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Feldmarschmäßig

10.

Heute Nachmittag um ein viertel nach vier habe ich mein Rendezvous mit Mr. Duzart wegen der bekannten beschlossenen »Kleinigkeit«. Er hat eine eigene Wohnung für derartige Anlässe und in dieser Wohnung wird meine Tugend also ihren Todesstoß bekommen. Wie vielen Frauen mag dort schon dasselbe passiert sein? Ich habe ihm diese Frage vorgelegt – selbstverständlich ohne alle Bitterkeit, und er antwortete, ganz wie es sich gehörte: »Nun, mein Gott, ich will nicht leugnen, daß außer Ihnen, meine teuere Freundin, schon zweimal eine Person Ihres Geschlechts die Bekanntschaft mit meiner kleinen Junggesellenwohnung gemacht hat, aber das waren nur vorüberstreifende Zugvögel, deren Spur sowohl in meinem Hause, wie auch in meinem Gedächtnis längst verwischt ist. Im Stillen dachte ich bei mir: Ob ich wohl die erste bin, die diese schöne Rede zu hören bekommt. Seinen »Zugvögeln« hat er sie gehalten, so wie er es von mir eines Tages auch thun wird. Die Zeit wird kommen, wo auch ich nur ein vorüberstreifender Zugvogel für ihn gewesen bin.

Es ist noch ein erheiternder Umstand dabei: Die betreffende Garçonwohnung befindet sich Rue Demours Nr. 7, also in demselben Viertel wie die Rue de la Terrasse, wo mein Gatte sich sein Sündenparadies eingerichtet hat. Wenn unser Rendezvous nun einmal auf denselben Tag fiele? Könnte man sich etwas komischeres vorstellen, als eine Begegnung zweier schuldiger Ehegatten auf dem Trottoir der Avenue Villiers.

Es ist zwei Uhr nachmittags. Henri ist seinen Geschäften nachgegangen. Unser gemeinsames Frühstück verlief ganz heiter. Ich war ein wenig nervös (kein Wunder, nicht wahr?) und infolge dessen mehr zum plaudern aufgelegt wie sonst. Und dann, – nun, wie soll ich sagen? – empfand ich so eine Art von beinah feiger, rührseliger Zuneigung für meinen armen Mann, den ich ein paar Stunden später betrügen wollte. Ich war nervös und wäre beinah in Thränen ausgebrochen. Am Ende wäre ich dann sogar imstande gewesen, ihm alles zu gestehen; aber ich nahm mich zusammen und spielte die Tapfere. Ich war lustig, scherzte und lachte und trank Wein ohne Wasser. Jetzt, wo ich wieder allein in meinem Zimmer bin und mich eingeschlossen habe, muß ich mir offen eingestehen, daß es mit meiner Fröhlichkeit nicht weit her ist und daß das, was mir bevorsteht, mich absolut nicht lockt. Ja, wenn man dem Verführer so ohne weiteres in die Arme fallen könnte, ohne jedes Vorspiel und ohne selbst irgend was dazu zu thun, – wenn alle diese tausend kleinen Nebenumstände wegfielen, die die verbotene Liebe ins Banale und Lächerliche hinabziehen, dann würde ich jetzt vielleicht voll Wonne und Ungeduld den Zeiger meiner Uhr von Minute zu Minute vorrücken sehen. Könnte man sich doch wenigstens, wie bei einer Entbindung, chloroformieren und dem anderen die Ausübung der Rache allein überlassen.

Nein, Gott weiß, ich bin heute nachmittag nicht dazu aufgelegt. Ich gehe überhaupt nicht hin. Ich schicke ihm ein Billet: »Mein lieber Freund, seien Sie mir nicht böse. Ich fühle mich heute wirklich nicht wohl genug, um Ihnen den versprochenen kleinen Besuch zu machen. Seien Sie deswegen nicht ungehalten. Ich wäre so wie so nicht imstande gewesen, Ihnen etwas anderes zu sein, wie ein vollkommen korrekter Besuch. Und ich will es Ihnen gestehen, ich selbst trage gar kein Verlangen nach so viel Korrektheit.

Ich reiche Ihnen in Gedanken meine Lippen Zum Kuß.«                           S. –

So – und nun die Adresse:

Monsieur Duzart
7 Rue Demours.

Das wäre in Ordnung. Aber meine Nachricht wird nicht rechtzeitig in seine Hände gelangen. Einem Dienstmädchen mag ich sie natürlich nicht anvertrauen. Ich muß sie also selbst besorgen. Es wird drei Uhr sein, wann ich das Billet in den Kasten werfe. Gott weiß, wann es befördert und erst recht, wann es ausgetragen wird. Er wird vor Ungeduld in seiner einsamen Wohnung toben, wütend werden – er ist imstande, alles abzubrechen und überhaupt kein Lebenszeichen mehr von sich zu geben. Nun – und dann? was dann? Nein, das darf nicht geschehen, daß er mich fahren läßt. Meine Rache muß vollzogen werden, und ich habe keine Lust, die ganze Komödie mit irgend einem andern, der noch weniger Anziehungskraft für mich besäße, wie dieser, – jetzt, wo ich schon halb damit durch bin, noch einmal von vorne zu beginnen.

Meine Depesche liegt in vier Stücke zerrissen im Kamin. Nur nicht unvorsichtig! Ich suche die vier Fetzen wieder heraus und verbrenne einen nach dem anderen an der Flamme, die eben dazu gedient hat, meine Haare zu kräuseln.

Das Schicksal ist mit Mr. Duzart. Ich gehe.

Es giebt in der Toilettenfrage ein Gebiet, mit dem weder Schneider noch Weißnäherin etwas zu thun haben. Ach, ich bin nicht ganz zufrieden mit mir selbst, ich möchte noch hübscher sein. Ich glaube, die Tugend sehr vieler Frauen hat ihren Grund darin, daß sie die Hilfe des Schneiders und der Weißnäherin absolut nicht entbehren können und sich vor dem Eindruck fürchten, den ihre »Reize« auf den Gegenpart ausüben könnten. Nein, eine Dame der großen Welt in meinem Alter bietet wirklich keinen schönen Anblick, wenn sie etwa »en flagrant délit« ertappt werden sollte. Ich selbst gelte zum Beispiel allgemein für eine hübsche Frau, man sieht sich sogar auf der Straße nach mir um, und ich mache Furore im Theater und auf Bällen. – Und doch – wenn ich mich so wie jetzt eben im Spiegel betrachte – an Mr. Duzarts Stelle würde ich meine Zofe mir selber vorziehen – sie ist nicht schön, aber sie ist ein »junges Mädchen«, ein frisches Ding von neunzehn Jahren.

Man sollte allen Frauen, die über dreißig sind und Kinder gehabt haben, die Liebe einfach verbieten, ebenso wie den Männern mit embonpoint und kahlem Kopf.

Aber schließlich – die Rue Demours ist ziemlich düster, und ein wenig Schüchternheit wird das ihrige thun. Sorgen wir wenigstens dafür, daß der erste Eindruck einigermaßen befriedigend ausfällt und rüsten wir uns, so gut wie es geht, für den bevorstehenden Feldzug. Wie alle anderen Frauen aus unseren Kreisen (sie mögen nun behaupten, was sie wollen), so besitze auch ich drei nuanzierte Kategorien von Unterkleidern, nämlich:

Erstens: »Die legitime Gattin«. Hemden und Beinkleider von feinem Battist mit schmalen Valenciennesspitzen oder einfach festonniert. Alles sehr teuer, solide und bequem zum Tragen, damit man nicht zu befürchten braucht, es bei einer heftigen Bewegung zu zerreißen oder zerrissen von der Wäscherin zurückzubekommen. Aber allzu »chic« darf es nicht sein.

Zweitens: »Die kleine Caprice«. Die läßt man sich von seiner Kammerjungfer nähen, wenn man im Frühjahr, ohne recht zu wissen, warum, im Ausverkauf irgend einen verlockenden Stoff erstanden hat. Hemdchen, wie man sie als »junges Mädchen« trägt, von hellblau und rosa gestreiftem Halbleinen. Die Ehemänner haben ein besonderes Faible für diese Sachen und begeistern sich noch mehr dafür, wenn man ihnen sagt, daß sie fast gar nichts gekostet haben.

Drittens schließlich: »Die Cocotte«. Von dieser Sorte besitzen alle Frauen wenigstens ein paar. Einmal geben unsere Mütter uns welche mit zur Aussteuer und später kommt einem hier und da die Laune, sich so etwas machen zu lassen, wenn man im Bois zufällig einen Einblick in die Toilette einer Demimondaine thut, im Moment, wo sie aus ihrer Viktoria steigt, oder die Réjane in »Ma Cousine« auftreten sieht. Wenn wir fühlen, daß die eheliche Liebe zu erkalten beginnt, nehmen wir unsere Zuflucht zu diesen Hemden mit dem tief herabgehenden Spitzeneinsatz. Und am Abend kleidet man sich dann ganz langsam aus, um die Aufmerksamkeit des Gatten zu erregen. Ja wohl! ... Der liest ganz gemütlich seinen »Figaro« und blickt nicht einmal auf, wenn man dann ganz bescheiden zu äußern wagt: »Nun, wie gefallen dir meine neuen Hemden?« so sagt er vielleicht, ohne überhaupt hinzusehen: »Ganz nett!«

Wenn er nicht etwa die Stirn runzelt und brummt: »So etwas paßt sich nicht für eine anständige Frau.« Henri zum Beispiel erlaubte sich mir gegenüber diese geistreiche Bemerkung. So ein Idiot. Er verdient es wahrhaftig nicht, daß man sich seinetwegen soviel Mühe giebt. Aber für Mr. Duzart werde ich mich trotz alledem nicht »à la Cocotte kostümieren, wenigstens heute nicht. Womöglich würde er ebenso entrüstet darüber sein wie Henri. Nummero zwei ist auch nichts für diese Gelegenheit. Er könnte glauben, daß ich selbst nicht einmal wüßte, wie tollkokett dieses Unterzeug ist. – Nehmen wir also die legitimen, die Dessous der anständigen Frau, der »femme honnête«. Meine Eigenschaft als solche ist ja eigentlich das beste, was ich meinem Amant zu bieten habe.

Ein Viertel über drei.

Ich bin fertig, es ist Zeit zum Aufbruch.


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