich:

» Wer weiß

Und dann fort! Ohne die Antwort abzuwarten. Etwas davon bekam ich freilich noch durch die Thür zu hören, nämlich einen sehr kräftigen und – sehr komischen Fluch.


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