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II

»Sie wollen also nicht abdanken? Sie haben einen neuen Plan?« –

Jude Duramberty lehnte sich in seinen Sessel zurück und lächelte ironisch.

Mlle. Heurteau dachte einen Augenblick nach:

»Eigentlich ist es nicht mein Plan. Friederike Sûrier hat den Vorschlag gemacht.«

»Ah wirklich? Also Mlle. Sûrier hat Sie zu mir geschickt?« –

»Vielleicht hätte ich das lieber nicht sagen sollen,« meinte Heurteau mit einem diskreten Lächeln. Aber ich hielt es für besser, Ihnen gegenüber völlig offen zu sein.«

»Sehr richtig. Sie sollen es nicht bereuen.«

»Also: die Sache ist so zugegangen: die Nachricht von dem finanziellen Ruin und dem Schlaganfall der alten Dame rief anfangs allgemeine Bestürzung hervor –«

»Nun, natürlich.«

»Einige von meinen Kolleginnen, wie z. B. Lea Sûrier, Daisy Craggs und die kleine Soubize – «

»Geneviève Soubize? Die Schlanke mit dem rotblonden Haar, nicht wahr?« unterbrach der Fabrikant.

»Ja, eigentlich ist sie ein hübsches Mädchen mit ihren schönen Augen und den graziösen Bewegungen, aber nervös und sensibel bis zum Exzeß – erbliche Belastung im höchsten Grade. – Ich fürchte sogar, daß Daisy an ernsten Nervenanfällen leidet, die sie vor uns verheimlicht.« –

»Aber sie ist entschieden anziehend,« erklärte Duramberty, »nun, und weiter.« –

»Alle diese nervösen Geister verloren also anfangs völlig den Kopf. Aber schließlich gelang es uns andren, Pirnitz, Friederike und mir, doch, die Truppen wieder zu sammeln. Dann wurde beraten, was zu thun sei.« –

»Ich bin sehr gespannt –«

»Friederike hat uns also zuerst die finanzielle Lage der Schule dargelegt. – Unsre Lage war, ehe die Katastrophe eintrat, die denkbar günstigste. Die Ausgaben sind weit geringer, als man allgemein annimmt. Ihnen verdanken wir es, daß wir keine Miete zahlen müssen. – Wir müssen zwar ziemlich hohe Steuern zahlen, aber dafür kommt uns die Beleuchtung billiger, da Sie so liebenswürdig waren, uns Ihre Dynamos zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen dafür also nur etwa 2600 Francs zu rechnen. Die Kosten für Bedienung sind auf ein Minimum reduziert, denn unsre Schülerinnen machen fast alles selbst, ausgenommen die schwere Hausarbeit. So zahlen wir an Lohn kaum 8000 Francs pro Jahr. Für die Ernährung und Bekleidung der unbemittelten Schülerinnen rechnen wir 25–26 000 Francs – das ist unsre größte Ausgabe. – Wir hatten im vorigen Jahr nur drei Schülerinnen, die Schulgeld zahlten, – 500 Francs pro Kopf. Die Differenz hat Mlle. de Sainte-Parade bestritten, ebenso den Gehalt der Lehrerinnen, der, wie Sie wissen, ziemlich niedrig ist, 1200 Francs jährlich. Rechnet man noch die Kosten für das Lehrmaterial hinzu, so kommen wir auf 50 000 Francs, die Mlle. de Sainte-Parade jährlich auszugeben hatte.« –

»Das ist sehr wenig,« fiel Duramberty ihr ins Wort, »ich hätte gedacht, mindestens 80 000. – Das muß ich sagen, die Administration verstehen Sie ausgezeichnet. – Nur weiter.« –

Die Sache interessierte ihn sichtlich.

»Auf diese Summe von 50 000 Francs können wir von jetzt an also nicht mehr rechnen,« – fuhr die Heurteau fort.

»Da bleibt Ihnen eben weiter nichts andres übrig, als Ihre Bilanz vorzulegen und auf die Leitung der Schule zu verzichten.« –

»Friederike ist andrer Ansicht. Sie hat vorgeschlagen, daß wir uns eben nur sparsamer einrichten. In erster Linie müssen mir Lehrerinnen für dieses Jahr auf unser Gehalt verzichten, womit wir uns einverstanden erklärt haben. Macht 8400 Francs. Ferner hat sie uns bewiesen, daß wir durch verschiedene kleine Einschränkungen des ganzen Betriebs noch 1100 Francs erübrigen können. Für das neue Schuljahr sind 30 Kinder aus vermögenden Familien angemeldet, wenn wir das Schulgeld nun auf 800 Francs erhöhen und auch nur die Hälfte der Neueintretenden darauf eingeht, so macht das wieder 5000 Francs, Das Defizit beträgt jetzt nur noch 25 000, Schließlich haben wir noch einen kleinen Fonds von 1300 Francs, den Mlle, de Sainte-Parade für Extraausgaben gestiftet hat.« –

»Es fehlen aber immer noch 12 000 Francs.«

»Aus unsren persönlichen Ersparnissen können wir immerhin noch 5000 zusammenbringen. Damit sind unsre Hilfsquellen allerdings erschöpft. Aber Sie werden zugeben müssen, wenn das Deficit nicht mehr als 6-7000 Francs beträgt, können wir dem nächsten Schuljahr doch mit einiger Zuversicht entgegensehen. Wenigstens ist Friederike Sûrier dieser Ansicht.«

Duramberty lächelte.

»Nun ja, darin hat sie schon recht. Für den Moment können Sie sich aus der Affaire ziehen, vorausgesetzt, daß Ihre Berechnungen wirklich stimmen. – Aber was dann? Im nächsten Jahre stehen Sie wieder vor demselben Problem, und Ihre Hilfsquellen werden sich um cirka 20 000 Francs vermindert haben.« –

»Friederike rechnet eben darauf, daß dieses Jahr uns neue erschließen soll. Wir erlassen einen Appell in allen Blättern der Frauenbewegung. – Außerdem haben wir im Notfall noch eine andre Hilfe in Aussicht.«

»Und das wäre?« –

»Pirnitz hat eine Freundin, Madame Sanz, die in London ein sehr gutgehendes Mädcheninstitut leitet. An die würden wir uns wenden, wenn es nicht mehr anders ginge, und sie würde uns ihre Hilfe sicher nicht versagen.« –

Beide schwiegen eine Zeit lang. Duramberty spielte nachdenklich mit seinem Federhalter, und Mlle. Heurteau betrachtete ihn mit ihrem eigentümlich scharfen Blick. –

»Sind Sie mit Mlle. Sûriers Plan einverstanden?« fragte er nach einer Weile.

»Er zeugt entschieden von Mut und zugleich von praktischem Sinn. Ich für meine Person hatte einen andren Vorschlag gemacht, der entschieden einfacher und sicherer gewesen wäre.«

»Darf ich fragen, worin derselbe besteht?«

»O gewiß. – Ich bitte Sie nur, meinen Kolleginnen gegenüber nicht davon zu sprechen. – Nach meiner Ansicht thäte man am besten, den Staat oder die städtische Verwaltung für unsre Schule zu interessieren, – selbstverständlich nur mit Ihrer Einwilligung – und einfach eine staatliche Gewerbeschule daraus zu machen, wie z. B. die von Boule. Die Unterrichtsmethode könnte ja trotzdem bis auf einige unbedeutende Kleinigkeiten beibehalten werden.« – »Aber natürlich,« fiel der Fabrikant ein, »das ist eine brillante Idee – das einzig Richtige.«

»Aber außer mir sind alle dagegen,« sagte Mlle. Heurteau.

»Warum denn?«

»Weil die Schule dadurch ihren »feministischen« Charakter verlieren würde. Ja, das Eingreifen des Staates fürchtet man bei uns wie die Sünde. – Unser Unternehmen würde dann eben unter männlicher Leitung stehen, und davon wollen die andren Damen nichts wissen.«

»Ja, ja, ich weiß schon,« erwiderte Duramberty. »Ihre Kolleginnen, vor allem Mlle. Pirnitz, übertreiben das Streben nach Unabhängigkeit aus einfach lächerliche Weise. Aber dadurch stoßen sie alle vor den Kopf, so z. B. neulich den Schulinspektor. Der Abbé Minot beklagt sich übrigens auch darüber, daß man so wenig Rücksicht auf ihn nimmt. – Wie denken Sie denn darüber, Mademoiselle?« –

»Ich glaube, man thut uns vielfach sehr unrecht. Aber trotzdem bedaure ich alle diese zwecklosen Übertreibungen. Die absolute Unabhängigkeit wäre selbstverständlich das Ideal. Aber meine Erfahrungen auf diesem Gebiet haben mich gelehrt, daß das, wenigstens in Frankreich, ein Ding der Unmöglichkeit ist.« –

»Darf ich Sie übrigens fragen, Mademoiselle, was Sie eigentlich heute hergeführt hat – da Sie den Status quo Ihrer Schule doch im Großen und Ganzen aufrecht zu erhalten gedenken?«

»Ja, das ist eben der brennende Punkt. – Ich glaube, Sie kennen die Schwierigkeiten unsrer Lage noch nicht in ihrem vollen Umfange – oder sollten Sie doch etwa? – «

»Sprechen Sie nur weiter.«

»Nun also: Sie haben uns das Terrain, auf dem jetzt die Schule steht, umsonst abgetreten und nur eine Kaution von 300 000 Francs dafür verlangt, die bei der Bank deponiert wurde. Unglücklicherweise hat nun die alte Dame, trotz Friederikens Bitten, die nötigen Schritte versäumt, um dieses Kapital sicher zu stellen. Es kann also möglicherweise zu einem Prozeß zwischen Ihnen und den Gläubigern kommen, da diese Anspruch auf das Depot erheben. – Wenn Sie nun auf diese Weise die von uns gestellte Kaution verlieren sollten – würden Sie dann nicht vielleicht doch gegen uns Partei nehmen?«

Jude Duramberty gab keine Antwort. Er schob seinen Stuhl zurück und ging ans Fenster.

Mlle. Heurteau blieb ruhig sitzen und wartete. Nach einiger Zeit wandte er sich und trat wieder an den Schreibtisch:

»Ich muß mir die Sache erst einmal überlegen. Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir entgegengebracht haben – Sie sollen es nicht bereuen. Wenn Ihre Kolleginnen ebenso vernünftig wären wie Sie!« –

Mlle. Heurteau erhob sich. Er hielt sie noch einen Augenblick zurück.

»Noch eins,« sagte er etwas zögernd – »ich glaube, es wäre ganz gut, wenn ich einmal mit Mlle. Sûrier selbst spräche. – O – es braucht ja nicht grade – hier zu sein. Aber ich könnte sie ja in der Schule aufsuchen. Glauben Sie, daß sie irgend etwas dagegen hat? – Es ist doch eigentlich ganz natürlich – «

»Aber gewiß,« sagte die Heurteau, ohne die geringste Überraschung zu zeigen.

»Es ist nur« – fuhr der Fabrikant, der seine Verlegenheit vergebens zu beherrschen suchte, fort – »ich möchte Mlle. Friederike gern unter vier Augen sprechen. Es wäre mir peinlich, wenn jemand bei unsrer Unterredung zugegen wäre.« –

»Ich kann es Friederike immerhin vorschlagen.«

»Darf ich also auf Sie rechnen, Mademoiselle? – Wollen Sie ihr begreiflich machen, daß es in ihrem eignen Interesse – im Interesse der Schule ist. – Ich bitte Sie darum.« –

»Ich werde mein Bestes thun!« antwortete Mlle. Heurteau mit unentwegter Ruhe.

»Welche Zeit würde denn am günstigsten sein?«

»Morgen nachmittag um halb drei ist Friederike mit ihren Stunden fertig.«

»Wenn Sie dann so freundlich sein wollen, ihr mitzuteilen, daß ich mich gegen vier Uhr einstellen werde, wenn ich keinen entgegengesetzten Bescheid erhalte.« »Ich werde es ihr ausrichten. Auf Wiedersehen, Monsieur Duramberty.«

»Auf Wiedersehen.«

Während sie die Treppe hinabstieg, stand Duramberty am Fenster, die Stirn gegen die Scheiben gepreßt, und suchte das Verlangen niederzuzwingen, das sich stürmisch in seinem Innern regte.

Friederike wunderte sich nicht weiter darüber, daß ihr einstiger Chef eine Unterredung mit ihr wünschte. Sie hatte schon seit einiger Zeit, seit die verschiedenen Katastrophen eingetreten waren, die Notwendigkeit dieser Begegnung vorausgesehen. Von all den Männern, die der Schule schaden konnten, war Duramberty immerhin der mächtigste und der intelligenteste. Und sie hielt es nicht für wahrscheinlich, daß er ihre einstige Weigerung, seine Geliebte zu werden, vergessen hatte, obgleich drei Jahre seitdem verflossen waren. Sie selbst hatte inzwischen mehr vom Leben kennen gelernt und beurteilte seine Handlungsweise nicht mehr so schroff wie damals.

»Pirnitz hatte recht,« dachte sie, »er ist in denselben Vorurteilen aufgewachsen wie alle andern Männer. Sein Anerbieten war brutal und egoistisch, aber immerhin aufrichtig. Vielleicht hat er mich auf seine Weise wirklich geliebt.«

Sie war fest überzeugt, daß er keine neue Annäherung wagen würde. Man würde sich einmal in aller Ruhe darüber aussprechen und sich freundschaftlich die Hand reichen. Und wenn er sah, daß sie ihm nichts nachtrug, konnte sie ihn vielleicht dazu bewegen, seinen Einfluß zu Gunsten der Schule zu gebrauchen. So entschloß sie sich also, ihn zu empfangen – die Unterredung fand in demselben Zimmer statt, wo Georg einst vor Pirnitz und den beiden Schwestern erschienen war, um seine Rechte auf Lea geltend zu machen.

Als Duramberty eintrat, reichte sie ihm unbefangen die Hand.

Seine aufrichtige Verlegenheit berührte sie sympathisch. Sie sah, daß er sich alle Mühe gab, die unangenehme Erinnerung an früher zu verwischen.

»Ich danke Ihnen von Herzen, Mademoiselle, daß Sie eingewilligt haben, mich zu empfangen,« – stammelte er.

Sie bat ihn, Platz zu nehmen, und sagte:

»Er ist mir sehr lieb, daß Sie in freundschaftlicher Absicht hergekommen sind. Mlle. Heurteau hat mir gesagt, daß Sie unsrer Sache mit Interesse und Wohlwollen gegenüberstehen.« –

Dann schilderte sie ihm die Lage der Schule, die durchaus nicht so verzweifelt war, wie man annahm.

»Ich bin fest überzeugt, daß wir im Laufe des Jahres die nötigen Kapitalien auftreiben werden. Es handelt sich also nur um die Kaution. Wir verlangen nichts weiter von Ihnen, als daß Sie uns unsre Lage nicht erschweren, daß Sie uns nicht zwingen, das Kapital zu ersetzen, wenn die Gläubiger es wirklich angreifen sollten, daß Sie keinen Prozeß mit uns anfangen. Was riskieren Sie denn dabei? Das Grundstück mit allen Gebäuden, die darauf stehen, bleibt doch immer Ihr Eigentum.«

Duramberty war mit respektvoller Aufmerksamkeit ihren Worten gefolgt.

»Sie werden sich vielleicht entsinnen,« sagte er dann, »daß unsrem Kontrakte gemäß alle Verbindlichkeiten meinerseits aufhören, sobald keine Kaution mehr vorhanden ist.«

»Ja, das weiß ich,« entgegnete Friederike, »aber ich kann mir nicht denken, daß Ihnen daran liegt, unser Unternehmen zu ruinieren.«

»Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie in keinem Falle expropriieren werde.« –

»So habe ich also recht gehabt, wenn ich auf Ihre Großmut rechnete.« –

Sie reichte ihm die Hand und blickte ihn an. Er war in den letzten zwei Jahren sichtlich gealtert. Ein sorgenvoller Zug lag um seinen Mund.

»Sie wissen, daß ich jederzeit zu Ihren Diensten stehe,« sagte er etwas unsicher.

Friederike fühlte wohl, daß er von der Vergangenheit sprechen wollte. Und sie sah keine Gefahr darin, sie wünschte es sogar, damit die Situation einmal klargestellt würde. So sagte sie denn:

»Ich hege keinen Groll gegen Sie.«

»Ist das wahr?«

»Ja. – Ich bin fest überzeugt, daß Sie es bedauern, mich damals so gekränkt zu haben, und daß Sie es nicht wieder thun würden. Ich will es von jetzt an vergessen. Nehmen Sie an, daß Sie mir von damals eine Genugthuung schuldig sind und tragen Sie diese Schuld ab, indem Sie mein Lebenswerk unterstützen.«

Er sprach das »Ja« nicht aus, das sie erwartet hatte. Er war so von seinen Gedanken in Anspruch genommen, daß er kaum hörte, was sie sagte.

»Wollen Sie mir erlauben, eine Frage an Sie zu richten?« fragte er dann plötzlich.

Friederike nickte bejahend.

»Ich habe oft und viel über jenen Vorfall nachgedacht, auf den Sie eben anspielten, und ich bin streng mit mir selbst ins Gericht gegangen. Soviel ist gewiß, ich habe mich damals dumm und brutal benommen. Meine einzige Entschuldigung, – wenn überhaupt von einer solchen die Rede sein kann, – ist, daß ich zu jener Zeit glaubte, die freie Liebe gehöre zu den Grundprinzipien der Frauenbewegung. Ihre Entrüstung hat mich eines andren belehrt. Ich habe mich von da an für die Sache interessiert, ich habe darüber gelesen und sie im praktischen Leben studiert. Natürlich habe ich meinen Irrtum bald eingesehen.«

Er sprach langsam, und es kostete ihn sichtlich eine gewisse Überwindung. Friederike folgte seinen Worten mit Interesse.

»Ich gebe zu,« fuhr er fort, »daß ich meiner Bewunderung für Sie in einer Weise Ausdruck gab, die Sie verletzen konnte. Aber meine Bewunderung an sich war doch nichts Beleidigendes. Sie können mir doch nicht darüber zürnen, daß ich mein Leben gern mit Ihnen geteilt hätte.« –

»Das ist wahr,« sagte Friederike, »ich bin damals vielleicht etwas reichlich schroff gegen Sie gewesen. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß ich noch sehr jung war.«

»O, Sie sind seitdem nicht viel älter geworden,« meinte Duramberty lächelnd.

»Aber ich habe das Leben besser kennen gelernt.«

Duramberty blickte sie einen Augenblick erstaunt an. Dann fuhr er fort:

»Sie geben also zu, es lag keine Kränkung für Sie darin, daß ich Sie bewunderte, daß ich gern mit Ihnen zusammengelebt hätte? – Ich habe es Ihnen in einer ungeschickten Form gesagt – gewiß, – Aber wissen Sie, was mich am meisten quält: der Gedanke, wenn ich mein Anerbieten weniger brutal vorgebracht, wenn ich ihm eine korrektere Form gegeben hätte, so wäre ich vielleicht nicht zurückgewiesen worden. – – Verstehen Sie, was ich meine?« fügte er leise hinzu.

Friederike fing an zu verstehen. Und ihr wurde etwas beklommen zu Mute. Wenn auch bis jetzt nur von der Vergangenheit die Rede war, wie sollte sie ihm antworten, ohne ihn zu verletzen? Er begegnete ihr mit solcher Aufrichtigkeit und zugleich mit solchem Respekt, und außerdem war er derjenige, von dem das Schicksal abhing.

»Sowohl meine Schwester wie ich waren von jeher fest entschlossen, überhaupt nicht zu heiraten,« antwortete sie langsam, »und damals, als – als Sie mir jenes Anerbieten machten, stand unser Entschluß fester als je. Wir hatten uns zu jener Zeit schon mit Romaine Pirnitz und Mlle. de Sainte-Parade zusammengethan und waren uns klar darüber, daß Romaines Unternehmen unsre ganze ungeteilte Kraft verlangte.« –

»Wenn ich nun aber um Ihre Hand angehalten hätte?«

»So hätte ich nein gesagt.«

»Und meinen Antrag als Beleidigung aufgefaßt?«

»Nein, das gewiß nicht. – Aber das Resultat wäre dasselbe gewesen. Lea und ich hätten unsre Stellung bei Ihnen aufgeben müssen. – – Lassen Sie uns jetzt also einen Strich darunter machen. Wir wollen einander nicht nachtragen, was einer dem andern, ohne es zu wollen, zu Leide gethan hat.«

Durambertys Gesicht verdüsterte sich immer mehr, während sie sprach.

»Noch eine Frage,« sagte er dann. »Sie sagten eben: Romaine Pirnitz' Unternehmen erforderte unsre ganze Kraft, und dieser Umstand bestärkte uns in dem Entschluß, nicht zu heiraten. – Soll ich daraus schließen, daß das Schicksal Ihrer Schule Sie auch jetzt noch in dieser Absicht beeinflußt?« –

Friederike schwieg. Sie ahnte, daß es wieder einen ernsten Kampf zwischen diesem Manne und ihr geben würde. Und diesmal stand das Schicksal ihres Lebenswerkes auf dem Spiel. –

Durch ihr Schweigen ermutigt, fuhr er fort:

»Ich weiß, daß es eine indiskrete Frage ist, aber glauben Sie mir, daß nur das aufrichtige Interesse an Ihnen und Ihrem Leben mich dazu getrieben hat, sie zu stellen. Ich teile Ihre Begeisterung für Romaine Pirnitz' Unternehmen nicht, und ich finde es einfach ungeheuerlich, daß Sie Ihre ganze Jugend dafür hinopfern. Denn Sie dürfen sich nicht darüber täuschen: Ihre Schule hat keine Zukunft, Es giebt nur einen Ausweg, sie zu retten, ich werde Ihnen gleich sagen, worin er besteht. – Sie ahnen ja nicht, mit welcher Feindseligkeit man Ihr Unternehmen betrachtet, und was man Ihnen alles vorwirft. Von niemand abhängig sein zu wollen, ist ein sehr schöner Standpunkt, das ist aber nur dann möglich, wenn man bedeutende Mittel zur Verfügung hat. Und das ist bei Ihnen nicht der Fall. Man weiß, daß die Schule finanziell ruiniert ist, und jetzt läßt man seiner Gehässigkeit freien Lauf. Der Klerus verkündigt in den Blättern, daß Ihr System unmoralisch ist und auf Anarchismus beruht. Die Schulbehörde schreit über die Unwissenheit Ihrer Schülerinnen, die der Inspektor neulich konstatiert haben will. Über Ihren sittlichen Standpunkt gehen die schlimmsten Gerüchte. Es heißt, Sie hätten eine Hebamme angestellt, um die Kinder in Dingen zu unterrichten, die man ihnen lieber fernhalten sollte, und um – die Lehrerinnen vor den Folgen ihrer Ausschweifungen zu schützen. – Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese niederträchtigen Verläumdungen wiederhole, aber ich halte es für besser, Ihnen gegenüber völlig offen zu sein.« –

»Mein Gott, wie erbärmlich,« sagte Friederike.

»Gewiß, es ist erbärmlich. – Aber man führt alle möglichen Thatsachen an. – Eine von Ihren Kolleginnen soll die Anstalt verlassen haben, um mit einem Kunstschreiner zusammen zu leben.«

»Das ist nicht wahr,« protestierte Friederike. »Duyvecke Hespel ist das anständigste Mädchen von der Welt – sie hat das Kind jenes Mannes mit größter Aufopferung gepflegt. Sie wird ihn heiraten, aber ich bin fest überzeugt, daß bis dahin – «

»Das glaube ich Ihnen ja gern. Aber jeder andre wird einfach darüber lachen, wenn Sie es ihm erzählen.

»Nun, Sie werden von allen Seiten beschuldigt. Wenn Ihr Unternehmen unbekannt geblieben wäre, hätte man Sie in Ruhe gelassen. Da Sie aber mit Ihren Bestrebungen Erfolg gehabt haben, verbündet sich alles gegen Sie, Die Frauenbewegung hat bei uns zu Lande noch keinen Anklang gefunden. Kein Mensch wird Ihre Partei ergreifen. Alles ist gegen Sie, und Sie werden in diesem Kampfe den Kürzeren ziehen. – Das liegt auf der Hand. – Warten Sie nur das nächste Schuljahr ab.« –

»Aber es haben sich schon über dreißig neue Schülerinnen angemeldet, die alle den bemittelten Kreisen angehören,« wandte Friederike ein.

»Bis jetzt, ja. Aber bedenken Sie, daß man immer weiter gegen Sie agitieren wird. Warten Sie nur ab, wie viele von diesen Anmeldungen noch zurückgezogen werden. – Sie sind in einem Irrtum befangen, dessen Tragweite Sie gar nicht ahnen. Es ist absolut ausgeschlossen, daß ein Unternehmen wie das Ihre ohne den Beistand eines intelligenten und energischen Mannes sich gegen den Ansturm all dieser feindlichen Mächte halten kann.« –

Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort:

»Es liegt mir völlig fern, mich dessen rühmen zu wollen – aber wenn ich nicht gewesen wäre, hätten die Feindseligkeiten gegen Sie schon längst begonnen. – Aber es ging das Gerücht – und ich gestehe, daß ich es nicht dementiert habe – ich interessierte mich für Sie und Ihre Schwester, – ich sei Ihr ›Protektor‹, um die Sache beim richtigen Wort zu nennen. – Nun, und das genügte, um Sie vor Angriffen zu schützen, – – Sie ersehen daraus, was der Einfluß eines Mannes in unsrer heutigen Gesellschaft bedeutet.«

»Darin mögen Sie recht haben,« antwortete Friederike. »Ja, der Mann ist allmächtig, ihm stehen ganz andre Waffen zu Gebote als uns. Aber wie dem auch sei, wir werden weiter kämpfen. Und außerdem wüßte ich auch nicht, an wen wir uns wenden sollten. Welcher Mann würde unsre Partei ergreifen und doch gleichzeitig unsre Ideen respektieren?«

»Ich weiß einen, der das thun würde,« antwortete Duramberty – »und dieser Mann wäre ich selbst. Ich wäre bereit gewesen, Ihnen nicht nur durch diese Neutralität – die allein schon genügt hat, Sie bis jetzt vor Anfeindungen zu schützen – sondern mit Rat und That zu helfen. Ich habe verschiedentlich versucht, Ihnen das nahezulegen, aber Sie gaben mir zu verstehen, daß Sie meiner Hilfe nicht bedurften. – Wie oft habe ich am Fenster gestanden und auf den Hof hinabgeblickt, habe ich jede Bewegung Ihrer hohen, schlanken Gestalt verfolgt, wenn Sie mit Ihren Kolleginnen sprachen oder die Kinder beaufsichtigten. Aber Sie sahen nicht ein einziges Mal herauf – nach diesem Hause, wo Sie doch Jahrelang nur Freundschaft und Wohlwollen erfahren haben – das Sie um jenes leidigen Vorfalls verließen – den unter hundert Frauen kaum eine so streng beurteilt haben würde wie Sie.« Friederike fühlte, daß er tief bewegt war, und doch gab er sich sichtlich Mühe, kein Wort zu sagen, das sie hätte verletzen können. Sie wunderte sich über ihre eigene Ruhe und dachte:

»Wie hat meine Anschauungsweise sich verändert. Ich kann ihn jetzt vollkommen verstehen in allem, was er sagt. – Er thut mir sogar leid – ich habe inzwischen ja selbst erfahren, was leiden heißt. – Ich weiß, wie schwer es ist, seine Gefühle zu bekämpfen.«

Dann fuhr er fort:

»Stellen Sie sich vor, was für ein Leben ich während dieser zwei Jahre geführt habe. Das ist keine Redensart, o nein, ganz gewiß nicht. Wie oft habe ich mich selbst ausgelacht, daß ich so wenig Herr meiner selbst bin. Aber wenn eine innere Stimme einem sagt: diese Frau steht weit über allen andren Frauen, und dein Lebensglück hängt davon ab, wie sich deine Beziehungen zu ihr gestalten – so hilft alles nichts. Ich habe mich dagegen gewehrt, ich wollte es nicht glauben, und doch fühlte ich, daß es so war. Meine Sehnsucht nach Ihnen ist weder sentimental noch krankhaft – aber ich weiß, ich fühle es mit Bestimmtheit, daß ich nur bei Ihnen Ruhe finden kann. – Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich dasselbe thörichte Ansinnen wie damals an Sie stellen werde. Ich denke jetzt selbst anders über diese Dinge, ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich meinem Leben einen festen Halt geben muß. Nein, sagen Sie nichts, sagen Sie nicht nein – hören Sie mich an. – Ich stelle dem Unternehmen, für das Sie leben, dem Sie Ihre ganze Jugend geopfert haben, meinen Einfluß zur Verfügung, der, wie Sie wissen, hier in Saint-Charles ausschlaggebend ist – ohne irgendwie in die Angelegenheiten der Schule eingreifen zu wollen. Ich biete Ihnen meine thatkräftige Unterstützung an – und gleichzeitig meinen Namen. – – Nein, unterbrechen Sie mich nicht. – Sie haben mir vorhin gesagt, daß ein derartiges Anerbieten in Ihren Augen nichts Beleidigendes hätte. Ich flehe Sie an, mich nicht zurückzuweisen. Ich kann so nicht weiter leben, in Ihrer nächsten Nähe, und doch ohne Sie. Wenn Sie nicht die Meine sein wollen, so ist es mir lieber, daß Ihre Schule vom Erdboden verschwindet. Warum wollen Sie nicht ›ja‹ sagen? Sie sind niemand Verantwortung schuldig, als sich selbst. Warum wollen Sie nicht für sich selbst das gleiche Recht in Anspruch nehmen, das Sie doch jener Duyvecke Hespel zugestehen. Machen Sie sich frei – Sie dürfen diesen Schritt mit umso besserem Gewissen thun, als er für Ihre Schule die Rettung bedeutet. – Ich werde in keinem Falle irgendetwas gegen Sie unternehmen, aber wenn Ihre Antwort meine Hoffnungen für immer zerstört, so werde ich ruhig zusehen, wie Ihre Schule dem unvermeidlichen Untergange entgegengeht. – Ich mache keinen Anspruch auf Heroismus. – Sagen Sie mir nur, daß Ihnen mein Vorschlag nicht von vornherein unannehmbar erscheint. – Sie lieben mich nicht – nun gut – aber ich weiß, daß meine Thätigkeit Ihnen Achtung abnötigt. Wir verstehen uns in unsren beiderseitigen Interessen, und ist das nicht im Grunde viel wichtiger? Überlassen Sie es mir, Sie zu gewinnen. – Und wenn Sie Mutter werden, wird die Liebe zu Ihren Kindern Ihnen auch Liebe zu Ihrem Gatten einflößen.

Glauben Sie mir, ich zeige Ihnen den Weg, der für Sie der beste ist. – Ich hege eine so aufrichtige Bewunderung für Sie, ich achte Sie so unendlich hoch. Sie würden sich an meiner Seite gewiß nicht unglücklich fühlen.«

Es sprach eine solche Wärme aus allem, was er sagte, daß Friederike fast gerührt wurde. – Unwillkürlich mußte sie an Georg Ortsen denken, an ihr geschwisterliches Zusammenleben in London. – Sie hatte an sich selbst erfahren, wie qualvoll es ist, in der Nähe eines Menschen zu leben, den man sein eigen nennen möchte und der einem doch nicht angehören kann, nicht angehören will. Der Ton Durambertys rief einen Widerhall in ihrem eignen Herzen wach. Und das stimmte sie milder gegen ihn.

Sie schwieg, weil sie nicht die rechten Worte finden konnte, um ihm zu antworten. Der Gedanke, seine Stimmung im Interesse der Schule auszunützen, kam ihr keinen Augenblick in den Sinn. Aber trotzdem fühlte sie mit Schrecken, daß in diesem Moment alles von ihr abhing, denn sie sah wohl ein, das; er recht hatte: nur sein Einfluß war imstande, die drohenden Angriffe der feindlichen Parteien zum Stehen zu bringen. –

Er glaubte, ihr Schweigen zu seinen Gunsten deuten zu dürfen, und fuhr fort:

»Ich verlange nicht, daß Sie jetzt gleich irgend einen Entschluß fassen sollen. Sagen Sie mir nur, daß Sie es sich überlegen wollen. Sein Sie gut – nehmen Sie mir nicht von vornherein alle Hoffnung – erlauben Sie mir, Sie manchmal aufzusuchen, unsre einstigen Beziehungen wieder zu erneuern. – Denken Sie daran, wie traurig und einsam mein Leben ist – allein, immer allein.« –

Seine Stimme zitterte bei diesen Worten. Der starke, selbstbewußte Mann vermochte seine Bewegung kaum zu beherrschen. Seine Augen wurden feucht.

Ihr Gefühl empörte sich dagegen, ihm wehe zu thun. So sagte sie rasch entschlossen:

»Mich aufsuchen? Warum nicht. Es wird mir immer Freude machen, mit Ihnen zusammen zu kommen, das wissen Sie. – Wir haben uns ja immer gut verstanden.«

»So darf ich denn hoffen –,« sagte Duramberty mit tiefer Erregung. –

»Nein. – Ich will Ihnen keine peinliche Enttäuschung bereiten – ich werde niemals heiraten. Aber ich sage Ihnen noch einmal, dieser Entschluß beruht nicht auf persönlichen Gründen. – Sie wissen, daß ich mich vor mir selbst dazu verpflichtet fühle. – Warum zwingen Sie mich dazu, Ihnen eine Antwort zu geben, die Sie hätten voraussetzen können?« –

Duramberty saß regungslos und schien darauf zu warten, daß sie weitersprechen würde. Dann sagte er in völlig verändertem Ton:

»Ist es – ist es eine Art Gelübde, das Sie abgelegt haben?« –

»Nein, es ist ein freiwilliger Entschluß – ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

Wieder entstand eine Pause. Dann fragte er, und seine Stimme klang wieder beinah gebieterisch:

»Wenn Sie nun aber durch Ihre Heirat eben dieser Sache nützen könnten, die Ihnen so sehr am Herzen liegt? Und das ist der Fall. Sie können ihr momentan keinen größeren Schaden zufügen, als wenn Sie auf Ihrem Entschluß beharren.« –

»Das ist möglich,« antwortete Friederike, »aber wer weiß denn heute, wie sich die Zukunft gestalten wird? Meine Freiheit ist das einzige positive Gut, das ich in den Dienst unseres Werkes stellen kann. Es wäre Verrat an demselben, wenn ich mich verheiratete. – Aber ich hoffe, Sie werden so großmütig sein, andre, Unschuldige, nicht dafür büßen zu lassen.«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nichts thun werde, um den Ruin der Schule zu beschleunigen. – Ich werde mich einfach nicht mehr dafür interessieren – nicht etwa aus persönlichem Groll, sondern weil es mir dann peinlich sein würde, noch fernerhin mit diesem Hause in Verbindung zu stehen.

– Aber ich verspreche Ihnen, daß ich nie Ihr Feind sein werde.« –

»Ich danke Ihnen,« sagte Friederike. Sie fühlte instinktiv, wie der dumpfe Zorn über seine Niederlage allmählich in ihm aufstieg.

»Gestatten Sie mir noch eine Frage – es soll die letzte sein.«

Friederike neigte bejahend den Kopf.

»Sie sprechen von einem Gelübde, von einer Art innerer Verpflichtung, die es Ihnen unmöglich macht, zu heiraten. Sie sagen, Ihr Entschluß hätte nichts mit persönlichen Empfindungen zu thun. Ich glaube, daraus schließen zu dürfen, daß Sie noch keinem Manne gegenüber den Wunsch empfunden haben, Ihr Leben mit ihm zu teilen.«

Friederike dachte einen Augenblick nach.

»Nein, ich habe noch nie daran gedacht, zu heiraten, und werde auch nie daran denken.« –

»Ich bitte Sie,« sagte Duramberty mit gedämpfter Stimme – »ich weiß, daß meine Frage sinnlos ist, aber ich bitte Sie, antworten Sie mir – ich werde deshalb keinen Groll gegen Sie empfinden – sondern mich stillschweigend in mein Schicksal ergeben.

– Haben Sie noch nie einen Mann geliebt?« – Friederike gab keine Antwort. Dann, als das Stillschweigen anfing, unerträglich zu werden, sagte sie nur:

»Ich werde mich nie in meinem Leben verheiraten.«

Duramberty sagte kein Wort mehr. Er verbeugte sich nur und ging. Sie begleitete ihn bis an die Thür.

Dann blieb sie eine Zeit lang nachdenklich mitten im Zimmer stehen. Warum hatte sie es nicht über sich gebracht, ihm die Antwort zu geben, nach der ihn verlangte, zu sagen: Nein, ich habe noch keinen Mann geliebt? –

Ihr Schweigen mußte für ihn ebenso viel bedeuten wie ein Geständnis. Als Feind war er von ihr geschieden.

Dann erschienen Pirnitz und Lea. Sie hatten Duramberty fortgehen sehen.

»Endlich ist er fort,« rief Lea, »ich habe solche Angst um dich gehabt.«

»Wie ist Ihre Unterredung denn abgelaufen?« fragte Pirnitz.

»Es ist geradezu sinnlos – er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.«

»Nun, und?« –

»Selbstverständlich habe ich nein gesagt – und ich glaube, er ist ziemlich erbittert darüber fortgegangen.«– »Er wird uns von jetzt an nur noch schaden,« sagte Lea.

Dann schwiegen sie alle drei eine Zeit lang, von trüben Ahnungen erfüllt.

»Ach,« sagte Pirnitz plötzlich mit einer Schärfe, die man sonst nicht an ihr gewohnt war? »die Männer sind alle gleich, es ist immer dasselbe uralte Gesetz, das sie uns aufzwingen wollen: er soll dein Herr sein – oder dein Feind.« –


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