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VI

»Meine hochverehrte Mlle. Romaine, es wird mir unendlich schwer, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Ich habe solche Angst, daß Sie schlecht von Ihrer armen Duyvecke denken könnten – – und gleichzeitig habe ich Angst, Ihnen wehe zu thun. Aber was soll ich thun? Mein Gott, was soll ich thun? Der Augenblick ist gekommen, wo ich mich entscheiden muß. Sie waren von jeher so gut gegen mich – verdammen Sie mich auch jetzt nicht! Nein, ich war nicht würdig, zu den Auserwählten zu gehören, die Sie um sich versammelt haben. Ich bin ein ganz gewöhnliches kleines Frauenzimmer, das nur für ein bescheidenes alltägliches Schicksal bestimmt war. Die Chancen, die das Leben mir durch Sie geboten hat, waren zu glänzend für mich.

Aber ich will Ihnen gegenüber ganz offen sein, Mlle. Romaine: ich bin in Wahrheit nicht unglücklich über meinen Entschluß. Im Gegenteil, ich fühle mich ruhiger, seit ich ihn gefaßt habe. Der Gedanke, daß Gaston durch meine Schuld kränker werden oder gar sterben könnte, hätte mir keine Ruhe gelassen. Und auch sein Vater hätte mir zu leid gethan. Er hat nicht versucht, mich zu überreden, o nein, er sagte mir: der Kleine wird daran zu Grunde gehen. Aber ich sehe nun, daß Sie nicht anders können. –

Aber während ich so mit ihm zusammen am Bett des Kleinen saß, den das Fieber immer heftiger schüttelte – – da wurde mir klar, daß ich dableiben mußte, daß es so für alle Teile am besten wäre. Selbst für die Schule – denn Sie verlieren nicht viel an mir. Ich kann doch nicht so wie Sie, Mlle. Romaine, oder wie Heurteau und Friederike zu den jungen Mädchen sprechen und auf sie einwirken. –

Das habe ich schon lange gefühlt. Und ich suchte mir darüber klar zu werden, woran das lag. Ich glaube, ich weiß es jetzt: es kam daher, daß ich Ihre Ideen im Grunde doch nie ganz verstanden habe. Ich wollte mich so gerne für sie begeistern, wie alle die andren, – weil ich Sie so lieb hatte – aber ich hatte immer das Gefühl, daß etwas in meinem Innern ihnen widersprach.

Eine innere Stimme sagte mir: Das Beste auf der Welt ist schließlich doch, eine Familie zu haben, einen Mann, mit dem man alles teilt, und möglichst viele Kinder, für die man sorgen darf. Als Rémineau mir seine Ideen über diesen Punkt entwickelte – da fühlte ich, daß er recht hatte, obgleich ich anfangs versuchte, ihn von Ihren Ansichten zu überzeugen.

Und gestern hat er endlich den Mut gefaßt, mir zu sagen: ›Mlle. Duyvecke, ich bitte Sie, werden Sie meine Frau. – Ich bitte Sie nicht um meinetwillen – denn ich bin nur ein schlichter Arbeiter, und Sie stehen weit über mir – aber um des Kleinen willen. Denn er stirbt, wenn Sie uns verlassen. – Sie dürfen nicht wieder von uns fort, Mlle. Duyvecke, und Sie können auch nicht bei uns bleiben, wenn Sie nicht meine Frau werden.‹

Als er so zu mir sprach, in seiner bescheidenen und festen Weise, da kam es plötzlich wie eine große Erleuchtung über mich. Ich schwöre Ihnen, Mlle. Romaine, ich habe früher nie daran gedacht, Rémineau zu heiraten – und – Sie werden mich gewiß für sehr dumm halten – ich habe auch nie gemerkt, daß er es gern wollte. Der Gedanke daran lag mir so völlig fern. Aber als Rémineau so mit mir sprach, fühlte ich plötzlich, daß er mich schon lange liebte, und daß ich ihn auch liebte – daß es mein wahrer Beruf sei, dem armen kleinen Gaston eine zweite Mutter zu werden und dann auch selbst Kinder zu bekommen.

Sie dürfen mich nicht verachten, meine teure Meisterin, denn das würde mich ganz unglücklich machen. Und ich habe jetzt wirklich das Bewußtsein, daß es das einzige Rechte für mich ist. Ich kann mir nicht denken, daß Sie Ihre arme Duyvecke jetzt nicht mehr sehen wollen, die Sie von ganzem Herzen liebt und verehrt. Ich wünsche nichts mehr, als Ihnen und Ihrer Schule auch fernerhin nützlich sein zu können. Und Rémineau denkt ebenso.

Ich bitte Sie, schreiben Sie mir, daß Sie mir nicht böse sind, weder Sie, noch Mlle. Heurteau und all die andren Damen. Wenn Sie mir nicht antworten, werde ich es nie wieder wagen, Ihnen vor die Augen zu treten. – Aber ich bitte Sie, thun Sie es. Erst dann kann ich mich vollkommen glücklich fühlen.

Sie werden für Ihre Schule gewiß eine andre Lehrerin finden, die gescheiter ist als ich und Ihren Ideen besser dienen kann. – Aber Rémi und Gaston werden keine andre Frau und Mutter finden. Sie haben niemand als mich, Mlle. Pirnitz, und wenn ich nicht bei ihnen bliebe, würden sie beide ganz verzweifelt sein.

O, sagen Sie mir nur ein Wort, daß Sie mir verzeihen, und daß ich nicht schlecht gehandelt habe.

Ihre Sie liebende und verehrende
Duyvecke.«


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