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II
Engländer

 

»Die Geschichte der Literatur ist ebenso schwierig zu beschreiben wie die Naturgeschichte. Dort wie hier hält man sich an die besonders hervortretenden Erscheinungen. Aber wie in einem kleinen Wasserglas eine ganze Welt wunderlicher Tierchen enthalten ist, die ebensosehr von der Allmacht Gottes zeugen, wie die größten Bestien: so enthält der kleinste Musenalmanach zuweilen eine Unzahl Dichterlinge, die dem stillen Forscher ebenso interessant dünken, wie die größten Elefanten der Literatur.«

Heine

 

Ben Johnson

Eine junge Dame namens Margarete Mauthner hat im Jahre 1912 den nicht gerade alltäglichen Einfall gehabt, die Dramen Ben Johnsons in neuer deutscher Übertragung herauszugeben. Ben Johnson? denkt man. War das nicht »der berühmte Zeitgenosse Shakespeares?« Jener furchtbar gelehrte Spießbürger, der vom Wirbel bis zur Zehe pedantisch, neidisch und kleinlich war? Seine Dramen? Wozu und warum?

Literaturgeschichten her! ...

Ja, es ist eben derselbe Ben Johnson. Aber man sagt sich, daß alle diese menschlichen Eigenschaften, die gegen ihn sprechen, kein Beweis dafür sind, daß er nicht auch ein bedeutender Dichter gewesen sein könne. Also lesen wir in drei Teufels Namen seine Stücke, an denen wir uns sonst immer vorbeigedrückt haben.

Indes, man mag sich noch so sehr bemühen, von Ben Johnson kann man nicht sprechen, ohne fortwährend an Shakespeare zu denken. Nicht nur weil die äußeren Lebensschicksale beider Dichter reiche Analogien ergeben, sondern einfach aus dem Grunde, weil man einen Stern nicht beschreiben kann, ohne seine Stellung zur Sonne unbeachtet zu lassen. Jede Betrachtung Ben Johnsons wird in eine Hymne auf Shakespeare ausklingen, denn trotz aller Ähnlichkeit des Lebensweges sind beide nicht inniger verwandt, als der Adler und der Sperling.

In demselben Jahre wie Shakespeare machte Ben Johnson den ersten Versuch, das römische Altertum dramatisch zu beleben. 1601 wurde sein Schauspiel »The poetaster« aufgeführt, im wesentlichen ein literarisches Pasquill, das gegen die Satiriker und Pamphletisten Marsten und Dekker gerichtet war. Die Handlung spielte zu Kaiser Augustins Zeiten und wollte neben der Satire auf die zeitgenössische Literatur zugleich ein großes Gemälde der altrömischen Sitten geben. Wie Shakespeare seinem »Julius Cäsar« zwei andere Tragödien aus dem alten Rom folgen ließ, »Antonius und Kleopatra« und »Coriolanus«, so schrieb auch Ben Johnson noch zwei römische Dramen: »Sejan« und »Catilina«.

Andere Stücke von ihm, z. B. »Volpone oder der Fuchs« oder »Der Bartholomäusmarkt« würden vielleicht noch heute auf der Bühne ihre Wirkung üben, wenn man den Staub fortwischte, den die Jahrhunderte darauf geschichtet haben. Ohne diese Entstaubung geht allerdings auch manches, was Shakespeare geschrieben hat, dem Empfinden der Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht so restlos ein, wie viele Leute tun. Wenn man die Massensuggestion und die Ehrfurcht vor dem Namen in Abzug bringt, wird man sich ehrlich sagen müssen, daß es in manchem Shakespeareschen Stück lange Strecken gibt, die uns nicht das Geringste mehr sagen und nichts mehr bedeuten können. Viele unterdrücken nur das Gähnen, weil man eben in Gesellschaft eines Genies nicht gähnt. Nichtsdestoweniger langweilt man sich; mit dem Unterschiede, daß man bei Shakespeare eben das als »Patina des Alters« bezeichnet, was man bei minder großen Geistern ganz einfach »Staub« nennt.

Ben Johnson wurde 1573 geboren; war also neun Jahre jünger als Shakespeare; während der »Schwan von Avon« aber auf dem Lande aufwuchs, war Ben Johnson ein Stadtkind. Mit zwei Jahren bekommt er einen Maurermeister zum Stiefvater, der ihm eine ausgezeichnete Erziehung zuteil werden läßt. Er wird auf die Westminster-Schule geschickt, wo er in die klassischen Literaturen eingeweiht wird und wo man ihn lehrt, alles was er in Versen auszudrücken beabsichtigt, zuerst in Prosa niederzuschreiben. Schon in der Schule wurde also jener gelehrte Poet aus ihm gemacht, der später auch in den rhetorisch gewichtigen Versen seine schwerfällige Gelehrtheit nicht los wird. So hoch er die Gelehrsamkeit schätzte, so sehr er ein Handwerk verachtete, so wenig er auch zur Arbeit geeignet war, – die Armut zwang ihn dennoch, seine Studien zu unterbrechen und in dem Maurergeschäft seines Vaters als subordinierter Angestellter zu arbeiten, was ihm später bei seinen literarischen Fehden das verächtliche Schimpfwort »Handlanger« eintrug. Er ging später als Soldat nach den Niederlanden, wo er sich als sehr tapfer erwies, kehrte nach London zurück und verheiratete sich dort so jung wie Shakespeare. Er war just neunzehn Jahre alt. Wie Shakespeare suchte er sein Leben auf der Bühne zu fristen. Wie Shakespeare betraute man ihn damit, vermoderte Stücke des Schauspielrepertoirs durch seinen Atem neu zu beleben und umzugestalten. So hat er unter anderem im Jahre 1601 Kyds alte spanische Tragödien, die Shakespeare bei seiner Abfassung des »Hamlet« in vieler Beziehung vorschwebten, durch reiche Verbesserungen und Ergänzungen zu neuem Leben erweckt. Denn das ist zweifellos, daß er ein Dichter war; nicht nur, weil er mit Geld nicht umzugehen verstand und von den unglaublichsten Halluzinationen geplagt war, nicht nur, weil er den Beruf des Poeten über alles schätzte und weil er selbst vom tiefsten Selbstgefühl durchdrungen war, sondern weil seine Werke tatsächlich einen Dichter wiederspiegeln. In vielen äußeren Gaben Shakespeare gleich, war es Ben Johnson, obwohl er seit 1597 für Henselows Truppe regelmäßig tätig war, doch nicht gelungen, auf einen grünen Zweig zu kommen. Er wurde nicht Theaterteilhaber wie Shakespeare, war vielmehr bis in seine letzten Lebensjahre hinein darauf angewiesen, nach fürstlichen und adligen Gönnern zu suchen und um deren Wohlgeneigtheit zu betteln. 1598 bringt er einen Schauspieler von Henselows Truppe im Duell um, bekommt dafür das Verbrecherzeichen eingebrannt, was nicht hindert, daß einige Monate später sein erstes Werk »Every man in his Humor« aufgeführt wird. Er muß außerordentlich viel gelitten haben, muß ungewöhnlich viel Zurücksetzungen erfahren haben, und er muß endlich dadurch, daß er von der Gunst der Adligen abhing, auch innerlich viel durchgekämpft haben; denn alle seine Selbstvergötterungen und Selbstverherrlichungen, die ja dem Wesen Shakespeares so urfremd waren, sind nur verständlich, wenn man sie eben als Ausgleich seiner erduldeten Hintansetzung betrachtet. Die Kunst geht ihm über alles; wer die Kunst herabsetzt, wird von ihm stark gegeißelt, wie überhaupt Ben Johnson immer der am meisten entrüstete Moralist seiner Zeit war, was ihn nicht hinderte, zugleich ein sehr gefeierter Zechbruder zu sein. Er ging dem Wein niemals aus dem Wege und selbst beim heiligen Abendmahl, als ihm der bis zum Rande mit Wein gefüllte riesige Kelch gereicht wurde, leerte er ihn als echter Renaissancemensch auf einen Zug. Im übrigen war er eine energische, großmütige und selbständige Natur und als Geist weit umfassend. Sein Name wird immer mit dem Shakespeares zusammengenannt, ja, in literarischen Kreisen der Zeitgenossen wurden Ben Johnson und Shakespeare stets als das dramatische Brüderpaar des Zeitalters betrachtet. Und wir wissen, daß Ben Johnson der einzige war, mit dem Shakespeare dauernd verkehrte; vielleicht schon deshalb, weil Ben Johnson in geschichtlichen und sprachlichen Kenntnissen Shakespeare weit überlegen war und fast ein entgegengesetztes dichterisches Ideal anstrebte. Ben Johnson, diese lustige Seele, hatte einen großen dramatischen Verstand. Er dramatisierte z. B. nie wie die anderen zeitgenössischen Dichter irgendeine Novelle, ohne ihre lokale und historische Wirklichkeit zu berücksichtigen. Der Sohn des Baumeisters hielt große Stücke auf die architektonische Sicherheit seiner dramatischen Bauten. Er beging nie solche Fehler gegen die Geographie und Lokalität wie etwa Shakespeare, bei dem Böhmen am Meere liegt und die Venezianer maskierte Londoner sind. Solche Anachronismen gibt es nicht bei dem gelehrten Johnson, und wenn er in seinem Stück »Volpone«, das ebenfalls in Venedig spielt (ein Stück, dem nur Gogols »Revisor« ebenbürtig ist), die Menschen gleichfalls wie Londoner reden läßt, so ist das bei Johnson bewußte satirische Absicht.

Freilich ist die Satire nicht seine Stärke. Seine ursprüngliche Begabung liegt vielmehr in seiner scharfen, wirklichkeitsgetreuen Beobachtung der damaligen Verhältnisse und Sitten, die Shakespeare links liegen ließ. In Ben Johnsons Schauspielen lebt das elisabethinische London mit seiner niedrigen und feineren Bevölkerung von neuem auf, besonders aber verweilt der Dichter gern bei der Plebs, die die Wirtshäuser und schlechten Theater besucht, die an der Themse und auf den Märkten sich regt; die Schelme, Poetaster und Komödianten, die Ruderknechte und Gaukler, die Bärenführer, Marktschreier und Krämer, die ländlichen Gutsbesitzer, die englischen Gutsbesitzer jeder Art und jedes Standes – dieses Gewimmel darzustellen, jeden in seiner Sprache, seiner Mundart, seinem Kauderwelsch reden zu lassen, das ist Ben Johnsons eigentliche Domäne. Die Wiedergabe der Wirklichkeit also mit einer Treue, die ja Shakespeare dem täglichen Leben gegenüber nie besaß.

Ich habe schon gesagt, daß Ben Johnsons Wissen enzyklopädisch war, und besonders war seine Kenntnis der antiken Schriftsteller überwältigend vielseitig und exakt. Er kennt nicht nur die großen Geschichtschreiber, Dichter und Redner, sondern auch die Sophisten, Dramatiker und Scholasten; er kennt Bruchstücke von äolischen Lyrikern und griechischen Epikern, von griechischen Tragödien und römischen Inschriften, und was das Verblüffendste ist – er benutzt das alles, und kein Autor ist sicher vor seinen dreisten Diebstählen. Denn was er bei den Alten gedankenreich oder schön findet, das verwendet er in seinen dichterischen Gebilden. So war auch Ben Johnson universell auf seine Art. Was Shakespeare intuitiv weiß, das lernt Johnson aus der Welt der Bücher. Wenn man Ben Johnson stets nachsagte, daß er neben Shakespeare eine kleine, neidische Seele gewesen sei, so wollen wir uns doch auch zugleich daran erinnern, daß es Ben Johnson war, der für seinen Freund und Zeitgenossen Shakespeare begeisterte Worte fand und daß er es war, der in die verzückten Ausrufe ausbrach: »Süßer Schwan von Avon! Du Seele des Zeitalters! Du Stern unter den Dichtern!«


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