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Tête-à-tête

12.

Kaum hatte ich den elektrischen Knopf berührt, so öffnete sich auch schon die Thür, und ich sah in ein enges, ziemlich dunkles Vorzimmer hinein. Kräftige Männerarme erfaßten mich, ich fühlte einen Kuß auf meiner Wange, bei dem mein Schleier sich verschob und hörte Mr. Duzart sagen: »Ich danke Ihnen! Ich liebe Sie!« Mit einer brüsken Bewegung machte ich mich los, und während er die Thür wieder schloß und den Riegel vorschob, trat ich durch die halb angelehnte Thür in ein Zimmer, das nicht besonders groß, aber gemütlich eingerichtet war, natürlich in dem altertümelnden Stil, den man allmählich auswendig kennt: Elfenbeinschnitzereien, Stühle aus der Zeit der verschiedenen Louis von Frankreich, Meißner Porzellanfiguren, chinesische Nippsachen u. s. w. Und der umfangreiche Divan nicht zu vergessen, »tief wie das Grab«, der zum unvermeidlichen Inventar aller Junggesellenwohnungen gehört und hauptsächlich für »pressierte« Damen bestimmt ist, die mehrere Besuche am Tage machen müssen – wie einer von meinen Vettern mir gesagt hat.

Mir machte das Ganze einen banalen, beleidigenden, ja beinahe feindseligen Eindruck. Das kam wohl daher, daß meine Nerven förmlich rasten. Ich hätte etwas zerbrechen oder jemand schlagen mögen. Mein liebenswürdiger Wirt, der jetzt auch wieder ins Zimmer trat, fand mich in einem Lehnstuhl sitzend, wie einen Igel, der sich zusammenrollt und kampfbegierig seine Borsten sträubt. Er war vorsichtig genug, mir nicht nahe zu kommen und that wohl daran, denn ich bin überzeugt, ich hätte ihn gebissen und gekratzt. So lehnte er sich mit dem Rücken an einen Tisch, indem er beide Hände aufstützte und sagte ganz traurig:

»Bereuen Sie es jetzt schon, daß Sie zu mir gekommen sind?«

»Allerdings thue ich das.«

»Das ist sehr verkehrt von Ihnen,« antwortete er, und dabei lag eine gewisse kampfbereite Empörung in seinem Wesen, die mich beinah sympathisch berührte. »Mir scheint, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, daß ich unser Alleinsein in meiner Wohnung nicht zu Gewaltthätigkeiten mißbrauchen werde. Sie erweisen mir die Ehre Ihres Besuchs – und damit gut. Sie können unser Beisammensein gestalten, wie Sie wollen, – eine Tasse Thee – ein Blick auf meine Bibelots – eine gemütlich verplauderte Stunde – ganz wie Sie wollen. Nun – bin ich nicht ganz vernünftig? Haben Sie sich jetzt etwas beruhigt?«

Es that mir wohl, daß er so klar und einfach, ja beinah gebietend zu mir sprach. Ich lüftete den Schleier, blickte meinen »Mitschuldigen« an und reichte ihm die Hand. »Also abgemacht?« fragte ich, »Sie werden artig sein?«

»Sehr artig sogar!«

Meine anfängliche Gereiztheit löste sich allmählich in ein Gefühl von großer Schwäche auf, ich bedauerte mich selbst und schämte mich meiner Verwirrung. Meine Augen füllten sich mit Thränen, ich ließ sie ruhig fließen und fühlte mich dadurch wieder erleichtert. Mr. Duzart machte keinen Versuch mich zu trösten und erwies sich auch darin als Mann von Takt. Er sah mich nur an, als ob er sagen wollte: »Ist das alles Komödie? Thut die Kleine so, als ob es wirklich ihr erster Fehltritt sei, oder sollte sie wirklich ihre Tugend als treue Gattin mir zum Opfer bringen? – Tien – tiens! – Das wäre gar nicht so ohne. Ob sie wohl noch lange weinen wird?«

Das Gefühl der Sicherheit vor jedem brutalen Angriff seinerseits gab mir meine Fassung allmählich wieder. Ich trocknete meine Thränen, etwas beschämt darüber, daß ich mich so hatte gehen lassen.

»Es ist schon vorbei,« sagte ich dann, »verzeihen Sie mir,« worauf er bat: »Wollen Sie mir gestatten, neben Ihnen Platz zu nehmen?«

»Ja,« antwortete ich, »aber vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben. Ich bitte Sie, mich nur als Ihren Besuch zu behandeln. Sie sehen, daß ich nicht ganz wohl bin.«

Es fiel mir gar nicht ein, Komödie spielen zu wollen; der bloße Gedanke, daß er zärtlich gegen mich werden könnte, machte mich nervös, und selbst jene kleinen Übergriffe, die ich ihm bei unserem ersten »Interieur« nicht verweigern konnte, hätten mich jetzt zur Raserei gebracht. Mr. Duzart setzte sich also neben mich und es lag eine leise Ironie in seinem Blick und im Ton, als er mich fragte: »Wollen Sie mir nicht jetzt, wo Sie wieder ruhig geworden sind, sagen, was Sie vorhin so erregt hat?«

Wahrscheinlich fing er an, sich über den Ausgang unseres Abenteuers Zu beruhigen und dachte im stillen, daß bald der geeignete Augenblick für den Divan oder gar für das Bett gekommen sei. Ich las das in seinem ironischen Blick und es irritierte mich von neuem. Ich hatte die größte Lust, ihn zu ärgern.

»Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?« fragte ich.

Er dachte einen Augenblick nach und gab dann zur Antwort: »Wenn die Wahrheit für mich sehr hart sein sollte, so sehne ich mich nicht darnach, sie zu erfahren. Sprechen wir lieber über Litteratur, Malerei oder Stadtneuigkeiten – ganz wie Sie wollen, aber verschonen Sie mich mit jenen schmerzlichen Dingen, die das Herz eines einsamen älteren Mannes auf's Tiefste verwunden.«

Er sagte das so einfach und aufrichtig, daß ich ganz gerührt wurde und ihm die Hand reichte. Er hielt sie fest, aber ohne sie zu streicheln oder zu küssen und drückte sie nur von Zeit zu Zeit, – ganz leise. Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Sein ritterliches Benehmen hatte mich völlig entwaffnet, und ich wollte ihm nicht mehr weh thun. Ich fühlte, daß in den Augen eines Mannes etwas von Falschheit in dem Benehmen einer Frau liegen mußte, die sich von ihm die Cour machen läßt, und mit dem versprechen, ihm anzugehören, auf ein Rendezvous eingeht und dann schließlich nur eine Tasse Thee bei ihm trinkt. Sie ist dann wenigstens verpflichtet, ihm ihr seltsames Benehmen zu erklären, wenn er zudringlich geworden wäre oder mir Vorwürfe gemacht hätte, nun, so hätte ich ihm einfach geantwortet: »Mein teurer Freund, die Sache liegt einfach so: ich habe mich nur aus Trotz und aus Langeweile mit Ihnen eingelassen. Anfangs hat die Sache mir Spaß gemacht, aber die Lust ist mir vergangen, und ich möchte mich wieder zurückziehen. Ganz offen gesagt, ich war entschlossen, mir einen Liebhaber zu nehmen, aber ich sehe jetzt ein, daß ich mich in mir selbst getäuscht habe. Es liegt mir eben nicht, oder, um mich richtiger auszudrücken (denn ich habe nach wie vor den stillen Wunsch, meinem Mann einen Streich zu spielen) Sie sind eben nicht der Rechte für mich.«

Damit wäre die Sache kurz und gut erledigt gewesen. Aber ich hätte es nicht fertig gebracht, diesen zartfühlenden Mann, dem ich noch dazu bei meiner Ankunft gleich eine solche Nerven- und Thränenscene gemacht hatte, in so brutaler Weise zu verletzen. Er hatte doch ein gewisses Recht darauf, ein zärtliches Entgegenkommen bei mir zu finden.


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