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V
Schicksale

 

In allen Creaturen flammt das Feuer.

Novalis

 

Columbus

Ich entsinne mich eines alten Stiches, auf dem man Columbus aufrecht dastehen sieht, eine Papierrolle – wahrscheinlich eine Erdkarte Battista Beccarios, Andrea Biancos oder Martin Behaims – in der Hand haltend. Er schaut nachsinnend und melancholisch ins Weite, und seine Begleiter scharen sich kniend um ihn, heben die Hände zu ihm empor wie zu einem Gott und küssen den Saum seines Gewandes. Es muß eine große Bewegung gewesen sein, die durch sein Herz ging, als der Matrose Rodrigo »Land« gerufen hatte. Dachte der kühne Genuese in diesem Augenblick daran, daß er nun Vizekönig würde, Träger der höchsten spanischen Würden, unermeßlich reich, unumschränkt mächtig? Hing seine Seele wirklich am Golde? Oder fühlte er, daß die Erweiterung des räumlichen Horizonts unabweisbar auch die Erweiterung des geistigen Gesichtsfeldes nach sich ziehen mußte? Daß dem Volke, welches diesen Sieg errang, der Stempel geistiger Reife aufgedrückt wurde, daß seine Machtsphäre ein größeres Gebiet gewinnen und demgemäß auch seine politische Bedeutung wachsen würde?

In der Tat fällt mit der Entdeckung des neuen Weltteiles auch die Entdeckung des Menschen und seines Seelenlebens zusammen und die Entdeckung des himmlischen Firmamentes. Man erinnere sich, daß Columbus der Zeitgenosse der größten Renaissancemenschen war, der Raffael, Leonardo da Vinci, Tizian, del Sarto, Fra Bartolommeo, Michelangelo, Pico della Mirandola, Benvenuto Cellini, Ariost, Tasso, Dürer, Luther, Savonarola, Kopernikus, Machiavelli, Vasco da Gama, und daß dies nur einige von jenen Gestirnen waren, die in den Tagen des Columbus den Erdball erleuchteten! Sie bestätigen den Satz, daß das Genie nur unter Gleichgenialen sich ausleben und zu seiner vollen Höhe emporrecken kann.

Sich ein neues und großes Weltbild zu schaffen, alle Schranken des Geistes niederzureißen, ist die eigentliche Leitidee der columbischen Zeit. Die Erde ist plötzlich zu klein für die Expansion der erwachten Kräfte.

Andererseits darf man nicht vergessen, daß das Denken des ganzen Mittelalters theologisch war. Es ist zwar nicht ganz so finster und wüst, wie man vielfach glaubt, aber es ist doch noch reich an Aberglauben und aufreizenden Phantastereien. Feurige Kometen sind Fingerzeige Gottes; es regnet Blut, und das bedeutet Krieg oder Pest. Sonderbare Stubengelehrte sind als Hexenmeister verschrien, Alchymisten sind Zauberer und Teufelsknechte. Jede Nebelbank ist ein unbekanntes Land; natürlich ein reiches und gesegnetes Land. Ich sage: nur in einer Zeit, wo jeder Kopf voll kräftiger Phantasien steckt; wo man bereit ist, an die Wunder von Tausendundeine Nacht und besonders an die der Bibel zu glauben wie an Gott; wo die Vernunft fast gänzlich von faustischem Sehnen gepackt und durchtränkt scheint; wo man mehr denn je an seine Gottähnlichkeit glaubt, – nur in einer solchen Zeit ist die Gestalt eines Columbus denkbar.

Es sind die plumpen Märchen der Matrosen, von denen Columbus die Anregungen zu seinen Entdeckungsreisen empfängt. Wenn Schiffersagen aber schon solch ein Zündstoff für seine Seele sind, wird Pierre d'Aillys Compilatorium »Imago mundi« (1410) ohne Zweifel sein Katechismus. Denn Columbus ist ebenso autoritätsgläubig wie enthusiastisch, ebenso phantasievoll wie abenteuerlich. In Pierre d'Ailly findet er alle fabelhaften Vorstellungen, die Aristoteles und Seneca, Plinius und Ptolemäus, Osorius und Isidorus, Averroës und Augustin und eine Reihe anderer Philosophen, Sterngucker, Mystiker und Heiliger von der Welt hegen, getreu aufgezeichnet. Die Anschauungen des Plinius und seines Nachschreibers Solinus beherrschten die Ansichten über ein Jahrtausend. Nach ihm gab es jenseits des heiligen Indus die Inseln Chryse und Argyre, die ganz aus Gold und Silber bestanden. Isidorus wußte sogar von goldenen Bergen zu berichten, die von Drachen, Greifen und menschlichen Ungeheuern bewacht wurden. Bei d'Ailly liest Columbus, daß die Erde so und so schmal sei, und daß das Paradies irgendwo im Osten liege, wo Erde und Mond zusammengrenzen. Sollte es ein gläubiger Entdecker nicht finden? In den heißen Zonen – heißt es da ferner – leben unbeschreibbare Untiere. Die Welt geht wahrscheinlich 1658 unter, ganz bestimmt aber 1801. In Senecas Tragödie »Medea« liest Columbus die Verse:

Vement annis saecula seris,
Quibus Oceanus vincula rerum
Laxet et ingens pateat tellus,
Thetysque novos detegat orbes,
Nec sit terris ultima Thule.

(Einst wird die Zeit anbrechen, wo der Ozean seine Fesseln sprengen, der Erdkreis weit und breit sich ausdehnen, das Meer neue Länder entschleiern, und Thule nicht mehr das erdenfernste Land sein wird.)

Ist man nicht geradezu ein Narr, wenn man sich auf Grund solcher Prophezeiungen nicht aufmacht, um neue Welten zu suchen? Übrigens spricht schon Jesaias LX, 9 und LXV, 17 von neuen Weltteilen, von Gold- und Silberinseln.

Gewiß, das alles sind Märchen. Aber Columbus hat an sie geglaubt, und ich finde nichts Lächerliches darin. Im Gegenteil. Gerade weil er an sie geglaubt, gehörte die doppelte Kühnheit dazu, mit elenden Schaluppen und einer Horde Verbrechern auf die unbekannten Meere hinauszusegeln und es – wie ein würdiger Märchenheld – mit den vermeintlichen Drachen und Unholden aufzunehmen. Seine ehrliche Absicht war, sie zu töten; daß er sie nicht gefunden hat, kann ihn nicht verkleinern. Nachdem er die neuen Lande entdeckt hat, schreibt er sehr bescheiden und hübsch: »Zur Ausführung einer Fahrt nach Indien haben Vernunftschlüsse, Mathematik und Weltkarten mir zu nichts geholfen. Es ist einfach in Erfüllung gegangen, was der Prophet Jesaias vorhergesagt hat.«

Die Namen jener Philosophen, Propheten und Dichter und die Resultate d'Aillys waren dem spanischen Monarchen tatsächlich Garantien genug, das kostspielige Unternehmen des durch seine außergewöhnliche Beredsamkeit faszinierenden Entdeckungsreisenden zu billigen, obwohl die kosmographischen Vorstellungen unseres waghalsigen Weltumseglers sehr seltsam, seine mathematischen und geographischen Vorkenntnisse sehr ungenügend und sein nautisches Wissen gleich Null waren. Denn er gibt später beispielsweise den Breitegrad der kubanischen Küste auf zweiundvierzig Grad an, anstatt auf einundzwanzig Grad. Er hält die Gestalt der Erde für birnenförmig. Die astronomischen Vorstellungen seiner verirrten Einbildungskraft sind die der Naturvölker.

Aber bevor er sich die Krone des Erfolges aufs Haupt setzen kann, muß er noch harte Prüfungen bestehen. Die Vasallen des Hungers gesellen sich zu ihm und geleiten ihn durch die dornenvollen Lande der Bitternis und der Enttäuschung; der Kummer wird sein treuester Freund; es tun sich Abgründe in ihm auf, und schwere Verzweiflung kommt heran und erwürgt alle seine Hoffnungen. Der Gottgesandte bricht zusammen, ehe er seine ruhmvollen Reisen beginnt. Aber der Schmerz veredelt ihn nicht, sondern macht ihn habgierig und rachsüchtig. Er wird sich an all denen rächen, die ihm wehgetan haben. Wenn er das Franziskanerkloster La Rabida verlassen wird, wo man den Umherirrenden vom Hungertode errettet, wird er fordern, daß man ihm jede bittere Stunde durch zehnfache Ehrungen und zehnfaches Gold aufwiege. Er will die höchsten spanischen Würden und die Macht des Vizekönigs in den neu zu entdeckenden Ländern. Er ist außerdem ein tüchtiger Geschäftsmann. Von allen Perlen und Edelsteinen, von Gold und Spezereien, von allem, was Handelswert hat, will er zehn Prozent. Er will das Amt des höchsten Richters üben und alle Handelsprozesse führen, die zwischen Spanien und dem Lande seiner Phantasie entstehen werden.

Zu seinem Unglück bewilligt man ihm alles. Man bewilligt alles, weil man nicht an ihn glaubt. Man sagt zu allen Phantasien dieses Irren »ja«. Und welch eine Meinung hat er nun von sich: »Gott machte mich zum Gesandten eines neuen Himmels und einer neuen Erde.« Und jetzt gehen die Dämonen in ihm auf Raub aus. Eine unersättliche Geldgier und eine kleinliche Habsucht erfüllen ihn; er wird doppelzüngig und grausam; er wird anmaßend und prahlerisch; er wird der Mann großer Gesten und kleiner Schliche. Zum Beispiel: er verspricht demjenigen Matrosen, der zuerst das ersehnte Land erblicken wird, reiche Geschenke und eine stattliche Jahrespension; der Glückliche ist Rodrigo von Triana; aber Columbus zankt sich mit ihm herum, er selber hätte zuerst Land gesehen, und gibt ihm das Versprochene nicht, läßt es vielmehr sich selber auszahlen. An Land gestiegen, singt er mit seinen Matrosen vor Freude und innerer Bewegung ein Tedeum, und religiöse Worte auf den Lippen, ist sein Herz schon mit den goldenen Nasenringen beschäftigt, die er den Ureinwohnern abnimmt, um ihnen Glasperlen dafür zu bieten. Hier ist Columbus mehr Wucherer als Gottesbote. Denn für diesen hält er sich. »Die heilige Trinität bewog Eure Majestät zu dem Unternehmen nach Indien, und durch ihre unendliche Gnade wählte sie mich, um es Ihnen zu verkündigen. Deshalb kam ich als ihr (der Trinität) Botschafter zu Eurer Majestät wie zu den mächtigsten Fürsten der Christenheit, welche sich im Glauben übten und so viel für seine Verbreitung taten. Trotz allen Ungemachs, welches mir widerfuhr, war ich gewiß, daß meine Unternehmung gelingen werde, und beharrte bei dieser Ansicht, weil alles vergehen wird, ausgenommen das Wort Gottes. Und in der Tat, Gott spricht so klar von diesen Gegenden durch den Mund des Jesaias an mehreren Stellen der heiligen Schrift, wenn er versichert, daß von Spanien aus sein heiliger Name, solle verbreitet werden.«

Nein, unser Gottgesandter, den man mit dem Apostel Thomas verglichen hat, ist nach seiner Landung nicht großzügig. Diese Insulaner sind dumm und harmlos, folglich sind sie eine gute Handelsware. »Diese gutartigen Menschen müssen ganz brauchbare Sklaven abgeben«, schreibt er in sein Tagebuch; er wird der Protektor des Sklavenhandels. Seine Schilderung von der Entdeckung Kubas ist ein Gemisch von begeisterten Worten über die Pracht des Landes und über seine Hoffnungen, Gold zu finden. Natur? Ja, sie ist schön. Sehr schön sogar, aber ich will Gold. Es ist schön von den Palmen, daß sie Kokosnüsse tragen; sie bringen mir Geld und der Botanik eine neue Erkenntnis. Die Sitte des Rauchens herrscht bei diesem fremden Volke; nach Europa verpflanzt, wird diese unbekannte Sitte Geld einbringen. Auf der Globuskarte Behaims liest Columbus: »Hie findt man vil merwunder von serenen.« Praktisch, wie er ist, sucht er nicht lange nach den Sirenen, sondern begnügt sich mit gewöhnlichen Fischen. Welch erstaunliche Kraft und imposante Größe gibt ihm seine Geldsucht! Er erträgt übermenschliche Anstrengungen; er schläft zweiunddreißig Nächte hintereinander nicht; Gewitter und Sturm finden ihn immer auf seinem Posten; die Malaria schüttelt ihn vergebens wochenlang, »Geld machen«, ist die Devise, die ihn aufrecht hält. Zehn Prozent! Ist dieser Italiener nicht in der Tat der erste moderne Amerikaner?

Als er sich dem Paradiese nahe glaubt, schreibt er: »Es sind hier also gewichtige Anzeichen für die Nähe des Paradieses, und die Ansichten der heiligen und gelehrten Theologen stimmen mit meinen Beobachtungen überein. Und wenn die Wasser (des Orinoko) nicht aus dem irdischen Paradiese kommen, so scheint das ein noch größeres Wunder zu sein, weil ich nicht glaube, daß man auf der ganzen Welt einen so mächtigen und tiefen Fluß findet.« Er preist Kuba als ein Paradies und schreibt an die spanischen Majestäten, niemand, der nicht gut katholisch sei, dürfe diese gesegnete Insel betreten. »Denn das ist das Ziel der Entdeckungen gewesen, die ich auf Befehl Eurer Majestät gemacht habe, und die nur unternommen sind, den christlichen Glauben zu verherrlichen und zu verbreiten.« Hier ist er, vielleicht unbewußt, unwahr; denn sein tägliches Gebet lautet: »Möge der Herr nach seiner Barmherzigkeit mich die Goldminen finden lassen! Denn es erhört Gott die Gebete seiner Diener, welche seine Gebote befolgen, auch dann, wenn sie, wie in diesem Falle, Unmögliches zu bitten scheinen.« Diese Goldgier geht so weit, daß er selbst einen erlittenen Schiffbruch als eine Fügung Gottes betrachtet, der ihn so auf die Goldfelder hinweisen will, die in der Nähe sein müssen. Und weil er in Haiti einige goldverzierte Hütten findet, hält er die Insel für das salomonische Ophir.

Und nun war es das Gold, das den Gang der Entdeckungen beherrscht hat; das Aufsuchen neuer Länder wird jetzt ein Glücksgewerbe; Columbus ist nur der glücklichste und kühnste Spieler. Denn kaum hat er die goldführenden Flüsse Haitis entdeckt, so ist sein Entdeckungsdrang stark abgekühlt, und er hat nur noch Sinn für die Hebung der Schätze. Unter Androhung von Peitschenhieben für jeden späteren Widerspruch läßt er seine Mannschaft eine Urkunde beschwören, daß sie Kuba für einen Teil des asiatischen Festlandes halte. Damit ist für ihn die Auffindung des Seeweges nach Indien erledigt, und er kehrt wieder zu seinen Goldwäschen auf Haiti zurück. Time is money, könnte beinahe ein columbisches Wort sein.

Nein, er hat keinen großen Weltentdeckerehrgeiz mehr. »Columbus«, sagt Humboldt, »legte bei seiner dritten Reise (1498) mehr Wert auf die Perlen der Insel Margarita und Kubagua als auf die Entdeckung der Terra firma.«

Aber wenn die erwählten Söhne des Schicksals ihrer höchsten Aufgabe untreu werden, wendet es sich jählings gegen sie.

Was war die Ernte dieses Lebens voller Mühen und Gefahren? Krankheit und – man verzeihe den Pleonasmus! – Erniedrigung und Armut. In Kastilien besaß Columbus keinen Dachziegel; in Spanien war er auf das Wirtshausleben angewiesen, und er hatte nie die Mittel, seine Rechnungen zu bezahlen. Siech kehrt er heim, denn man darf nicht vergessen, daß die Mannschaft des Columbus nicht nur Gold und Silber nach Spanien brachte, sondern auch die Syphilis. Er hatte keine Freunde mehr; niemand kümmert sich um den armen Schiffbrüchigen; man kompromittiert sich, wenn man seinen Namen nennt. Er muß am eigenen Leibe die bittere Wahrheit bestätigt finden, daß die Geschichte der Menschheit zum großen Teil die Geschichte menschlicher Niedrigkeit ist. Da er aufhörte, zu nützen, fing er an, lästig zu werden. Der gottgesandte Vizekönig ist nun dem Bettler gleichgeachtet, denn der spanische König weiß nichts mehr von all den verbrieften Versprechungen, die er Columbus gemacht hat. Man hat bald vergessen, daß er der Welt neue Hoffnungen, neue Ziele, neue Bestrebungen, neue und weitere Grenzen gegeben hat, daß er die physische Geographie und Anthropologie bereichert, daß er das menschliche Denken vertieft und die Entwicklungsmöglichkeit des Menschen beträchtlich vergrößert hat. Man schenkt diesem stolzen Sieger – Mitleid. Man vergißt ihn rasch. Sein Tod geht eindruckslos vorüber.


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